Mazedonien ist haarsträubend oder: Warum Axel Schulz ein Rot-Grüner ist

Was denkt sich eigentlich die Stammkundschaft der Regierungsparteien?

Die Wahlen stehen vor der Tür, und heute will ich es wissen: Warum soll ich im September eigentlich Rot-Grün wählen? Also nach Kreuzberg, into the heartland of Red-Green, denke ich. Wo das klassisch rot-grüne Wählerpotential vermutet wird, sollte die Antwort nicht schwer zu finden sein.


Wir befinden uns in der Ankerklause. Die liegt am Landwehrkanal, Maybachufer, Ecke Kottbusser Damm. Wahrscheinlich hätte man jeden beliebigen anderen Laden in Kreuzberg aufsuchen können, der mit seinen Gästen älter geworden ist und nach einem Besitzerwechsel zu den In-Szene-Kneipen gehören möchte. Das Publikum ist zwischen 20 und 40 Jahre alt. Ein paar ältere Gäste nörgeln, dass man manchmal Eintritt bezahlen müsse, nur um sein Bier zu trinken. Zumindest bekommen wir draußen keinen Sitzplatz, weder auf der kleinen Terasse, noch auf der Straße. Drinnen steht eine Jukebox, aber die Tanzfläche bleibt heute abend leer. Der halbe Liter Berliner Pils kostet 2,40 Euro, das kann man in Kreuzberg auch billiger trinken. Am kleinen Tresen ist bei Selbstbedienung oft Gedränge und die Bedienung will nichts über die Kneipe erzählen: "Geht nich′, siehste doch." Außerdem ist sie auch erst seit drei Wochen angestellt und muss Umsatz machen. Sehn wa doch ein.


Während ich auf mein Bier warte, formuliere ich mein Begehr, die Sache mit Rot-Grün. "Gute Frage", schmeichelt Simone und überlegt ein bisschen. Ihr Freund Stefan stimmt zu: "Schwer!" Dann fällt Simone etwas ein: "Damit Stoiber nicht dran kommt!" Ein offenbar befreundetes Pärchen wirft ein, dass man nicht nur Grün wählen könne. Und Stefan erklärt: "Damit es die Möglichkeit der Uneinigkeit in der Regierung gibt." Aber Splitterparteien könne man die Stimme ja auch nicht geben, sagt Simone, "das wäre verschenkt".


Ich nehme mir einen Stuhl und zwänge mich auf die Terrasse mit Wasserblick. Neben mir Gespräche über Job, Politik und türkische Autokorsos nach gewonnenen WM-Spielen. Die zweite Bedienung taucht auf und erklärt, dass das mit dem Stuhl so nicht gehe. "Hier kommt ja niemand mehr durch! Die Kapazitäten sind nicht da." Ich rücke den Stuhl ein wenig zur Seite und sie kommt - sichtlich genervt - doch durch.

"Gegen die CDU und andere Nazis"

Petra wählt Rot-Grün. Wieso? "Weil die FDP Scheiße ist. Rot-Grün ist die einzige Konstellation, in der Grün Sinn macht". Eigentlich wählt sie nur Grün, denn: "Grün sollte das Herzstück der Koalition sein, die SPD nur Mehrheitsbeschaffer." Das habe man doch gesehen, bei allen wichtigen Projekten für die moderne Gesellschaft, "doppelte Staatsbürgerschaft, Atomausstieg, Homoehe ..."


Anna sitzt zwei Tische weiter. Was spricht aus ihrer Sicht für Rot-Grün? "Dass dann die CDU und andere Nazis nicht dran kommen." Aha. Anna will aber PDS wählen. Rot-Grün sei halt doch keine richtige Opposition - nicht mal die Grünen. Ach ja, klar doch.


Mein erstes Bier ist leer und ich frage die garstige Bedienung Zwei, warum man Rot-Grün wählen sollte. Sie schenkt mir ein erstes Lächeln, zum Glück - aber sie schweigt. Dafür antwortet Jan: "Das ist das kleinere Übel." Rot-Grün sei zwar "nicht cool", aber Leute wie Westerwelle seien erst recht "nicht tragbar" und "Möllemann total undemokratisch". Vor vier Jahren war Jan begeistert, weil er dachte, "es geht los". Und jetzt? Mit der Energiepolitik sei er ja zufrieden, grübelt Jan, aber: "Mazedonien ist haarsträubend." Insgesamt sei das nur zwei Jahre lang ein Reformprojekt gewesen. Nun ja, die erste Hälfte meines Bieres schmeckte auch noch frischer. Immerhin, Rot-Grün habe Leute, an denen man sich reiben könne, den Fischer zum Beispiel. Den Lafontaine will Jan nicht zurück. Aber? "Aber die linke Bahn bei der SPD fehlt mir doch."


Tischnachbar Kai widerspricht. Für ihn gibt es nur die SPD, schließlich sei das Wichtigste der Sozialstaat. Ihm sind die Grünen "viel zu liberal, wenn man sich nur mal die Gesundheitspolitik von denen anschaut". Obwohl: Auch er habe 1998 den Grünen die Zweitstimme gegeben. Aber jetzt findet er, "die SPD ist eindeutig das Korrektiv".

Massenpolitik für den Proleten

Inzwischen ist es nach Mitternacht. Doch alle, die nach Politik gefragt werden, geben noch Antwort. Markus will das Land verlassen, wenn Stoiber gewinnt. Und Paul würde ohne Stoiber nicht zur Wahl gehen. Markus mahnt, dass die SPD "mehr Herz für sozial Schwache" zeigen solle, "so wie wir es sind." Markus und Paul sind Juristen, und wie vielen hier fällt es ihnen nicht schwer zu formulieren, was sie nicht wollen.


Der Nachbar von Paul und Markus schaut skeptisch, legt dann aber los: Gerade Rot müsse mal sagen, was sie überhaupt durchdrücken wollen: "Die müssen Massenpolitik machen, für den Proleten." Die Liberalen hätten keine Konzepte und die Grünen auch nicht, "aber Grün wirft wenigstens Fragen auf". Das sei gut. Insgesamt hätte Rot-Grün aber nicht "den großen Weg vermittelt". Das sei so wie mit dem Boxer Axel Schulz: "Der hat auch immer nur die Deckung gehalten, der schlug nicht zu und konnte deshalb kein Weltmeister werden." Vielleicht liegt es ja nur an der Vermittlung. Trotzdem: "Bei Schwarz bewegt sich nicht der Stift". Diesen Reflex zumindest teilen in der Ankerklause offenbar viele. Doch jetzt sei Wahlkampf, und spätestens da müsse doch vermittelt werden, "warum behalte ich diese Firmenleitung weiter?" Also dann.

Ankerklause - Kottbusser Damm 104, 12047 Berlin-Kreuzberg - 030 / 693 56 49

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