Junge Frauen heute: Wir wollen alles!

Familienpolitik neu denken

Junge Frauen sind heute selbstbewußter als die Generation ihrer Mütter. Sie gehen ganz selbstverständlich von Gleichberechtigung in der Schule, in der Ausbildung und im Studium aus und fordern diese auch für Partnerschaft und Familie ein. Individuelle und flexible Lebensplanung steht im Vordergrund. Die Forderung nach der Vereinbarkeit beider Bereiche - Beruf und Familie - hat eine neue Dimension erreicht und stellt neue Anforderungen an Politik, Gesellschaft - und an die Männer. Es geht nicht darum, aus der Analyse des benachteiligten Wesens heraus im feministischen Kampf ganz betroffen für die Gleichstellung zu streiten, sondern gleiche Rechte sind der selbstverständliche Ausgangspunkt der Lebensplanung junger Frauen. Dieses Selbstbewußtsein muß in eine moderne Frauenpolitik Eingang finden, denn nötig ist dieser Politikbereich nach wie vor. Es geht darum, daß die neue Generation junger Frauen nicht als unpolitische girlies oder - im politischen Raum fast noch schlimmer - Karrieristinnen deklassiert wird.

Daß es allerdings unzweifelhaft noch immer Benachteiligungen gibt, erfahren junge Frauen häufig dann, wenn sie trotz guter Ausbildung, meist sogar besserer Abschlüsse als ihre männlichen Mitbewerber, auf ihre Gebärfähigkeit reduziert werden und deshalb schlechtere Chancen in der Karriereplanung haben. Viele der Frauen in leitenden Positionen empfinden es geradezu als eine Mißachtung ihrer Persönlichkeit und ihrer individuellen Lebensplanung, daß in Deutschland Kinderbetreuung nicht selbstverständlich angeboten wird, damit Frauen nach kurzer Pause adäquat in ihren Beruf zurückkehren und ihre Kinder trotzdem qualitativ gut versorgt wissen können. Der Zorn junger Journalistinnen darüber entlädt sich in der letzten Zeit zunehmend in den Feuilletons der großen Zeitungen.

All das Jammern über rückläufige Geburtenzahlen nützt da gar nichts, auch die aus Bayern ins Gespräch gebrachten Prämien für Kinder und Küche helfen nicht weiter. Im Gegenteil: Da will Edmund Stoiber den aktiven Frauen, die gerade Mütter geworden sind, doch nicht ernsthaft mit seiner Mogelpackung von 1000 Mark schmackhaft machen, Kochen, Putzen und Wickeln sei spannender als Computer, soziale Kontakte am Arbeitsplatz, Wissenschaft oder weite Welt? Nichts gegen liebevolle Betreuung von Kindern durch ihre Eltern, besser ist allemal die freie Wahl.

An die wirtschaftliche Notwendigkeit, Frauen mit allen ihren Fähigkeiten und Begabungen am Prozeß der Erwerbsarbeit zu beteiligen, wird zur Zeit immer wieder erinnert. Das stimmt auch, ist ein hilfreiches Argument, soll hier aber nicht im Vordergrund stehen. Ganz parteiisch geht es im Sinne der Generation junger Frauen um gleiche Chancen und Möglichkeiten. Als die 13. Shell-Jugendstudie im Jahr 2000 aufzeigte, daß noch im Alter von 15 bis 17 Jahren der Wunsch nach beruflicher und nach familiärer Orientierung bei Jungen und Mädchen etwa gleich stark ausgeprägt ist, dann aber bei den Mädchen mit 22 bis 24 Jahren die berufliche Orientierung zugunsten der Familie zurückgeht, wurde noch einmal deutlich: Der Familientrieb ist nicht angeboren. Vielmehr ist es positiv zu bewerten, daß junge Frauen sich heute zutrauen, beruflich erfolgreich zu sein und eine Familie zu haben. Beides zusammen erleben die jungen Frauen allerdings angesichts des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland häufig als unrealisierbar. Denn noch immer gibt es den Begriff der Rabenmutter, Rabenväter sind dagegen noch nicht erfunden worden.

Wer aber über Gleichstellungspolitik und Gleichberechtigung redet, muß auch über die Verteilung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit in unserer Gesellschaft reden, muß also das Thema Mann und Familie in den Blick nehmen. Noch immer besteht eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Auch heute sind Frauen noch dreimal länger als Männer im Haushalt und mit den Kindern beschäftigt. Besonders die Ankunft von Kindern verstärkt die traditionelle Rollenverteilung. Nach der Geburt bleiben fast immer die Mütter zu Hause, weniger als zwei Prozent der Väter nehmen die Möglichkeit zum "Erziehungsurlaub" wahr, der ab dem Jahr 2001 in Elternzeit umbenannt und deutlich verbessert worden ist. Und wenn sich Männer um ihre Sprößlinge kümmern, ziehen sie spaßbringende Aktivitäten wie Spielen oder Spazierengehen vor. Die Versorgung der Kinder bleibt den Müttern überlassen. Nur wenn Väter stärker in die Familienarbeit einbezogen werden, haben Frauen die Chance, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Beim Thema Kinderbetreuung sind hauptsächlich ideologische Barrieren zu überwinden. Ganztagsschulen, Ganztagsbetreuung in Kinderhorten und mehr Quantität und Qualität in der Betreuung der Kinder unter drei Jahren sind in anderen Ländern Europas ein Thema, teilweise sogar selbstverständlich. Mütter, die Erwerbsarbeit nachgehen, daran sogar Spaß haben und ihre Karriere verfolgen, sind dort keine Rabenmütter, sondern moderne Frauen von heute.

Familie ist "in". Trotz aller Hemmnisse wie mangelnder Kinderbetreuung, einer Arbeits(zeit)organisation, die sich wenig auf Familien einstellt und eines nach wie vor viel zu kinderunfreundlichen Klimas in der Öffentlichkeit, ist der Wunsch nach einer eigenen Familie bei Jugendlichen ungebrochen, er hat sogar einen Bedeutungszuwachs erfahren. Familie gilt als Ort der Geborgenheit, gleichzeitig bildet die Erwerbsarbeit einen wichtigen und zur Identität unabdingbar dazu gehörenden Bestandteil des Lebens.

Daß gleichzeitig immer mehr junge Leute darauf verzichten, eine Familie zu gründen, liegt an den problematischen Bedingungen. Auf die Patchwork-Biographien der heutigen Zeit, in denen sich Ausbildung, Erwerbsarbeit, Familienphase, Weiterbildung, Sabbaticals und ehrenamtliches Engagement abwechseln, muß die Politik Antworten finden, die Frauen und Männern eine individuelle Lebensplanung ermöglicht. Wenn Deutschland ein modernes Land in Europa sein will, müssen Politik und Wirtschaft Kreativität entwickeln, damit Berufstätigkeit und Familie für Männer und Frauen attraktiv sind.

Dazu gehört auch, junge Frauen stärker zu fördern und zu aktivieren, sich politisch zu engagieren. Wenn in einer Partei wie der SPD genauso viele Frauen mit über 80 Jahren wie mit unter 30 Jahren Mitglied sind, wenn ein SPD-Unterbezirk einer Großstadt die weiblichen Mitglieder unter 20 Jahren an zwei Händen abzählen kann, dann ist es höchste Zeit. Während unsere Mütter noch für die Quote stritten, müssen wir verstärkt junge Frauen finden, die sich überhaupt in die Strukturen der Politik begeben wollen. Schon Mitte der neunziger Jahre hat eine Studie des SPD-Parteivorstandes festgestellt, was noch immer gilt: Junge Frauen wünschen sich weniger Konkurrenzdenken, mehr effektive und offene Diskussionen und Teamarbeit, wollen Erfolge in der politischen Arbeit sehen und stecken ihr Engagement oft zurück, wenn sie durch Familie und Ausbildung zu sehr belastet sind. Auch traditionelle Formen der Frauenpolitik sprechen junge Frauen nicht mehr an. Männerfreie Räume sind ebenso wenig attraktiv wie Betroffenheitsrituale. Power, Kompetenz und Spaß an der Politik sind spannender als Beschwerden und Klagen.

Nicht nur rein demographisch brauchen die Parteien mehr junge Frauen, auch inhaltlich werden sie auf ihre Lebenserfahrungen und Anforderungen nicht verzichten können. Nur so können sich in der immer noch männlich geprägten Welt der Politik Lösungen durchsetzen, die der Notwendigkeit von Flexibilität und sozialem Zusammenhalt Rechnung tragen, was von Frauen immer noch stärker als von Männern eingefordert wird. Das gilt auch für kreative Lösungen in der anstehenden Diskussion um die staatliche Förderung von Familien. Kindergelderhöhung, staatliche Förderung der Betreuung von Null- bis Dreiährigen, der Kindertagesstätten und Ganztagsschulen, steuerliche Begünstigung von erwerbsbedingten Betreuungskosten ... Wir wollen alles! Und vor allem wollen junge Frauen nicht die alleinige Zuständigkeit für Familienpolitik.

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