Szaszlyk Saddam Hussein
Wer abends um Viertel vor neun am Berliner Ostbahnhof in den D-Zug nach Krakau steigt, der kann bereits vor Lübben im Spreewald im WARS-Wagen (dem polnischen Pendant zur DB-Mitropa) für vier Euro einen halben Liter Zywiec trinken oder für vier Zloty (etwa einen Euro) einen Hamburger ordern. Nichtraucherschilder dürfen in dem neonlichtdurchfluteten Bistrowagen getrost ignoriert werden. Kurz nach zehn erreicht man Cottbus, die polnische Servicekraft zieht die Gardinen zu und das Radio wechselt von RTL zu einem polnischen Sender, der aber ähnliche "Hits der Siebziger, Achtziger und beste Megahits aller Zeiten" spielt. Trotz erneuter Reform der Bahnpreise kostet der kurze Teil der deutschen Wegstrecke mehr als die Hälfte des Fahrpreises (insgesamt 44 Euro plus 14 Euro Liegewagenaufschlag). Ein Vorteil der frühen Ankunft in Krakau ist, dass viele der Studenten und Rentner, die normalerweise versuchen, Ankommenden noch auf dem Bahnsteig ein Hotel oder Zimmer aufzuschwatzen, um zwanzig nach sieben offensichtlich noch schlafen.
Natürlich bietet Krakau dem Besucher auch tagsüber viele Sehenswürdigkeiten. Das Zentrum Krakaus ist der Rynek Glówny, der größte Marktplatz Europas. In rund 30 Straßencafés versammelt sich, wer essen und trinken will, wer sehen oder gesehen werden möchte. In Korbstühlen und unter großen Schirmen genießt man hier den halben Liter Bier für etwa sechs Zloty. Sommerliche Musikfestivals, Straßenkünstler, Taubenfutterverkäufer und zahlreiche Kremser bilden eine bunte Kulisse. Zu jeder vollen Stunde - auch nachts - erinnert ein Trompetenspieler vom Turm der Marienkirche an einen Überfall der Tartaren.
Die Begeisterung der Polen für alles Amerikanische schlägt sich nicht nur in zahlreichen McDonald′s Filialen nieder. Auch die Kinder spielen mit ihren Waffen knatternd den Irak-Krieg nach. Und während die amerikanischen Verbündeten weiterhin auf der Suche nach dem Diktator sind, wird in einem Grill-Restaurant bereits Szaszlyk Saddam Hussein serviert.
Katholische Leserinnen und Leser wird die Nachricht erfreuen, dass die Jugendlichen hier ein Ranking über die schönsten Kirchen und besten Messen der Stadt aufstellen. Die Studentenkirche ist selbst in den Semesterferien so gut besucht, dass man früh zur Messe kommen muss, um einen Sitzplatz zu ergattern.
Billiges Bier in Nowa Huta
Trotz der Aussicht, am kommenden Tag eine Stunde in der Kirche stehen zu müssen, ist in Krakauer Bars auch nach zwei Uhr nachts noch nichts von Aufbruchstimmung zu spüren. Der Marktplatz bleibt bis spät in die Nacht hinein ein belebter Treffpunkt. Zu den beliebtesten Clubs der polnischen Studenten gehört Pod Jaszczurami. Zu den Rythmen internationaler Disco-Klassiker wird hier auf einem Podest, aber auch zwischen Tischen und Stühlen getanzt. Im Kellergewölbe des Clubs Faust ist es dagegen angenehm kühl, die Tanzfläche ist klein. Wenn nicht gerade Horden amerikanischer Austauschstudenten den Raum füllen, lässt es sich hier auch zu polnischen Hits tanzen. Anstehen am Eingang und ein Trinkgeld für die Toilettenfrau gehören zum Standard.
So bunt und golden die Kirchenschiffe der Innenstadt glänzen, so trist und grau sind die Wohnsiedlungen der Vororte. Das Stadtviertel Nowa Huta wurde in den fünfziger Jahren in Stalins Auftrag geplant und gebaut. Dieser "sozialistische Stadtteil" gehört zum größten Industriezentrum Polens, die Wohnanlagen gleichen der Architektur der Frankfurter Allee in Berlin. Das Bier ist hier billiger als in der Innenstadt (3,60 bis 4,50 Zloty), dafür scheint der Besuch von Touristen eher ungewohnt zu sein. Ohne Kenntnisse der polnischen Sprache bekommt man zwar sein Essen, aber keine weitere Konversation.
Für das Nachtleben ist auch das "zweite Zentrum" Krakaus interessant - das jüdisch geprägte Viertel Kazimierz. Am Abend speist man hier zum Beispiel bei Ariel oder Alef gefillte Fisch oder polnische Spezialitäten. Piroggen, kleine Teigtaschen mit Füllung, oder die Rote-Bete-Suppe Barszcz czerwony können wir empfehlen. Das alles gibt es zu erschwinglichen Preisen und im Sommer sogar im Garten.
Den bekannten polnischen Büffelgraswodka (5 cl Zubrówka für sechs Zloty) kann man unter eher einheimischen Publikum im nahe liegenden Pub Krokodyl einnehmen, dessen Interieur das Flair der Straße widerspiegelt. Der Innenraum ist gepflastert, Straßenlaternen beleuchten den Raum, die Wände sind als Straßenkulisse bemalt. Im Hinterhof lässt sich unter bunten Schirmen oder freiem Himmel gemütlich abhängen. Auf dem Weg zum Plac Nowy, dem Obstmarkt von Kazimierz, fällt dem Umherziehenden vielleicht die Dachterasse des Opium ins Auge. Der Roof Garden, wie er auch in Deutschland weitgehend unbekannt ist, lockt mit seiner Aussicht über das Viertel.
Um den kleinen Markt herum liegen viele Lokale, die durch ihr eigenwilliges Interieur und ein junges, aufgeschlossenes Publikum auffallen. So zum Beispiel das Alchemia, in dem Kleiderschränke die Türen zwischen den einzelnen Räumen ersetzen. Zwar sind die Sicherheitskräfte in dieser Gegend verstärkt präsent, stören aber nicht die ausgelassene Stimmung der kleinen Runden, die um die leeren Marktstände lagern. An einem Imbiss auf dem kleinen Obstmarkt haben wir auch abends um elf noch die besten Nalesniki bekommen, die polnische Variante des Palatschinken (zwei Stück gefüllt mit Himbeeren und Blaubeeren für 3,50 Zloty).
Auch der neueste Trend von Berlin Mitte hat in Polens Süden bereits Einzug gehalten: Auf dem Rückweg in die Innenstadt stoßen wir auf einen Innenhof mit Strandbar-Flair. Eigentlich ein Baugrundstück, wurde das kleine Areal mit einem Planwagen Mlekowóz aus Holz, vielen Gartenbänken, drei Strandkörben, Kerzen und indirekter Beleuchtung bestückt. Sehr typisch: die Selbstbedienung.
Etwas günstiger versorgt sich selbst, wer im Grüngürtel um den Altstadtbereich rastet, dem Planty. Anders als die vielen Obdachlosen wird man als Tourist auch spät abends selten von den Bänken vertrieben. Erst nach dem dritten Bier weist uns ein freundlicher Pole darauf hin, dass wir die Flasche besser wegstellen sollten: Öffentliches Trinken sei in Polen untersagt und würde von rücksichtslosen Ordnungskräften geahndet. Wir aber bleiben unbehelligt. Das freundliche Krakau meint es gut mit uns.
ariel - ul. Szeroka 18
alchemia, ul. Estery 5
krokodyl - ul. Szeroka
mlekowóz - ul. Meiselsa 21
alef - ul. Szeroka 17
opium - ul. Jakuba 19
plac nowy - (Kazimierz)
pod jaszczurami - Rynek Glówny 8
faust - Rynek Glówny 6