Ohne Freiheit ist alles nichts



Freiheit ist und bleibt das große Versprechen der sozialdemokratischen Bewegungen überall auf der Welt. So ist es kein Zufall, dass Freiheit am Anfang des Grundwertekanons der deutschen Sozialdemokratie steht. Sie muss immer der verpflichtende Maßstab unseres Handelns bleiben, wenn wir auch unter den Bedingungen des ständigen Wandels im 21. Jahrhundert an die große Geschichte der Sozialdemokratie als Freiheits- und Emanzipationsbewegung anknüpfen wollen.

Freiheit ist auch immer die Freiheit des Andersdenkenden. Deshalb ringen wir im politischen und gesellschaftlichen Diskurs unserer Demokratie mit anderen, ebenso legitimen Auffassungen. Doch die Freiheit von der wir Sozialdemokraten sprechen, ist nicht die Freiheit, die etwa ein Guido Westerwelle im Sinn hat. Denn wir haben uns seit jeher verwahrt gegen die liberalistische „Freiheit, unter der Brücke zu schlafen“. Solche Freiheit ist nur Freiheit für wenige. Diesem verkürzten, hochgradig exklusiven Verständnis setzen wir eine sozialdemokratische Vision entgegen, die gerade all diejenigen einbezieht, die am Rande der Gesellschaft stehen und von allen anderen politischen Kräften längst abgeschrieben wurden.

Freiheit kann man nicht ohne Gerechtigkeit und Solidarität denken. Ohne Gerechtigkeit können nur diejenigen sich und ihre Potenziale entfalten, die es sich leisten können. Ohne Solidarität, ohne dass wir als Menschen füreinander einstehen und einander helfen, ist kein menschenwürdiges Leben für jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft möglich. Das Ziel politischen Handelns ist in diesem Sinne, dass das Leben für alle Menschen, für jeden einzelnen in seiner unveräußerlichen Individualität offen ist. Die Lebenschancen in unserer Gesellschaft sollen eben nicht vorherbestimmt sein durch Herkunft, Einkommen, Religion, Geschlecht oder Hautfarbe, unabhängig von den eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Träumen. Da hilft der Staat – entgegen Angela Merkels Beschwörungen – nicht als Zaungast und schon gar nicht als Zaun. Hier muss er aktiv werden, wie etwa mit einem umfassenden Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung oder durch einen effektiven und gerechten Sozialstaat, der verschüttete Potenziale aktiviert.

Weit über das Berliner Programm hinaus!

Zur Freiheit gehört zwingend die negative Freiheit: die Freiheit von Unterdrückung, Zwang und Angst. Wie notwendig die negative Freiheit ist, führen uns der transnational operierende Terrorismus und rassistische Übergriffe in unserem Land deutlich vor Augen. Zu ihr gehört auch die Freiheit von Not und Armut. Die negative Freiheit ist die Grundlage. Doch sie reicht nicht aus. Denn Freiheit umfasst gerade auch positive Freiheit, also die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und die eigenen Lebenschancen wahrnehmen und verwirklichen zu können. Hier muss das neue Grundsatzprogramm weit über das Berliner Programm hinausgehen und den Grundwert der Freiheit deutlich stärker betonen.

Wir müssen der sozialdemokratischen Erzählung ein neues Kapitel hinzuzufügen – durch unsere Programmarbeit, aber auch durch unsere praktische Politik. Dieses Kapitel muss davon handeln, die Menschen zu stärken und ihnen bislang verschlossene Wege zu öffnen, damit sie ihre verbürgten Freiheitsrechte auch tatsächlich wahrnehmen können.

Abschied von Liebgewonnenem

Dabei sollten wir uns an Willy Brandts berühmten Satz aus dem Jahre 1992 erinnern: „Darum besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“ Das kann auch bedeuten, sich von Liebgewonnenem zu verabschieden. Schließlich sind nicht die Instrumente entscheidend, sondern die Ziele. Der vorsorgende Sozialstaat der Zukunft muss daran gemessen werden, welchen Freiheitsgewinn er den Menschen bietet, nicht daran, wie viele Milliarden Euro er umverteilt. Unser Ziel darf es eben nicht sein, das Elend zu alimentieren, sondern Menschen vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen und ihnen neuen Mut, neue Mittel und neue Kraft für ein selbstbestimmtes Leben zu geben.

Bei alledem gilt zugleich eindeutig, dass Verantwortung das Unterpfand der Freiheit ist. So trivial es klingt: Wer Rechte hat, hat auch Pflichten – gegenüber sich selbst und der Gemeinschaft. „Frage nicht zuerst, was Dein Land für Dich tun kann, frage, was Du für Dein Land tun kannst“ – so viel Pathos mag für deutsche Ohren ungewohnt klingen, aber dieser Satz John F. Kennedys hat auch heute bei uns seine uneingeschränkte Berechtigung. Nur wo jeder bereit ist, von seiner Freiheit verantwortlich Gebrauch zu machen und seinen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten, ist die Freiheit aller gesichert. Denn Freiheit ist nicht alles, doch ohne Freiheit ist alles nichts.

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