Mobilität für alle - eine soziale Frage der Zukunft

Seit der vorösterlichen Aufregung um die weiter heftig steigenden Benzinpreise muss jedem klar sein: Im 21. Jahrhundert droht Mobilität zum Luxusgut zu werden. Was fällt der Sozialdemokratie dazu ein?

Auf dem eigenen Kontoauszug ist der größte Ausgabeposten üblicherweise keine Überraschung: Wer weiß denn nicht, wie viel Miete er zahlt? Seit die Energiekosten drastisch steigen, sind auch die Nebenkosten fest im Blick. Und selbstverständlich kennen Häuslebauer ihre Zins- und Tilgungslasten. Anders verhält es sich bei den Kosten der eigenen Mobilität. Spritpreise, Versicherungsprämien, Monatskarten, Bahncard, Flugtickets – zwar haben viele das diffuse Gefühl, dass es immer teurer wird, doch nichts Genaues weiß man nicht. Das Statistische Bundesamt führt alle fünf Jahre eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe durch. Erstaunlich: Mobilität ist teurer als Essen und Trinken! Im Jahr 2009 entfielen 14,6 Prozent der privaten Konsumausgaben auf den Verkehr und nur 14,1 Prozent auf den „Warenkorb Lebensmittel“. Damit nahm der Verkehr erstmals den zweiten Platz der Konsumausgaben ein.

Alle relevanten Indikatoren deuten darauf hin, dass Mobilität in den kommenden Jahren überproportional teurer wird, etwa aufgrund von steigenden Benzinpreisen oder Mehrkosten für Fahrscheine. Hinzu kommt: Bund, Ländern und Kommunen ist längst klar, dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die Infrastruktur zu erhalten und auszubauen, gleichzeitig den Einsatz von Elektrofahrzeugen zu fördern und den Anforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes gerecht zu werden. Was liegt da näher, als eine verstärkte finanzielle Einbindung der Verkehrsteilnehmer zu fordern?

Während Mautgebühren für LKW gemeinhin akzeptiert sind, ist die Einführung einer PKW-Maut politisch umstritten. Das Prinzip der Maut: Die Folgeschäden des Autofahrens – Lärm, Straßenverschleiß, Abgase – sollen von den Autofahrern selbst getragen werden. Auf den ersten Blick ist der Gedanke einleuchtend: Wer etwas nutzt, soll auch dafür bezahlen. Aber ist die PKW-Maut wirklich sinnvoll und gerecht? Ihre möglichen Wirkungen reichen weit über die Finanzierung einer neuen Ortsumgehung oder eines dritten Fahrbahnstreifens hinaus. Sie berühren den sozialen Zusammenhalt einer mobilen Gesellschaft.

Klar ist: Eine PKW-Maut würde – wie in allen EU-Ländern – für deutsche und ausländische PKW gleichermaßen gelten. Zudem ergibt sie nur Sinn, wenn zusätzliches Geld eingenommen würde, das dann in die Infrastruktur fließt und idealerweise eine Lenkungswirkung hat. Auch sollten die Verwaltungs- und Systemkosten niedrig sein.

Welche sozialen Wirkungen hätte eine PKW-Maut?

Diesen Anforderungen kommt die Vignette am nächsten – eine Kopfpauschale für PKW-Halter, wie es sie in Österreich, Ungarn und in der Schweiz gibt. Als eleganter gilt jedoch die genaue Abrechnung für die gefahrenen Kilometer auf den Mautstrecken. Ein solches Verfahren funktioniert in Polen, Frankreich oder Kroatien, wo die Mautnetze relativ klein sind. Für die 13.000 Kilometer deutsche Autobahn oder gar die 40.000 Kilometer Bundesstraßen wäre dieses Modell in absehbarer Zeit aber kaum zu verwirklichen, weder mit Mauthäuschen noch mit Satellitengeräten.

Fraglich ist ferner, ob die Mehreinnahmen durch eine Maut wirklich für Mobilität und Infrastruktur zur Verfügung stünden. Bei der LKW-Maut zumindest galt das Prinzip „linke Tasche – rechte Tasche“: Der Bund glich wachsende Mauteinnahmen regelmäßig mit einem sinkenden Steueranteil aus; insgesamt stiegen die Mittel für den Verkehr nicht. Verkehrsminister Peter Ramsauer wird nicht müde, eine PKW-Maut für seinen Haushalt zu fordern – aber liefert die Begründung für solch ein Nullsummenspiel unter dem Rubrum „Finanzierungskreislauf Straße“ bereits mit. Heißt übersetzt: Straßennutzer sollen die Straßeninfrastruktur finanzieren. Nach Raumsauers Logik macht die PKW-Maut Steuergelder überflüssig. Dieser Ansatz passt zur schwarz-gelben Steuersenkungspolitik. Erinnert sei nur an den Milliardenausfall durch die Steuergeschenke für Hotelbesitzer.

Welche sozialen Auswirkungen hätte eine PKW-Maut? Bei dieser Grundsatzfrage prallen Welten aufeinander: Ist das Autofahren zu billig oder teuer genug? Immerhin zahlt, wer schnell und viel fährt, auch mehr Mineralölsteuer, was allgemein als gerecht wahrgenommen wird. Die Steuer bescherte dem Bund allein im Jahr 2009 rund 33 Milliarden Euro. Bei der Kfz-Steuer gilt das gleiche Prinzip: Ein großer Motor mit hohem Kohlendioxid-Ausstoß und viel Verbrauch bedeutet höhere Kosten. Das ist sowohl sozial- als auch umweltpolitisch vernünftig. Die PKW-Maut dagegen hebt dieses Verursacherprinzip auf: Es belohnt Vielfahrer und bestraft Normalfahrer.

Zusammengenommen erbringen die Mineralöl- und die Kfz-Steuer mehr als 41 Milliarden Euro jährlich – gemessen an den rund 5 Milliarden Euro Investitionen in den Erhalt und Ausbau der Straßeninfrastruktur ist das mehr als genug. Der gesamte Verkehrshaushalt und die Regionalisierungsmittel könnten aus beiden Steuern gedeckt werden. Und die Investitionslinie von um die 10 Milliarden Euro, die der Bund jedes Jahr in seine Verkehrswege steckt, ließe sich davon ebenfalls locker bestreiten.

Die CSU brachte zuletzt immer wieder eine 100-Euro-Vignette ins Gespräch. Wären diese 8,33 Euro monatlich an Mehrkosten vertretbar, oder bringen sie das Fass zum Überlaufen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt zunächst ein Blick auf denjenigen Teil der Bevölkerung, der unter prekären Bedingungen lebt und arbeitet. Nehmen wir als Beispiel einen Empfänger von Arbeitslosengeld II auf dem Land, wo kaum Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) existiert: Für ihn könnten 100 Euro im Jahr Mehrkosten durchaus ein entscheidendes Kriterium dafür sein, ob es sich lohnt, arbeiten zu gehen.

Schwierig ist eine Antwort auf diese soziale Frage der Verkehrspolitik auch deshalb, weil Mobilitätskosten häufig intransparent und schlecht vergleichbar sind. Für Mieten und Immobilienpreise existieren etablierte Vergleichsmaßstäbe, selbst bei Strom oder Erdgas lässt sich inzwischen das zarte Pflänzchen eines Produktwettbewerbs beobachten. Aber Mobilitätskosten können nur in wenigen Fällen verglichen werden, etwa die Anschaffungskosten eines Autos oder Versicherungspolicen. Aber womit sollte der Fahrschein oder das Monatsticket verglichen werden, wenn es nur einen Anbieter gibt? Sogar der Vergleich des ÖPNV zwischen Berlin, Hamburg und München ist wegen unterschiedlicher Beförderungsleistungen und ortstypischer Streckennetze fast unmöglich. Und selbst der – sowieso geringe – Wettbewerb an der Zapfsäule stößt in der Praxis an seine Grenzen, weil eben doch getankt werden muss, wenn die Kontrolllampe leuchtet.

Eine Spaltung in Mobile und Immobile darf nicht sein

Vollkommen intransparent ist das Verhältnis zwischen Kosten und Leistung bei der Infrastruktur. Auch weil niemand weiß, ob die erhobenen Verkehrssteuern ausreichen, um ein intaktes Infrastrukturnetz von Straße und Bahn zu schaffen, fällt das Urteil über die PKW-Maut geteilt aus. Während manche eine neue Form von „Abzocke“ befürchten, wären andere zu mehr Eigenbeteiligung bereit, solange damit spürbare Verbesserungen einhergehen.

Grundsätzlich kann Straßenfinanzierung aber nur funktionieren, wenn ein regionales Solidarprinzip eingehalten wird. Die Investitionsmittel können nicht einfach die persönliche Lieblingsstrecke verbessern, sondern müssen auf prioritäre, in der Regel teure Einzelmaßnahmen konzentriert werden. Dies gilt für den Neubau wie für die Erhaltung gleichermaßen. In den wenigen Fällen, wo es eine direkte Verbindung von Kosten und Leistung gibt – also bei den so genannten F-Modellen, bei denen für einen Tunnel oder eine Brücke eine Maut erhoben wird – funktioniert das Prinzip wirtschaftlich nicht.

Hinzu kommt, dass Mobilität schon aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes sowieso immer teurer werden dürfte. Von den Umweltzonen in Großstädten sind zumeist alte Autos betroffen, wie sie vor allem Geringverdiener fahren. Das gleiche gilt für die aktuelle Forderung nach einer jährlichen Hauptuntersuchung für Autos, die mehr als sieben Jahre alt sind. Moderne umweltfreundliche Antriebe hingegen, die wir fördern und weiter fördern wollen, sind schon für Normalverdiener kaum finanzierbar. Das bedeutet nicht, dass man auf diese Maßnahmen verzichten kann. Aber Sozialdemokraten müssen die sozialen Auswirkungen ebenso stark im Blick haben wie umweltpolitische Aspekte. Die Spaltung der Gesellschaft in einen mobilen und einen immobilen Teil muss unseren Widerstand hervorrufen.

Trotz steigender Kosten wird sich am Mobilitätsverhalten der meisten Menschen kaum etwas ändern. Arbeitswege, Einkaufen, Kindertransport, Freizeitfahrten und Besuchsreisen können nicht ohne weiteres vernachlässigt werden. Anders als Mobilitätskritiker suggerieren, fahren Normalverdiener weder sinnlos in der Gegend herum, noch buchen sie nach der Kreuzfahrt auch noch eine Fernflugreise. Vielmehr wird ein großer Teil der „unnützen Wege“ im Nahbereich der Städte und Kommunen zurückgelegt. Eine Maut würde daran nichts ändern.

Kommt es angesichts der überschaubaren Belastung für den Einzelnen wirklich auf das bisschen PKW-Maut an? Zunächst würde sie Gegrummel und etwas Ausweichverkehr hervorrufen – aber am Ende doch gezahlt werden. Jedoch erhöhte sie den Anteil der Mobilitätskosten an den Konsumausgaben weiter. Und schon beim Normalverdiener ist der Spielraum gering. Somit sind auch Mobilitätskosten eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Wir müssen die Sorgen von Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen ernst nehmen. Gerade sie sollten mehr in Bildung, Gesundheit, eine gesunde Ernährung und Altersvorsorge investieren können.

Jedenfalls ist der Anteil der Mobilitätskosten an den Gesamtausgaben der privaten Haushalte nicht unendlich weiter steigerungsfähig. Schon gar nicht durch eine Kopfpauschale für Mobilität. Dass der Vignette als einfachster Form der Mauterhebung jede ökologische Lenkungswirkung fehlt, muss ebenfalls erwähnt werden. Mit ihr würde nicht einmal der Versuch unternommen, zukunftsweisende Mobilitätspolitik zu betreiben. Wesentlich plausibler wären Veränderungen in den bestehenden Systemen wie der KfZ-Steuer oder der Mineralölsteuer. Hier gibt es weit mehr Möglichkeiten, eine ökologische Steuerung zu verwirklichen. Denn: Mehr Verbrauch, mehr Fahrten oder mehr Kohlendioxid-Ausstoß bedeuten auch mehr Kosten. Die Vignette stellt alle gleich.

Keine Teilhabe ohne Mobilität

Auch das entscheidende Argument der Vignetten-Befürworter kann nicht überzeugen, nämlich dass ausländische PKW an den Wegekosten beteiligt würden. In Wirklichkeit würde ihr relativ geringer Beitrag durch die entstehenden Systemkosten mehr oder weniger aufgefressen. Ganz anders sieht es bei der von Rot-Grün eingeführten LKW-Maut aus. Durch sie wird der europäische Schwerlast- und Transitverkehr angemessen an den Infrastrukturkosten beteiligt; Leerfahrten sind drastisch zurückgegangen; und mit der nächsten Generation der Mautgeräte werden sogar zeitabhängige Mautsätze möglich – und damit noch bessere Lenkungswirkungen. Folgerichtig wäre es deshalb, auch Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen in das System einzubeziehen.

Anstatt vorschnell eine PKW-Maut einzuführen, muss es uns darum gehen, eine Kostentransparenz der Einnahmen und Ausgaben des Verkehrsbereiches herzustellen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wir brauchen eine klare Vorstellung davon, was unser Verkehrssystem wirklich kostet. Verkehrssystem heißt dabei nicht allein Straßenverkehr, sondern es muss alle Bereiche – auch ÖPNV, Fahrrad und Luftverkehr – umfassen. Genau so stellt es sich ja auch im Alltag dar: als ein komplexes Mobilitätssystem mit einer komplexen Kostenstruktur. Erst dann kann solide bilanziert werden, wo wir stehen und wie die Ergebnisse zu unseren Zielen nachhaltiges Wirtschaften, soziale Gerechtigkeit sowie Klima- und Umweltschutz passen. Am Ende werden wir um wirkliche Strukturreformen nicht herumkommen, um unsere Mobilität auch für die Zukunft zu sichern und bezahlbar zu halten.

Die Telekommunikationsbranche hat bereits erkannt, dass die meisten Menschen übersichtliche und möglichst transparente Kosten-Leistungsbilanzen verlangen, um über einen längeren Zeitraum kalkulieren zu können. Nun kann man die vielen, sehr unterschiedlichen Mobilitätsangebote nicht einfach unter eine Flatrate packen. Aber andere Ansätze sind denkbar. Viele Beispiele aus der Praxis weisen bereits in diese Richtung, etwa bestimmte Leasingangebote oder Bahnticket- und Carsharing-Angebote. In Hongkong gibt es sogar eine Mobilitätskarte „Octopus“ für alle Verkehrsmittel.

Ein höheres Bewusstsein für die öffentlichen und privaten Kosten, mehr Transparenz und mehr Nachvollziehbarkeit der Leistungsfähigkeit von Verkehr werden der Debatte gut tun. Nur so können wir Strukturreformen sozial gerecht verwirklichen. Mobilität ist die Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Auf dem Gebiet des Arbeitslebens fordern wir sie sogar immer mehr ein. Deshalb darf sie nicht zum Luxusgut werden.

Johannes Wien vertritt in diesem Beitrag ausschließlich seine persönliche Auffassung.

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