Nichts ist entschieden
Die Risiken der Globalisierung werden oft überschätzt, während die Chancen der Globalisierung noch gar nicht feststehen, geschweige denn ausgereizt sind. Über die genauen Wirkungen der Globalisierung ist deshalb noch nichts entschieden. Befürworter und Kritiker der Globalisierung sind allerdings gleichermaßen davon überzeugt, dass die wichtigsten Folgen der Globalisierung (schon) irreversibel und unausweichlich seien und sich unsere Lebenswelt dadurch grundlegend verändert habe. Wie uns die Vergangenheit aber lehrt, sind Urteile über eine selbstverständliche oder gar irreversible Zukunft häufig Fehlurteile oder doch zumindest sich selbstzerstörende Prophezeiungen.
Allerdings fällt es schwer, sich globaler Urteile über den Verlauf und die Wirkungen der Globalisierung zu enthalten. Deshalb stellen wir unseren Beobachtungen über Globalisierung einen methodischen Verweis auf ein genuin kommunikatives Dilemma voran. Denn das alltägliche wie auch das kulturwissenschaftliche Verständnis gesellschaftlicher Phänomene stößt immer wieder auf ein garstiges Hindernis. Ganz abgesehen von der Offenheit des kaum zwei Jahrzehnte alten Globalisierungsbegriffs, sieht man sich mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und der diskursiven Schilderung von gesellschaftlichen Prozessen konfrontiert, die miteinander verzahnt sind.
Die unvermeidliche und zugleich funktionale Strittigkeit gesellschaftlicher Beobachtungen, die mit dem Phänomen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen verbunden ist, sei anhand von zwei historischen Tatsachen illustriert, die auch für die gegenwärtige Beobachtung des Verlaufs der Globalisierung relevant sind:
Erstens, die während des größten Teils der Menschheitsgeschichte bewohnte Welt erstreckte sich allenfalls auf die Distanz eines Tagesfußmarsches.
Zweitens, Ende des Jahres 1347 erreichte Europa über Konstantinopel ein furchtbarer Virus. Diesem fiel innerhalb von wenigen Monaten wahrscheinlich mehr als die Hälfte der europäischen Bevölkerung zum Opfer.
Die schnelle Verbreitung der Pest im Sinne einer "Gleichartigkeit der vorhandenen Einwirkungen" (Karl Mannheim) in einem großen Raum und die weiter geltende Beschränktheit des Horizonts der Zeitgenossen stützt die These, dass die "Angelegenheiten der Menschen [doch immer schon] irgendwie zusammenhängen" (Niklas Luhmann) - und widerspricht ihr zugleich. Andererseits zeigt unser Beispiel, dass die (äußere und innere) Zusammenführung der menschlichen Gesellschaften zu einer "Welt"gesellschaft nicht erst heute stattfindet. Die Beispiele ließen sich über die Zeiten hinweg fast beliebig verlängern: Das antike Rom betrieb einen, wenn auch gewaltsamen Prozess der wirtschaftlichen und kulturellen Integration, der durchaus Vergleiche nahelegt mit der Kolonialisierung, welche Europa die Herrschaft über die Welt sicherte und das Fundament des internationalen Kapitalismus und damit der Wirtschaft als Weltsystem legte.
Die historische, aber auch die zeitgenössische Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wird durch den verführerischen Drang zur Generalisierung zum Problem. Ausgeglichenheit in der Argumentation ist langweilig, signalisiert Gleichgültigkeit. Ist Ausgeglichenheit vielleicht sogar ein Zeichen für Unentschlossenheit oder mangelnde Courage? Alles Reden über Globalisierung kann sich diesem elementaren Konflikt nicht entziehen. Es ist aber nicht einfach, gegenläufige Entwicklungen gleichzeitig präsent zu haben.
Wir wollen daher versuchen, diesen gegenläufigen Tendenzen nachzuspüren, indem wir sowohl auf Chancen als auch auf Risiken der Globalisierung aufmerksam machen. Das legt die These nahe, dass die Entwicklung der Weltgesellschaft nicht das Ergebnis eines einfachen, eindimensionalen Wandelprozesses ist. Obschon neuere Entwicklungen in der Kommunikations- und Transporttechnik dazu beitragen, dass die einstige Distanz zwischen Gruppen und Individuen aufbricht, bleibt die beträchtliche Distanz zwischen Regionen, Städten und Dörfern erhalten. Die Welt öffnet sich zwar, Kapital und Arbeit, Stile und Waren zirkulieren in vermehrtem Maße, aber die Mauern zwischen den Überzeugungen von dem, was heilig, wichtig und gut ist, bleiben weitgehend bestehen. Die Bedeutung von Zeit und Ort ändert sich, aber die Grenzen der Hoch- und Dialektsprachen, des Karnevals sowie Ess- und Trinkgewohnheiten, um nur einige Beispiel zu nennen, stiften nach wie vor Sinn und werden weiterhin leidenschaftlich gefeiert und geachtet.
Fasziniert vom Zeitalter der Globalisierung leben wir mit der Obsession von Identität und Ethnizität. Zugegeben, Hand in Hand mit der territorialen Eingrenzung von Sensibilitäten und der Regionalisierung von Konflikten geht eine wachsende Gleichzeitigkeit von Ereignissen auf allen Kontinenten einher.
Aber schauen wir uns zunächst das lehrreiche Schicksal von theoretischen Vorläufern und Verwandten der These von der Globalisierung an. Danach machen wir auf eine Reihe von Facetten des komplexen Prozesses der Globalisierung aufmerksam, um abschließend noch einmal die Frage nach den Risiken und Chancen der Globalisierung aufzugreifen.
Massengesellschaft, Modernisierung und Rationalisierung
Viele Theorieentwürfe der vergangenen Jahrzehnte, die versuchen, der angeblich einzigartigen Entwicklung zur modernen Gesellschaft zu Leibe zu rücken, sind in der Vergangenheitsform geschrieben. Veränderungen werden formuliert, als seien sie bereits abgeschlossen. Die Zeit der Massengesellschaft, der Modernisierung und der Rationalisierung der modernen Gesellschaft werden in einer Sprache erfasst, die nur den Schluss zulässt, dass es sich um selbständige Prozesse handelt, deren Logik sich schon weitgehend durchgesetzt hat und sich bereits in der Struktur und der Kultur der Gesellschaft widerspiegelt.
Was in der Realität ein Prozess mit Schritten sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ist, wird unter der Hand schnell zu einem Endzustand der Weltgesellschaft. Diese voreilige Kompression und das vorschnelle Abschließen von gesellschaftlichen Entwicklungen finden sich heute in vielen Diskussionen zur Globalisierung. Es ist wie mit dem Trost beim Tod eines lieben Menschen: Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen.
So hat es in den vergangenen fünfzig Jahren keinen Mangel an Auseinandersetzungen mit der Gefahr und den Kosten einer bereits bestehenden Massengesellschaft gegeben. Die Massengesellschaft sei durch eine weitgehend homogene Bevölkerung gekennzeichnet, deren soziales Bindegewebe nur schwach ausgebildet sei. David Riesmans Metapher von der "einsamen Masse" bringt diesen Zustand wohl am besten auf den Punkt. Die Machtübernahme und brutale Herrschaft des Nationalsozialismus, des Faschismus und des Kommunismus bilden ebenso wichtige historische Bezugspunkte wie die Erfahrungen mit der Zerbrechlichkeit demokratischer Institutionen.
Die Entwicklung der Massengesellschaft wird durch die Allgegenwart und die umfassende Macht der Massenkommunikation und der Massenmedien mitbestimmt und beschleunigt. Zugleich verlagern sich in den Analysen der Massengesellschaft die Funktionen der modernen Gesellschaft unauffällig, aber signifikant. Bedenken wegen Ausbeutung und Einschüchterung, Gewalt und Zwang weichen Auseinandersetzungen mit den psychologischen Auswirkungen der Massenbeeinflussung, die die Bevölkerung zum Spielball der Mächtigen machen und zur Konformität erziehen. Der nahezu magische Glaube an den übermächtigen Einfluss der Massenmedien auf die Populärkultur, der Verfall des guten Geschmacks und der Verlust der Kritikfähigkeit sind Argumente, die in abgewandelter Form auch in der Gegenwart wieder auftauchen - dieses Mal gegen die kulturellen Auswirkungen der Globalisierung gerichtet.
Eine Reihe von kritischen Reflexionen über die moderne Gesellschaft als Massengesellschaft sind zweifellos bemerkenswerte Versuche, die kulturellen Besonderheiten eines "anbrechenden" Zeitalters auszuleuchten. Viele dieser Versuche stellen aber eher eine oberflächliche Polemik im kulturkritischen Gewande dar, die von sich behaupten, die Zerstörung der "Kultur" erfasst zu haben. In vielen Fällen sind diese Beobachtungen und Warnungen Ausdruck des Phänomens, das sie vorgeben, entdeckt zu haben.
Die massenpsychologischen und sozialen Transmissionsriemen der globalen Verbreitung von Mentalitäten und Verhaltensweisen, vor denen gegenwärtig gewarnt wird, sind weiterhin die der Massengesellschaft: Nachahmungssucht und mangelnder psychischer Widerstand einer hilflosen Bevölkerung und manipulierbaren Öffentlichkeit. Voraussetzung für das angeblich ungehinderte Funktionieren dieser psychologischen Prozesse sind vor allem passive Konsumenten von Waren oder populärer Kultur. Sie sind in einer Art sekundärer Sozialbeziehung gefangen, die Authentizität vermissen lässt und kaum, wenn überhaupt, von Wahlmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Das Konsumieren wird zu einer Art black box, und die Analyse von Konsumkulturen wird durch Ressentiments oder der Kritik am Fehlen der guten Gesellschaft ersetzt. Die Entwicklung läuft aber in eine andere Richtung, nämlich hin zu einer Moralisierung der Märkte, einer Mitbestimmung des Gebrauchswerts von Waren und Dienstleistungen durch außerökonomische oder ethische Gesichtspunkte.
Lokal handeln und global denken
Der Begriff der Globalisierung nimmt in theoretischen Überlegungen zur jüngsten Entwicklungsphase der modernen Gesellschaften genau den Stellenwert ein, den gesellschaftstheoretische Bemühungen in der Vergangenheit mit dem Begriff der Massengesellschaft, der Rationalisierung der Lebensverhältnisse oder der viel diskutierten Perspektive der Modernisierung eingenommen haben.
Die Affinität der ersten Warnungen vor den kulturellen Gefahren der Globalisierung zu den Diskussionen über die Moderne als Massengesellschaft fällt besonders auf. In der Tat existiert in vielen Ländern, zumindest unter Intellektuellen, eine ausgeprägte Sensibilität für Formen des kulturellen Imperialismus. Es wird die Gefahr beschworen, dass jede regionale oder nationale Ausprägung der Kultur durch die triviale amerikanische Populärkultur verdrängt werde und zu einer McDonaldisierung der Weltgesellschaft führe. Die Sonne geht im Imperium von Coca-Cola und Levi′s, Nike und MTV, kräftig unterstützt durch American Express und anderes Universalgeld, nicht unter.
Die Kritik an der imperialen Macht der amerikanischen Kultur unterschätzt jedoch die Persistenz von symbolischen Sinnwelten, die auch im globalen Zeitalter durch unterschiedliche Weltbilder, situationsbezogene Konventionen und tradierte Lebensprinzipien eine Kontinuität zwischen dem Gestern und dem Heute sowie eine verbindende Kraft zwischen den Menschen am Ort ihres Handelns herstellen. Culture makes a difference - auch in der populären Kultur. In seinem Versuch, das Individuum und seine Bedürfnisse wieder zu beleben, ist schon Theodor W. Adorno fälschlicherweise von einer alles determinierenden Kulturindustrie ausgegangen. Fast ein halbes Jahrhundert später gehen die Vertreter der so genannten Cultural Studies von der kreativen Nutzung der Populärkultur aus. Für sie ist entscheidend, was die Konsumenten mit der Warenwelt im Alltag anfangen, und sie sehen darin sogar eine Möglichkeit der Opposition und des Widerstandes gegen die herrschende, weil legitime Kultur des Bildungsbürgertums.
Zweifellos wird global gedacht, wenn es um die Internationalisierung der Kommunikation und ihrer Technik sowie die Transnationalisierung von Organisationen wie die UNO oder die NGOs geht. Dagegen bedarf die Universalisierung von Verhaltensweisen und Einstellungen, von Glaubensbekenntnissen und Werthaltungen, von Symbolen und Sprachen einer differenzierten Betrachtungsweise. Sie ist ohne Bezug auf den lokalen Sinnhorizont und die situative Erfordernisse des Handelns praktisch nicht möglich, aber auch gar nicht denkbar.
Die Diskussion um den Ablauf der Globalisierung hat sich seit den achtziger Jahren auf folgende Beobachtungen gestützt: erstens die ökonomischen (einschließlich der politischen und technischen), zweitens die kulturellen (besonders der Internationalisierung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Informationen) und drittens die ökologischen Bestimmungsfaktoren und Folgen der Globalisierung. Da wir es am sichtbarsten mit einer Internationalisierung der Wirtschaft, besonders der globalen Vernetzung der Produktion, der Dienstleistungen und des Finanzsektors zu tun haben, wird die Ökonomie konventionell auch als Motor der Globalisierung verstanden.
Zu den am häufigsten diskutierten Aspekten der Globalisierung gehören daher ihre wirtschaftlichen Folgen. Allerdings sprechen selbst Ökonomen nur selten davon, dass sich alle relevanten wirtschaftlichen Veränderungen nur in eine Richtung bewegten. Formen der Marktwirtschaft entstehen zu unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten im Verbund mit unterschiedlichen nationalen Gesetzen, Sozialstrukturen und politischen Systemen. Ob sich diese Ausprägungen der Marktwirtschaft einer einheitlichen Logik der kapitalistischen Produktion und Distribution unterwerfen werden, ist umstritten. Dazu kommt, dass sich auch in der Gegenwart ökonomische Veränderungen und der Wettbewerb zwischen Gesellschaften nicht unbedingt von kulturellen und politischen Eigenheiten und Traditionen abkoppeln lassen. Noch immer definieren Gesellschaften ihre Identitäten eher in kulturellen als in wirtschaftlichen Kategorien.
Unregulierte Märkte sind utopisch und wahrscheinlich selbstzerstörerisch. Es hat bisher auch noch kein Regime gegeben, das die ihm zur Verfügung stehenden politischen Instrumente nicht genutzt hätte, um die in seinem Einflussbereich agierenden ökonomischen Akteure zu unterstützen und zu schützen, indem es Marktergebnisse korrigiert, Erträge umverteilt und nachfolgende Marktgeschehnisse wie Standortentscheidungen beeinflusst. Das Interesse, selbstregulierende Märkte auszudehnen, wird immer durch politische Bewegungen, die Umverteilungsinteressen und Ziele jenseits der Ökonomie vertreten, umdefiniert und begrenzt. Diese Rücksichtnahmen werden in Verwaltungsrichtlinien sowie staatliche und transnationale Normen übersetzt, die auf den heimischen Markt ebenso einwirken wie auf internationale Transaktionen.
Viele Wege führen zum Wohlstand
Es gab in der Vergangenheit und es wird sicher auch in Zukunft unterschiedliche Wege geben zum wirtschaftlichen Wohlstand. Eine Gesellschaft kann sich beispielsweise darauf konzentrieren, Innovationen zu fördern, um auf diese Weise die mikroökonomische Infrastruktur zu verbessern; eine andere Volkswirtschaft kann das durch gesamtgesellschaftliche Reformanstrengungen ermöglichen, während ein weiterer Weg im erfolgreichen Technologietransfer und in einer schnellen Diffusion technischer Innovationen bestehen mag.
In der Praxis ist das ökonomische Handeln auch heute durch eine Vielzahl nationaler, nicht-wirtschaftlicher Faktoren (siehe etwa das traditionelle Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten im Handel mit Japan) und transnationale Regierungsorganisationen (man betrachte die Schwierigkeiten, ein neues GATT-Abkommen zu realisieren) starkt beeinflusst. Wir sind also noch sehr weit davon entfernt, sagen zu können, dass die Welt ein einziger Markt sei. Die Tatsache, dass das Internet Menschen gleichen Alters auf verschiedenen Seiten des Globus oft einander näher bringt als Angehörige unterschiedlicher Generationen im eigenen Land, besagt ja nicht, dass Grenzen der Kommunikation im eigenen Land bedeutungslos geworden oder gar abhanden gekommen wären. Gerade die Wirtschaft führt uns tagtäglich vor Augen und Ohren, dass globaler Handel Konventionen voraussetzt, die in erster Linie mit Vertrauen zu tun haben, das wiederum nur durch Kultur, durch Werte und Normen, durch gemeinsame Symbole und Zeichen, durch Verstehen und Verständigung hergestellt werden kann.
Nicht ganz ohne Berechtigung wirbt daher auch die Europäische Union für ihre Erweiterungspläne mit dem Argument, dass die Vielfalt Europas sein eigentlicher Reichtum sei. Es wäre daher auch ein analytischer Fehlgriff, die Globalisierung nur als eine weltumspannende Expansion der Märkte zu verstehen und ihre Konsequenzen für die gesamte Sozialstruktur, also Familienleben, Arbeitswelt und Beziehungsnetze, sowie die sozialen Sicherungssysteme und das politische System zu vernachlässigen oder ungebührlich zu vereinheitlichen.
Die Debatten, die sich mit den kulturellen Folgen der Globalisierung befassen, werden oft noch mit sehr viel größerer Heftigkeit geführt. In ihnen geht es um die Gefahr der Standardisierung der Lebenswelten, die mit der (zunehmenden) Auflösung der Vielfalt der Kulturen dieser Welt gleichgesetzt wird. Beeindruckt von der Stärke und Plausibilität der Rationalisierungsthese, haben sich viele Beobachter dazu verleiten lassen, voreilig über die Fragilität und Vergänglichkeit von Traditionen, Glaubenssystemen und traditionellen Weltbildern zu sprechen, die sich angesichts modernerer Gesellschaftsmodelle unweigerlich auflösten oder einfach verschwinden würden. Dass in diesen als rückständig verstandenen Überzeugungen nur die "Kindheit der Menschheit" (Daniel Bell) zum Ausdruck kämen, die von Natur aus fragil seien und deren Aufgaben von weniger "unkonventionellen", aber rationaleren Standpunkten übernommen werden könnten, wird allerdings durch die soziale und kulturelle Realität nicht bestätigt.
Die Denkfehler der Globalisten
Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass im Zeitalter der Globalisierung der menschliche Alltag zunehmend und öfter aus seiner lokalen Einbettung herausgelöst wird und der Mensch der Zukunft öfter denn je herausfordert werden wird, seine Verhältnisse neu zu ordnen. Zweifellos unterscheidet sich die menschliche Gesellschaft der Gegenwart von früheren Gesellschaften durch die beschleunigte Geschwindigkeit und die größere Reichweite, mit der sich Institutionen ausbreiten und mit der das Verhalten der Individuen sich auswirkt. Allerdings enthält die Prämisse einer rapide zunehmenden, unaufhaltsamen Globalisierung, in deren Verlauf alle lokalen, regionalen und nationalen Besonderheiten von Lebenszusammenhängen in einer homogenen Welt verschmelzen, gravierende Denkfehler.
Zu diesen gehört erstens die Unterstellung, dass unzählige soziale und kulturelle Kontexte schon fast identisch und intern kaum differenziert seien; zweitens der Umstand, dass diese Sozial- und Kultursysteme nur als passive Rezipienten des "Exports" des dominanten Systems begriffen werden; drittens die These, dass es in diesen Situationen angesichts der überwältigenden Attraktivität, Überlegenheit und Leistungsfähigkeit der "siegreichen" sozialen Tatsachen keine Wahlmöglichkeiten gebe; viertens die Behauptung, dass lokale Kulturen angesichts der Übermacht der importierten Praktiken und Wertvorstellungen fast vollständig ausgelöscht oder inkorporiert und somit unsichtbar würden; und fünftens dass die Globalisierung infolge dieser Annahmen in allen Gesellschaften mehr oder weniger uniforme Wirkungen zeitigen müsste.
Die These von der überwältigenden Durchdringlichkeit einer verselbständigten Logik gesellschaftlichen Wandels basiert genau wie die eines ungezügelten klimatischen oder technologischen Determinismus auf einer essenzialistischen Sichtweise der Globalisierung. Losgelöst von allen situationsspezifischen Faktoren könne die Globalisierung ihre Eigenlogik durchsetzen. Welch ein Systemzwang! Anpassung, nicht Steuerung sei an der Tagesordnung. Unter solchen Bedingungen wäre die sich formierende "global opposition" ein sinnloses Unterfangen.
Die genannten Prämissen kommen eher einem Wunschtraum der kolonialisierenden Kräfte gleich, die sich erhoffen, dass lokale Kulturen auf einfache Weise, nämlich durch Importe, ersetzt werden könnten. Weder waren dominante Zivilisationen in der Vergangenheit in der Lage, sich in fremden gesellschaftlichen Gefilden widerstandslos durchzusetzen, noch werden im Zusammenhang mit gegenwärtigen Entwicklungen lokale Zusammenhänge und kulturelle Identitäten durch globale Trends einfach überlagert oder gar zum Verschwinden gebracht.
Im Gegenteil. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung wird in den Wissensgesellschaften der Zukunft merklich geringer sein. Hier wird der noch in den Industriegesellschaften bestimmende Einfluss materieller Faktoren abnehmen - und die Dominanz der Kräfte sich umkehren. Quelle des wirtschaftlichen Wachstums wird Wissen sein, und zum Motor der Globalisierung in den Wirtschaftssystemen wird ein anderer Prozess avancieren als der, der noch zu Beginn und im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts dominierte. An die Stelle des Handels werden Faktoren treten, die vorrangig auf einer Diffusion von Ideen und Wissen beruhen.
Die Grenzen der kulturellen Homogenisierung haben auf der Weltebene ebenso wie in den klassischen Zivilisationen mit der Tatsache zu tun, dass, wie Ralf Dahrendorf betont, "jede Kultur ... die Symbole der Modernität in ihre eigene Tradition aufgenommen (hat); jeder Einzelne macht diese Symbole zum Teil seines und nur seines Lebens". Es wäre gleichermaßen falsch und fatal, lokale Sozialzusammenhänge gegenüber externen Einflüssen als ausschließlich passiv aufzufassen. Lokale Situationen leisten nicht nur Widerstand, sondern haben auch Ressourcen, um importierte kulturelle Praktiken aktiv zu "assimilieren". So hat der Anthropologe Terence Turner eine solche Reaktion des Widerstehens und Anpassens in einer Studie der Kayapos-Gemeinden in Brasilien vorgefunden: Sie verwendeten die an sie herangetragene Technologie, um ihre Kultur zu bewahren. Sie nutzten Videos, um damit ihre Kultur darzustellen, zu schützen und zu erhalten, wobei sie zu perfekten politischen Vertretern ethnischer Interessen wurden.
Globalisierungsprozesse - besonders der sich mehrende Wohlstand, die graduelle Ausweitung des kulturellen Kapitals und der wachsende Zugang zu Wissen und Informationen - sind für neue, umfassendere Handlungsmöglichkeiten vieler Akteure verantwortlich, nicht nur in den entwickelten Gesellschaften.
Die Chancen der Globalisierung
Die Chancen der Globalisierung liegen in der Nutzung dieser Handlungsmöglichkeiten der Akteure und Institutionen. Zu diesen bisher nicht realisierten Chancen gehört die Implementation eines gerechten Weltmarktes, in dem nicht mehr wie heute die Waren und Dienstleistungen der ärmsten Länder der Welt durch hohe Handelsschranken diskriminiert werden und in dem beispielsweise von Pharma-Giganten kein Raubbau an den ureigenen Ressourcen dieser Länder betrieben wird, um diese später als kaum bezahlbare Medikamente an sie zu verkaufen.
"Blatant hypocrisy and double standards that govern the behavior of rich countries toward poor countries", wie es die Weltbank in ihrem jüngsten Bericht über die Wirtschaftsaussichten der Entwicklungsländer nennt, müssten überwunden werden. Denn Handel ist sehr viel bedeutsamer für die armen Länder als Entwicklungshilfe: Wenn man den Export der ärmsten Länder auch nur um 0,7 Prozent erhöht, ist der wirtschaftliche Nutzen für diese Länder größer als der Gesamtumfang der Entwicklungshilfe, die sie erhalten. Zu diesen von der Globalisierung eröffneten Handlungsmöglichkeiten sollten, um die wichtigsten Maßnahmen zu nennen, eine Versöhnung von ökologischen und ökonomischen Zielen gehören, die Stärkung einer inklusiven Demokratie weltweit, die Entwicklung von transparenten, korruptionsfreien Regierungsformen und die weltweite Diffusion von Rechtsinstitutionen, die Schaffung von parlamentarischen Arenen und transnationalen Institutionen für öffentliche Debatten. In ihnen könnte eine zivile Weltgesellschaft nach der Lösung von globalen Problemen suchen und deren Implementation begleiten, eine Reform der internationalen Wirtschaftsorganisationen wie IMF, WTO und Weltbank sowie eine effektivere Regulierung der Finanzmärkte und des Finanzgebarens der Konzerne herbeiführen.
Wie geht es weiter?
Die Welt ist ein ungemein stratifiziertes und vielfach in sich geteiltes soziales, kulturelles, ökonomisches und ökologisches Gefüge - eine Tatsache, die in überhasteten Versuchen, einen neuen Mechanismus der gesellschaftlichen Transformation zu entdecken, anscheinend rasch vergessen wird. Die Weltbevölkerung wächst in einem bisher nicht gekannten Maße. Das Bevölkerungswachstum spielt sich fast ausschließlich in den ärmsten Ländern der Welt ab. In den meisten Gesellschaften dieser Welt ist der Nationalismus nach wie vor ein äußerst einflussreicher kultureller und ökonomischer Prozess. Die Mehrzahl der so genannten Global Player wird völlig zutreffend mit einer bestimmten Heimatbasis in Verbindung gebracht; multinationale Firmen lassen auch weiterhin den größten Teil ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu Hause durchführen.
Die Welt mag zwar durch Internet und Satellitenfernsehen technisch enger zusammengerückt sein, das gilt aber nicht unbedingt für alle kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Ebenen. Wir sind zwar überall und jederzeit dabei, aber verstehen wir uns auch besser oder überhaupt? Unsere Fähigkeiten, voneinander zu lernen, haben sich nicht entscheidend verbessert. Nicht nur die Deutschen und Franzosen klagen, dass von der Sprache des Nachbarn, von Goethe und Balzac immer weniger gegenseitige Notiz genommen werde. Auch die technische Integration und Vernetzung, die weltweite Migration und der Massentourismus bringen Missverständnisse mit sich und verhärten Missgunst. Globale Kommunikation und der Zugang zum Internet haben aus der Welt nicht unbedingt eine tolerantere, sich gegenseitig schätzende und achtende Welt gemacht.
Die Risiken der Globalisierung liegen nicht zuletzt in einem entfremdenden Verständnis der Globalisierung, wenn sich Akteure und politische Institutionen primär als Objekte dieses Prozesses begreifen. Gleichzeitig gilt, dass die Globalisierung nicht durch eine wie auch immer geartete Willensentscheidung rückgängig gemacht werden kann. Die Chancen der Globalisierung liegen demnach darin, die auf diese Weise geförderten Handlungsmöglichkeiten der Akteure und Institutionen konstruktiv aufzugreifen und zu nutzen. Auch und gerade die Kritiker der Globalisierung müssten ein Interesse daran haben, dass noch nichts entschieden ist.