Nokia oder: Being Very Human



Sehr Menschlich Sein“ – so lautet, in Großbuchstaben, ein Leitbild auf der Homepage von Nokia. Es gehe darum, menschlich zu sein, Dinge einfach zu machen, sich zu kümmern. An anderer Stelle: „Unsere Programme zur Unternehmensverantwortung reflektieren ein gestiegenes Interesse an den Auswirkungen der Handlungen unseres Unternehmens für Kommunen aus einer gesellschaftlichen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Perspektive.“ Für die Beschäftigten, die derzeit um ihre Arbeitsplätze fürchten, müssen diese Worte sarkastisch klingen. Vielleicht gibt es sie deshalb auf der Internetseite nicht auf Deutsch.

Die herzlose Pressekonferenz, auf der Konzernvorstand Veli Sundbäck die Schließung des Bochumer Standorts verkündete, hatte mit den hehren Absichtserklärungen im Internet nicht viel zu tun. Allerdings sollte man Unternehmensleitbilder auch nicht allzu ernst nehmen. Sie sind ein Bestandteil der Unternehmenskommunikation und sollen Wohlgefühl vermitteln. Ein börsennotiertes Unternehmen, das sich wirklich um das kommunale Leben kümmert, muss erst noch erfunden werden.

Gleichwohl hinterlassen auch die Brandreden aus der Politik einen merkwürdigen Eindruck. Als wäre es das erste Mal, dass ein Unternehmen investiert, Subventionen in Anspruch nimmt und irgendwann den Standort verkleinert oder schließt. Als hätten BenQ, Motorola, Opel, Samsung oder die Allianz nicht schon ähnliche Entscheidungen getroffen, aus ähnlichen Motiven, auch ohne unmittelbare wirtschaftliche Not. Gesellschaftlicher und politischer Druck sind notwendige Mittel bei der Verhandlung von Abfindungen und Sozialplänen, sie bringen aber die Jobs nicht zurück. Und wenn Nokia morgen an einem anderen Ort in Deutschland anklopft, wird der örtliche Bürgermeister das Unternehmen wieder herzlich begrüßen. Ist die Politik wirklich weniger heuchlerisch als die ethischen Leitbilder großer Unternehmen?

Erstaunlich ist hingegen, dass im Zeitalter der globalen Wertschöpfungskette noch immer kein Verfahren gefunden wurde, mit bestehenden Interessenkonflikten zwischen Arbeit und Kapital umzugehen: dass die Höhe der Abfindungen mit einer Rede des Ministerpräsidenten vor dem Werkstor und Solidaritätsadressen erstritten werden muss; dass es bei Massenentlassungen keine Ausgleichszahlung des Unternehmens an die Kommune für den wirtschaftlichen Verlust gibt; und dass der Subventionswettbewerb in dieser Form stattfinden kann.

Regeln für den Interessenausgleich sind das eine, die Hoffnung der Belegschaften auf sichere Arbeitsplätze das andere. Nur höhere Verlagerungskosten könnten das Unternehmenskarussell verlangsamen, doch davor schreckt jeder Standort aus guten Gründen zurück. Daher wird man letztlich mit den Konsequenzen leben lernen müssen, die aus der gewachsenen Unsicherheit in der globalisierten Wirtschaft resultiert. Mittlerweile gesteht die OECD ein, dass die Globalisierung auch in Ländern, die prinzipiell von ihr profitieren, Verlierer unter den Geringqualifizierten schafft.

Aus den Vereinigten Staaten wissen wir, dass Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz aufgrund von Verlagerungen verlieren, immer häufiger beim nächsten Job Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Der Wiedereinstieg nach dem Arbeitsplatzverlust fällt also nicht nur in Deutschland sehr schwer. Transfergesellschaften haben oft geringe Erfolgsquoten, so dass für viele nur die Frühverrentung bleibt: „Disconnecting people“, um ein weiteres Nokia-Motto zu variieren. Für einen erfolgreichen Strukturwandel gibt es also noch kein Patentrezept. Wenn Nokia Verantwortung übernehmen will, sollte es sich um die Beschäftigungsperspektiven seiner Mitarbeiter kümmern. Aus eigenem Antrieb. Das wäre dann tatsächlich „very human“.

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