Nach der Wahl ist vor der Krise
Es bedarf keiner großen prophetischen Gabe, um zu konstatieren, dass Linkspartei und WASG auch nach der Bundestagswahl im Fokus der medialen Berichterstattung bleiben werden. Nicht so nahe liegt es dagegen, unter heutigen Vorzeichen den baldigen Niedergang des Linksprojektes zu prognostizieren und die populäre linke Doppelspitze, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, als Schwachstelle auszumachen. Zu offenkundig scheint, was kluge Politologen als „window of opportunity“ einer Linkspartei ausgemacht haben: dass sich der fundamentale ökonomische und gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte geradezu zwangsläufig auch im Parteiensystem niederschlagen muss; dass die Integrationskraft der etablierten Volksparteien abnimmt; dass infolge des sozialdemokratischen Regierungskurses ein Vakuum auf der Linken entstanden ist und ein auch in Deutschland vorhandenes populistisches Potential nur darauf wartet, von Links angesprochen zu werden. Tatsächlich ist die Verbindung zwischen der umbenannten PDS und der von enttäuschten Sozialdemokraten sowie Gewerkschaftern im vergangenen Jahr geformten „Wahlalternative“ bisher eine einzige Erfolgsgeschichte.
Die Linkspartei ist die eigentliche Gewinnerin der Bundestagswahl. Vergleichbar ungetrübt jubelten am Wahlabend nur die Sozialdemokraten. Während deren Freude aber vor allem der unerwarteten Schwäche ihres Hauptgegners geschuldet war, konnte sich jene an der eigenen, neu gewonnenen Stärke berauschen. Mit 4,7 Prozentpunkten verzeichnete sie den größten Zuwachs aller angetretenen Parteien und verdoppelte ihr Ergebnis von 2002.
Das faktische politische Gewicht des Linksbündnisses übertrifft das Wahlergebnis von 8,7 Prozent dabei noch. Gerade erst aus den Protesten gegen die Reformpolitik der Regierung Schröder entstanden, gelang es zumal der WASG innerhalb kürzester Zeit – zunächst als Verein, dann als Partei und schließlich als Bündnispartner der PDS – zum ernsthaften Konkurrent zu werden und die politische Agenda zu beeinflussen. Und dennoch stehen dem Linksbündnis große Schwierigkeiten und scharfe Friktionen bevor – Konflikte, die dem raschen Anfangserfolg ein ebenso jähes Ende folgen lassen könnten. Die Probleme vor denen das Bündnis steht, betreffen vor allem seine innere Heterogenität und sein Führungspersonal.
Eine Fusion der Disparaten
Die Verbindung aus WASG und Linkspartei ist in vielerlei Hinsicht ein ausgesprochen disparates Bündnis. Hier wurde ad hoc zusammengefügt, was so nicht zusammenpasst. Schon für die PDS allein galt und gilt, dass sich ihre internen Widersprüche stets nur mühsam überbrücken ließen. Immer wieder haben sich in der Partei destruktive Kräfte entfaltet und langwierige Aushandlungsprozeduren erzwungen. Zwei von drei Parteivorsitzenden – Gregor Gysi und Gabi Zimmer – scheiterten an der Aufgabe, einerseits eine überdurchschnittlich junge, überproportional weibliche sowie im öffentlichen Dienst beschäftigte Wählerschaft und andererseits eine überalterte, zumeist männliche Mitgliedschaft mit SED-Vergangenheit auf gemeinsame Ziele zu verpflichten. Als zu schwierig erwies es sich, die trotzigen DDR-Nostalgiker mit den im vereinigten Deutschland angekommenen Reformern zusammenzubringen und obendrein beide Gruppen mit den lautstarken Sektierern der West-PDS zu verknüpfen.
Die Kooperation mit der WASG verschärft diese Widersprüche noch einmal beträchtlich. Insbesondere die der PDS/Linkspartei diametral entgegenstehende normativ-lebensweltliche Prägung der WASG-Anhänger birgt Konfliktpotential. Ein Großteil der Mitglieder der westdeutschen WASG machte seine verhaltensprägenden Erfahrungen in den vergleichsweise autoritätskritischen, emanzipativen und postmaterialistischen siebziger Jahren. Diese Erfahrungen gehen ihren PDS-Altersgenossen im Osten gänzlich ab. Ihnen fehlt das Erlebnis einer mit „1968“ vergleichbaren Kulturrevolution. Mental und kulturell durchzieht die Bundesrepublik entlang des einstigen Grenzverlaufs noch immer eine imaginäre Mauer. Das Linksbündnis überwölbt und speist sich daher aus mindestens zwei vollkommen verschiedenartigen, einander diametral gegenüberstehenden Lebenswelten – einer ost- und einer westdeutschen. Zumindest in ihrer Formationsphase repräsentierten erfolgreiche Parteigründungen in der Vergangenheit aber stets vergleichsweise homogene Vergemeinschaftungen, wobei die Interessenidentität der Anhänger wiederum in gleichartigen Fundamentalerfahrungen gründete. All das ist bei dem Linksbündnis nicht gegeben. Wie daraus eine haltbare Verbindung entstehen soll, ist bisher nicht klar geworden.
Krisenresistente und dauerhafte Parteibildungen gingen in der deutschen Geschichte zudem regelmäßig von kraftvollen gesellschaftlichen Anstößen und bereits bestehenden sozialen Gegenbewegungen aus. Die WASG unterscheidet sich auch hier, sie fungiert eben nicht als politisches Sprachrohr einer verbindenden, nach außen hin abgrenzbaren Substruktur. Zwar besteht eine gewisse Nähe zur Anti-Globalisierungsbewegung, vor allem zu Attac, eine offizielle Verbindung existiert aber nicht. Stattdessen überwiegt im Spektrum der Sozialen Bewegungen eine deutliche Skepsis hinsichtlich Glaubwürdigkeit und inhaltlicher Ausrichtung des Projektes WASG.
Der Zwang zu radikalen Phrasen
Dazu gesellen sich ganz alltagspraktische Differenzen. Die PDS im Osten ist eine etablierte Volkspartei, die an zwei Landesregierungen beteiligt ist, zahlreiche Landräte und Bürgermeister stellt. Die WASG hingegen steckt als Partei in den Kinderschuhen. Sie ist eine noch wurzellose Splitterpartei ohne parlamentarische Repräsentanz, weitgehend freischwebend und folglich vor allem Protestpartei. Als solche kann sie sich verbale Rigorosität nicht nur leisten, sie muss ihre Existenz geradezu durch radikale Phrasen legitimieren und darf sich gar nicht anders denn als antielitäre Gegenpartei stilisieren. Damit gerät sie aber zwangsläufig in Konflikt mit ihrer ostdeutschen Bündnispartnerin. Nicht zufällig besteht die WASG im Osten vornehmlich aus ehemaligen PDS-Genossen, denen die Koalitionspolitik ihrer Partei missfiel.
Als Protestpartei aber wird die WASG stärker als ihre parteipolitischen Rivalen Schwankungen ausgesetzt sein. Protest bindet weniger stark als Überzeugung und Identifikation. Überhaupt dürfte der WASG die Sammlung des gesellschaftlichen Protestpotenzials nur vorübergehend gelingen. Schon im Verlaufe der kommenden vier Jahre wird eine Entfremdung zwischen der Partei und den ihr zugeflossenen Nichtwählern wie auch den von der SPD abgestoßenen sozialen Unterschichten stattfinden. Als eine linke Partei nämlich ist die WASG letztlich nicht geeignet zur Ansprache von Wählerschichten, deren Einstellungen zu Fragen der Ausländerintegration, zur Zuwanderung und inneren Sicherheit rechtslastig sind.
Der WASG fehlt ein soziales Milieu
Richtig ist zwar, dass die Arbeiterschaft und die sozialen Unterschichten stets autoritären Verhaltensmustern nachhingen und dennoch großenteils der SPD zuneigten. Doch im Unterschied zu heute existierte in der Vergangenheit ein integratives Organisationsmilieu. Erich Fromms klassischer Studie Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches zufolge überwogen auch in der Arbeiterschaft mehrheitlich autoritär disponierte Charaktere. Diese waren jedoch organisatorisch in die Lebens-, Freizeit- und Denkstrukturen der sozialdemokratischen Solidargemeinschaft eingebunden. Die Wahl der Sozialdemokratie und die Verinnerlichung sozialdemokratischen Gedankengutes waren ihnen infolge dieser Einbindung zu unhinterfragten Selbstverständlichkeiten geworden. Eine solche identitäre Verkoppelung ist mit der Erosion der klassischen Milieus weggefallen – die Erfolge rechtspopulistischer Parteien seit den achtziger Jahren sind nicht zuletzt Folgen der Milieuauflösung. Diese Verknüpfung kann auch durch die WASG nicht wiederhergestellt werden, ihr Fehlen wird eine bleibende Bindung der neuen sozialen Unterschichten an die WASG verhindern.
Insofern ist fraglich, ob der PDS die Etablierung in den wahlentscheidenden alten Bundesländern durch die Verbindung mit der WASG tatsächlich dauerhaft gelingen wird. Gut möglich scheint, dass es sich auch bei der WASG, wie zuvor schon bei anderen westdeutschen Protestparteien, nur um eine parteipolitische „Eintagsfliege“ handeln könnte. Überdies dürfte der im Schlepptau des Bündnisses erfolgte Einflusszuwachs der West-Landesverbände und West-Mitglieder der PDS die Linkspartei schon überwunden geglaubten Zerreißproben aussetzen.
In der Fraktion wird es bunt zugehen
Die westdeutschen Parteigliederungen hatten breits während der neunziger Jahre – nach dem Motto „je marginaler, desto radikaler“ – jede Menge Streit und Chaos in die PDS getragen. Auf die westdeutschen Postsozialisten zielten Klagen des einstigen Parteigeschäftsführers Dietmar Bartsch, das Problem seiner Partei sei, „dass nicht überall PDS-Positionen in der Majorität sind“. Es waren Delegierte aus Hamburg, die auf dem Münsteraner Parteitag im Jahr 2000 durch Störmanöver und unflätige Beschimpfungen der eigenen Partei- und Fraktionsführung auffielen, woraufhin die Bundes-PDS den Hamburger Landesvorstand kollektiv für abgesetzt erklärte. Das Chaos wiederum, das 2002 in der PDS ausbrach und Gabi Zimmer den Parteivorsitz kostete, wird immer mit den Namen zweier westdeutscher Postsozialisten verbunden bleiben: Dieter Dehm und Uwe Hiksch.
Erstmals in der Parlamentsgeschichte der PDS setzt sich ihre Fraktion nun mehrheitlich aus westdeutschen Postsozialisten zusammen: 31 Abgeordnete der 54-köpfigen Fraktion stammen aus den alten Bundesländern oder haben dort ihren Lebensmittelpunkt. Darunter sind – gelinde gesagt – etliche eigenwillige Querköpfe. Die PDS täte gut daran, sich auf deftige Auseinandersetzungen, geringe Fraktionsdisziplin und regelmäßige, der Presse medienwirksam zugespielte Minderheitenvoten gefasst zu machen. Schuldzuweisungen und Bündnisdiskussionen werden alsbald folgen. Schließlich hat es sich bei der Verbindung aus Linkspartei und WASG nie um ein Liebesbündnis gehandelt, sondern von Anbeginn an eher um eine Notgemeinschaft. Die PDS meinte die WASG zur Westausdehnung zu brauchen, die WASG hätte ohne die Finanzmittel und die logistischen Hilfestellung der PDS keinen Erfolg versprechenden Bundestagswahlkampf führen können.
Unter solch widrigen Umständen rücken die Eigenschaften der Führungskräfte in den Blickpunkt. In dieser Situation kommt es besonders auf eine Parteiführung an, die divergierende Positionen moderiert und mit leidenschaftlichen Bekenntnissen zur eigenen Partei auch widerstrebende Anhänger mitreißt und diszipliniert. Fähigkeit zum Ausgleich, Glaubwürdigkeit, Ausdauer und die Bereitschaft zum disziplinierten Dienst an der Partei sind notwendige Charaktereigenschaften für Spitzenrepräsentanten intern vielfach gespaltener, streitfreudiger, sich notorisch selbst gefährdender Parteien.
Auftritt der eitlen Charismatiker
Das Führungspersonal gilt gemeinhin als Erfolgsfaktor des Linksbündnisses, gerade ihm wird eine Schlüsselrolle für die Beachtung, Wirksamkeit und Popularität der Parteienverbindung zugeschrieben. Und in der Tat gab es einige spektakuläre Ein- und Übertritte. An erster Stelle sind in diesem Zusammenhang natürlich Gregor Gysi und Oskar Lafontaine zu nennen. Beide beendeten ihre selbst gewählte politische Abstinenz und kehrten ins politische Rampenlicht zurück. Beide sind schillernd, rhetorisch begabt und vermögen sowohl leidenschaftliche Zustimmung als auch vehemente Abneigung hervorzurufen. Im Fehlen charismatischer Vorleute wurde in der Vergangenheit verlässlich der Hauptgrund für die Erfolglosigkeit deutscher Protestparteien identifiziert. In Deutschland schienen schlicht und einfach die Haiders, Fortuyns und Le Pens zu fehlen. Mit Gysi für den Osten und Lafontaine für den Westen ist diese Leerstelle für eine gesamtdeutsche Linkspartei offenbar gefüllt, dem Erfolg eines in Parteiformen gegossenen linken Protestes stünde demnach nichts mehr im Weg.
Was Hedonisten wenig Freude macht
Kurzfristig mag es genau so kommen, wofür nicht zuletzt das herausragende Ergebnis der Linkspartei im Saarland und die 26 Prozent der Erststimmen für Oskar Lafontaine in Saarbrücken sprechen. Für die langfristige Konsolidierung der Partei bringen aber weder Gysi noch Lafontaine das nötige Rüstzeug mit. Gysi und Lafontaine neigten in ihrer politischen Laufbahn stets zur Polarisierung und nicht zum Ausgleich, sie suchten regelrecht die Auseinandersetzung. Gysi ließ als PDS-Vorsitzender nie einen Zweifel an seiner intellektuellen, medialen und diskursiven Überlegenheit aufkommen. Er scharte Fans um sich, die ihn mit Plüschtieren überhäuften und er schuf sich unversöhnliche Gegner, die ihm „Gregor, Arsch lecken!“ zuriefen. Lafontaine seinerseits nutzte bereits im Saarland der siebziger und achtziger Jahre jede ihm Erfolg versprechend erscheinende Gelegenheit, um Parteifreunde zu attackieren, das sozialdemokratische Solidaritätsdogma zu verletzen und seine Karriere zu befördern. Sein Verhältnis zur eigenen Partei kann als „instrumentell“ charakterisiert werden. Ein Parteisoldat war er nie, treu war er immer eher sich selbst als seiner Partei, deren Vorsitz er dann auch 1999 sehr unsentimental niederlegte.
Hohe parteipolitische Leidensfähigkeit zeichnet also weder Gysi noch Lafontaine aus. Ihre Bereitschaft ist begrenzt, unspektakuläre Sachentscheidungen gegen ermüdende, kleinkarierte innerparteiliche Widerstände in langwierigen Verhandlungen durchzusetzen. Dafür sind sie zu hedonistisch, dafür hegen sie zu große Ängste vor habituellen Deformationen und Anzeichen von Selbstentfremdung. Beide haben folglich im Verlauf ihrer politischen Karrieren und lange vor ihren späteren Rücktritten mehrfach die Neigung zum politischen Rückzug bekundet – ein Hang, der bei Gysi aufgrund seiner körperlichen Gebrechen und bei Lafontaine infolge des Attentats noch verstärkt wurde. Das verbindet die beiden Galionsfiguren von Linkspartei und WASG im Übrigen mit dem WASG-Gründer Klaus Ernst, der ebenfalls ein monotone Routinen fürchtender Bonvivant ist und schon jetzt, noch bevor seine politische Karriere so richtig begonnen hat, auffällig oft von seiner Almhütte und dem Leben jenseits der Politik schwärmt. Den Anforderungen, die ein prekärer Zusammenschluss wie das Linksbündnis an seine Führung stellt, werden Lafontaine, Gysi und Ernst nicht gerecht. Zur Bewältigung der bevorstehenden Schwierigkeiten taugen sie nur unzureichend. Die Euphorie des Anfangs wird daher schon bald einem frustrierenden Alltag und anschwellenden Streitigkeiten weichen.
Fast zwei Jahrzehnte im tiefen Loch
Vermutlich täten Linkspartei und WASG gut daran, sich das Beispiel der norwegischen Sozialistischen Wahlallianz vor Augen zu halten. Diese erzielte als heterogenes Bündnis bei der Parlamentswahl 1973 mit einem zweistelligen Ergebnis einen überwältigen Wahlerfolg. Doch nach der Wahl zerstritten sich die Partner alsbald über Fragen der praktischen Politik und unvereinbare Vorstellungen zu Programmatik und Organisation einer gemeinsamen Partei. Bereits bei der nächsten nationalen Wahl fiel die Partei in ein tiefes elektorales Loch, aus dem sie während der gesamten siebziger und achtziger Jahre nicht mehr herauskam. Auch wenn die Wahlallianz 1989 auf erneuerter Grundlage einen weiteren glanzvollen Wahlsieg einfahren konnte und heute etablierter Akteur im norwegischen Parteiensystem ist, bleibt das Beispiel doch als Warnung bestehen: Die wahre Bewährung der Linkspartei steht erst noch bevor.