Mitmischen - und zwar in der ersten Reihe
Von außen betrachtet bestünde für Elisabeth Kaiser jeder Grund zur Katerstimmung: Die Partei, für die sie über ein Jahr lang intensiv Wahlkampf betrieben hat und auf deren Ticket sie soeben in den Deutschen Bundestag eingezogen ist, hat bei der jüngsten Wahl ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren, es ist später Sonntagnachmittag im Berliner Herbst, und noch dazu hat sie am Vorabend den 30. Geburtstag zweier Freundinnen gefeiert. Doch von Kater oder Trübsal ist bei ihr keine Spur.
Überhaupt wirkt Elisabeth Kaiser offen und aufgeräumt, als wir sie im Charlottenburger Café Bleibtreu unweit des Savignyplatzes treffen. Ganz hier in der Nähe hat sie nach ihrem Masterstudium der Politik- und Verwaltungswissenschaften bei einer Unternehmensberatung gearbeitet. Genau in dieser Phase spürte sie, dass sie doch etwas Politischeres brauchte. Also ist sie in die SPD eingetreten und hat sich in Potsdam-Babelsberg bei der Partei engagiert. Von Beginn an war für sie klar: Wenn sie das macht, „dann auch richtig“. Das war im Jahr 2012.
Es liegt wohl an der Uhrzeit, dass sich unsere Bestellung sehr abwechslungsreich gestaltet: Wir nehmen einen warmen Apfelstrudel und eine Linsensuppe, Elisabeth Kaiser drei Kugeln Eis mit Früchten, dazu Milchkaffee und frisch gepressten Orangensaft. Die Speisekarte vom Café Bleibtreu hält vom Frühstück über Mittag- bis zum Abendessen zu moderaten Preisen alles bereit.
Bis sich Elisabeth Kaiser im Sommer 2016 entschied, in ihrem neu zugeschnittenen Heimatwahlkreis Gera-Greiz-Altenburger Land in Ostthüringen anzutreten und auch auf Listenplatz 2 des Landesverbandes gewählt wurde, war viel passiert. Seit 2014 arbeitete sie als Pressesprecherin der SPD-Fraktion im Thüringer Landtag. Die Umgebung kannte sie gut, schließlich hatte sie in Erfurt bereits Staatswissenschaften studiert. Die Frage, wie es dann zum endgültigen Entschluss kam, in die aktive Politik zu gehen, beantwortet sie ehrlich: „Wenn man als Pressesprecherin eine Meinung hat, dann wird diese zwar wahrgenommen, aber man kann am Ende nur bedingt Einfluss nehmen, nicht wirklich für seine Ideen kämpfen und irgendwann nervt es.“ Jetzt also kann sie mitmischen – und sogar in der ersten Reihe.
Dass sie auch im Wahlkampf kämpferisch sein musste, war ihr klar. Bei den Landtagswahlen 2014 in Thüringen hatte die AfD bereits 10,6 Prozent gewonnen. Und mit Bernd Höcke besitzt die AfD in Thüringen zudem eine Figur, die weit am rechten Rand fischt. Auf Demos gegen die AfD war Elisabeth Kaiser von Anfang an dabei und „da hat man gespürt, dass es nur wenige ‚normale‘ Leute gibt, die sich der AfD entgegenstellen. Meist stand ich da allein mit der Antifa und den Jusos.“ Auch wenn man immer wieder liest, welchen Anfeindungen und verbalen Aggressionen Politikerinnen und Politiker ausgesetzt sind, ist es im Gespräch mit jemandem, der das alles live miterlebt hat, doch eindringlicher. „Beim Haustürwahlkampf wurde mir oft die Tür vor der Nase zugeknallt, oder ich wurde fortgejagt. Einmal schrie dabei auch jemand laut im Hintergrund ‚AfD‘“, berichtet Kaiser.
Dass sich die gefährliche Schieflage nach rechts, in der sich die Bundesrepublik derzeit befindet, auch im Straßenwahlkampf zeigte, liegt eigentlich auf der Hand. Elisabeth Kaiser aber schockierte vor allem, dass „dann auch manche Mutter oder mancher Vater mit dem Kind an der Hand mit plumpen Parolen und Beschimpfungen auftraten. Da fragt man sich natürlich, was das für die nächste Generation heißt, mit welcher Haltung sie aufwächst und ob sich hier nicht Politikverdrossenheit direkt überträgt auf die nächste Generation.“
Am Ende hatte die AfD in ihrem Wahlkreis bei den Erst- und Zweitstimmen rund 27 Prozent und landete damit knapp hinter der CDU. Das Thema Geflüchtete hatte auch in Ostthüringen die größte Rolle gespielt – trotz des geringen Ausländeranteils von drei Prozent. „Einige Bürgerinnen und Bürger haben Begrifflichkeiten verwendet, die an Objekte und Tiere erinnern, wenn sie über Menschen in Not sprachen“, sagt Kaiser. Sie selbst, aber auch die SPD, habe unterschätzt, welche Wirkung es bei den Leuten hat, dass es seit Jahren heißt, Deutschland nehme Steuerüberschüsse ein, es aber vor Ort von der Schule bis zum Straßenbau an Geld fehlt. Und dann sei für die Geflüchteten auf einmal Geld da gewesen. „Da fragen sich die Leute schon, woher das ganze Geld kommt – und warum ‚die‘ alles bekommen und ‚wir‘ nichts.“ Die SPD sei hier zu reaktiv gewesen.
Für Elisabeth Kaiser ist klar, dass es daher jetzt vor allem darauf ankommt, im Wahlkreis aktiv zu sein, das Gespräch zu suchen und die Linie – die die SPD im Wahlkampf mit Schulz schon eingeschlagen hatte – auch glaubwürdig und langfristig weiterzuentwickeln. „Sicher, Schulz hat gesagt, dass wir uns als SPD für die Leute einsetzen wollen, die darum kämpfen, ihren Lebensstandard zu halten. Aber im Gespräch mit den Leuten wurde mir klar, dass wir das Vertrauen überhaupt erst wieder nachhaltig aufbauen müssen und die Botschaften nicht so schnell ankommen werden.“
Welche Lehren zieht sie aus dem Wahlkampf für den Umgang mit der AfD? „Ihnen keine Opferrolle zugestehen“, sagt Elisabeth Kaiser, ohne groß überlegen zu müssen. Aber auch: „Pauschalisierungen vermeiden und deutlich zwischen der Partei und ihren Wählern differenzieren.“ Die Gefahr liege darin, dass das Niveau der Auseinandersetzung insgesamt deutlich sinkt. „Die persönlichen Attacken der AfD muss man ja auch erstmal verdauen“ – das weiß sie auch aus ihrer Zeit mit den Thüringer SPD-Landtagsabgeordneten. „Darauf zu reagieren wird für keinen Abgeordneten einfach.“ Umso wichtiger sei es, solche Attacken nicht persönlich zu nehmen, behutsam die eigenen Worte zu wählen und einen sachlichen Umgang zu pflegen.
Allein das ist eine immense Aufgabe für die kommenden vier Jahre. Aber damit nicht genug: Auch die SPD muss sich in ihrer neuen Rolle zurechtfinden, ebenso wie Elisabeth Kaiser. Klar, der Start sei nach so einem Wahlergebnis schwer. „Am Anfang habe ich mich wie Falschgeld gefühlt“, erzählt sie. Ganze 11,8 Prozent der Erststimmen konnte sie in ihrem Wahlkreis einfahren. Den Kopf hängen zu lassen ist jedoch nicht ihre Art, das merken wir im Gespräch. Jetzt geht es für sie darum, „dass ich mich im politischen Tagesgeschäft beweise“.
Und die SPD? „Natürlich müssen wir die Fehler aufarbeiten, die gemacht wurden, auch wenn es schmerzhaft ist.“ Es komme darauf an, die Erneuerung der SPD konsequent voranzutreiben. Initiativen wie „SPD++“ könnten diesen Prozess zwar sinnvoll ergänzen, aber nicht ganz ersetzen. Man dürfe nicht unterschätzen, wie wichtig analoge Angebote vor Ort seien. „Das Treffen im Ortsverein dient vielen auch einfach dazu, zusammen zu sein. Gerade für ältere Menschen ist das wichtig.“ Sie ist sich bewusst, dass dieses Format für junge Leute oftmals unbefriedigend ist. „Die wollen nicht dasitzen und sich unterhalten, sondern endlich die Dinge in die Hand nehmen.“ Hinzu kommt: Oftmals würden die jüngeren Leute von den Älteren als „naiv“ abgewatscht. Letztlich gehe es darum, eine Kultur zu stiften, in der das „Gegenüber ernstgenommen und verfestigte Einstellungen überdacht werden“. Elisabeth Kaiser jedenfalls will „Brücken bauen – zu den Bürgerinnen und Bürgern und auch innerhalb der Partei“. Damit hat sie fürs Erste einiges zu tun. Wir wünschen ihr viel Erfolg!