Schafft die obligatorischen Vaterferien!
„Mittwochnachmittag gehört Papi mir“ – so könnte der neue SPD-Slogan lauten. Prominente Politiker wie Sigmar Gabriel und Jörg Asmussen machen öffentlich klar: Wir sind nicht nur Diener des Staates, sondern auch Väter. Dem beruflichen Omnipräsenz-Prinzip erteilen sie eine klare Absage. Zugleich wurde in vielen hämischen Pressekommentaren deutlich, wie schwer es immer noch ist, diesen Anspruch öffentlich zu formulieren. Dennoch: Die Debatte über die Vereinbarkeit von Vatersein und Beruf ist auf einem Höhepunkt angelangt und eröffnet ein neues Zeitfenster für progressive familienpolitische Vorschläge. Wir möchten darum eine Idee in die deutsche Debatte einbringen, die auf die Väter abzielt, aber gleichzeitig die Mütter im Blick hat: die obligatorische Väterzeit. Sie könnte beiden Elternteilen geben, was ihnen noch fehlt – den Männern Zeit für ihre Familie und den Frauen gerechtere Chancen auf eine eigene Karriere.
Vereinbarkeit als Männerproblem
Das Vatersein bedeutet heute etwas anderes als noch vor fünfzig Jahren, ja sogar noch vor fünf Jahren. Nachdem jahrzehntelang die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als reines Frauenproblem galt, fordern Väter immer stärker ihr Recht ein, aktive Väter sein zu dürfen. Das Vereinbarkeitsproblem ist bei den Männern angekommen, gleichzeitig existieren traditionelle Rollenmuster fort, insbesondere am Arbeitsmarkt, der den „ganzen Mann“ fordert. Der Soziologe Carsten Wippermann hat Männer aus allen Milieus in Deutschland befragt, um ihre Einstellungsmuster zu Geschlechterrollen zu erheben. Er konstatiert 32 Prozent „moderne Männer“. Sie wollen keine Frau, die sich unterordnet und eine typische „Frauenrolle“ einnimmt und können der Rolle des Alleinernährers wenig abgewinnen. Volker Baisch, Begründer der Väter gGmbH und ein Pionier der Väterberatung in Deutschland, hat Väter befragen lassen und festgestellt: 91,5 Prozent wollen auch unter der Woche Zeit mit ihrer Familie verbringen. Das Leitbild ist also nicht mehr der klassische Wochenend-Papa. Kinder bedeuten auch für Väter Sinnstiftung. Und das dritte Update der Studie „Frauen auf dem Sprung“ des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung ergibt, dass 76 Prozent der jungen Männer keine Alleinernährer sein wollen. Vielen von ihnen dürfte jedoch nicht klar sein, dass damit auch Aufgaben in der Familie verbunden sind.
Im Jahr 2007 hat die schwarz-rote Koalition das Elterngeld mit den Partnermonaten eingeführt. Die Erfolge sind offensichtlich. Rund 40 Prozent der Mütter mit Kindern im Alter zwischen eins und zwei sind inzwischen erwerbstätig. Das konservative Familienbild befindet sich auf dem Rückzug. Auch die Männer haben sich bewegt: Für Kinder, die im Jahr 2011 geboren wurden, liegt die Quote der „Elterngeld-Väter“ bei 27,3 Prozent. Wenn mehr als ein Viertel aller Väter inzwischen eine Auszeit nehmen, um sich ganztags um ihr Baby zu kümmern, markiert das einen Kulturwandel. Väter sind öffentlich als Väter sichtbar, im Straßenbild, im Büro und in der Werkhalle. Die gesellschaftliche Anerkennung, die ihnen zuteil wird, ermutigt zögernde Väter, es ihnen nachzutun.
Gleichzeitig bedeuten die Zahlen aber auch, dass drei Viertel aller Väter überhaupt keine Auszeit nehmen, wenn ihre Kinder geboren werden, also weitermachen wie bisher. Nur jede zehnte Mutter nimmt weniger als 12 Monate Elternzeit. Von einer paritätischen Aufteilung der Erziehungsarbeit sind wir also nach wie vor weit entfernt. Und nach der Elternzeit schnappt auch bei vielen zunächst gleichberechtigten Paaren die „Traditionalisierungsfalle“ zu.
Ein hoher Prozentsatz der Väter arbeitet nach der Geburt des ersten Kindes länger als vorher. Das Männerbild ist eben noch immer erwerbszentriert. Im Kopf haben sich einige Männer durchaus verändert, im Alltag jedoch nicht. Zumindest nicht, was die Häufigkeit des Windelwechselns, der zuhause verbrachten Kinderkrankheitstage und die Zahl der reduzierten Arbeitsstunden angeht. Bislang teilen sich nur 5,7 Prozent der Männer konsequent Kinderbetreuung und Haushalt mit ihren Partnerinnen. In der entscheidenden Phase, in der „Rushhour der Erwerbsbiografie“, sind es sogar nur 3,3 Prozent. Steht der Praxistest an, beruflich für die Familie zurückzustecken, siegt zumeist die Befürchtung, Chef und Kollegen könnten mit Unverständnis reagieren. Häufig gilt für Männer weiterhin: Passt ein Kind nicht in die Karriereplanung – Pech fürs Kind!
Die Väter warten ab. Worauf eigentlich?
Die Frauen tragen den Großteil der negativen Konsequenzen, wenn sich ein Paar für Kinder entschieden hat. Die Frage, wie sich die Familie in die Karriereplanung fügt, beantworten sie meist andersherum als die Männer. Passt das Kind nicht in die Karriereplanung – Pech für die Karriere! Das damit verbundene Ausfallrisiko macht einen riesigen Unterschied für die berufliche Entwicklung aus, denn in einer gewissen Altersspanne wird jede Frau als potenzielle Mutter gesehen. Das Ausfallrisiko sitzt immer mit am Tisch – bei jedem Einstellungsgespräch, jedem Beförderungsgespräch, bei jeder Entscheidung über einen Antrag auf Fortbildung.
Es geht also nicht so richtig vorwärts mit der Väterbeteiligung. Die „modernen Männer“ haben das Königreich der aktiven Vaterschaft zwar betreten, aber bislang nur mit dem großen Zeh. Volker Baisch spricht von einem Moratorium. Die Väter – und die Mütter – warten ab. Worauf eigentlich?
Bislang ist das Elterngeld ein väterpolitischer Solitär in der Landschaft der familienpolitischen Leistungen. Für eine nachhaltige Familienpolitik, die auf eine gerechte Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen zielt, sind weitere Maßnahmen vonnöten. Denn die Entscheidung, welches Elternteil wie lange zu Hause bleibt, wird ja nicht alleine von zwei Personen am Küchentisch getroffen. Sie vollzieht sich innerhalb eines gesellschaftlichen Kontextes, der bestimmte individuelle Entscheidungen unterstützt und andere erschwert oder bestraft. Frauen, die aus dem Erwerbsleben aussteigen oder sich zumindest eine gewisse Auszeit nehmen, sind gesellschaftlich akzeptierter als Männer. Da Männer durchschnittlich mehr verdienen, gibt es zusätzliche finanzielle Anreize für ein bestimmtes Lebensmodell. Dieses Modell engt beide Geschlechter ein.
Zwangsauszeit für Männer
Wir schlagen ein Gedankenspiel vor. Was wäre, wenn Männer und Frauen das gleiche „Ausfallrisiko“ hätten? Würde das etwas ändern – sind schließlich nicht alle Männer auch potenzielle Väter? Ja, glaubt die französische Unternehmerin Laurence Parisot. Sie schlug 2011 vor, Männer für acht Wochen in einen obligatorischen Vaterschaftsurlaub zu schicken. Anders komme man in Sachen Gleichstellung einfach nicht voran. Der „Vaterschafts-Zwangsurlaub“ könne zum „entscheidenden Hebel werden, um die Einstellung gegenüber Frauen und Männern in Firmen und Haushalten zu ändern“. Parisot war damals Präsidentin des mächtigen französischen Unternehmerverbandes Medef. Sie prophezeite: Eine Zwangsauszeit für Väter werde die französische Gesellschaft genauso tief verändern wie einst die Einführung des Wahlrechts ab 18 Jahren. Das Instrument könnte die ins Stocken geratene Neuordnung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern wieder in Bewegung bringen. Sowohl die Ministerin für sozialen Zusammenhalt als auch der Arbeitsminister sprachen sich für die „Vaterferien“ aus, Gewerkschafter und Soziologen lobten die Idee.
Wir brauchen progressive Provokation
Uns erscheint es an der Zeit, auch in Deutschland die Debatte über die „Vaterferien“ zu eröffnen. Zum einen wären sie ein wichtiger Schritt, um die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz zu beenden. Damit würde Deutschland sowohl den völkerrechtlichen Vorgaben als auch der Erfüllung entsprechender EU-Richtlinien – besonders der Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Beschäftigungsfragen – ein großes Stück näher kommen.
Zum anderen würde eine solche Regelung eine gesetzliche Grundlage für Väter schaffen, die nach der Geburt des Kindes für die Familie da sein wollen. Zusätzlich könnte dieser kleine „Einstieg in den Ausstieg“ den Weg zu einer paritätischeren Aufteilung der Elterngeldmonate ebnen. Auch Kinder würden profitieren, indem sie mehr Zeit mit ihren Vätern verbringen und gleichzeitig eine gerechtere Aufteilung der Familien- und Erwerbsarbeit erleben.
Der obligatorische Vaterschaftsurlaub – eine Provokation? Absolut nicht durchsetzbar? Progressive Politik muss gedanklich immer einen Schritt voraus sein. Sie muss gesellschaftliche Realitäten mitgestalten, anstatt ihnen mit Maßnahmen nur hinterherzulaufen. Der SPD als Partei der Gleichstellung steht es gut zu Gesicht, von Zeit zu Zeit einen provokanten gleichstellungspolitischen Vorschlag einzubringen.
Eine Provokation war schon die Einführung des Elterngeldes mit den Vätermonaten zeitgleich zum massiven Ausbau der Betreuung für unter dreijährige Kinder. Deutschland verließ den Trampelpfad des Bismarckschen Sozialsystems, das auf dem Prinzip des männlichen Broterwerbers basiert und Familie als Privataufgabe definiert – zu leisten von der Mutter (mit dem Kind in der häuslichen Schutzzone). Das damalige Kreischen der Konservativen ist unvergessen, doch der „Krippenkrieg“ ist inzwischen gewonnen, der Kitaausbau und das Elterngeld sind gesellschaftlicher Konsens. Trotz vieler Errungenschaften moderner Familienpolitik der vergangenen Jahre ist der Zustand aber noch nicht erreicht, in dem Männer Zeit für Kinder haben und Frauen beruflich gleichgestellt sind. Es ist Zeit, die nächsten Schritte zu diskutieren.