Warum die Zeitungskrise uns alle angeht
Die Krise, die einen großen Teil der Printmedien erfasst hat, schwelt schon lange. Zutage getreten ist sie, weil die Neuorientierung der Werbewirtschaft weg vom gedruckten Wort im Jahr 2012 die Bilanzen vieler Verlage verhagelt hat. Die Schwächsten im Markt trifft es in so einer Lage als erste: die Financial Times Deutschland, die Frankfurter Rundschau, die Westfälische Rundschau. Bei jedem einzelnen Fall kommen Management-Fehler dazu, aber das ändert nichts am strukturellen Niedergang: Gruner + Jahrs Flaggschiff Stern machte 2012 viel weniger Gewinn als 2011, Handelsblatt und FAZ schrieben, nimmt man jeweils nur das reine Zeitungsgeschäft, rote Zahlen. In vielen Medienhäusern verlangen die Geschäftsführungen weitere Einsparungen.
Diese Krise hat nichts mit der Wirtschaftslage zu tun, der Werbemarkt ist nicht geschrumpft. Sie hat damit zu tun, dass die Verlage sich mit Geschäftsmodellen schwer tun, welche die Zeitungen und Magazine ins digitale Zeitalter überführen. Bei den Web-Auftritten wurde mal investiert und mal gestrichen, ständig waren Inhalte im Netz verfügbar, für die man in gedruckter Form zahlen musste. Warum ausgerechnet bei Informationen funktionieren soll, was bei Wurst und Brötchen nie funktionieren würde, bleibt ein Rätsel: ein Produkt in der einen Filiale zu verkaufen und in der anderen zu verschenken.
Eine zutiefst verunsicherte Branche
Wirklich innovativ in der Bindung an eine Community, also an bestimmte Leser, sind bis heute die wenigsten Internet-Auftritte. An einem beliebigen Vormittag sind die Homepages der Printmedien ähnlich uniform wie in den siebziger Jahren die ersten Seiten der Regionalzeitungen – überall die gleichen Agenturberichte. Die Angriffe der Verleger auf die Tagesschau-App oder ihr Engagement für das Leistungsschutzrecht kann man getrost als Rückzugsgefechte einer zutiefst verunsicherten Branche werten.
Der Bundestagsausschuss für Technikfolgenabschätzung hat in einer im Januar veröffentlichten Analyse geschrieben, dass die Zeitungen ihren Status als Leitmedien nach und nach verlieren. Zwischen 1974 und 2010 ist der Anteil der regelmäßigen Nutzer von 67 auf 44 Prozent der Bevölkerung zurückgegangen, bei den Jüngeren auf unter 30 Prozent. Die Entwicklung hat sich beschleunigt, seit die erste zeitungslose Generation herangewachsen ist, die sich die Informationen von überall her holt, nur nicht aus gedruckten Blättern. Andere Industrieländer sind genauso betroffen: In Frankreich haben 2012 zwei Zeitungen geschlossen und die linke Liberation ist bedroht, in den Vereinigten Staaten sind seit 2007 zwölf Blätter vom Markt gegangen und viele weitere erscheinen nicht mehr täglich.
Das Internet ist insofern schuld, als es nicht nur Leser wegnimmt, sondern vor allem Werbung. Rubrikanzeigen für Wohnungen oder Autos haben dort ihren natürlichen Platz gefunden. Inzwischen wird dank Google auch die Produktwerbung immer mehr personalisiert. Fast jeder Computer sendet Informationen über das Nutzerverhalten ins Web, die als personalisierte Werbung wieder zurückkommen. Sehen Sie sich an einem Tag Küchen im Netz an, und Sie werden wochenlang entsprechende Anzeigen auf unterschiedlichsten Seiten erblicken – das kann Print einfach nicht. Entsprechend ist die Stimmung bei den Journalisten. Ein französischer Kollege sagte ein paar Tage vor Schließung der Financial Times Deutschland beim Abendessen in Brüssel spontan: „Es war einmal ein schöner Beruf“ – das haben bei der FTD auch viele so empfunden.
Während ein Teil der Blogger-Szene das Zeitungssterben mit Häme kommentierte, machten sich einige Journalisten Mut: Journalismus werde in einer von Informationen überfluteten Welt mehr gebraucht denn je. Dem stimme ich als Journalist natürlich zu. Es gibt einen Bedarf an strukturierter Information, und sicher bei vielen auch eine Bereitschaft, dafür zu bezahlen. Vielleicht funktioniert das sogar ohne die klassischen Verlage als Mittler. Für Wirtschaftsinformationen etwa wird man immer Geld verlangen können. Aber auch für Reportagen über Armut in Deutschland? Das besondere an Zeitungen war doch stets, dass sie eine Plattform für unterschiedliche Fachthemen und Diskurse waren (und sind).
Ein Redakteur pro 50 000 Einwohner
Mittelfristig ist die Krise für unser Konzept von demokratischer Öffentlichkeit dramatischer als für die meisten der betroffenen Journalisten und Drucker, die gerade ihre Arbeitsplätze verlieren. Warum? Ein Verlagsmanager sagte mir, dass es nach seiner Einschätzung in ein paar Jahren nur noch vier oder fünf Gruppen von Regionalzeitungsverlagen geben wird. In Großbritannien ist das schon der Fall. Und bereits heute gibt es in den meisten Landkreisen und mittelgroßen Städten nur noch eine Lokalzeitung. Es wird zur Regel, dass ein einziger festangestellter Redakteur mit ein paar freien Mitarbeitern zuständig ist für eine Stadt von 50 000 Einwohnern. Glaubt jemand ernsthaft, diese Einzelkämpfer könnten gegen das Establishment einer Stadt Skandale aufdecken? Auch in den Großstädten verschwindet die Konkurrenz: In Hamburg werden Welt und Abendblatt von einer politischen Redaktion gemacht; in Berlin wird die schon lange als Zweitabdruckblatt der Welt existierende Morgenpost in einigen Jahren vermutlich nur noch dem Tagesspiegel gegenüberstehen, der die traditionsreiche Berliner Zeitung geschluckt haben wird.
Der Schwund an Redaktionen und Redakteuren gefährdet die Meinungsvielfalt. Ein angebliches Kernsujet wie die Bildungspolitik ist schon heute ein Orchideenthema: Die Print-Journalisten, die darauf spezialisiert sind, könne man an einer Hand abzählen, sagen Bildungsexperten. Landesministerien müssen kaum noch fundierte Kritik fürchten. Selbst vor den Fraktionssitzungen im Bundestag lichten sich die Reihen, die Reporter der öffentlich-rechtlichen Medien sind oft zahlreicher als die der Printpresse. Für den einen oder anderen Pressesprecher mag das angenehm sein. Doch wo bleibt die Meinungsvielfalt? Ohne Zeitung reduziert sich der öffentliche Diskurs ebenso wie der am Familientisch, wenn jeder in eine andere App schaut.
Damit werden die öffentlich-rechtlichen Medien für den Erhalt von Qualitätsjournalismus immer wichtiger. Aber das duale System von öffentlichen und privaten Medien hat erheblich zur Stabilität der Demokratie beigetragen. Die sehr lebendige Internetszene kann diesen Verlust an demokratischer Kultur nur schwer auffangen. Dort gibt es zwar viel Fachwissen und jede Art von Diskussion, aber sie wird hoch zersplittert bleiben. Es ist gut für die Demokratie, wenn anders als früher alle Originalinformationen im Netz verfügbar und damit öffentlich sind. Aber der Normalbürger kann nicht den ganzen Tag mit Recherchen für seine Meinungsbildung verbringen. In der Konkurrenz der Medien haben sich die „großen“ Themen herausgeschält, die die Republik bewegt haben. Ohne Presse ist das so wenig vorstellbar wie ohne Tagesschau.
Gesellschaft und Politik können nicht davon ausgehen, dass der Qualitätsjournalismus von alleine überleben wird. Private Stiftungen, Zuschüsse aus dem öffentlich-rechtlichen Topf, öffentliche Stiftungen wie die in Nordrhein-Westfalen geplante Stiftung für investigativen Journalismus sowie neue Bezahlmodelle im Internet müssen diskutiert werden.