Welt aus den Fugen
Vergangenes Jahr haben mich meine Mitarbeiter auf den Mond geschossen. Wir haben nachgezählt: 384 400 Flugkilometer haben wir 2014 zurückgelegt – exakt die Entfernung von hier bis zum Mond. Denn Außenpolitik war herausgefordert wie lange nicht: Ukraine-Krise, ISIS-Terror, Ebola-Epidemie, Gaza-Konflikt – das ist leider nur der Anfang einer langen Liste von Brandherden.
Wir befinden uns in einer entscheidenden Zeit für die deutsche Außenpolitik, und zwar aus zwei Gründen: nicht nur, weil die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, sondern auch, weil Deutschlands Rolle in der Welt sich verändert. Zunehmend spüren wir – und zunehmend sagen uns dies auch unsere internationalen Partner –, dass wir nicht nur am Spielfeldrand stehen können, sondern eine Mitverantwortung für den Gang der Dinge tragen.
Zeit für die äußere Neuverortung
Vor 15 Jahren war Deutschland vor allem mit sich selbst beschäftigt – aus gutem Grund. Unter Rot-Grün begann in Deutschland eine Phase der Selbsterneuerung: gesellschaftlich und wirtschaftlich. In dieser Aufbruchstimmung gründete sich die Berliner Republik und hat sie seither intellektuell mitgeprägt. Nach der inneren Erneuerung ist es jetzt an der Zeit für die äußere Neuverortung Deutschlands. Dafür brauchen wir einen intellektuellen Nährboden, eine Debatte über Deutschlands Rolle in der Welt. Dafür brauchen wir – ganz wie damals – die Berliner Republik!
Was ist aktive Außenpolitik? Aus meiner Erfahrung sind folgende drei Ansätze wesentlich.
Eine aktive Außenpolitik folgt erstens dem Grundsatz Engagement statt Abschottung. Ich weiß sehr wohl: Diese Welt kann einem Angst einjagen. Nicht nur 2014, sondern leider auch das neue Jahr 2015 hatte einen erschütternden Auftakt: das barbarische Attentat auf Charlie Hebdo, dessen Folgen uns sicherlich noch lange nach der Trauerfeier für die Opfer begleiten werden. Je enger die Welt zusammenwächst, desto näher rücken ihre Abgründe und Gefahren an uns heran.
Und dennoch ist Abschottung keine Lösung. Auch wenn Fortschritte mühsam und Rückschritte häufig sind – man denke an die Ukraine-Krise –, und auch wenn sich die Probleme der Welt selten in Schwarz und Weiß einteilen lassen, sollten wir den gesamten Instrumentenkasten der Diplomatie nutzen und beitragen, was wir können, um die Welt ein bisschen friedlicher zu machen. Nehmen wir die syrische Flüchtlingskrise: Ist das Hochziehen von Mauern wirklich eine Lösungsstrategie, wie es die Angst-Demagogen von Pegida derzeit brüllen? Geht es nicht vielmehr darum, das unendliche Leiden der Flüchtlinge zu beenden – durch unsere Solidarität, aber vor allem dadurch, dass wir uns für neue politische Lösungsansätze gegen den seit vier Jahren tobenden Bürgerkrieg und seine Folgen für die ganze Region einsetzen? Dafür steht Deutschland: eine zupackende Politik, und keine Angst-Politik.
Die Fähigkeit zur Selbstkritik ist eine Tugend
Zweitens: Deutschlands Vernetzung mit der Welt beschert uns nicht nur wirtschaftliche und gesellschaftliche Zugewinne, sondern bringt uns auch mehr politische Verantwortung. Im Jahr 2015 feiern wir 25 Jahre Wiedervereinigung. Das vormals geteilte Deutschland war in vielerlei Hinsicht ein Land mit gleichen Rechten, aber ohne gleiche Pflichten, unter dem Schutzmantel des jeweiligen Blocks. Heute liegen die Dinge anders. Deutschland ist wiedervereint, wirtschaftlich stark, politisch fest in Europa verankert und international angesehen. Damit geht Verantwortung einher – für Europa selbst, aber auch für Europas gemeinsame Außenpolitik. Auch im momentan angespannten Verhältnis zu Russland muss uns bewusst sein: Wir machen niemals nur deutsche, sondern wir machen europäische Außenpolitik gegenüber Russland.
Drittens muss sich Außenpolitik die Fähigkeit zur Selbstkritik bewahren. In einer Welt, die sich immer rasanter verändert und in der Krisen zunehmend Normalfall denn Ausnahme sind, kommt es darauf an, die eigene Position ständig überprüfen und erneuern zu können. Es mag paradox klingen, aber die Stärke der Demokratie ist ihre Fähigkeit zur Schwäche! Das haben wir autokratischen oder ideologisch verhärteten Systemen voraus. Genau deshalb schauen die Menschen in der Welt noch immer auf Europa. Für unsere Friedenspolitik heißt das, den Frieden nicht nur als Utopie vor uns herzutragen, sondern für den Frieden zu arbeiten, Schritt für Schritt, auch wenn diplomatische Initiativen scheitern können. Diplomaten sind Handwerker und keine Missionare.
Wer erneuern will, muss Ideen aufschreiben
So schließt sich der Kreis zu den Gründungsjahren der Berliner Republik vor 15 Jahren: Damals hat Deutschland Selbstkritik und Selbsterneuerung im Innern bewiesen. Deutschland ist heute wirtschaftlich stärker und gesellschaftlich offener – nicht weil wir selbstzufrieden, sondern weil wir reformfähig waren. Dies muss uns nun auch in der Außenpolitik gelingen. Und vielleicht ist das ja nach 15 Jahren voller kluger, dicker Berliner Republik-Hefte eine ermutigende Nachricht an die Autoren und Herausgeber: Die Herausforderungen wachsen immer noch schneller, als man Seiten füllen kann.