Sozialdemokratie und Porno
W as kann man sich nach der Großen Koalition vorstellen? Eigentlich nicht viel. Und das ist vielleicht schon bemerkenswert genug. Eine andere Regierungskoalition? Ja, vielleicht Schwarz-Grün. Und das auch nur, weil es die einzige Variante ist, der man zumindest eine rechnerische Plausibilität zubilligt, ohne dass damit allerdings so etwas wie eine Idee oder gar ein „Projekt“ verbunden wäre. Eine Mitte-links-Regierung? Rot-Grün wird wohl kaum die nötige Mandatszahl zusammen bekommen, und dass Rot-Rot-Grün im Bund möglich wird, ist in den vergangenen zehn Jahren auch kaum wahrscheinlicher geworden.
So sieht das aus heutiger Sicht aus. Und auch wenn man sich ganz stark vor Augen hält, dass sich in der Politik ganz schnell ganz viel ändern kann – es gibt gerade keine allzu großen Anzeichen dafür.
Mehr Richtung links? Auch nicht gerade ein Erfolgsmodell
Das Grundproblem ist ohnehin, dass bis heute eigentlich ungeklärt ist, wie sich Mitte-links-Parteien in der EU positionieren sollen, wenn sie mehrheitsfähig sein wollen. Seit dem Zusammenbruch des letzten „Projekts“ – nennen wir es das Blairistisch-Schröderianische – ist ja nur klar geworden, dass eine solche Positionierung die eigene Anhängerschaft demoralisiert und damit die langfristige Mehrheitsfähigkeit untergräbt – und außerdem die eigentliche Aufgabe der Sozialdemokratie aufgibt, nämlich den Kapitalismus zu zähmen.
Aber was folgt aus dieser Erkenntnis? Darüber herrscht bis heute keine allzu große Klarheit. Mehr Richtung links? Mehr Richtung Traditionssozi? Nun, das ist auch nicht gerade ein Erfolgsmodell. Irgendeine Mischung aus Kernschichten-Sozialdemokratie plus Modernismus? Dem würde niemand widersprechen, aber wie genau soll das aussehen? Welches inhaltliche Mischungsverhältnis braucht es, welche Figuren dafür, an welchem Image sollten die Parteien arbeiten? Dafür gibt es noch immer kein Rezept.
Die Bürger wollen beispielsweise mehr soziale Gerechtigkeit, kaum jemand würde die derzeitige Einkommens- und Vermögensverteilung als fair bezeichnen. Aber wenn dann eine Partei, etwa wie die Grünen, ein Steuerkonzept vorlegt, das diese Verteilung korrigieren würde, dann wird sie an der Wahlurne abgestraft.
Nun kann man einwenden, eine solche Argumentation zielt auf die reinen Oberflächenphänomene von Politik ab: Welches Bild Parteien abgeben sollen, um die vielbeschworene Mitte der Gesellschaft zu gewinnen – wo es doch darauf ankäme, die politische Hegemonie zu gewinnen, indem man argumentativ die Mitte verändert. Aber eben auch dafür müsste man erst einmal wissen, was man eigentlich will. Vor allem bräuchte es dafür den Mut, zu dem zu stehen, was man eigentlich meint.
All das wird aber natürlich extrem erschwert durch den seltsamen Verdruss an der so genannten etablierten Politik, der sich bis in den Mainstream der Gesellschaft hineinfrisst. Die Bürger trauen der Politik nicht mehr allzu viel zu. Das delegitimiert die politischen Parteien und raubt ihnen Handlungsfähigkeit. Und diese verringerte Handlungsfähigkeit trägt ihrerseits wiederum zu weiterer Delegitimierung bei. Es ist ein wenig ein Teufelskreis, und den Königsweg daraus gibt es nicht.
Widersprüche unter einen Hut bringen – das ist der Trick
Erfolgreiche Mitte-links-Politiker sollen beispielsweise frisch und modern erscheinen und schon den Erfolg verkörpern, den diese Verkörperung dann im besten Falle nach sich zieht. Sie sollen aber gleichzeitig die Leute authentisch repräsentieren, die sich in der zeitgenössischen Erfolgskultur nicht mehr vertreten fühlen. Schon das ist eine Quadratur des Kreises.
Gewiss, die Quadratur des Kreises war immer das eigentliche Erfolgsgeheimnis einer Sozialdemokratie, die den Kapitalismus stets kritisierte – und ihn eben damit erst stabil und lebenstüchtig gemacht hat; einer Sozialdemokratie, die die kleinen Leute vertrat – und eben damit dazu beigetragen hat, dass diese kleinen Leute keine kleinen Leute mehr waren; einer Sozialdemokratie, die staatskritisch war – und eben dadurch zur zeitgemäßen Staatspartei wurde. Daran sieht man nicht nur, dass es in der DNA der Sozialdemokratie liegt, den Kreis zu quadratieren, sondern dass sie eben auch möglich ist: die Quadratur des Kreises. Wir Menschen sind ohnehin talentiert darin, Widersprüche erfolgreich unter einen Hut zu bringen – so wollen wir unsere Kinder umhätscheln, sie aber gleichzeitig auch flügge machen, was ja in der Regel ganz gut gelingt.
Vielleicht ist es mit einer zukunftsfähigen Sozialdemokratie so ähnlich wie mit Pornofilmen, über die ein kluger Mann einmal gesagt hat: Porno ist verdammt schwer zu definieren, aber wenn man ihn sieht, erkennt man ihn sofort.