Jenseits der Neuen Mitte...
Zu den wirklich großen Genies des guten Tuns zählt Udo Lindenberg. So tourt er in diesen Wochen dunkel-bebrillt und groß-behütet durch die Republik und ganz sicher ist er gegen rechts. Am 10. Februar um 7.11 Uhr meldet die Deutsche Presseagentur, der erst 54-jährige Rocksänger fühle sich Brecht, Weill und Tucholsky verpflichtet, zeige Verständnis für Orientierungslosigkeiten, analysiere die sozialistische Zwangsjacke sowie das Kohlsche Vakuum und trete für eine tolerante, bunte und weltoffene Republik ein. Bei derart gutem Willen und heftigem Aktionismus könnte man fast übersehen, daß der Barde im gleichen Atemzuge für "Hardcore-Strafen" gegen rechte Gewalttäter trommelt. So kann es mit einem durchgehen - auch wenn ihm dieser Tage seine von VW gesponsorte schwarze Limousine vor der Paris Bar geklaut wurde: kein Mitleid, sondern der gut gemeinte Zuruf: "Bloß keine Linksruck-Heinos!"
Gar nicht in dieser Gefahr steht der neue Kanzlerkandidat der CDU. Zum einem trägt er keine Sonnenbrille, zum anderen ist er bisher nicht als ruck-anfällig in Erscheinung getreten. Im Gegenteil: Er ruckt und rührt sich gar nicht. Und - was selten ist in der Hohen Politik - er hat sogar einen guten Freund: Der heißt Dr. Freiherr Wolfgang von Stetten (MdB), ist gelernter Landwirt und Professor aus Künzelsau, dort 26 Jahre lang Stadtrat und zudem Präsident des Studienzentrums "Deutschland morgen". Dieser Freund hat den Kanzlerkandidaten für die Nachfolge von Gerhard Schröder ins Gespräch gebracht. Das geschah am 9. Februar um 9.15 Uhr. Da Roland Koch sich noch nicht entscheiden kann, ob er lieber 2002 oder 2006 antreten soll, ist das Rennen völlig offen. Wir dürfen gespannt sein.
Bis dahin erholen wir uns vom "Schlag ins Gesicht der Verbraucher". Geltende gesetzliche Zusagen sind gebrochen, mögliche Preissenkungen wurden verhindert. Mehr noch: Fachlich falsche und ordnungspolitisch verfehlte Entscheidungen müssen nun zurückgenommen werden. Mindestens in der Größenordnung von 10 Pfennigen. So Auszüge aus der Erklärung des Präsidiums der FDP vom 18. Februar. Das Thema habe ich leider vergessen.
Zum Kanzlerkandidaten sagten die Liberalen nichts. Schade. Bis auf Walter Döring: Der sprach davon, das "Projekt Kanzlerkandidat" sei Karneval. Auch wenn Koch nicht unbedingt gemeint gewesen sein sollte: Ein Anruf bei Freiherr von Stetten könnte Schlimmeres verhindern.
Die volle Rückendeckung der CDU und einen an ihm festhaltenden Regierenden Bürgermeister hat Klaus Landowsky. Der ist Berliner Politiker. Die gibt es wirklich. Ich meine nicht nur im Reichstag und drumrum. Auch zum Beispiel im Abgeordnetenhaus. Vor dem fusionstechnischen Abwicklungsverfahren in Richtung Potsdam/Berlin/Brandenburg zeigen sie uns mit aller Kraft, was uns hoffentlich bald fehlen wird: Mief. Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft, wo nur selten was verpufft, pufft, pufft. Landowsky hat Mitte Februar angekündigt, von irgend einem Posten Ende Mai zurücktreten zu wollen. Wir harren auch hier, nach Luft ringend, in Geduld.
Während ich am Pariser Platz meine goldenen Gedanken über die Situation als solche zu Papier bringe, führt Wolfgang Schäuble (Bundespräsidentenkanditat mit oder wider Willen) ein Interview: Und alles bisher Gesagte steht in einem anderen Licht. Ich zitiere: "Ich lehne jede Festlegung auf einen Kanzlerkandidaten ab. Kommt Müller, Meier oder Schulze in Frage? Ich sage: Es gibt vor 2002 keine Entscheidung." Aha: Da sind sie, die Kandidaten der CDU: Quer durch die Parteien neun Müllers im Bundestag, kein Meier, kein Schulze. Die Müllers machen′s untereinander aus. Oder der Lindenberg muß doch noch ran. Roland Koch ist schon am Apparat.