Kopenhagen - die optimistische Deutung
Meine eigene Deutung unterscheidet sich von beiden Positionen. Sie lautet, dass die Welt in Kopenhagen möglicherweise unbeabsichtigt auf den hoffnungsvollsten Pfad gestolpert ist, auf dem tatsächlich etwas gegen den Klimawandel getan werden kann – und nicht mehr bloß endlos darüber geredet wird, dass etwas getan werden müsste. Der eingeschlagene Kurs wird nicht allgemeine Zustimmung auslösen, zumal bei ihm die Vereinten Nationen an den Rand geraten. Und doch ist dieser Weg vielversprechend, weil er entscheidende geopolitische Realitäten in Rechnung stellt und mit diesen Realitäten arbeitet, statt sie zu ignorieren. Die Staaten, die sich trafen, um die Kopenhagener Übereinkunft zu schließen, waren die USA, China, Indien, Brasilien und Südafrika. Lässt man Südafrika beiseite, zeigt sich beim Blick auf die anderen: Es handelt sich um die drei größten Emittenten von Treibhausgasen unter den Schwellenländern sowie, im Fall der Vereinigten Staaten, um den größten Klimasünder unter den Industrienationen. Eine Vielzahl anderer Länder hat die Bereitschaft erklärt, sich anzuschließen.
Wenn wir erfolgreich mit dem Klimawandel umgehen und den globalen Temperaturanstieg auf durchschnittlich zwei Grad Celsius begrenzen wollen, brauchen wir jetzt Fortschritt auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen. Die Übereinkunft ist nur ein Anfang, aber einer, auf den sich aufbauen lässt – und das im Prinzip sehr viel schneller, als es in dem mühsamen Szenario möglich gewesen wäre, das in Kopenhagen eigentlich hätte beschlossen werden sollen. Wenn die Einigung in näherer Zeit und in bindender Weise robust ausgestaltet werden kann, könnte sie dazu beitragen, die gegenwärtige Blockade zu überwinden, bei der jeder Staat oder jede Staatengruppe darauf wartet, dass andere die Führung übernehmen.
Müssen die kleinen und die armen Staaten leiden?
Viel wird davon abhängen, wie solide und praktisch die Ankündigungen der Industriestaaten hinsichtlich der Verringerung ihrer Emissionen ausfallen werden. Diese Pläne dürfen nicht bloß eine Wunschliste sein, sondern müssen plausibel und belastbar ausfallen. All ihrer Rhetorik zum Trotz haben die meisten Industriestaaten bislang noch nicht viel hingekriegt – der Rest der Welt zeigt sich zu Recht unbeeindruckt. Zugleich werden auch Entwicklungsländer, die sich auf die Übereinkunft verpflichten, Pläne für die Verringerung ihrer eigenen Emissionen vorlegen müssen. Erstmals wird eine Art Sanktionsmechanismus eingeführt. In den Entwicklungsländern mit Geld aus den reichen Staaten finanzierte Maßnahmen werden international überwacht.
Was für ein Rahmenwerk könnte aus alledem kurz- bis mittelfristig entstehen? Bedeutet es, dass die kleineren und die ärmeren Staaten der Welt leiden müssen, während die größeren auf eigene Faust voranschreiten? Ich meine, dazu muss es nicht notwendigerweise kommen, sofern nur die grundlegende Architektur stimmt und die Kleineren und Ärmeren sich so organisieren, dass sie ihre spezifischen Anliegen effektiv vorbringen können. Was mit der Welthandelsorganisation geschehen ist, die sich gewissermaßen auf paralleler Spur bewegt hat, kann einige sehr nützliche Hinweise geben. Die Ereignisse von Kopenhagen vorwegnehmend, habe ich in meinem vor zehn Monaten erschienenen Buch The Politics of Climate Change eine Reihe von Vorschlägen in diesem Sinne entwickelt. Das Scheitern eines einheitlich gültigen Bestands von Handelsabkommen hat eine Vielzahl neuer Maßnahmen und Organisationen hervorgebracht. Die schiere Vielfalt der beteiligten Gruppen und Regionen hat sich ebenso sehr als Stärke wie als Schwäche erwiesen. Dasselbe könnte auch in der Frage des Klimawandels eintreten. Wenn es gelingt, die Übereinkunft von Kopenhagen in den kommenden Monaten erfolgreich auszuarbeiten, kann sie als „Ankerabkommen“ fungieren, aber zusätzlich werden wir eine Vielzahl bilateraler und regionaler Abkommen und – ja – „Koalitionen der Willigen“ benötigen. Die Vereinigten Staaten und China müssen damit fortfahren, bilateral miteinander zu verhandeln, ganz unabhängig davon, auf welche umfassenderen Grundsatzabkommen sie sich verpflichten. Nehmen wir an, in Kopenhagen hätten 190 Staaten einen bindenden Konsens erreicht, aber die Vereinigten Staaten und China hätten sich dem nicht angeschlossen: Das vereinbarte Regelwerk wäre dann nicht viel wert gewesen, weil diese beiden Staaten allein für über 40 Prozent des Treibhausgasausstoßes verantwortlich sind. Deshalb wäre es nachgerade besser, mit diesen beiden Staaten und den anderen großen Verursachern anzufangen und dafür zu sorgen, dass sie bereit sind, auf ernsthafte und problembewusste Weise miteinander zu arbeiten.
Die EU war wieder einmal überfordert
Auch eine G 3 sollte es geben. Die Europäische Union fand sich in Kopenhagen an den Rand gedrängt – eine Folge des uralten Problems, dass Europa nicht mit einer Stimme spricht und mit der schnellen Entscheidungsfindung schlicht überfordert war, die am Ende der Konferenz nötig wurde, wenn überhaupt noch irgendetwas beschlossen werden sollte. Dennoch: Mit ihren 550 Millionen Bürgern muss die EU eine Schlüssel- und möglichst auch Vorreiterrolle spielen. Die Initiatoren der Kopenhagener Übereinkunft haben die ungesunde Trennlinie überschritten, die zwischen den Industriestaaten und den Entwicklungsländern entstanden ist und beide Gruppen wie homogene Blöcke erscheinen lässt – dieser Brückenbau muss weitergehen. Die 20 größten Klimasünder (zu denen mehrere große Schwellenländer gehören) haben fast 90 Prozent der Gesamtemissionen seit dem Beginn der Industrialisierung zu verantworten – auch sie sollten regelmäßig zusammenkommen. Viele andere neue Ansätze sind denkbar. Natürlich birgt eine Vorgehensweise auch Gefahren, die nicht darauf abzielt, dass sich alle Staaten auf ein und denselben Vertragstext einigen. Aber solch eine Alternative gibt es derzeit ohnehin nicht. Das Ende des Multilateralismus steht indessen nicht bevor, denn in Zukunft müssen viele Formen der Zusammenarbeit entwickelt und vorangetrieben werden. «
Aus dem Englischen von Tobias Dürr