Strömungsfeste: Spargel, Döner, Stallgeruch
Los geht′s Ende Mai. Spargelzeit ist Seeheimzeit. Wenn man so will, ist die Spargelfahrt die etablierteste und aufgrund der Spargelsaison auch die erste in der Reihe der Sommer-Veranstaltungen. Waren zu Bonner Zeiten fast nur Abgeordnete zu dieser Fahrt geladen, wird nun in Berlin ein größeres Schiff gechartert, und Journalisten, Mitarbeiter und Lobbyisten dürfen teilnehmen. Die Veranstaltung gibt es seit 1961. Damals schipperte man auf dem Rhein. Seitdem die "Kanalarbeiter" (Freunde sauberer Verhältnisse) 1982 im neuen Seeheimer Kreis aufgingen, ist es die "Seeheimer" Spargelfahrt.
Der Ablauf folgt einem bewährten Muster: Die Fraktionssitzung schließt an diesem Tag eher (ein Privileg der alteingesessenen Strömungen Seeheim und PL), um rechtzeitig die bereits wartenden Busse zum Schiffsanleger am Wannsee zu füllen. Trotz eines nicht ganz unerheblichen Teilnehmerbeitrags von 40 Euro gibt es regelmäßig mehr Interessenten als Plätze. Das mittlerweile größte Ausflugsschiff auf Berliner Gewässern, die MS La Paloma der Stern-und-Kreis-Reederei, lässt den Zustieg von 600 Personen zu. Jede und jeder wird persönlich an Bord begrüßt. Du und der Gastgeber. Being part of it! Man trägt Kleid, Anzug und elegantes Schuhwerk. Ein SPD-Traditionsanstecker aus Kurt-Schumacher-Zeiten dient als Zugehörigkeitsbekenntnis. Die Promi-Dichte fällt auf. Ein liebevoll erstelltes Heftchen listet alle Mitreisenden auf: die Stones, Münte, Nahles, Gabriel sind dabei. Embedded journalists und die brandenburgische Spargelkönigin sowieso. Gesine Schwan flaniert durch die Reihen, und jeder möchte mir ihr reden, sie umarmen, ihr danken für ihren tapferen Kampf ums höchste Amt im Staate. Die Wichtigkeit dieses Festes zeigt sich auch am mitfahrenden Polizeiboot. Hier fühlen wir uns sicher, aber hallo!
Immer das gleiche Essen
Wir passieren die Glienicker Brücke, wo einst die Agenten zwischen Ost und West ausgetauscht wurden. Zum perfekt weichgekochten Spargel wird Wein gereicht. Die 40 Euro haben ihren Grund. Ansprachen der Gastgeber und der Parteiführung geben Rahmen und Richtung. Die Botschaften überraschen niemanden:Erstens, die SPD ist auf dem Weg nach oben! Zweitens, die Seeheimer unterstützen diesen Weg! Drittens, guten Appetit! So gehört das. Es gibt immer das gleiche Essen und immer die gleichen Reden. Schließlich sitzen wir Sozis alle im gleichen Boot.
Szenenwechsel. Die jährliche Wanderung der Parlamentarischen Linken beginnt wie die Spargelfahrt: verkürzte Fraktionssitzung, gecharterte Busse, Abfahrt um 18 Uhr am Reichstag. Die Unterschiede im Ablauf allerdings sind programmatisch: Steht bei Seeheim das gesellige Miteinander im Zentrum, geht es der PL um mehr. Es braucht körperliche Ertüchtigung und geistige Kost. Der Unkostenbeitrag ist halb so hoch wie bei den Seeheimern, Abgeordnete zahlen etwas mehr. Jedes Jahr wird ein neues Ziel angesteuert: Hauptsache draußen, grün und wanderbar!
Wo der Fremde gemustert wird
In diesem Jahr geht es in den Treptower Park im Ostteil der Hauptstadt. Nachdem sich die Gruppe zwischen den Bussen und dem massiven Eingangsportal versammelt hat, hält der Sprecher der Linken eine kurze Ansprache und begrüßt zusammen mit Kajo Wasserhövel (dem Bundestagskandidaten für Treptow-Köpenick) alle Anwesenden mithilfe eines original-demotauglichen Megafons. Das gibt nach fünf Minuten den Geist auf. Macht aber nix. Die Stimmung ist entspannt, wenn auch etwas ernster und andächtiger als bei Seeheim. Ein Anzug wäre nicht unbedingt erforderlich gewesen.
Man kennt sich untereinander, und wer als strömungspolitisch Fremder zum ersten Mal dabei ist, wird erkannt, gemustert und angesprochen: "Was machst Du denn hier?"Dann geht es los: Sprecher und Kandidat ziehen mit erhobenem Regenschirm vorneweg, es folgen gut 150 Wanderfreunde dem Weg zum Ziel. Das ist diesmal das sowjetische Weltkriegs-Ehrenmal. Wir stehen inmitten einer beeindruckend großen Gedenk- und Grabstätte für die bei der Schlacht um Berlin gefallenen sowjetischen Soldaten.
Nach kurzem Verweilen in der Abendsonne geht es zurück zu den Bussen und weiter in den Nachbarbezirk, wo uns Bundestagskandidat Björn Böhning im Umspannwerk Kreuzberg begrüßt. Die Parteispitze ist mit Vorsitzendem, Stellvertreterin und Kanzlerkandidat präsent. Vor dem Essen - wie bei Seeheim: Reden. Wer es so lang nicht aushält, kann sich im Garten einen lokaltypischen Dönerteller zubereiten lassen. Das kommt gut an.
Nach zwei Dönertellern, einem Buffetrundgang und einigen Gläsern Bier ziehen wir eine Zwischenbilanz: Obwohl die Linken die stärkste Strömung in der Fraktion stellen, kommen viel weniger Leute als zur Spargelfahrt. Und wenn man einen Regenschirm mitnimmt, regnet es nicht.
Den letzten Donnerstag vor der Sommerpause nutzen
- mittlerweile auch schon traditionell- die Netzwerker für den Sommerumtrunk auf Einladung dieser Zeitschrift. Der ursprüngliche Anspruch der jüngsten Fraktionsströmung, nicht nur Abgeordnete zu organisieren, wird auch an diesem Abend wieder erfüllt. Weil in der letzten Sitzungswoche dieser Wahlperiode noch viele Namentliche Abstimmungen auf der Tagesordnung stehen, wird die ersten Stunden erst einmal ohne die Parlamentarier gefeiert.
Man trifft sich im Pavillon im Volkspark Friedrichshain. Tanzfläche drinnen; Bar, Grill, Bierzeltgarnituren draußen. Knapp 200 Leute erleben einen lauen, kurz von heftigem Regen unterbrochenen Abend. Die vorangegangenen Feste der Woche stecken manchem Gast sichtlich in den Knochen. Kolleginnen und Kollegen, die zwei Tage zuvor auf dem SPD-Fraktionsfest mit Peter Struck, den Bläck Fööss und jeder Menge Kölsch locker bis ein Uhr morgens durchgehalten haben, um dann noch auf einen mehrstündigen Longdrink abzusacken, schaffen hier nur ein Bier und ein Steak.
Der Einladungsverteiler ist ein anderer: Abonnenten und Freunde der Berliner Republik sind geladen, Herausgeber und Sympathisanten. Gegen Mitternacht wird es dann schlagartig noch einmal richtig voll. Die letzte "Namentliche" ist vorbei, die Abgeordneten kommen. Einige zum letzten Mal. Das drückt die Stimmung. Zumindest ein bisschen. Vom Parteivorstand kommt der Generalsekretär, von der Regierung der Arbeitsminister, von der Fraktion der Parlamentarische Geschäftsführer. Keine Promi-Dichte wie bei den anderen.
Hier ist nicht die große Bühne, hier sind die kleinen, netten Gespräche. Keine großen Reden, dafür Tanz und Cuba Libre. Viel SPD, wenig Tamtam. Am Ende war es der längste Abend unserer Sommerfeste-Tour. Und irgendwie der mit dem meisten Stallgeruch.