Klimawandel und Küstenschutz

Der Druck des anthropogenen Klimawandels wächst. Neue Forschungsergebnisse zeigen erstmals ungeschminkt, was in den kommenden Jahrzehnten auf die norddeutsche Tiefebene zukommt " und auf das Bund-Länder-Verhältnis

Im Jahre 1957 verweigerten die Göttinger Achtzehn, die führenden deutschen Atomforscher, öffentlich ihre Mitwirkung an der offenkundig geplanten Nuklearbewaffnung der Bundeswehr. Aus ihrer Einsicht in die Verantwortung der Wissenschaftler für die politischen Implikationen der von ihnen betriebenen Wissenschaft zogen sie den praktischen Schluss, die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) zu gründen. Deren erste Aufgabe war, ein Zivilschutzkonzept gegen die absehbaren Folgen eben jenes möglichen Nuklearkrieges zu erarbeiten. Den Wissenschaftlern war klar, dass sie mit ihrer Aktion einem Nuklearkrieg mit Deutschland als Schlachtfeld zwar in die Speichen greifen, ihn aber nicht unmöglich machen konnten. Sie trugen Bundeskanzler Adenauer ihr Schutzprojekt vor, doch zu ihrer Verblüffung lehnte dieser ab. Das Argument des erfahrenen Politikers, hinter verschlossenen Türen vorgetragen: Schutzprogramme hielten der Bevölkerung die möglichen Folgen dieser Waffen ständig vor Augen. Dies werde die Zustimmung der Bevölkerung zu Atomwaffen auf deutschem Boden erodieren lassen. Das passive Zivilschutzkonzept stand also im Widerspruch zum Konzept des "aktiven" Schutzes durch Waffen und Stärke.

Aus diesem Blockademechanismus scheint die Politik bei der Herausforderung durch den bedrohlichen Klimawandel Handlungsoptionen gewinnen zu wollen. Beim Thema Klimaänderung sind die Waffen die rauchenden Schlote von Wirtschaft und Verkehr, also von Produzenten und Konsumenten gemeinsam " eine stärkere Lobby gegen jeden Veränderungsversuch seitens der Politik ist schlechterdings nicht vorstellbar. Die Wirkungen dieser "Waffen" sind dem Bewusstsein der "Schützen" verborgen. Was nämlich stattfindet, ist eine Art Fernbeschießung, nur dass diese nicht räumlich angelegt ist, sondern zeitlich: Heute in die Atmosphäre entlassene langlebige Treibhausgase entfalten ihre Wirkung erst in den nächsten Jahrzehnten. Dann erst werden sie voll erfahrbar, sind sie zu erleiden, von den Jungen unter den heutigen "Fernbeschießern" sowie deren Nachfahren. Das Leid wird umso ärger, je weniger wir heute in ihren Schutz zu investieren beginnen " den bereits gesetzten Klimawandel zurückzunehmen, ist ja nicht möglich.

Mitigation? Nur wenn wir"s uns leisten können

Heute herrscht in aller Selbstverständlichkeit die Interessenwahrnehmung einer Nur-Täter-Perspektive: Mitigation, vulgo: Klimaschutz, gilt als Gutwetterpolitik. Angesagt ist sie nur, wenn man sie "sich leisten" kann. Überaus deutlich zeigen dies Dokumente, die zur Sitzung des Europäischen Rates am 22. und 23. März 2005 in Brüssel vorbereitet wurden. Dort wird die EU über die Ziele entscheiden, die sie als Verhandlungsposition im Rahmen der so genanten Post-2012-Verhandlungen in den multilateralen Foren der Klimapolitik vertreten will. Das Mandat der so genannten GRP-Studie1, welche die Kommission zur Vorbereitung in Auftrag gegeben hat, weist aus, dass nach den "economic consequences ... in the medium terms (2025)" zu fragen war " in der Antwort werden sie mit "over 1 % by 2050" angegeben und damit als "hoch" (sic!) eingeschätzt. Zudem hat die Kommission einen internet-gestützten Stakeholder-Prozess organisiert.2

Die Positionen der deutschen Konzerne mit Energiebezug reichen von der Leugnung der Existenz einer Handlungsnotwendigkeit (RAG3 und Steinkohleverband) bis maximal zu deren Akzeptanz, verbunden jedoch mit der Forderung nach Abwägung mit Erfordernissen der Wirtschaftlichkeit " dies meist unter Bezug auf den von Björn Lomborg herbeigeführten "Copenhagen Consensus".4 Der taktische Sinn dieser Einschränkung? "Wirtschaftlichkeit" ist kein Sachverhalt, den die Wissenschaft mit ihren eigenen Mitteln objektivieren kann, sondern ist nur unter Verwendung von Angaben der Wirtschaft ermittelbar. Damit hält die Wirtschaft den Fuß in der Tür, die die Wissenschaft, wenn es um von ihr alleine feststellbare Kriterien ginge, autonom zuschlagen könnte. Die große Mehrheit der Konsumenten " so viel darf als sicher gelten " würde sich hinsichtlich der Akzeptanz eines Problems im Übrigen nicht anders äußern.

Die Perspektive des Selbstschutzes fehlt

Was bislang in Deutschland fehlt, ist die Perspektive auf die Notwendigkeit des Selbstschutzes, auf die Adaptation im eigenen Land. Etablierte sich die Adaptationsperspektive, so würde sie die Selbstverständlichkeit des Täter-Habitus unterhöhlen " gemäß dem eingangs erwähnten seelischen Mechanismus. In diesem Sinne kann die Adaptationspolitik "gefährlich" sein " oder auch "erlösend". Denn sie offenbart die Selbstbedrohung der reinen Täter-Haltung und damit deren Leidenskomplement. Sie vermag das vollständig Unzureichende der bisherigen Mitigationspolitik schon heute zur Schau zu stellen, ersichtlich für jedermann. Wie es weiland Atombunker in einem jeden Garten getan hätten.

Anders als die Geschichte unter Adenauers Zepter läuft deren klimapolitische Variante, weil die Forschungspolitik mit langem Atem "investiert" hat. Unter Heinz Riesenhuber beschloss das Forschungsministerium im Jahre 1991, es genau wissen zu wollen: Was bedeutet der kommende Klimawandel für exponierte Küstenlagen in Deutschland? Im Jahre 1994, unter Jürgen Rüttgers, wurde das Programm "Klimaänderung und Küste" in einem Forschungsleitplan konzeptionell besiegelt. Nun, unter Edelgard Bulmahn, beginnen die Investitionen aus den neunziger Jahren Früchte zu tragen " das Bundesforschungsministerium sorgt mit speziell darauf zugeschnittenen Programmen (DEKLIM 1, 2, ...) für die Einholung dieser Ernte.

Mit einem solchen Konzept konnte es regional konkret werden, nun definierten nicht länger die Stakeholder die Fragestellungen, unter denen auf die Zukunft ihrer Region und ihrer Vermögenswerte geschaut wurde. Das Programm musste zu Situationen und Ergebnissen delikater Natur führen. Im Falle "Sylt" kam es im Jahre 1997 schon beim ersten Studienobjekt zum Riesenkrach. Es bedurfte eines Ministerbesuchs, bis auf der Insel wieder Ruhe einkehrte und die Forscher ihre Studien zum Abschluss bringen konnten.

Seit Oktober 2004 liegt eine zweite Studie des Programms "Klimaänderung und Küste" vor, nun zu einer Küstensituation:5 KLIMU " das U steht für Unterweser. Nun geht es um eine Region, niedrig gelegen und also überschwemmungsgefährdet, deshalb hinter Deichen geschützt. Die dortigen Immobilien, ob privater oder infrastruktureller Art, können bei Gefahr per Definition nicht "fortlaufen" " ihr Vermögenswert hängt also von der Verlässlichkeit des Küstenschutzes ab. Versucht wird, eben diese Verlässlichkeit beziehungsweise den bevorstehenden "Verzehr" abzuschätzen.

Was sind die Häuser hinterm Deich noch wert?

Unter allen Effekten der durch Treibhausgase massiv erhöhten energetischen Situation in der Atmosphäre ist der Mindestanstieg des Meeresspiegels am sichersten abschätzbar. Er ist zugleich derjenige Effekt mit der längsten Frist vom Zeitpunkt der Setzung der Ursache an gerechnet: Die Verzögerung zwischen Ursache und Wirkung (oder deren vollständiger Evidenz) beträgt nicht nur Jahrzehnte, sondern zwei bis drei Jahrhunderte. Die Gründe dafür: Erstens, die Temperatur des Meeres steigt noch lange weiter an, selbst wenn der Mensch seine Fernbeschießung mit Treibhausgasen längst eingestellt haben sollte, wenn die Emissionen also schon lange sinken. Eine Verdoppelung der Treibhausgaskonzentration, die einem Temperaturanstieg um mehr als plus 2 Grad Celsius entspricht, führt der gleichsam "kanonischen" Faustzahl des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zufolge zu einem Anstieg um 50 bis 100 Zentimeter nach 500 Jahren, allein der thermischen Ausdehnung des Meerwassers wegen. Zusätzlich wird zweitens einiges des auf Landmassen lagernden Eises schmelzen. Das ist zu erwarten, weil die Klimamodelle unisono eine Spreizung der durchschnittlichen Temperaturerhöhung über Land/Meer sowie polaren/äquatorialen Regionen zeigen, und zwar mindestens um etwa den Faktor Zwei: Bei maximal plus 2 Grad Celsius ist für Grönland also mindestens plus 4 Grad Celsius zu erwarten.

Was sich deichtechnische Laien vorstellen

Ungeachtet der eben erläuterten Struktur haben die Bremer Forscher die Perspektive ihrer Untersuchung auf das Jahr 2050 begrenzt, also von heute gerechnet auf 45 Jahre. Aus den Sensitivitätsrechnungen des IPCC haben die Autoren der KLIMU-Studie den höchsten aller dort berücksichtigten Fälle gewählt, um daraus einen Anstieg um 40 Zentimeter bis zum Jahre 2050 abzulesen. Das entspricht einem Meeresspiegelanstieg um 90 Zentimeter im Jahre 2100. Diesen anscheinend " in Wahrheit aber nur scheinbar " extremen Wert haben sie für ihre Studie verwendet.

Den Anstieg des Meeresspiegels darf man aber nicht, wie viele Klimaforscher als deichtechnische Laien meinen, bereits mit dem Anstieg des Bemessungswasserstandes für Küstenschutzanlagen gleichsetzen. Die der Deichpraxis nahen Forscher aus Norddeutschland sagen, an der Unterweser sei auf Basis eines Meeresspiegelanstiegs von 40 Zentimetern ein beinahe doppelt so hoher Anstieg des Bemessungswasserstandes einzukalkulieren. Zu den 40 Zentimetern aus dem globalen Meeresspiegelanstieg kommen deshalb drei regionale Faktoren hinzu: Erstens, der mit dem Meeresanstieg einhergehende Reibungsverlust führt zu einer Erhöhung des Tidehochwassers um 15 Zentimeter. Zu diesem addiert sich zweitens die tektonische Senkung der Norddeutschen Küste in einer Größenordnung von ebenfalls 15 Zentimetern. Hinzu kommt im Übrigen drittens der Wind, der zunimmt und die Wahrscheinlichkeit des Wellenüberlaufs an den Deichen steigert. Das führt zwar nicht generell zu einem Anstieg des Bemessungswasserstandes, wohl aber zu einem Anstieg der lokal festgelegten so genannten Bestickhöhe von Deichen. Im typischen Falle macht das noch einmal rund 10 Zentimeter aus. Zusammen also 80 Zentimeter.

Erstmals eine gemeinsame Vergleichsbasis

Eine zentrale Leistung der Forscher besteht in Unscheinbarem: Sie haben zunächst den Ist-Zustand der Auslegung der Deiche diagnostiziert, und sie haben ihn erstmals (!) auf eine vergleichbare Basis gestellt. Bislang wird die Höhe der Deiche in Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach unterschiedlichen Kriterien bemessen, in keinem Falle aber anhand des Kriteriums, das in anderen Schutzsektoren üblich ist, nämlich dem der Wiederkehrhäufigkeit extremer Zustände.

Gegenwärtig weisen die Deiche des rechten Weserufers, an dem Bremen und Bremerhaven liegen, ein recht hohes Schutzniveau gegenüber einem Wellenüberlauf auf, im Mittel von einem Überlauf in rund 3.000 Jahren. Am linken Weserufer ist ein Schutzniveau von immerhin noch einem Überlauf in 1.000 Jahren realisiert. Zum Vergleich: Von Dänemark wird an der (gering besiedelten) Nordseeküste ein Schutzniveau von 200 Jahren berichtet, von den Niederlanden dagegen ein Niveau von 4.000 bis 10.000 Jahren.

Kommt der Klimawandel, so drückt er das Schutzniveau am linken Ufer um den Faktor 5 bis 10 " allein bis zum Jahr 2050. Anwohner und Immobilienbesitzer hinter den Deichen, einschließlich deren Kreditgeber und Versicherungen, sehen sich laut KLIMU mit einer Wiederkehrhäufigkeit in der Größenordnung von rund 130 Jahren konfrontiert. Das gilt allerdings nur, sofern nichts zum Ausgleich getan wird.

Zweieinhalb erhellende Seiten aus Potsdam

Die dem Küstenschutz angemessene Perspektive ist im Stakeholder-Prozess der EU eingebracht worden. Die beiden Forscher Stefan Rahmstorf und Carlo C. Jäger vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung waren es, die unter mehr als 100 Eingaben der Stimme der Wissenschaft Gehör verschafften.6 In extremst möglicher Konzentration, auf nur zweieinhalb Seiten, machen die beiden Autoren klar, dass bereits bei einem Temperaturwert von plus 3 Grad Celsius ein Anstieg des Meeresspiegels um 2,7 bis 5,1 Meter zu erwarten sei " maximal plus 3 Grad Celsius entsprechen, fachlich formuliert, plus 450 ppm (Volumeneinheiten) Kohlendioxid gegenüber vorindustrieller Zeit " bei 380 sind wir schon. Folglich habe man, so die Intervention der beiden Forscher, den Artikel 2 der Klimarahmenkonvention mit einem deutlich geringeren Zielwert, um maximal plus 2 Grad Celsius, zu operationalisieren, will man nicht rechtsbrüchig werden und zugleich "wissentlich die Überflutung von Städten wie Amsterdam, Hamburg, London, Manila, New York, Shanghai und Venedig in Kauf nehmen, ohne alles zu tun, um dies zu verhindern". Bezugspunkt der Kalkulation von Rahmstorf und Jäger ist das Jahr 2300, der Zeitpunkt, zu dem der Anstieg weitgehend eingeschwungen sein wird. Doch die beiden Forscher liefern mit ihrer Eingabe ein rechtlich schwer wiegendes Argument dafür, dass ein Ziel um maximal plus 2 Grad Celsius für die EU als Vorreiter zwingend ist.

Die Intervention der beiden Potsdamer Professoren spiegelt den neuesten Stand der Wissenschaft, weil sie über den Stand des Third Assessment Report (TAR) des IPCC hinauszugehen vermögen. Sie kennen die features der vom IPCC im TAR herangezogenen Modelle zur Simulation der Schmelzprozesse der Eisschilde auf Grönland und der Westantarktis einerseits und die dort inzwischen zu beobachtende Wirklichkeit andererseits. Die vor zehn Jahren entwickelten Schmelzmodelle unterschätzen die Ergebnisse der tatsächlich wirkenden Mechanismen " das ist inzwischen erkannt. Bis aber neue Modelle entwickelt und aus deren Ergebnissen wissenschaftlich begutachtete Tatsachen geworden sind, wird ein weiteres Jahrzehnt ins Land gehen. Die Zeit aber drängt. Die Wissenschaft ist in ihren Produktionsabläufen nicht auf die Dringlichkeit des Problems eingerichtet.

Die Wirklichkeit ist nicht linear

Linear gerechnet entsprechen 40 Zentimeter in je 50 Jahren einem Anstieg um 240 Zentimeter in 300 Jahren. Die KLIMU-Zahlen für die Unterweser bewegen sich somit unter dem unteren Rand des bei plus 3 Grad Celsius zu erwartenden Anstiegs des Meeresspiegels. Dass der Anstieg so gering ausfällt, ist bei dem zu erwartenden EU-Ziel-Beschluss nicht zu erwarten. Schon die Vorlage, die die EU-Kommission bei der Wissenschaft in Auftrag gegeben hat7, "mogelt": Sie "unterschiebt" gleichsam den Regierungschefs als Maximal-plus-zwei-Grad-Ziel das Unterschreiten von 2 Grad Celsius lediglich im Jahre 2100. In Wirklichkeit, so weist sie selbst aus, wird ein "max. + 2 Grad-Celsius-Ziel im Jahre 2100" um 0,3 Grad Celsius darüber zu liegen kommen. Der als ambitioniert geltende Wert des klimapolitischen Vorreiters EU wird nur der untere Ausgangspunkt für den Mittelwert der Positionen sein, der qua Kompromiss global erreicht wird. Und auch darauf, dass sich der Anstieg um 3 bis 5 Meter linear, also allmählich, einstellen wird, ist natürlich kein Verlass. Die Wirklichkeit ist nicht linear. Der scholastischen Lehre zum Trotz müssen wir einsehen: Die Natur, die unsere Lebensgrundlage ist, macht sozusagen Sprünge, in aller Regel jedenfalls " das ist für den Anstieg des Meeresspiegels nicht anders zu erwarten.

Gegenwärtig zuständig für die anstehenden Maßnahmen zum Ausgleich des Verzehrs an Küstenschutz sind an der Unterweser die "Deichverbände" und besonders die Bezirksregierung Weser-Ems. Diese weist als heutigen (!) Nachholbedarf, bei statisch gedachten Verhältnissen, 500 Millionen Euro aus. Für die betrachteten 40 Flusskilometer je Weserseite kommen die KLIMU-Forscher auf knappe 45 Millionen Euro, den Schutz von Bremen und Bremerhaven nicht gerechnet. Das scheint relativ wenig zu sein. Doch wer sich die Verhältnisse im Detail ansieht, stellt fest: Die KLIMU-Ergebnisse besagen, dass der Finanzbedarf für den anstehenden Küstenschutz bei Mitberücksichtigung der Notwendigkeit zur Adaptation in etwa derselben Größenordnung liegen wird wie der aktuelle Nachholbedarf.

Was "verbessert" den Küstenschutz?

Doch mit einer Zukunftsperspektive von nur 50 Jahren immer nur die Deiche auf der historisch vorfindlichen Linie zu erhöhen könnte ein Milliardengrab sein. In Norddeutschland steht die Frage an, ob die Schutzlinie nicht, nach niederländischem Vorbild, verkürzt werden sollte, ob das nicht die "kostenminimale" Lösung darstellt. Für die Klärung solcher Fragen gibt es bislang keine Zuständigkeiten.

Die Zuständigkeit ist nur uno actu zu klären mit der Frage "Wer zahlt?". Der Zwang zur Optimierung entsteht nur, wo Geld knapp und zugleich Verantwortung klar zugeordnet ist. Zur reinen Erhaltung der Küstenschutzanlagen refinanzieren sich die Deichverbände von ihren Mitgliedern, den durch die Deiche geschützten Liegenschaftsbesitzern. Damit ist aber nur ein Teil der Kosten abgedeckt. Neubau oder Erhöhung werden, dank einer Entscheidung aus dem Jahre 1969, zu 70 Prozent aus Mitteln der "Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung ... des Küstenschutzes" (GAK) finanziert. Kriterium dafür, dass die GAK zahlt, ist jedoch, dass die Maßnahmen einer "Verbesserung" dienen. Ist aber der Ausgleich des Verzehrs eine "Verbesserung"?

Die Zweifel der Nichtküstenländer

Es geht absehbar um viel Geld. Dieses ist bislang in keiner mittelfristigen Finanzplanung eingestellt, weder der des Bundes noch jener der betroffenen Bundesländer. Die durch Bund und Länder kofinanzierte GAK scheint den Prüfstand der Bundesstaatskommission überlebt zu haben. Doch dieser Konsens könnte bröckeln, wenn den Nichtküstenländern Zweifel an der ökonomischen Sinnhaftigkeit der Planungsgrundlagen des jetzigen Deichbaus kommen. Dann werden sie fragen, ob der Zweck der Gemeinschaftsaufgabe, die "Verbesserung" des Küstenschutzes, noch vorliege, wenn es doch "nur" darum gehe, die alten Schutzniveaus nicht vollständig erodieren zu lassen. Im Zweifel werden es die Küstenländer sein, die auf der Aufgabe "Anpassung an den Klimawandel an der Küste" sitzen bleiben. Soll der Küstenschutz weiterhin Solidaraufgabe aller Bundesländer bleiben, so haben die Küstenländer vor allem die Kapazitäten zur Planung und Optimierung der anstehenden Aufgaben zu schaffen.

Quellen
1 P. Criqui u.a., Greenhouse Gas Reduction Pathways in the UNFCCC Process up to 2025, October 2003, Study Contract: B4-3040/2001/325703/MAR/E.1 for the DG Environment; http://europa.eu.int/comm/environment/climat/pdf/pm_techreport2025.pdf
2 http://forum.europa.eu.int/Public/irc/env/action_climat/library
3 "The recently published consultation paper implies already in its title that there is no doubt that we have to face an (anthropogenic) climate change in the future. This is an unproven assumption."
4 Björn Lomborg (Hrsg.), Global Crises, Global Solutions: Copenhagen Consensus 2004, Cambridge 2004.
5 Bastian Schuchardt und Michael Schirmer (Hrsg.), Klimawandel und Küste: Die Zukunft der Unterweserregion, Heidelberg 2005.
6 Stefan Rahmstorf und Carlo C. Jaeger, Sea level rise as a defining feature of dangerous interference with the climate system: Submission to the EU stakeholder consultation on action on climate change post 2012; http://forum.europa.eu.int/irc/DownLoad/ kqefAgJ2moG-ylTEH5P6-d_xTp00uSrDfc5FpHFVXm Upoo2u/Rahmstorf_Jaeger_2004_SeaLevelRise.pdf
7 Vgl. Criqui, Greenhouse Gas Reduction Pathways (Anm.1).

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