Rettet unsere Seelen!

Renate Schmidt warnt, dass unsere Gesellschaft ohne vernünftige Kinder- und Familienpolitik Schiffbruch erleiden wird

Beruf und Familie zu vereinbaren ist bis heute das Problem der Mütter, und es wird so bleiben, wenn sich nichts ändert. Wir brauchen eine familienpolitische Revolution!" Renate Schmidt leistet mit ihrem neuesten Werk S.O.S. Familie einen bemerkenswerten Beitrag zur Diskussion um die Familienpolitik in Deutschland. Und es wird Zeit. Das Thema stand in den vergangenen Monaten nicht nur aus Wahlkampfgründen ganz oben auf der Tagesordnung: Demografischer Wandel, Bundesverfassungsgerichtsurteil, veränderte gesellschaftliche Realitäten und die Wiederentdeckung von Werten weisen eine neue Richtung.


Die Debatte wird noch immer von Gegensätzen bestimmt: So sehen die einen vor allem die "heile Familie", um die sich Politik kümmern müsse. Demgegenüber steht eine Politik, die sich vor allem "Familien in besonderen Lebenslagen" widmet, zum Beispiel den Alleinerziehenden. Eine dritte Gruppe schließlich beschreibt Familie "als Ort der Repression und Gewalt", an dem Selbstbestimmung und Persönlichkeitsentfaltung keinen Raum fänden. Solche einengenden Sichtweisen seien für die Diskussion wenig hilfreich, findet Renate Schmidt.


Die Autorin führt die Debatte heraus aus den alten Schemata von Links gegen Rechts oder Progressiv gegen Konservativ. Wer von der "Familie" spricht, redet über den privatesten Bereich von Menschen - und der wird sich nicht grünen, sozial-, frei- oder christdemokratischen Leitbildern anpassen. Es muss deshalb darum gehen, einen vernünftigen Rahmen zu bieten, in dem verschiedengestaltige Familien sich entfalten können und das Gefühl von Sicherheit haben. Familien müssen endlich auch signalisiert bekommen, dass die Gesellschaft sie als Familien braucht - und nicht nur dafür, den "demografischen Faktor" wieder zurechtzurücken. Auch hier bietet Renate Schmidt Vorschläge für eine (beliebig fortzusetzende) "Liste guter Ideen zur Familienfreundlichkeit".

Sehnsucht nach Liebe und Sicherheit

Die Jugend scheint es vorzumachen. Allen Unkenrufen zum Trotz (und die gibt es seit 200 Jahren): Familie ist wieder in. Umfragen des Deutschen Jugendinstituts und die neueste Shell-Studie zeigen einen deutlichen Trend hin zur Familie. 80 Prozent der Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren stufen die Familie als wichtig ein; 75 Prozent wünschen sich Partnerschaft und eigene Kinder - wohlgemerkt: im Plural! Auf gleicher Höhe steht der Wunsch nach einem ausfüllenden Beruf. Auch andere Befragungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen und lassen eine Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit, Vertrauen und Sicherheit bei einem Großteil der Jugendlichen deutlich werden. Junge Frauen betonen zudem den Stellenwert von Gleichberechtigung und Arbeitsteilung.


Wie muss nun aber Familienpolitik aussehen, damit sich nicht ein paar Jahre später "die Lebensmodelle ‚Familie‘ und ‚Karriere im Beruf‘ nahezu unversöhnlich gegenüber [stehen]"? Renate Schmidt legt ihren Überlegungen einige grundsätzliche Leitgedanken zugrunde: "Familienpolitik darf kein Anhängsel anderer Politikfelder sein", sondern muss in der Mitte der Gesellschaftspolitik siedeln; im Zentrum von Familienpolitik müssen die "Kinder und Bedürfnisse ihrer Eltern stehen"; Männer und Frauen brauchen die richtigen Rahmenbedingungen - aber keine Vorschriften, wie sie zu leben haben. Die Gesellschaft profitiert von Vielfalt und sollte sich vor ihr nicht fürchten. Die notwendige Mentalitätsveränderung in dem Sinne, "dass Kindern Priorität gebührt", weil Kinder unsere Zukunft sind, hat viele immer noch nicht erreicht.


Vor diesem Hintergrund benennt Schmidt drei Säulen einer erfolgreichen Familienpolitik: Erstens, die Lebensqualität der Familien. Dazu gehören etwa Wohnen, Spielen, Verkehr und Umwelt. Zweitens, ein gerechter Familienlasten- und Familienleistungsausgleich. Und schließlich, drittens, die wohl wichtigste Säule, "ein qualitativ gutes und quantitativ den tatsächlichen Bedarf deckendes und den Bedürfnissen der Kinder entsprechendes Angebot an Betreuungseinrichtungen".

Für Fußballstadien ist genug Geld da

Dass all dies Geld kostet, vermutlich viel davon, verschweigt Renate Schmidt nicht. Aber das muss es unserer Gesellschaft wert sein. Wir haben Geld für neue Fußballstadien, Kreisverkehre und Fußgängerzonen, "wieso nicht für das Wichtigste, was wir haben - unsere Kinder?" Unsere europäischen Nachbarn machen es uns seit Jahren vor, und manche haben weniger Geld als wir. "Nie hatten Familien eine wirkliche Lobby, immer wieder traf es Familien, wenn gespart werden musste", schreibt Renate Schmidt. Sie sieht den Grund dafür nicht zuletzt in einer Politik, geprägt von Männern, die kaum auf Erfahrungen in Sachen Erziehung zurückgreifen können.


"Zuverlässigkeit, Vertrauen, ein überschaubarer Ort: All das verkörpert Familie." Und all das brauchen Erwachsene wie Kinder gleichermaßen. Auch heute noch - und in globalisierten Zeiten wie diesen vielleicht sogar mehr denn je. Ziel einer fortschrittlichen Politik muss sein, Familien zu unterstützen, ihnen Sicherheit zu geben und ihnen die Bedeutung zuzumessen, die ihnen gebührt. Deutschland braucht diesen Mentalitätswandel.


Renate Schmidts Buch ist geschrieben von einer dreifachen Mutter, die weiß wovon sie spricht. Die Offenheit in Ihrem Vorwort, die farbige Beschreibung ihres Mutterwerdens, die dem Leser so vertrauten Geschichten aus dem Schmidtschen Familienleben zwischen Oma, Opa, Beruf und Haushalt ermöglichen ein rundes Bild, das Einblicke zulässt. Ein ehrliches Buch - und deshalb lesenwert.

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