Portugals stabile Minderheitsregierung - ein Vorbild?
Wenn es um die iberische Halbinsel geht, haben deutsche Sozialdemokraten meistens nur Spanien im Blick, wo die Linke bei der vergangenen Parlamentswahl erneut die Mehrheit verfehlt hat. Doch fast unbemerkt hat sich in Portugal eine stabile sozialdemokratische Minderheitsregierung gebildet. Handelt es sich um ein Modell für die Regierungsbildung in Deutschland 2017?
Im November 2015 wurde der Parteichef der Partido Socialista (PS), António Costa, zum neuen portugiesischen Ministerpräsidenten ernannt. Er löste Pedro Passos Coelho ab, dessen Regierung per Misstrauensvotum gestürzt worden war, nachdem sie bei den Parlamentswahlen im Oktober die Mehrheit verloren hatte. Costa bildete daraufhin ein Minderheitskabinett der Sozialisten, das die Unterstützung des neo-marxistischen Linksblocks und der orthodoxen Kommunisten erhielt. Die Parteien eint das Ziel, die Sparpolitik im Land zu lockern und den Spielraum für wachstumsorientierte Maßnahmen auszuweiten.
Einen ersten Erfolg hat die sozialistische Minderheitsregierung mit dem Haushalt für 2016 zu verbuchen, der eine Abkehr vom lange Jahre rigiden Sparkurs einleitet: Der Mindestlohn wurde erhöht und die Mehrwertsteuer für Restaurants von 23 auf 13 Prozent gesenkt. Die Strafe folgte auf dem Fuß: Angela Merkel lobte beim Besuch des neuen Regierungschefs in Berlin markant die Politik seines Vorgängers. Portugal galt unter Coelho als Musterknabe unter den südlichen Interventionsländern.
Das Kabinett Costa ist eine der wenigen sozialdemokratisch geführten Regierungen in Europa und in der Geschichte der Demokratie Portugals ein Novum. Erstmals gelang es, aus einer rechnerischen Mehrheit der Linken im Parlament ein stabiles politisches Bündnis zu formen. Die radikalen linken Parteien gingen dabei keine Koalition mit der PS ein, sondern unterschrieben Verträge über die Bildung eines parlamentarischen Bündnisses zur Stützung einer PS-Minderheitsregierung.
Linke Mehrheiten existierten bereits in den Jahren 1995, 1999 und 2009. Diese PS-Minderheitsregierungen waren jedoch auf wechselnde Mehrheiten angewiesen und mussten in den meisten Fällen Kompromisse mit den Konservativen suchen. Darum waren diese Regierungen instabil, was das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierungsfähigkeit der Sozialisten unterminierte. Die Ursache für die fragilen Verhältnisse lag auch darin, dass sich die radikalen Linken weigerten, Verantwortung zu übernehmen. KP und Linksblock übten lange Zeit Fundamentalkritik, besonders an den Sozialisten, und das bis in den Wahlkampf 2015 hinein. Das erinnert an die Beziehung zwischen der Linkspartei und der SPD in Deutschland.
Die Kommunisten und Linksblockler änderten ihre Haltung nicht zuletzt aufgrund des Drucks ihrer Basis, die eine weitere Amtszeit der konservativen Regierung verhindern wollte. Auch war der Wunsch groß, schmerzhafte Sozialeinschnitte zurückzunehmen. Für die Sozialisten war das Linksbündnis die einzige Möglichkeit, eine von ihnen geführte Regierung zu bilden. Damit verbunden war die Einsicht, dass ihre Wähler die Tolerierung einer konservativen Regierung oder gar den Beitritt in eine Rechts-Regierung als Juniorpartner nicht akzeptiert hätten. Eine Große Koalition hatte es in Portugal bislang nur einmal gegeben (1983–1985), und sie war für die Sozialisten ein politisches Desaster. Hinzu kam, dass Costa positive Erfahrungen mit linken Bündnissen als Bürgermeister von Lissabon hat: 2007 wurde er gestützt von einem linken Bündnis zum Bürgermeister gewählt.
Strittige Themen werden ausgeklammert
Im Wahlkampf 2015 betonten die Sozialisten stets, das Ziel sei die absolute Mehrheit. Eine eindeutige Aussage über mögliche Bündnisse wurde nicht gemacht. Costa gab jedoch wiederholt zu Protokoll, keine Koalition mit den Konservativen eingehen zu wollen. Beim Kongress der Sozialisten im November 2014 stellte er außerdem klar, dass man es den Parteien der radikalen Linken nicht erlauben dürfe, „in ihrer bequemen Position des reinen Protests zu verharren“. Diese Aussagen waren ein klares Signal für Costas Bereitschaft, ein linkes Bündnis zu wagen. Zugleich forderte er die radikalen Linken und Kommunisten damit heraus, sich von ihren Fundamentalpositionen wegzubewegen.
In den Abkommen der Sozialisten mit KP und Linksblock wurden die strittigen Themen wie EU, Euro, Nato und Militäreinsätze zwar ausgeklammert. Mit ihrer Zustimmung zur Regierungsbildung und der Billigung des Haushalts 2016 gaben KP und Linksblock allerdings implizit ihr Plazet zu diesen Bereichen. Die internationalen Verträge und Vereinbarungen, einschließlich des europäischen Stabilitätspakts, wurden nicht infrage gestellt!
Trotz mancher wirtschaftlicher Probleme ist die politische Lage unerwartet stabil. Bislang hält das Regierungsbündnis den Anforderungen stand. Beispielsweise geht der im Januar gewählte liberal-konservative Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa mit der Regierung betont solidarisch um.
Die Sozialdemokraten wirken gestärkt
Neben der wachsenden Zustimmung und inneren Geschlossenheit bei den Sozialisten profitiert auch der Linksblock von dem Bündnis: Deren Kandidatin erhielt bei den Präsidentschaftswahlen ein hervorragendes Ergebnis von zehn Prozent. Die Verlierer dieser Politik sind die Rechten, deren Bündnis kurz nach den Wahlen auseinanderbrach. Noch schwieriger könnte es aber für die KP werden, deren Wähler bei Präsidentschaftswahlen in der Regel den kommunistischen Kandidaten wählen. Im Januar 2016 versagte diese Disziplin; ihr Kandidat erhielt nur drei Prozent. Die Kommunisten, die die zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion überraschend gut überstanden, könnten in dem linken Bündnis dramatisch an Boden verlieren.
Wie geht es weiter? Wirtschaftliche und finanzielle Probleme könnten den Spielraum der Regierung so einschränken, dass das Bündnis nicht bestehen kann. Schwierigkeiten könnten auch von der Eurogruppe drohen, etwa wenn Sanktionen für die Rücknahme der Sparpolitik verhängt würden. Scheitert die Regierung, muss das jedoch keineswegs das Ende jeglicher linker Bündnisse oder eine Krise der Sozialisten bedeuten. Es könnte der PS durchaus gelingen, bei vorzeitigen Wahlen Stimmen hinzuzugewinnen. Ähnliches gilt für den Linksblock. Bündnisse zwischen der PS und einem erstarkten Linksblock sind mittelfristig vorstellbar, eventuell sogar in Form von Regierungskoalitionen. Dabei gibt es bislang keine Anzeichen dafür, dass der Linksblock die Führungsrolle der PS infrage stellen könnte. Die Situation ist somit anders als in Spanien oder Griechenland, wo die traditionellen sozialdemokratischen Parteien von neuen linken Formationen eingeholt oder verdrängt wurden.
Die portugiesische Erfahrung zeigt, dass ein linkes Bündnis möglich ist, wenn Sozialdemokraten sowie radikale Linke bestehende Chancen entschlossen nutzen. Ein deutscher Journalist schrieb kürzlich, dass die Bündnispartner in Portugal erst einmal über ihre eigenen Schatten springen mussten, bevor sie den großen Sprung in eine neue Ära schafften. Ob dies in Deutschland möglich ist, hängt mehr denn je von der Reformfähigkeit der Linkspartei ab. Das ist keine wirklich neue Erkenntnis – aber Portugal zeigt, dass nichts unmöglich ist.