Mit der Linkspartei reden - bloß wie?

Nicht wenige Sozialdemokraten hoffen auf eine rot-rot-grüne Regierungsmehrheit nach 2017. Aber spätestens die bizarren Einlassungen wichtiger Vertreter der Linkspartei in der Krimkrise erinnern daran, wie himmelweit die Positionen von SPD und Linkspartei in zentralen Fragen der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik einstweilen auseinander liegen. Ein gemeinsamer Weg wird ganz sicher kein leichter sein

Gespräche der SPD mit der Linkspartei sind überfällig. Sie werden schwierig und langwierig sein. Heute steht noch nicht fest, ob sie zu einem rot-rot-grünen Projekt führen – oder zu der Einsicht, dass die Gegensätze unüberbrückbar sind. Beide Parteien verfolgen unterschiedliche Ziele und verfügen über unterschiedliche politische Kulturen. Viele in der Linkspartei verbindet vorrangig die Ablehnung der SPD. Die Unterschiede zwischen der SPD und der „Linken“ sind zum Teil größer, zum Teil haben sie einen anderen Charakter als die Differenzen zwischen der SPD und den frisch in den Bundestag eingezogenen Grünen der achtziger Jahren.

Damals konnten sich viele Sozialdemokraten Koalitionen auf Bundesebene mit den Grünen nicht vorstellen. Die Union, die heute mit den Grünen koaliert, verteufelte sie sogar als Verfassungsfeinde. Als Begründung dafür diente die maoistische, trotzkistische oder anarchistische Vergangenheit vieler ihrer Führungsfiguren – so wie heute mit der kommunistischen Vergangenheit von Vertretern der Linkspartei argumentiert wird. Tatsächlich vertraten die Grünen damals – so wie heute „Die Linke“ – außen-, sicherheits- und europapolitische Konzepte, deren Verwirklichung Deutschland international isoliert und besonders von seinen europäischen Nachbarn entfremdet hätte.

Westlinke mit negativer Fixierung

Nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 gehörte ich zu einer kleinen Gruppe von Bundestagsabgeordneten der SPD und der Grünen, die eine künftige rot-grüne Zusammenarbeit auf Bundesebene auszuloten versuchten. Aber selbst bis zum Fall der Mauer 1989 waren die Grünen damals nicht imstande und zum Teil auch nicht willens, die internationalen Rahmenbedingungen der bundesdeutschen Außenpolitik rational zu reflektieren. Ein Grund hierfür war, dass viele Grüne sich nicht als „normale“ Partei verstanden, sondern als parlamentarischer Arm friedenspolitischer Basisgruppen. Jede Andeutung einer Kurskorrektur in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik führte sofort zu heftigen Gegenreaktionen bei jenen Parteimitgliedern, die darin eine Abkehr vom friedenspolitischen Gründungsmythos sahen.

Bis die Grünen in einem komplizierten innerparteilichen Klärungsprozess außen- und europapolitische Positionen entwickelten, die sie zu einem regierungsfähigen Partner auf Bundesebene machten, bedurfte es vieler Jahre. Selbst nach 1998 musste der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellen, um die rot-grüne Mehrheit bei Abstimmungen über Einsätze der Bundeswehr zu gewährleisten.

Anders als die Grünen wurzelt die Linkspartei – von Ausnahmen abgesehen – nicht in den undogmatischen und pazifistischen Teilen der Friedensbewegung. Die Grünen aus der Friedensbewegung kritisierten zwar scharf die Politik der US-Regierung, aber ihre politische Kultur ging auf die amerikanische Bürgerrechtsbewegung zurück. Die kulturellen Wurzeln der Linkspartei hingegen liegen gewiss nicht in den USA. Wo große Teile der ostdeutschen „Linken“ mit Nato und EU (noch?) fremdeln, herrscht bei westdeutschen Mitgliedern eine regelrechte negative Fixierung vor. Große Teile der Partei begründen ihre Kritik an Nato und EU ideologischer als früher die Grünen. So werden beide Bündnisse häufig als Symbol eines westlichen, kapitalistischen und damit anti-sozialistischen Internationalismus wahrgenommen. Beispielsweise stimmte der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Wolfgang Gehrcke, im Februar dieses Jahres auf einer Diskussion über Europapolitik explizit Lenins Satz zu, dass „Vereinigte Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder illusionär oder reaktionär“ seien. Vom europapolitischen Sprecher Dieter Dehm gibt es ähnliche Äußerungen.

In Ostdeutschland hat die SPD bei Koalitionen mit der Linkspartei die positive Erfahrung gemacht, dass sich Regierungen auf die geschlossene Unterstützung der Fraktionen verlassen können. Diese Erfahrung ist aus zweierlei Gründen nicht ohne weiteres auf die Bundesebene übertragbar: Erstens spielen die zwischen SPD und Linkspartei auf Bundesebene strittigen Punkte auf der Landesebene keine wichtige Rolle. Zweitens haben viele der aus Westdeutschland stammenden Bundestagsabgeordneten der Linkspartei die Partei gewechselt, manche sogar mehrfach, häufig weil sie befürchteten, ihre politische „Identität“ zu verraten. Was andere als politische Lernunfähigkeit und Dogmatismus kritisieren, definieren viele „Linke“ als Prinzipientreue. Ihre „linke Identität“ bezieht sich sowohl auf Fragen der Wirtschafts- und Sozial-politik als auch der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik.

Falls die Linkspartei auf Bundesebene eine Koalition mit SPD und Grünen einginge, müsste sie – unabhängig von ihren programmatischen Zielen – für die Dauer einer Legislaturperiode Verträgen, Vereinbarungen und Kompromissen in EU und Nato sowie Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen. Selbst wenn eine Mehrheit hierzu bereit wäre – angesichts der gegenwärtigen Diskussionen innerhalb der Partei müsste man damit rechnen, dass bei einer entsprechenden Koalitionsvereinbarung mehrere Abgeordnete im Bundestag abweichend abstimmen und so die Handlungsfähigkeit der Regierung gefährden würden.

Kein Koalitionsvertrag vermag die notwendigen außenpolitischen Entscheidungen für die Dauer einer Legislaturperiode vorherzusehen. Im Gegenteil: Außenpolitische Entscheidungszwänge ergeben sich besonders im Verlauf von Krisen, an die während der Koalitionsverhandlungen niemand dachte. So war es während der Jugoslawienkrise und nach den Terroranschlägen in New York und Washington. Erst in solchen Situationen werden die Grundüberzeugungen sowie die Stärken und Schwächen von Außenpolitikern sichtbar.

Verständnis für Putins Schachzüge

In den vergangenen Jahren hat die Linkspartei im Bundestag keine einzige Initiative zur Stabilisierung der Lage in der Ukraine eingebracht. Aber in den Bundestagsdebatten am 13. und 20. März 2014 kritisierte sie das Krisenmanagement der Bundesregierung und lehnte Kredite für Kiew ebenso ab wie Sanktionen gegen Russland. Zwar verurteilte Gregor Gysi Putins Vorgehen auf der Krim, sah die eigentliche Ursache dafür aber in der bisherigen Politik von EU und Nato. Zugleich dramatisierte er die faschistischen Gefahren in Kiew und ließ die autoritären Realitäten in Moskau unerwähnt. Auf diese Weise konnte Gysi die anti-westlichen Strömungen in seiner Partei integrieren, ohne Wladimir Putin zu verteidigen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sarah Wagenknecht hingegen warf der EU-Kommission und den europäischen Regierungschefs vor, offensichtlich „ihr moralisches Koordinatenkreuz komplett verloren“ zu haben. Zudem äußerte sie Verständnis für Putins Schachzüge. Und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gehrcke behauptete am 9. März 2014 im Bericht aus Berlin, die Grünen stünden mit ihrer Ukraine-Politik rechts von allen anderen Parteien im Bundestag. Selbst wenn man nicht alle Äußerungen der Grünen zum Konflikt in der Ukraine für klug hält, zeigt diese Äußerung, dass Gehrke im Gegensatz zu SPD und Grünen Außenpolitik vor allem dann für „links“ hält, wenn sie von Vorbehalten und Vorurteilen gegenüber EU und Nato geprägt ist. Eine solche Haltung wäre keine Basis für eine gemeinsame Regierungspolitik.

Hinzu kommt: Es gibt heute in der Linkspartei – ebenso wie damals bei den Grünen – niemanden, der exekutive außenpolitische Erfahrungen gesammelt hat. Gewiss, die Partei entsendet Vertreter in die entsprechenden Ausschüsse des Bundestages, des Europäischen Parlaments und in verschiedene internationale parlamentarische Gremien. Aber sie ist in den deutschen und internationalen Forschungsinstituten, Stiftungen, Vereinen und informellen Diskussionskreisen zur Außenpolitik kaum präsent. Mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Einzug in den Bundestag beteiligt sich die Linkspartei weit weniger an parteiübergreifenden Diskussionen als früher die Grünen. Ihr Bewusstsein, was die institutionellen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen von außen-, sicherheits- und europapolitischen Entscheidungen angeht, ist unterwickelt. Die Konsequenzen dieses Defizits schlagen sich nicht zuletzt in ihren innerparteilichen Debatten und Beschlüssen nieder.

Wie Deutschland zum Problemfall wird

So werden die politischen Folgen des außenpolitischen Grundsatzes „pacta sunt servanda“ nicht reflektiert. Würde dieser Grundsatz beachtet, folgte daraus die Einsicht, dass Deutschland auch bei einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei im Rahmen der bestehenden Verträge von Nato und EU agieren müsste. Ein einseitiger Ausstieg Deutschlands aus diesen Vereinbarungen würde schwerwiegende Konflikte mit unseren Partnern und Nachbarn provozieren. Verhandlungen über eine Änderung der geltenden Regeln würden Jahre dauern. Sie müssten, wenn sie erfolgreich sein sollen, die Interessen der Nachbarn und Partner Deutschlands berücksichtigen. Folglich müsste „Die Linke“ als Regierungspartei auf Bundesebene in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik erhebliche Abstriche an ihrem Programm in Kauf nehmen, und zwar sowohl was den zeitlichen Ablauf als auch den Inhalt betrifft.

Im Jahr 1983 schrieb ich in einem Artikel für die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte: „Die Grünen verkennen (…), dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Geschichte, ihrer Lage und insbesondere der Lage Berlins ein sehr großes Interesse daran hat, ihre Sicherheitsbedürfnisse im internationalen Verbund zu befriedigen. Aufgrund ihrer Geschichte deshalb, weil unsere europäischen Nachbarn unter nationalen Alleingängen der deutschen Sicherheitspolitik und des deutschen Militarismus im Laufe der letzten hundert Jahre mehrfach leiden mussten.“ Mittlerweile hat sich die Lage Berlins grundlegend geändert, Deutschland ist wiedervereinigt, der Ost-West-Konflikt überwunden. Aber das Interesse aller unserer Nachbarn an einer international eingebetteten Politik Deutschlands ist geblieben. Das vereinigte Deutschland wird als europäische Macht nur dann zu einem den Frieden und die Stabilität fördernden Faktor, wenn es seine Politik mit Rücksicht auf seine Partner und möglichst in Übereinstimmung mit ihnen formuliert. Das souveräne Deutschland wirkt aus deren Sicht aber nur dann konstruktiv, wenn es diese Souveränität freiwillig durch Kooperation mit ihnen begrenzt. Wer dieses Interesse missachtet, wird für unsere Nachbarn zu einem Problemfall. Die „deutsche Frage“ würde erneut aktuell werden, obwohl sie nach konfliktreichen Jahrhunderten durch die Integration in EU und Nato endlich eine für Europa und Deutschland befriedigende Antwort gefunden hat.

Diese Analyse hat sehr praktische Konsequenzen. Alle unsere Nachbarn, auch diejenigen, die nicht der Europäischen Union angehören, haben ein Interesse daran, dass Deutschland nicht nur Mitglied der EU bleibt, sondern dass es Kompromisse zwischen den EU-Mitgliedsstaaten fördert und natürlich auch für sich selbst akzeptiert. Wenn Deutschland nicht als Urheber von Krisen in EU und Nato isoliert werden will, kann es sich nationale Alleingänge noch weniger leisten als seine kleineren Nachbarn. Das „Nein“ der Linkspartei zum Euro, zum Lissaboner Vertrag und allen anderen wesentlichen Europa-Verträgen widerspricht diesen Erwartungen.

Mehr Europa, nicht weniger!

Zu Recht wird mit der Linkspartei die Gefahr einer Re-Nationalisierung deutscher Politik assoziiert. Wer die Ziele und Interessen der meisten Nachbarn und Partner Deutschlands – so wie sie sich in den Mehrheiten der dortigen Wahlen ausdrücken – missachtet, praktiziert eine national geprägte Politik. Daran ändert auch nichts, dass die Partei ihre Politik internationalistisch und „links“ begründet. Dennoch wird sie von vielen unserer Partner als linke Variante des deutschen Nationalismus wahrgenommen.

Alle unsere Nachbarn, selbst diejenigen, die nicht der Nato angehören, sind zudem für eine Mitgliedschaft des größten europäischen Landes in diesem Bündnis. Anfang 1990 sah es einige Wochen lang so aus, als ließe sich die sicherheitspolitische Integration eines vereinigten Deutschlands nur im Rahmen einer OSZE verwirklichen, die zu einem kollektiven Sicherheitssystem weiterentwickelt wird. Die Sorge vor einem nationalstaatlich organisierten und sicherheitspolitisch neutralen Deutschland war dann aber selbst in der Sowjetunion so groß, dass diese einer Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in der Nato zustimmte.

Fast alle Nachbarn Deutschlands gehören der Nato an. Sie sind weit davon entfernt, diese Mitgliedschaft aufzugeben. Und auch diejenigen Nachbarn, die nicht der Nato angehören, wären nicht bereit, ihre Sicherheit einem gesamteuropäischen kollektiven System anzuvertrauen. Gewiss: Die OSZE zu stärken, bleibt sinnvoll. Aber das Ansinnen, sie in ein auch bei größeren militärischen Konflikten handlungsfähiges kollektives Sicherheitssystem weiterzuentwickeln, das die Nato ersetzen könnte, widerspricht den Interessen der meisten unserer Nachbarstaaten. Ein derartiges Ziel ist für sie keine Vision, sondern politische Träumerei – nach dem Verhalten russischer Soldaten und pro-russischer Milizen auf der Krim gegenüber Vertretern der Vereinten Nationen und der OSZE für viele von ihnen sogar ein Albtraum.

Im Gegensatz zu den programmatischen Aussagen der Linkspartei sollte es das Ziel deutscher Politik sein, auch im Bereich der Verteidigung nicht weniger, sondern mehr Europa zu verwirklichen. Dabei geht es nicht um eine Militarisierung der EU, sondern um eine Europäisierung der deutschen Politik. Wer will, dass Europa in der Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten eine größere Rolle spielt, muss die verteidigungspolitische Zusammenarbeit in der EU vorantreiben. Wenn Deutschland sich hier nicht als Vorreiter engagiert, wird sein Zögern dazu führen, dass sich eine derartige Zusammenarbeit unter Missachtung Deutschlands und außerhalb der Strukturen der EU etabliert.

Kompromisslos ins politische Abseits

Eine engere europäische Zusammenarbeit im verteidigungspolitischen Bereich ist wünschenswert, um knappe Ressourcen besser zu nutzen. Die damit verbundene Spezialisierung würde erfordern, dass die Nachbarn Deutschlands sich im Krisenfall auf seine Unterstützung verlassen können. Durch die Solidarität mit den europäischen Partnern wird die nationale Souveränität bei verteidigungspolitischen Entscheidungen politisch begrenzt. Zugleich erhöht die verstärkte Zusammenarbeit den Einfluss und die Handlungsfähigkeit der europäischen Staaten insgesamt.

Legt man die Aussagen und das Abstimmungsverhalten der Linkspartei im Bundestag zugrunde, lehnt sie die Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ab. Aufgrund der öffentlichen Kritik hat die Partei in ihrem Programm für die Wahlen zum Europaparlament die Passagen gestrichen, in denen die EU pauschal abgelehnt wurde. Das ist ein Fortschritt. Aber wahr bleibt: „Die Linke“ macht ihr Ja zu Europa davon abhängig, ob Europa ihre Vorstellungen übernimmt. Sie bleibt beim „Nein“ gegenüber den heutigen vertraglichen Grundlagen der EU. Und sie lässt keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen, solange es nicht um „ihr“ Europa, sondern „nur“ um ein besseres Europa geht. Mehr lassen die innerparteilichen Kräfteverhältnisse offenbar nicht zu. Das reicht für eine Regierungsbeteiligung jedoch nicht aus, denn die Bereitschaft zum Kompromiss ist die wichtigste Grundlage für eine handlungsfähige EU.

Ich bin kein grundsätzlicher Gegner von Koalitionen mit der Linkspartei, auch nicht auf Bundesebene. Allerdings muss eine solche Koalition dazu beitragen, dass die deutsche Politik ihren Anteil zur Lösung internationaler Probleme leistet – und sie darf nicht dazu führen, dass Deutschland wieder zu einem Problem für Europa wird. Deshalb müssen diejenigen Sozialdemokraten, die den Weg für künftige Koalitionen mit der Linkspartei öffnen wollen, besonders hartnäckig auf Veränderungen in der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik der Partei drängen. Erst dann werden sich realistische Perspektiven für eine gemeinsame Regierung auf Bundesebene ergeben.

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