Maurer, Elektrohauer, Gesenkschmied

Der Deutsche Bundestag ist repräsentativer, als viele glauben

Noch liegen die Tapeziertische in den Parteikellern, und nicht ein einziges Plakat ist gedruckt. Dennoch, der Wahlkampf für die nächste Bundestagswahl hat bereits begonnen. Die Parteien schauen genauer hin, was die Wähler denken. Und das lokale Wahlvolk beäugt etwas genauer jene Nachbarn und Kollegen, denen es vor vielen Monaten per Kreuz einen Sitz im Bundestag anvertraut hat. War eben noch Halbzeit, wird nun bereits an der Bilanz gearbeitet. Zunächst am Schreibtisch, später dann auf der Strasse, wo die Kandidaten neben Broschüren vor allem Nehmerqualitäten brauchen.

Denn in Wahlzeiten sagen nicht nur die Kandidaten, was sie wollen. Auch der Souverän meldet sich zu Wort und lässt seinem Wunschdenken freien Lauf. Dass dieses oft widersprüchlich und manchmal abwegig ist, trauen sich die wenigsten Kandidaten offen zu sagen. Um den Wähler nicht zu vergrätzen, stimmen sie lieber zu, wenn gefordert wird, dass sich der Staat um noch mehr Dinge kümmern müsse, ohne allerdings mehr Steuergelder auszugeben; dass Sozialleistungen und Rentenhöhe steigen und gleichzeitig die Versicherungsbeiträge sinken sollen. Wie man das macht, müssen die Abgeordneten ja wissen, schließlich sind die meisten von ihnen doch gelernte Schlauberger: Lehrer und Beamte eben!

Zumindest an diesem Punkt können die Abgeordneten den Bürgern mit Entschlossenheit entgegentreten. Denn im Bundestag sitzen keineswegs nur die Kostgänger des öffentlichen Dienstes, wie das Wahlvolk stets mißgünstig vermutet. Ein Blick in das Amtliche Handbuch des Deutschen Bundestages zeigt, dass sich ein recht ordentliches Spiegelbild der Gesellschaft unter der Reichstagskuppel versammelt hat.

Da gibt es den 45-jährigen, der in "diversen beruflichen Aushilfstätigkeiten" gearbeitet hat, bevor er Gewerkschaftssekretär für berufliche Bildung und später Abgeordneter wurde. Ein anderer besitzt eine Trainerlizenz des Deutschen Skiverbandes und Erfahrungen als "nebenberuflicher Taxifahrer", bevor er später Lehrer, Dr. phil. und eben Abgeordneter wurde. Der nächste ist Uhrmachermeister und ausgebildeter Museumsrestaurator, sein Kollege gelernter "Maurer mit Abitur" und Bauaufseher in verschiedenen Plattenwerken. Ebenfalls als gelernter Maurer hat ein anderer Abgeordneter in den USA studiert und in Indien gelebt. Da gibt es einen Forstrevierleiter sowie eine Abgeordnete, die eine "Fachschule für Kindergärtnerinnen, Hortnerinnen und Erzieher" absolviert hat. Auch die Laufbahn "Landwirt, Bauarbeiter, Gesenkschmied" hat in den Bundestag geführt, ebenso wie "Abitur, Maurer, Zivildienst". Ein weiterer Maurer war zunächst Bausoldat und Pfarrer, später im letzten DDR-Kabinett "Minister ohne Geschäftsbereich".

Die Karriere eines heutigen Diplommathematikers begann laut Handbuch mit einem "Volksschulentlassungszeugnis", ein Kollege war im vorparlamentarischen Leben als "Starkstromelektriker, Elektrohauer und Ausbilder" tätig. Ebenso bodenständig sind die Berufserfahrungen als "Zerspanungsfacharbeiter", "Betonbauer", "Schlosserin", "Sachbearbeiterin für Mahn- und Vollstreckungs-, Konkurs- und Zwangsverwaltungsverfahren", "Gymnastiklehrerin" und "Fachbereichsleiter einer Volkshochschule für Gesundheit/Bewegung und Umwelt". Ausweislich der offiziellen Abgeordnetenliste verfügt die Fraktion einer Regionalpartei gleich über zwei Müllermeister, eine andere Partei über den "Präsidenten des Deutschen Instituts für Reines Bier e.V.".

Weitgefächert ist auch der Familienhintergrund. Die meisten Abgeordneten sind verheiratet, haben Kinder, auffallend viele obendrein. Aber auch der entgegengesetzte Lebensentwurf ist vertreten: "konfessionslos, geschieden, keine Kinder" listet eine Abgeordnete auf, "Hausfrau und mithelfende Ehefrau" eine andere.

Eines brauchen die Kandidaten also nicht zu fürchten, wenn sie demnächst wieder vor den Tapeziertischen stehen: den Vorwurf, das deutsche Parlament sei ein Haufen von abgehobenen beamteten Parteisoldaten, die nur zum Mauscheln und Fingerheben, aber zu keiner vernünftigen Berufstätigkeit in der Lage seien.

Ein bißchen anders als ihr Volk sind die Vertreter dennoch. "Fleischermeister mit Verdienstkreuz am Bande" hat einer fürs Handbuch angegeben - das wird eben nicht jeder.

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