Wehe, wenn die Sache schief geht

Im Juni dieses Jahres entscheiden die Polen per Referendum über den Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union. In Deutschland hat man noch nicht verstanden, wie viel von dieser Entscheidung abhängt - auch für uns

In den kommenden Monaten werden deutsche Zeitungsleser auf den dritten Seiten ihrer Zeitungen immer wieder die Geschichte vom masurischen Bauern Kaczmarski und der 22-jährigen Posenerin Agnieszka nachlesen können. Der Landwirt betreibt wie alle seine Nachbarn einen Hof, der kaum fünf Hektar groß ist, die Jurastudentin mit Auslandspraktika in London und Amerika bewirbt sich gerade für ein Stipendium an der Uni Marburg. Im Laufe der Reportage erfährt der Leser, dass Herr Kaczmarski zu jenen knapp 50 Prozent der polnischen Bevölkerung gehört, die bereits "mit Sicherheit" wissen, dass sie am Referendum über den EU-Beitritt teilnehmen wollen. Mit ihrem "Nein" wollen sie die Osterweiterung der Gemeinschaft verhindern, die die Überlebensfähigkeit ihres Betriebes zu gefährden scheint. Auch Agnieszka will von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen. Sie hingegen sieht ihre berufliche Zukunft in Europa und ist für die Erweiterung.


An solchen Schilderungen ist wenig Falsches. Tatsächlich verläuft die Kluft zwischen enthusiastischen EU-Befürwortern und strikten Gegnern hauptsächlich zwischen jung und alt, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Hochqualifizierten und Menschen ohne Ausbildung. Falls Agnieszka und ihre Kommilitonen mit der Aussicht auf den roten Pass etwas disziplinierter an die Urnen strömen, als sie dies bei gewöhnlichen Wahlen tun, dürfte das Referendum jedoch in ihrem Sinne ausgehen. Nach dem Gipfel von Kopenhagen sprachen sich im Januar 69 Prozent der zum Abstimmen entschlossenen Polen für einen Beitritt aus. Das ist die höchste Rate für die europäische Integration seit mehreren Jahren.


Die entscheidende Frage vor dem Referendum im bevölkerungsreichsten Anwärterstaat ist also weniger, ob sich die Polen für oder gegen eine Mitgliedschaft entscheiden. Interessant ist vielmehr, unter welchen Vorzeichen der Beitritt passiert. Denn auch wenn die polnische EU-Zustimmung seit Dezember letzten Jahres wieder steigt, ist von einer Euphorie für Europa zwischen Oder und Bug wenig zu spüren. Bis heute haben über zwanzig Prozent der Wahlberechtigten noch nicht entschieden, ob sie am Referendum teilnehmen werden. Und selbst unter jenen, die bereits zur Stimmabgabe entschlossen sind, wissen zwölf Prozent immer noch nicht, wie sie votieren sollten. Anscheinend gibt es also noch eine weitere Konfliktpartei neben dem Bauern Kaczmarski und der Studentin Agnieszka.

Langweilige Referate im Werbeblock

Um diese dritte Bevölkerungsgruppe, vor allem bestehend aus erwerbslosen oder von Arbeitslosigkeit bedrohten "Modernisierungsverlierern", die noch nicht wissen, ob Europa für sie Gefahr oder letzte Chance bedeutet, will sich die polnische Regierung nun besonders bemühen. "Union ohne Geheimnisse" heißt das Programm, das die Zauderer zur Teilnahme am Referendum und zur Zustimmung zum EU-Beitritt bewegen soll. Im Jahr 2002 fand diese Kampagne vor allem auf den Fernsehbildschirmen statt. Während der üblichen Reklameblöcke zwischen den Spielfilmen liefen Werbespots für die EU. "Wenig interessant und zu kompliziert", seien diese gewesen, geben selbst Träger der Kampagne zu. "Wir wollen Maurer, Bäcker und Taxifahrer vom Beitritt überzeugen. Das gelingt uns nicht, wenn vor der Kamera ein Warschauer Student mit Sonnenbrille über Europa referiert, als ob er gerade eine Aufnahmeprüfung für Oxford bestreitet", kritisiert Andrzej Kubis. Der junge Historiker aus Walbrzych versucht seit Monaten die Menschen in seiner Heimatstadt von der europäischen Chance zu überzeugen. Dabei hofft er nun auf die Hilfe des im Januar nominierten Ministers für Europainformation, Lech Nikolski. Zur Zeit richtet dessen Behörde Informationsstellen zur EU in jeder polnischen Gemeinde ein. Jeweils zwei Angestellte erhalten eine besondere Schulung und sollen danach Auskünfte zu all jenen spezifischen Fragen geben können, auf die weder die TV-Spots noch die ehrenamtliche studentische Besatzung des Euro-Busses, der im vergangenen Jahr durch die Provinz kurvte, eine Antwort wissen.

Westwärts ins christliche Abendland

Soll die europäische Integration erfolgreich verlaufen, muss das Ministerium indes mehr leisten, als lediglich das Referendum im Sinne der Regierung zu entscheiden. Die dringendste und unmittelbarste Aufgabe ist vor allem, den Diskurs über Europa und Polens Rolle in der erweiterten Gemeinschaft anzustoßen und in die Gesellschaft hineinzutragen. Gewiss keine unkomplizierte Aufgabe. In einem Land, in dem beinahe jeder Fünfte arbeitslos ist und das Durchschnittseinkommen weniger als 500 Euro beträgt, interessiert sich ein Großteil der Bevölkerung nicht für feuilletonistische Diskurse über die historische Zugehörigkeit Polens zum Westen oder die Finalität der europäischen Integration. Bereits in den lokalen und nationalen Parlamenten greift die politische Auseinandersetzung deshalb meist auf die populistische Schlagformel der "fünften polnischen Teilung" oder auf das ähnlich unrealistische Versprechen eines Brüsseler Geldsegens zurück. Beide Seiten remobilisieren die alten Konfliktlinien vom patriotischen, katholischen Polentum der Provinz gegen die großstädtische, westwärtsgewandte Intelligenz.


Nun ist auch dies natürlich wieder eine Pauschalisierung. Spezifische Eliten sind sich bewusst, worum es bei dem EU-Beitritt geht, welche Probleme auf Polen warten, aber auch, weshalb das Land die europäische Perspektive braucht. Interessanterweise sind die beiden gewichtigsten gesellschaftlichen Kräfte, die zur Zeit für den europäischen Anschluss Polens eintreten, alte Erzfeinde. Neben den regierenden Sozialdemokraten predigen vor allem die polnischen Bischöfe die "Wiedergeburt des christlichen Abendlandes". Im Palast des Ministerpräsidenten scheint man begriffen zu haben, welche Chance diese episkopale Unterstützung bedeutet. Von einem gemeinsamen Projekt EU-Beitritt mag man zwar noch nicht reden. Unbestritten ist jedoch, dass dies die erste große politische Entscheidung ist, in der Kirchenoberhäupter und sozialdemokratische Führung in dieselbe Richtung wollen.

Gegen die Kirche regiert es sich schlecht

Ganz selbstlos handelt dabei keine der beiden Interessengruppen. Der Linksbund spekuliert darauf, dass die mächtige Kirche die Bevölkerung in den Zeiten der ökonomischen Krise ruhig hält, Streiks verhindert, gesellschaftliche Konflikte entschärft, die er selbst nicht mehr in den Griff bekommt. Auch könnte es den Postkommunisten nicht schaden, das Verhältnis zum Katholizismus zumindest so weit zu normalisieren, dass nicht an jedem Wahlsonntag aufs neue in der Messe vor der Stimmabgabe für die Sozialdemokraten gewarnt wird. Denn gegen die Kirche regiert es sich in Polen noch immer nicht leicht. Das Episkopat wiederum kalkuliert, seinen hohen politischen Einfluss auch weiter aufrechtzuerhalten. So kündigte Regierungschef Miller bereits an, sich für einen speziellen Begleitpassus im polnischen Beitrittsvertrag einzusetzen, der Fragen der Moral und des Schutzes menschlichen Lebens unter nationaler Souveränität belassen soll. Zur Zeit laufen sozialdemokratische Basis sowie katholische Laien und Provinzpriester noch Sturm gegen die neue Verbindung. Täglich warnt der Redemptoristenpater Tadeusz Rydzyk über seinen nationalkatholischen bis antisemitischen Rundfunksender Radio Maryja die Hörer vor dem "libertären, zügellosen Westen". Und Michal Syska, Vorsitzender der niederschlesischen Jungsozialisten, hält die Anbiederung seines Parteichefs an die Kirche für "einen Skandal". Beinahe trotzig weist er darauf hin, dass man bei den Parlamentswahlen 2001 Mehrheiten auch gegen die Kirche organisiert habe. Da man im Frühjahr allerdings gleich die absolute Mehrheit holen muss, wird die Regierung alles daran setzen, den polnischen Primas in den nächsten Wochen nicht zu verstimmen. Ob diese erste Annäherung dann in einen weiterführenden Dialog mündet, muss sich erst zeigen.

Wird Europa zum Pleitefaktor?

Die europäische Integration ist in Polen also nach wie vor ein elitäres Projekt. Nun fanden auch im erschöpften Nachkriegsdeutschland keine gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Adenauersche Westintegration statt. Und die Bevölkerung des relativ jungen EU-Mitgliedes Griechenland reagierte Anfang der 1980er Jahre mehr als verhalten auf die Beitrittsperspektive. Heute gilt die Zugehörigkeit zur Union in beiden Ländern als Selbstverständlichkeit. In Polen ist die Ausgangslage jedoch eine andere. Der Beitritt des Landes erfolgt zu einer Zeit der weltwirtschaftlichen Unsicherheit. Erstmals in der EU-Geschichte profitieren die Beitrittskandidaten nur eingeschränkt von EU-Mitteln; lange Zeit befürchtete man sogar, sofort zum Nettozahler zu werden. Wirtschaftliche Prosperität und beruflicher Aufstieg warten in den ersten Jahren höchstens auf eine hoch qualifizierte Minderheit. Für Landwirte und Einzelhändler werden die ersten europäischen Jahre wohl eher zum Pleitefaktor. Beschäftigte in der Schwerindustrie und Rentner erwarten nicht ganz zu Unrecht eine erneute Schocktherapie. Wenn die Regierungskampagne also nur versucht, Existenzängste breiter Bevölkerungsschichten mit Hochglanzbroschüren zur gemeinsamen Agrarpolitik aus der Welt zu schaffen und so das Bild vom europäischen Goldesel aufrecht erhält, ist die Enttäuschung und auch die Bestrafung der "rot-grünen" Koalition aus Linksbund und Bauernpartei bei den Parlamentswahlen 2005 programmiert. Gelingt es den Befürwortern Europas nicht zu erklären, worin die europäische Chance besteht und welche anfänglichen Risiken man für sie auf sich nehmen muss, werden vor allem die erweiterungsskeptischen politischen Formationen vom EU-Anfangsfrust profitieren.


Ihre Beitrittsbedenken erklären die beiden europakritischsten Parteien innerhalb des Sejm vor allem mit antideutschen Ressentiments. Wenn die bäuerliche "Selbstverteidigung" vor dem Ausverkauf polnischer Erde und der Überflutung des Marktes mit subventionierten westlichen Waren warnt, und die nationalkatholische "Liga der Polnischen Familien" gegen die Infiltration des Landes durch okzidentale Werte wettert, dann ist das Feindbild Deutschland meist nicht fern.

Wo Deutschlands vitale Interessen liegen

"Ich sage Euch: Sie werden zurückkommen!". Wenn der nationalkatholische Parlamentsabgeordnete Antoni Stryjewski aus Wroclaw, dem ehemaligen Breslau, an diesem Teil seiner Rede angekommen ist, erhält er stets den größten Applaus. Denn so denken hier nicht nur Wähler der Liga. Auch ehemalige Kommunisten nicken zustimmend. Die neue Rechte übernimmt ganze Passagen der volksrepublikanischen Propaganda. Mit einer solchen Rechten wird es sich international nicht leicht auskommen lassen, sollte sie tatsächlich nach einer misslungenen Integration Polens in die EU in die Regierungsverantwortung gelangen. Schon aus diesem Grund hat Europa und hier vor allem Deutschland ein ganz vitales Interesse daran, Polen den Weg gen Westen so leicht wie möglich zu machen und die polnische Regierung in ihren Bemühungen zur Mehrheitsbeschaffung zu unterstützen. Doch nicht nur deshalb hat sich die Bundesrepublik bereits von Beginn der Erweiterungsdebatte an als einer der wichtigsten Befürworter der Erweiterung hervorgetan. Vom Beitritt Polens und der Integration dieses enorm wichtigen Außenhandelspartners erhofft sich die deutsche Wirtschaft einen Wachstumsschub. Als neues Grenzland im Osten der Union und als Nato-Mitglied wird Polen, wenn man es zulässt, zudem eine wichtige Rolle in der zukünftigen Ostpolitik der EU spielen.

Die Polen finden George W. Bush prima

Ein weiteres Motiv für Deutschland, die östlichen Nachbarländer nicht allzu stiefmütterlich zu behandeln, ist von Osteuropaexperten schon lange genannt, von der Politik jedoch erst nach der Ausrufung des "neuen Europa" durch Donald Rumsfeld beachtet worden. Bereits vor zwei Jahren wies Gerhard Gnauck (in Heft 4/2001 der Berliner Republik) darauf hin, dass Polens Weg nach Europa auch über Washington führen könne. In der Tat scheint heute vielen Polen eine engere Kooperation mit Amerika vielversprechender als eine Union mit den unmittelbaren westlichen Nachbarstaaten. Polens heutiger Atlantizismus ist über Jahrzehnte gewachsen. Während der Zeit der Teilungen, während des Weltkrieges und während des Kommunismus war Amerika stets ein beliebtes Ziel polnischer Exilanten. Mittlerweile ist die amerikanische Polonia die größte der Welt. Chicago gilt gemeinhin als die "zweitgrößte polnische Stadt". Und die amerikanischen Präsidenten hatten, bis auf Franklin D. Roosevelt, immer ein offenes Ohr für polnische Sorgen. Woodrow Wilson gab den Polen nach Jahren der Fremdherrschaft ihren eigenen Staat zurück. Ronald Reagan unterstützte die Solidarnos′c′, als Helmut Schmidt um die Erfolge sozialdemokratischer Ostpolitik bangte. Bill Clinton bleibt im polnischen Gedächtnis der Mann, der die Polen in die Nato aufnahm, und George W. Bush ist der derzeit populärste ausländische Staatsmann. "Ganz Europa hasst die Amerikaner. Nur wir lieben sie," titelte die polnische Wochenzeitschrift Wprost bereits vor einem Jahr.


Zwar möchte die polnische Regierung sich in ihren internationalen Vorlieben nicht festlegen. "Wen lieben Sie denn mehr? Ihren Vater oder Ihre Mutter?" fragte der Regierungssprecher Michal Tober noch Anfang Januar zurück, als sich deutsche Gäste nach den außenpolitischen Präferenzen seines Ministerpräsidenten erkundigten. Doch seit der "Erklärung der Acht" ist klar, wessen Außenpolitik man derzeit zu folgen bereit ist. Die enge Bindung zu Amerika wird man kaum aus der Welt schaffen können. Jedoch ist die deutsche Bundesregierung, sofern sie ihre derzeitige Friedensbotschaft wirklich ernst meint, auf mehr als einen halbherzigen französischen Verbündeten angewiesen. In Polen weist man zu Recht darauf hin, dass Berlin nicht ganz zufällig vor der Erklärung nicht benachrichtigt worden sei. Schließlich habe ja auch kein deutscher Regierungsvertreter in Warschau oder Prag vorgesprochen und versucht, die mitteleuropäischen Staaten für den Kurs der Kriegsvermeidung zu gewinnen. Um Polen in Zukunft wieder näher an das "alte Europa" heranzuholen muss die Bundesrepublik den Nachbarn wieder das Gefühl vermitteln, ernst genommen zu werden.

Deutschland muss begreifen, worum es geht

Trotz der Risiken, die eine Abwendung der Anwärterstaaten in sich birgt und den großen Chancen, die die Erweiterung der Union bietet, haben die politischen Eliten in Deutschland aber bisher kein großes Interesse daran gezeigt, ihren Wählern die Vorteile der Osterweiterung nahe zu bringen. Weiterhin lehnen die Deutschen den Beitritt Polens zur EU mehrheitlich ab. Sie fürchten sich vor einer Welle von Migranten, die ihnen die ohnehin schon knappen Arbeitsplätze streitig machen, und rechnen mit einem Anstieg der Kriminalität durch die Öffnung der Grenzen.


Diese negative Haltung vieler Deutscher könnte allerdings auch Auswirkungen auf den Ausgang des Referendums haben. Denn die polnischen EU-Befürworter sind nicht nur jung und hoch qualifiziert sondern auch stolz auf ihr Land, das trotz großer Probleme in den letzten Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht hat. Sie selbst haben in dieser Zeit alles getan, um gute Europäer zu werden. Trotz horrender Preise sind die Sprachschulen in den Universitätsstädten immer gut ausgelastet. Und jeder Erstsemester der Internationalen Beziehungen kennt die europäischen Institutionen, das Gemeinschaftsrecht und die Geschichte der Union besser als deutsche Kommilitonen im Hauptstudium. "Wir haben der Union so viel zu geben. Deshalb sehe ich nicht ein, dass wir jetzt für eine Mitgliedschaft zweiter Klasse dankbar sein sollen", sagt die 22-jährige Studentin Monika verbittert. Ihre Freunde nicken. "Wie soll ich denn einem EU-Gegner erklären, dass der Beitritt eine gute Sache ist, wenn uns aus Deutschland, dem unmittelbaren Nachbarland und wichtigstem Handelspartner nur negative Erwartungen entgegenschlagen", lautet der Tenor selbst bei vielen Befürwortern des Beitritts.

Nicht länger ein Entwicklungsland

Will die deutsche Regierung die polnischen Kollegen bei ihren Beitrittsbemühungen unterstützen, muss sie Verschiedenes beachten. Zum einen darf Polen und natürlich auch den anderen Beitrittskandidaten nicht das Gefühl vermittelt werden, die Erweiterung werde nur halbherzig verfolgt. Denn diese Signale der Unsicherheit aus Brüssel oder anderen europäischen Hauptstädten wirken sich unmittelbar auf die Stimmung in den Kandidatenländern aus und verstärken die dort ohnehin schon bestehenden Ressentiments. Obwohl oder gerade weil Polen wie viele Länder Europas große wirtschaftliche Probleme hat und mit einer Arbeitslosenquote kämpft, die in den letzten Monaten im Schnitt 18 Prozent betrug, ist eine Anerkennung der seit dem Zusammenbruch des Ostblocks gemachten Fortschritte sehr wichtig. Will man das Selbstwertgefühl der Bevölkerung nicht dauerhaft schädigen, darf Polen nicht länger als rückständiges Entwicklungsland angesehen werden, in dem die latenten Gefahr des Rückfalls in autoritäre Zeiten herrscht. Seit dem Ende des Kommunismus hat es in Polen vier demokratische Regierungswechsel gegeben. Plädieren deutsche Politiker hingegen für die EU-Aufnahme der mitteleuropäischen Länder, bemühen sie weiterhin zuerst politische und nicht wirtschaftliche oder geostrategische Argumente, als stünde die Wiederkehr der Diktatoren unmittelbar bevor.

Trinkende Polen, eingebildete Deutsche

Zudem gilt es die für die Integration Polens in die EU so wichtigen, deutsch-polnischen Beziehungen weiter zu verbessern. Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den politischen Eliten beider Länder schon recht gut, so liegt bei der Verständigung der Bevölkerung einiges im Argen. Die gegenseitige Wahrnehmung von Deutschen und Polen ist wie in kaum einem anderen Fall von Vorurteilen und Stereotypen geprägt, die auf der einen Seite den faulen, kriminellen, trinkenden Polen und westlich der Oder den arroganten, dominierenden und eingebildeten Deutschen sehen. Gerade in der älteren Generation sind auch die geschichtlichen Leiden der Polen unter den Deutschen unvergessen. Die deutsche Unterstützung für den polnischen EU-Beitritt wird von vielen Polen als eine Form der Kompensation gewünscht. Natürlich darf diese Unterstützung nicht zu weit gehen und in Bevormundung enden. Deutsche Visionen von der "Bundesrepublik Europa" rufen in einem Land, das nach Jahrzehnten der Fremdherrschaft gerade erst die Souveränität wiedergewonnen hat, blankes Entsetzen hervor. Und auch der Vorschlag, im Zuge der gemeinsamen Innenpolitik nach der Erweiterung den erfahreneren Bundesgrenzschutz an die polnische Ostgrenze zu schicken, wird strikt abgelehnt. "Was würdet ihr sagen", fragt Andrzej Kubis kopfschüttelnd, "wenn nach dem Beitritt Polens zur EU alle deutschen Brände von der polnischen Feuerwehr gelöscht werden, weil die deutsche nichts wert ist?"


Um den EU-Beitritt der Polen nicht nur formell sondern auch kulturell zu vollziehen, müssen vor allem gegenseitige Berührungsängste abgebaut werden und die Bevölkerung der beiden Nachbarländer muss sich von überflüssigen Vorurteilen und Befürchtungen trennen. So wird es nach Einschätzung der Wissenschaft weder zu einer umfangreichen Migration arbeitsuchender Polen nach Deutschland kommen (bereits Binnenmigration findet in Polen kaum statt), noch wird es einen massiven Aufkauf polnischen Bodens durch Deutsche geben.

Damit Herrn Kaczmarskis Kinder besser leben

Bis Deutsche und Polen ihre Ressentiments abgebaut haben und wirklich zueinander finden, wird es sicherlich noch eine Weile dauern. Und auch wenn man den Dialog zwischen beiden Völkern nicht diktieren kann und eine umfassende, ehrliche und realistische Diskussion über die Vor- und Nachteile der EU-Erweiterung von der Gesellschaft angestoßen werden muss, kann die Politik die Rahmenbedingungen für diesen Dialog formulieren. Aufgabe der politischen Eliten vor allem auf deutscher Seite ist es also, den Ängsten und Sorgen der eigenen Bevölkerung mit gezielten Informationen zu begegnen, da der Abbau von Ressentiments und die damit verbundene Einigung Europas ohne die Beteiligung der Bürger nicht glücken wird.


Wenn es gelingt, das Mißtrauen zwischen den Völkern auf beiden Seiten von Oder und Neiße weiter abzubauen, wenn erklärt wird, warum welche Härten sein müssen und wie man sie abmildern kann, dann wird Herr Kaczmarski vielleicht doch noch mit "Ja" stimmen. Nicht weil er jetzt glaubt, dass sein Hof dank der Brüsseler Subventionen überleben kann. Aber weil er sich überzeugen lässt, dass seinen Kindern in einem vereinigten Europa einmal mehr Möglichkeiten offenstehen als den früheren Familiengenerationen. Dann könnte die polnische EU-Mitgliedschaft eine ähnliche Erfolgsgeschichte werden, wie die irische. Und die deutsch-polnische Freundschaft ähnlich intensiv wie die deutsch-französische.

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