Kann Politik strategisch sein?
Jedes Eckpunktepapier, jeder Gesetzentwurf ist Wort für Wort zwischen den einzelnen Gruppen gemäß ihrer politischen Bedeutung austariert; Zugeständnisse an einer Stelle werden durch Kompromisse an anderer Stelle honoriert. Dass man dabei leicht das Ziel aus den Augen verliert, sollte niemanden verwundern.
Zugleich sind politische Entscheidungen nicht immer, ja sogar oftmals nicht in erster Linie Instrumente zur Problemlösung, wie beispielsweise der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern sie dienen der Befriedigung politischer Ansprüche der beteiligten Gruppen. Viele Entscheidungen haben Auswirkun-gen auf die Verteilung von Ressourcen verschiedener Gruppen und verändern Machtverhältnisse.
Die Frage, ob die Ausbildungsplatzabgabe auch nur einen einzigen zusätzlichen Ausbildungsplatz schaffen würde oder könnte beziehungsweise einem Jugendlichen mit frühzeitig abgebrochener Bildungsbiografie hilft, war nachrangig im Vergleich zu ihrer Funktion, das soziale Gewissen der SPD-Fraktion mit der Erfüllung einer Jahrzehnte alten Forderung zu beruhigen. Auch die alternative Lösung einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Kammern und Arbeitgeberverbände im Ausbildungspakt wurde nicht daraufhin geprüft, ob dieses Instrument prinzipiell zur Erhöhung der Ausbildungsleistung tauglich ist. (Die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen eher dagegen.)
Das Ziel der Bundesregierung bestand darin, das Verhältnis zu Arbeitgeberverbänden und Kammern nicht weiter zu verschlechtern und einen Weg zu finden, der den Betrieben eine finanzielle Belastung erspart und zugleich von der Fraktion akzeptiert würde. Das Versprechen der Wirtschaft, neue – nicht zusätzliche – Ausbildungsplätze zu akquirieren, ist in der Praxis kaum nachprüfbar.
Die Mülleimertheorie der Politik
Die Beobachtung, dass in der Politik Probleme und die Instrumente zu ihrer Lösung meist nur lose mit einander verbunden sind, hat in der amerikanischen Politikwissenschaft zur garbage can theory of politics geführt. Die Vertreter der Mülleimertheorie der Politik lehnen die Vorstellung grundsätzlich ab, dass politische Entscheidungen rational und von der Suche nach Problemlösungen getrieben sind. Sie gehen stattdessen davon aus, dass die politische Behandlung von Problemen immer und unmittelbar mit Machtfragen verbunden ist. Nur wenn die sachlich richtige Lösung eines Problems zufällig mit der politischen Machtkonstellation übereinstimmt, ist es wahrscheinlich, dass sie verwirklicht wird. In jedem anderen Fall werden Instrumente ergriffen, die politisch opportun, jedoch nicht sachlich sinnvoll sind.
Andererseits kann man mit Fritz W. Scharpf argumentieren, dass effektives Regieren – im Sinne von Probleme lösen – auch Regierungshandeln legitimieren kann. Neben der Input-Legitimation (durch Wahlen) können Regierungen auch auf Output-Legitimation (durch die sachdienliche Behandlung dringender Probleme) bauen. In demokratischen Systemen kann sich eine gute Regierung, die den Lebensstandard und das Wohlbefinden aller Bürger hebt, die Zustimmung ihres Wahlvolks sichern. Kluge politische Konzepte spielen hiernach sehr wohl eine Rolle; besonders solche, die für möglichst viele, wenn nicht alle vorteilhaft sind und gemeinsame Gewinnsituationen ermöglichen können. Sollte die Regierung ein effektives Instrument zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit einsetzen können, dann kann das für sie demnach auch ein Mittel zum Machterhalt sein. Regierungen legitimieren sich auch über den Erfolg ihrer Politik.
Im Zweifel hält man den Finger in den Wind
Die Agenda 2010 spiegelt die Spannung zwischen Problemlösung einerseits und politischer Opportunität andererseits wider. Die Kürzungen im Sozialbereich sind politisch unbeliebt, jedoch nach Meinung aller Parteien mit Ausnahme der PDS sachlich geboten. Politisch opportun handelte die Bundesregierung bei der Ausbildungsplatzabgabe, um die Zustimmung der Fraktion zur Agenda insgesamt zu sichern.
Zur Beschreibung der politischen Praxis trifft das Bild vom Mülleimer die Realität meist besser als das kluge Politikkonzept. Das gilt selbst für Entscheidungen, die politisch unbeliebt und durch Sachzwänge begründet werden. Politiker verlassen sich auf ihr Allgemeinwissen, ihren gesunden Menschenverstand und intuitive Entscheidungshilfen, wenn sie in politische Verhandlungen eintreten.
Zum Beispiel setzt die Agenda 2010 in der Beschäftigungspolitik auf Anreize zur Arbeitsaufnahme, auf Kostenentlastung bei den Lohnnebenkosten, auf Deregulierung und Entbürokratisierung. Diese Grundsätze sind leicht nachzuvollziehen und werden von Ökonomen des Sachverständigenrats und der OECD bereits seit langem empfohlen. Arbeitlose bemühen sich intensiver um Arbeit, wenn der finanzielle Druck steigt; Arbeitgeber stellen mehr Personal ein, wenn die Kosten sinken. Allerdings wirken diese Instrumente im Zusammenhang mit anderen Faktoren und können unter Umständen andere und sogar gegenteilige Effekte hervorrufen, wie jeder vorsichtige Wissenschaftler ergänzend betonen würde.
In dieser unsicheren Faktenlage vertrauen Politikerinnen und Politiker, die ja entscheiden müssen, im Zweifel lieber ihren politischen Intuitionen als den scheinbar ausbalancierten wissenschaftlichen Vorschlägen mit ihren Argumenten einerseits und andererseits. Deren Umsetzung und Erfolg sind nicht nur ungewiss und von vielen Umweltfaktoren abhängig, sondern im Zweifel auch zu langfristig angelegt, um im politischen Alltag handlungsanleitend zu sein.
Wenn Konzepte zudem im Entscheidungsprozess einem kontinuierlichen Veränderungs- und Verarbeitungsprozess unterliegen, ergibt es wenig Sinn, allzu rigide an einer Blaupause festhalten zu wollen.
Während dies für die politische Entscheidung einer einzelnen Politikerin oder eines einzelnen Politikers verständlich ist, wird die intuitive Herangehensweise an komplexe Probleme zunehmend zu einem allgemeinen Problem der Politik. Zunehmend besteht die bedenkliche Tendenz, auf politische Blaupausen im Sinne von durchdachten Konzepten ganz zu verzichten – zugunsten von grundsätzlichen Überzeugungen, allgemeinen Ideen und Intuitionen. Als Folge handelt man auf der Grundlage von Grundsätzen: Flexibilisierung ist grundsätzlich besser als starre Regeln, Kostenreduzierung ist immer positiv für den Beschäftigungserfolg.
Erfolgreich ist, wer Voraussetzungen versteht
Um effektiv handeln zu können, muss sich die Politik jedoch der Komplexität von Zusammenhängen stärker stellen und die Voraussetzungen und Grundlagen für politische Möglichkeiten der Steuerung besser verstehen – nicht zuletzt, weil sich in den vergangenen Jahren sowohl die nationalen als auch die internationalen Rahmenbedingungen der Politik stark verändert haben.
Auf nationaler Ebene sind die politischen Regulierungsfelder zunehmend komplexer geworden, und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die Herausbildung eines umfassenden Wohlfahrtsstaates hat zu großen bürokratischen Apparaten mit komplizierten Finanzierungs- und Leistungsstrukturen geführt, die zudem noch miteinander verflochten sind. Verschiebebahnhöfe in den sozialen Sicherungssystemen betreffen nicht nur die Personen, die von einer Maßnahme in die andere geschickt werden.
Sie betreffen auch die Formen der Finanzierung dieser Systeme, die im Wesentlichen davon abhängig sind, was in anderen Sicherungssystemen passiert. Die Frage, wie Sozialleistungen finanziert werden, hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf den Charakter der Leistungsansprüche, sondern auch auf die Frage der Besteuerungsfähigkeit des Staates und die relative Belastung von Arbeitseinkommen.
Zudem findet die Anpassung dieser komplexen Finanzierungs- und Verwaltungsstrukturen des Wohlfahrtsstaates in einer internationalisierten Ökonomie statt, in der sich die Prämissen der Besteuerung wie auch der Steuerungsfähigkeit durch die Politik stark verändert haben. Durch die europäische Integration wurden vormals geschützte Wirtschaftsbereiche weitgehend der Konkurrenz ausgesetzt und dereguliert; zugleich verändert der freie internationale Kapital- und Warenverkehr die Belastbarkeit von Unternehmen durch politische Regulierung und Besteuerung. Die Internationalisierung von Unternehmen und Kapitalmärkten ist kein Mythos, sondern eine politisch anzuerkennende Realität.
Um unter diesen Bedingungen handeln zu können, müssen politisch Verantwortliche wissen, wie groß ihre Handlungsmöglichkeiten sind und auf welchen Feldern diese liegen. Manche traditionellen Steuerungsinstrumente kann die Politik noch immer einsetzen, andere nicht mehr. Es gibt Regulierungen, die das reibungslose Funktionieren von Märkten überhaupt erst ermöglichen; andere fördern die Bürokratie. Die Kunst des effektiven Regierens besteht darin zu erkennen, wo auf fachlicher Ebene die Spielräume der Politik liegen.
Im Gegensatz zu den Annahmen der Mülleimertheorie sind politische Entscheidungen keineswegs beliebig oder zufällig. Vielmehr produzieren politische Institutionen und bestehende Entwicklungspfade in einzelnen Politikfeldern Entscheidungsmuster, die nur schwer durchbrochen werden können. Verfassungsgericht und Bundesrat engen die Entscheidungsfreiheit der Regierung systematisch ein; die europäische Integration tut ihr Übriges. Verbände und Kammern haben eigene rechtlich geschützte Kompetenzen, die nur in bestimmten Fragen beschnitten werden können.
Auch die Genese einzelner Politikfelder präjudiziert politische Entscheidungen. Bestehende Systeme, wie zum Beispiel die private Krankenversicherung, führen nicht nur zu Privilegien, die von Lobbyverbänden verteidigt werden, sondern auch zu einem verfassungsrechtlich gedeckten Vertrauensschutz, der nicht leicht abgebaut werden kann. Das Gleiche gilt für großzügige, über Versicherungsbeiträge abgesicherte sozialpolitische Transferleistungen. Hier sind kurzfristigen politischen Reformen enge Grenzen gesetzt.
Auch mit einer gewaltigen sozialdemokratischen Kraftanstrengung ließe sich der deutsche Wohlfahrtsstaat bismarckscher Prägung nicht in einer Legislaturperiode nach schwedischem Modell umbauen. Dies zumal dann nicht, wenn man sich durch die bis jetzt ergriffenen Reformen eher in die Richtung eines angelsächsischen Modells bewegt hat.
Die Planungsabteilung überlebte nicht lange
Langfristig lassen sich jedoch auch auf diesen Feldern politische Strategien entwickeln. Zum Beispiel kann man durch gesellschaftliche und politische Diskurse die Neuinterpretation verfassungsrechtlicher Grundsätze anzielen. Die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle und ihre Bewertung durch das Verfassungsgericht ist ein Beispiel dafür, wie sich die rechtliche Meinung im Laufe der Zeit an die Modernisierung der Gesellschaft angepasst hat. Ein anderes Beispiel ist die vorsichtige Annäherung einiger Verfassungsrichter an die duale Einkommenssteuer.
Strategisches Management in der Politik gab es früher unter dem Begriff der politischen Planung. In den siebziger Jahren zog diese mit Horst Ehmke in das Bonner Kanzleramt ein. Nach dem sozialdemokratischen Wahlsieg 1998 wurde der Planungsgedanke durch die Errichtung einer Planungsabteilung kurzfristig wieder belebt. Allerdings überlebte die Planungsabteilung die erste Legislaturperiode nicht, da die Planung auf der Ebene unbestimmter Ideen stehen blieb und keine Integration mit den Fachabteilungen erreicht wurde. Politische Planung war zu einer Ventilierung beliebiger Ideen verkommen, bei der alles möglich war. Zum Beispiel wurden bei einem Beratungstreffen mit Wissenschaftlern zur Vorbereitung des Schröder-Blair-Papiers im Januar 1999 die erstaunten Wissenschaftler von dem jungen Referenten des Kanzleramts ermuntert, möglichst radikale Vorschläge in den Raum zu werfen und sich weder um deren Umsetzungspotenzial noch um das Programm der Sozialdemokratie zu kümmern. Für die Wissenschaft war das allemal ernüchternd.
Schon die Idee der Planung gilt als naiv
Die politische Planung hat mittlerweile schon allein deshalb einen schweren Stand, weil sie den meisten Beteiligten als diskreditiert gilt. Sowohl erfahrene Ministerialbürokraten als auch die meisten Politiker belächeln bereits die Idee politischer Planung als „naiv“: Jeder hat insgeheim den nächsten Auftritt der Ministerin oder des Kanzlers vor der Presse oder der Fraktion – und damit den Mülleimer – vor Augen.
Nur noch in den seltensten Fällen beschäftigen sich Grundsatzabteilungen und Stabsstellen in Parteien, Ministerien und Verbänden heute wirklich noch mit strategischem und auf die Zukunft orientierten politischen Management. Vielmehr geht es hier in der Regel um die Ad-hoc-Bewertung von aktuellen Tagesereignissen und die Vorbereitung von Grundsatzreden der Vorsitzenden und Minister, in der eine politische Initiative nicht mehr als zehn Zeilen beansprucht.
Das Kanzleramt hat aus der Konzeptlosigkeit seiner Planungsabteilung den Schluss gezogen, dass diese Abteilung überflüssig ist. Stattdessen ist man dazu übergegangen, Aufträge zur Vorbereitung politischer Initiativen an Beratungsunternehmen zu vergeben. Für die Planung des Jahres 2004 bestellte das Kanzleramt ein Ideenpapier zum Thema Innovation, das im Wesentlichen auf die Vernetzung von Politik und Unternehmen, Wissenschaft und Kommunikation setzte.
Mit Ausnahme einiger allgemeiner Zielbestimmungen war die öffentliche und private Förderung von Wissenschaft und Industrie kaum ein Thema. Eine zielgerichtete Innovationspolitik ist dies natürlich nicht. Vielmehr besetzte das Kanzleramt – auch im Hinblick auf die betroffenen Ressorts – das Thema in der öffentlichen Debatte ohne nennenswerte Konsequenzen. In der Folge erklärte man im ersten Halbjahr 2004 sämtliche politischen Initiativen gleich welcher Art – von der Familien- bis zur Umweltpolitik – zur „Innovationsförderung“ und entfaltete öffentlichkeitswirksame Aktivitäten um den Begriff der Innovation.
Kontext wird ungern zur Kenntnis genommen
Der Verzicht auf eine umfassende strategische Planung in der Politik ist jedoch ein Fehler, der nicht unerheblich für die Probleme des Reformprozesses verantwortlich ist. Die Agenda 2010 baut darauf, dass Arbeitnehmer und Arbeitslose belastet und Unternehmer entlastet werden, um die Kosten der Beschäftigung zu reduzieren und für den Einzelnen Anreize zur Arbeitsaufnahme zu setzen. Neue Beschäftigungssegmente werden durch Ausnahmen im allgemeinen Arbeitsrecht (Kündigungsschutz für Ältere, befristete Beschäftigung) und Sozialrecht (Minijobs) geschaffen. Allerdings sollte die Politik eine Vorstellung davon haben, wann die Grenze dieser Form der Be- und Entlastung erreicht werden soll und wie man verhindern will, dass die durch die vielen Ausnahmetatbestände geschaffene Mauer zwischen prekär und normal Beschäftigten weiter anwächst.
Das gilt auch für die oftmals herangezogenen Orientierungen an den erfolgreichen Sozialreformen in den Niederlanden, Großbritannien, Dänemark und Schweden, die auf dem jüngsten Parteitag der SPD von nahezu jedem Kabinettsmitglied beschworen wurden. Tatsächlich jedoch finden sich in der Arbeitsmarktpolitik neben den Parallelen zu den Reformen in Großbritannien und Skandinavien auch welche zu jenen in Spanien und Italien, wo starke Gewerkschaften in der Lage sind, die Kernbelegschaften großer Unternehmen und des öffentlichen Dienstes zu schützen, während sich Neueinsteiger auf dem Arbeitsmarkt von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln. (Bei den unter 30-Jährigen beträgt der Anteil der Beschäftigten mit befristeten Arbeitsverträgen mittlerweile über 20 Prozent; dabei sind diejenigen mit Ausbildungsverträgen noch nicht berücksichtigt.)
Die Wahrnehmung der Problemlage ist nicht nur in der Kommunikation sondern auch in der Politikgestaltung auf ausgesuchte positive Beispiele verkürzt, ohne dass man den breiteren Kontext zur Kenntnis nehmen will.
In der Wirtschaft gilt Planung als unverzichtbar
Dass es auch anders geht, zeigt die Bedeutung des strategischen Managements in der Privatwirtschaft. Der Unterschied zwischen Unternehmen und politischen Entscheidungssystemen ist kleiner, als oftmals behauptet wird. Viele Unternehmen operieren in unsicheren Märkten und sind starker Konkurrenz ausgesetzt. Nur wenige Unternehmen können ihre Produktmärkte beherrschen und anderen ihre Bedingungen diktieren. Intern finden sich in Unternehmen ebenso Machtstrukturen wie in der Politik, und es bestehen ähnlich unsichere Vorstellungen darüber, welche Strategien Erfolg versprechen.
Das professionelle Management gründet seine Entscheidungen zwar auch auf Intuitionen des Topmanagements, diese sind aber eingebettet in eine sorgfältige Analyse unterschiedlicher Optionen. Strategisch reagieren Manager auf unsichere Situationen, in dem sie versuchen werden, die Quellen der Unsicherheit zu minimieren, Märkte zu stabilisieren, Zulieferer- und Abnehmerbeziehungen auf Dauer zu stellen und Beschäftigte auf die Strategie einzuschwören. Kein modernes Unternehmen würde die Instrumente des strategischen Managements aufgeben, nur weil sich strategisches Management unter unsicheren Bedingungen als schwierig erweist. Controlling sowie die strategische Ausrichtung auf festgelegte Ziele und Kennziffern sind unerlässliche Methoden, um eine Umwelt beherrschbar zu machen.
In Business Schools lernen junge Manager die Fähigkeit der Schwachstellenanalyse, der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens und vor allem das Projektmanagement, in dem man sich Ziele setzt und deren Erreichung regelmäßig überprüft. Nicht alles davon ist auf die Politik anzuwenden. Aber der Grundgedanke gilt dort wie hier, dass Ziele aufgestellt und für deren Umsetzung Instrumente entwickelt werden müssen. In einer Welt mit globalen Finanzbeziehungen und offenen Märkten ist die Bestimmung geeigneter Instrumente zur Erreichung politischer Ziele von überragender Bedeutung.
Experten gelten in der SPD oft als Schwätzer
In Großbritannien hat Tony Blair die Erkenntnisse des strategischen Managements auf die Politik übertragen. Dies gilt nicht nur für den Umgang mit den Medien, sondern auch für die Entwicklung politischer Initiativen. Die Policy Unit in Downing Street hat gemeinsam mit dem von Labour kontrollierten Institute for Public Policy Research (IPPR) strategisch und systematisch einzelne Politikfelder besetzt und bearbeitet. Die jetzige britische Wirtschaftsministerin Patricia Hewitt war stellvertretende Direktorin des IPPR.
Trotz aller Beratungsgremien der Ministerien, Kommissionen und einer großzügigen Infrastruktur der Friedrich-Ebert-Stiftung hat die SPD bis heute keine ähnliche strategische Allianz zwischen Forschung und Politik herstellen können.
Einer mitgliederorientierten Partei wie der SPD fällt ein Bekenntnis zum strategischen Management besonders schwer, da sich ein Teil ihrer Identität aus dem Hinterfragen von Expertenwissen speist. Auf Stipendiatentreffen der FES verbringen junge Sozialdemokraten viel Zeit damit, das „Herrschaftswissen“ infrage zu stellen und diesem ihre eigenen Vorstellungen gegenüberzustellen. Diese können, müssen aber nicht auf Sachverstand basieren. Es ist kein Zufall, dass es Ludwig Stiegler war, der die Äußerungen von Bert Rürup im Rahmen der nach ihm benannten Kommission als Professorengeschwätz abtat. Im Zweifel nehmen gerade die SPD und die Gewerkschaften Experten als prinzipiell parteiisch wahr.
Zudem will die Partei nicht nur über allgemeine Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Vollbeschäftigung, Frieden und Teilhabe, sondern auch über die passenden Instrumente diskutieren. Aber gerade weil die SPD auf Teilnahme pocht und dem herrschenden Mainstream der Ökonomen kritisch gegenübersteht, kommt sie nicht daran vorbei, sich intensiv mit den Instrumenten der Steuerung und den politischen Handlungsspielräumen zu beschäftigen. Wer über Instrumente diskutieren möchte, muss sie verstehen. Dafür reicht das beliebte „Es kann doch nicht sein, dass...“ als Argument in der innerparteilichen Auseinandersetzung nicht aus.
Effektive Instrumente sind dabei manchmal nur schwer mit politischen Überzeugungen in Einklang zu bringen. Das zeigt die Debatte um die duale Einkommensteuer. Aus einer sozialdemokratischen Gerechtigkeitsperspektive erscheint es ungerecht, mobile Kapitaleinkünfte anders (nämlich niedriger) zu besteuern als Arbeitseinkommen. Unter der Perspektive effektiven Regierens erscheint dies aber sinnvoll, wenn damit Steuereinkommen stabilisiert werden können. In den sozialdemokratischen Ländern Skandinaviens wurde das längst begriffen und verwirklicht.
Dass effektives Regieren professionell organisiert werden muss, wird im politischen Berlin zunehmend erkannt. Auch die CDU hat bemerkt, dass widersprüchliche Vorschläge zur Steuer- und Gesundheitsreform nicht nur in den Medien schlecht ankommen, sondern auch keine Vorbereitung auf die Zukunft sind.
Man sieht es zudem an der stattlichen Zahl an Neugründungen von Public Policy Schools, die derzeit wie Pilze aus dem Boden sprießen. Die Hertie School of Governance, die Public Policy Schools der Berliner Humboldt-Universität, der Viadrina in Frankfurt und der Universität Erfurt, die sich auf die Weiterbildung von politischen Führungskräften spezialisieren, können einen wichtigen Beitrag zum strategischen Management in der Politik leisten. Es fehlt dann nur noch an aufgeschlossenen Politikern, die die Grenzen der intuitiven Politik erkennen und das strategische Management von Politik ernsthaft betreiben.