Keine Zeit zu verlieren
Mancher deutsche Parlamentarier hofft auf eine Renaissance der guten Verbindungen, sollte ein Demokrat im Jahr 2008 ins Weiße Haus einziehen. Dem liegt die Annahme zugrunde, Bushs Außenpolitik sei eine Ausnahme. Doch ein Blick in die Geschichte der Vereinigten Staaten zeigt, dass diese These so nicht stimmt. Auch die Demokraten werden die außenpolitische Agenda nicht grundlegend ändern. Noch zwei Jahre abzuwarten hieße deshalb, wertvolle Zeit zu verschwenden. Denn bereits in der zweiten Amtsperiode von Präsident George W. Bush wäre mehr Kooperation möglich. Die deutsche Politik schläft.
„Die Erwartungen deutscher Politiker sind eigentlich immer unrealistisch, wenn es um eine mögliche Veränderung der transatlantischen Beziehungen geht, sei es durch einen Wahlsieg der Demokraten oder der Republikaner“, sagt ein Berater der Bundesregierung. Bei deutschen Vertretern beobachtet er ein generelles Unverständnis der amerikanischen Politik. „Meine These ist, dass man nicht auf die nächste Wahl warten muss, die Akteure und Trends sind jetzt schon da.“
Zweifellos werden sowohl die Demokraten als auch die Republikaner künftig außenpolitisch dieselben Fragen umtreiben, die eher im Lichte der aktuellen Konfliktlage und der Interessen Dritter (zum Beispiel Russlands) zu beantworten sind als rein ideologisch nach einem vorab festgelegten Programm. Auch Präsident Bush ging in seiner Amtszeit durchaus flexibel und pragmatisch vor: Ihren Wahlkampf im Jahr 2000 hatten die Republikaner isolationistisch geführt, mit dem Argument, die Regierung Clinton habe sich – wie etwa im Kosovo-Krieg – zu sehr in die Konflikte der Welt eingemischt. Daher hatten Beobachter zunächst den Eindruck, Bush wolle der amerikanischen Rolle der Weltpolizei ein Ende bereiten. Nach dem 11. September 2001 vollzog Bush dann die bekannte außenpolitische Kehrtwende, rhetorisch begleitet von kruden, neokonservativen Begriffen und dem Verweis auf eine angeblich direkte Legitimation durch Gott.
Traditionelle außenpolitische Muster
Im Grunde aber griff George W. Bush damit nur auf traditionelle außenpolitische Muster der Vereinigten Staaten zurück; neu oder außergewöhnlich war seine Strategie nicht. Ganz selbstverständlich haben Präsidenten beider Lager politische Ziele immer wieder religiös begründet. Zudem wurde die Außenpolitik der Vereinigten Staaten schon immer dem Zweck des wirtschaftlichen und geopolitischen Nutzens untergeordnet, weswegen es bisher gegenüber der nordkoreanischen Diktatur trotz der nuklearen Bedrohung bei diplomatischen Bemühungen geblieben ist. Die Region ist einfach nicht wichtig genug. Wenn die Vereinigten Staaten militärisch eingreifen, wird es immer als Akt der Befreiung tituliert, schließlich begreift sich das Land als Bote von Liberalisierung und Kapi talismus. Das Konzept einer präventiven statt reaktiven Verteidigungspolitik hatte Clinton bereits 1998 bei der Bombardierung von Bin Ladens afghanischem Lager angewandt. Es reicht bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück.
Außenpolitisch lassen sich die beiden Parteien also nicht konsequent auseinanderhalten. Bushs banal und stümperhaft wirkende Herangehensweise sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch klügere Außenpolitiker in den Jahren 2002/2003 dafür ausgesprochen haben, den Irak anzugreifen. Kritiker und Befürworter der Irak-Politik finden sich in beiden Lagern. Selbst Hillary Clinton hat sich trotz ihrer Aussichten auf die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2008 nie von ihrer anfänglichen Zustimmung distanziert. Auf der anderen Seite treten derzeit Kritiker der Irak-Politik in Bushs eigener Partei offen auf.
Die These, dass das Unverständnis für Differenzierungen dieser Art auf beiden Seiten des Atlantiks wächst, vertritt auch die progressiv-liberale Autorin und Wissenschaftlerin Marcia Pally. Sie rät Deutschland und Europa eindringlich, die Motive, Weltsicht und Außenpolitik der Vereinigten Staaten erst einmal zu begreifen, um dann richtig reagieren zu können. Ebenso wie Gary Smith meint auch Pally, dass sich künftige demokratische und republikanische Außenpolitik nicht grundlegend voneinander unterscheiden werden.
Energie und Klima als gemeinsame Themen
Deshalb ist es geradezu zwingend, dass die Europäer bei den anstehenden Top-Themen der amerikanisch-europäischen Agenda – Klimaschutz, Menschenrechte, Handel, gemeinsame multilaterale Einsätze in Konfliktregionen – nicht voller Hoffnung in Richtung 2008 schielen. Vielmehr sollten sie bereits heute die existierenden neutralen Kräfte und Trends in den Vereinigten Staaten nutzen. Nicht von ungefähr sieht Gregor Peter Schmitz, Transatlantikexperte der Bertelsmann-Stiftung in Brüssel, bei den globalen Themen Energie und Klimaschutz die „vielleicht größte Chance für transatlantische Zusammenarbeit“. Kanzlerin Merkel hat diese Themen bereits mit auf die transatlantische Tagesordnung gesetzt.
Vor allem seit dem Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen ist unter den Republikanern ein sehr viel differenzierteres Meinungsbild zu globalen Themen erkennbar. So untergraben mehrere republikanisch regierte Bundesstaaten die lange vollkommen ignorante Klimapolitik des Präsidenten. Dessen neuer Finanzminister Hank Paulson ist bekannt dafür, dass er sich intensiv mit dem Klimawandel beschäftigt: Als Chef von Goldman Sachs veröffentlichte er ein Papier, das ein Szenario der globalen Erderwärmung enthält und für Investitionen in alternative Energien wirbt. Manche Experten identifizieren die Unabhängigkeit von Energieimporten inzwischen gar als großes Thema für den Präsidentschaftswahlkampf 2008.
Man könnte sofort loslegen und verhandeln
Paulsons Kurs sollte die deutschen Außenpolitiker auch wirtschaftspolitisch interessieren. Denn der Finanzminister will Marktregulierungen so verändern, dass sie für den internationalen Handel einfacher und transparenter werden – und zwar im Dialog mit den wichtigsten Handelspartnern. In dasselbe Horn blasen der demokratische Senator Charles Schumer und der republikanische (ex-demokratische) Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg. Beide plädieren für einheitlichere Standards auf den Finanzmärkten und für weniger Handelsbarrieren, um den globalen Handel zu erleichtern. Europa kommt dabei als Hauptwirtschaftspartner eine bedeutende Rolle zu. „Solche Ideen gewinnen in der amerikanischen Politik an Gewicht“, sagt Gary Smith, Leiter der American Academy in Berlin.
Auch Angela Merkel fordert einheitliche Standards für den transatlantischen Wirtschaftsraum, und ihr Koalitionspartner SPD hätte nichts dagegen. Man könnte also sofort loslegen und verhandeln. Doch im Deutschen Bundestag scheint das Interesse an diesem Thema gering zu sein. Bushs fehlende Einsicht beim Irak-Krieg, das Gefangenenlager Guantanamo, die Anwendung von Folter als vermeintlich legitimes Mittel zur Terrorismusbekämpfung, die banale Rede von einer angeblichen „Achse des Bösen“, die feindliche Haltung gegenüber den Vereinten Nationen, der Versuch, Forschungsergebnisse von Klimaforschern in Zweifel zu ziehen – scheinbar teilt die Bush-Administration zentrale Werte nicht mehr und macht es der deutschen und europäischen Seite damit schwer, die transatlantischen Beziehung noch als wertvoll anzusehen.
Außerhalb eines kleinen Kreises an Außenpolitik interessierter Eliten haben die transatlantischen Beziehungen in Deutschland dramatisch an Bedeutung verloren, sowohl im Parlament als auch in der Gesellschaft. Wer sich in der Politik profilieren will, besetzt andere Themen. Im Wahlkampf 2002 machte Rot-Grün diese Anti-Bush-Haltung, die nicht ganz von einer antiamerikanischen Grundstimmung zu trennen ist, sogar zum Schlüsselthema – und zwar mit Erfolg. In der SPD ist mittlerweile gegenüber den Vereinigten Staaten eine regelrechte Misstrauenskultur spürbar. Mittel- und langfristig könnte dieser Trend zur Gleichgültigkeit und Konfrontation fatale Folgen für beide Länder haben.
Kaum Unterstützung für Steinmeier und Voigt
Sicher, auf der politischen Arbeitsebene brachen die Beziehungen ebenso wenig ab wie in Kultur und Wirtschaft. Doch vor allem die Sozialdemokraten haben Schwierigkeiten, sich noch vor den Präsidentschaftswahlen 2008 für engere Bindungen zu engagieren. Das gilt zwar nicht für die Sozialdemokraten im Auswärtigen Amt: Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Karsten D. Voigt, treten Richtung Washington pragmatisch-positiv auf. Auf mentale Unterstützung aus der eigenen Partei können sie dabei jedoch nicht bauen, worunter ihr Engagement zwangsläufig leidet. Aber auch in der Union gibt es zu wenige interessierte Transatlantiker.
Karsten D. Voigt zumindest bekennt sich zu dem Konzept, für den transatlantischen Wirtschaftsraum einheitliche Standards zu schaffen. Im Falle eines Siegs der Demokraten bei den Wahlen 2008 erwartet er jedoch mehr Widerstand auf amerikanischer Seite, schließlich sind die Demokraten traditionell protektionistischer ausgerichtet. „Die Vorstellung, dass es bei einem anderen Präsidenten keine Probleme mehr gibt, ist falsch – es werden nur andere sein“, sagt Voigt.
Auch deshalb müssen transatlantische Beziehungen unabhängig vom jeweiligen Präsidenten gepflegt werden. Denn je weiter die Befreier- und Aufbaurolle der Vereinigten Staaten in Europa nach 1945 in den Geschichtsbüchern nach hinten rückt, und je mehr damit auch die Dankbarkeit schwindet, desto weniger selbstverständlich wird das traditionell gute deutsch-amerikanische Verhältnis. Weil die amerikanische Außenpolitik unter George W. Bush nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in weiten Teilen der übrigen Welt ein negatives Image geschaffen hat, wäre es auch aus amerikanischer Sicht notwendig, die Kultur des Dialogs wiederzubeleben. Eine Studie des Instituts für Auslandsbeziehungen kommt zu dem Schluss, dass die Initiative für stärkere Bindungen gerade von Deutschland ausgehen muss. Schließlich spielt unser Land in Europa wieder eine stärkere Rolle, was unter anderem an der derzeit wachsenden Wirtschaft liegt. Auch deshalb ist der Respekt vor Deutschland jenseits des Atlantiks wieder etwas gewachsen.
Die ökonomischen Verbindungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten sind so wichtig, weil sie der Garant für eine Dialogkultur sein können. Eine Dialogkultur, die Wert- und Meinungsunterschiede nicht leugnet, aber mit Blick auf die zentralen Konflikte der Welt dabei hilft, gemeinsam für Frieden und Demokratie einzutreten. Dabei dürfte es helfen, wenn wir uns von der Vorstellung einer romantischen Freundschaft im Gleichklang verabschieden – und die Zusammenarbeit stattdessen als notwendige Überlebensstrategie in einer Welt begreifen, in der Zukunftsfragen (Energie, Umwelt, Klima, Terror, Armut) nur noch multilateral angegangen werden können.