Wie die Brücken untergraben worden
Über viele Jahre hat Schweden in ökonomischer Hinsicht den Durchschnitt der europäischen Länder übertroffen. Jeder seriöse Beobachter erkennt an, dass die sozialdemokratische Regierungsära von 1994 bis 2006 eine sehr erfolgreiche Periode war: Schweden erzielte eine höhere durchschnittliche Wachstumsrate als der Durchschnitt der EU- und OECD-Länder; die Erwerbsquote entwickelte sich zur zweithöchsten in der Europäischen Union und lag bei fast 80 Prozent, während die Arbeitslosigkeit auf rund vier Prozent sank; das Wachstum der Produktivität im Privatsektor stieg von zwei Prozent jährlich in den achtziger Jahren auf drei Prozent in den neunziger Jahren; die verfügbaren Einkommen wuchsen beträchtlich, gleichzeitig aber blieb die Inflationsrate niedriger als im europäischen Durchschnitt.
Für das Jahr 2009 werden erheblich düsterere Vorhersagen getroffen. So prognostiziert das National Institute of Economic Research, dass die schwedischen Exporte zurückgehen werden, der Konsum nahezu stagniert, die Investitionen abnehmen und das Bruttosozialprodukt um fast 1 Prozent sinkt. Die Arbeitslosenquote wird 2010 voraussichtlich auf 9 Prozent steigen. Und schon in diesem Jahr wird sich der Überschuss der öffentlichen Haushalte in ein Defizit verwandeln.
Diese schnelle Veränderung des nationalen Wirtschaftsklimas zeigt, wie verwundbar ein kleines, exportabhängiges Land vom Zuschnitt Schwedens ist. Dennoch kann dies keine abschließende Erklärung dafür sein, warum Schweden und die schwedischen Bürger sich einer in vieler Hinsicht schwierigeren Situation gegenüber sehen werden als andere Europäer. Auch die Politik der derzeitigen Regierung spielt dabei eine Rolle.
Als die Konservativen im Oktober 2006 die Regierungsgeschäfte übernahmen, verabschiedeten sie sofort ein Maßnahmenpaket, das sowohl Steuersenkungen wie Einschnitte im staatlichen Sozialversicherungssystem umfasste. Beispielsweise wurde das Arbeitslosengeld drastisch reduziert. Das übergeordnete Ziel war es, die Gehälter unter Druck zu setzen und die Steuern dem europäischen Durchschnittsniveau anzupassen.
Damals lachte die Sonne, und die Wirtschaftswissenschaftler spendeten der Regierung Applaus. Schließlich entsprachen ihre angebotsorientierten Maßnahmen den Rezepten in den ökonomischen Lehrbüchern. Aber – und auf dieses „Aber“ kommt es an – diese Politik war für ewig anhaltenden Sonnenschein konzipiert.
Die Maßnahmen führten dazu, dass viele Bürger sofort das System der Arbeitslosenversicherung verließen. Um die Steuersenkungen zu finanzieren und, wie es hieß, „Leute zur Arbeit zu animieren“, hob die Regierung die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung dramatisch an. Die Strategie der Konservativen bestand darin, die Arbeitslosen ärmer zu machen und zugleich die Steuern für die erwerbstätige Bevölkerung zu senken.
Der bisherige Wettbewerbsvorteil ist dahin
Heute treffen die globale Finanzkrise und der Abschwung auf den Weltmärkten die schwedische Realwirtschaft hart. Und jetzt erleben wir die Ergebnisse der konservativen Politik. Die Regierung hat genau jene „sozialen Brücken“ untergraben, auf denen sich Menschen von nicht konkurrenzfähigen zu konkurrenzfähigen Arbeitsplätzen bewegen können. Es ist nur folgerichtig, dass sie jetzt für eine Politik nach dem Motto „Wir müssen unsere Arbeitsplätze schützen!“ argumentiert. Der Wettbewerbsvorteil des schwedischen und skandinavischen Wirtschafts- und Sozialmodells lag gerade im Prinzip Protecting people – not jobs, nämlich darin, dass es durch hervorragende Bildung und Weiterbildung Menschen schützte, statt bloß defensiv bereits bestehende Jobs zu verteidigen. Dieser Wettbewerbsvorteil ist geschmälert worden.
Bis jetzt hat die Krise das schwedische Finanzsystem nicht so stark durcheinander gewirbelt wie die Finanzsysteme anderer europäischer Länder. In den frühen neunziger Jahren, als die schwedische Regierung gemeinsam mit der Opposition entschlossen handelte, um den Bankensektor zu stabilisieren, haben wir unsere Lektion gelernt. Wie Schweden die damalige Krise bewältigt hat, dient in der jetzigen Finanzkrise vielen Regierungen als Blaupause.
So wie es bis 2006 war, wird es nicht mehr
Somit wird Schweden heute als positives Beispiel für die Bewältigung einer Bankenkrise angesehen, aber nicht mehr als Vorbild für die Bewältigung der sozialen Folgen einer solchen Krise. Aus sozialdemokratischer Sicht ist das – gelinde gesagt – ziemlich traurig.
Notgedrungen bewegen sich die schwedischen Sozialdemokraten in einer ganz neuen ökonomischen und politischen Landschaft. Viele aktive Parteimitglieder haben dies allerdings noch nicht erkannt. Allzu viele von ihnen glauben noch, eine neue sozialdemokratische Regierung könnte die bis 2006 herrschenden besseren Verhältnisse einfach wieder herstellen. Eine große Herausforderung des vor uns liegenden Jahres wird darin bestehen, den Wählern zu erklären, warum nach einem sozialdemokratischen Comeback bei den Parlamentswahlen 2010 nicht sämtliche Wünsche sofort in Erfüllung gehen können.
Aus dem Englischen von Michael Miebach