Wie moderne Industriepolitik funktioniert - und wie nicht

Der Staat tut dann am meisten für Wachstum und Wohlstand, wenn er sich auf eine flankierende Industriepolitik beschränkt. Diese besteht im Kern aus zwei Elementen: Innovations- und Wettbewerbspolitik. Entscheidend sind Investitionen in Bildung, Forschung und Wissenstransfer

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise werden alte Fragen neu gestellt: Welche Rolle soll der Staat im Wirtschaftsgeschehen spielen? Wie sieht eine moderne Wirtschaftspolitik aus – in, aber vor allem nach der Krise? Im politischen Diskurs fallen die Antworten – entsprechend der jeweiligen Grundüberzeugung – höchst unterschiedlich aus, wie der Schweizer Ökonom Gebhard Kirchgässner, mit typisch eidgenössischer Neutralität, zutreffend festgestellt hat: „Die politische Linke, die ja vor allem ein Versagen der Marktwirtschaft konstatiert, sowie auch weite Teile der politischen Öffentlichkeit fordern im Vergleich mit den letzten Jahrzehnten deutlich verstärkte Staatseingriffe. Dagegen wird aus der marktliberalen Ecke, welche die Schuld ja vor allem den staatlichen Handlungsträgern zuweist, eine noch größere Zurückhaltung des Staates gefordert; es wird allenfalls akzeptiert, dass der (National)Staat einige neue (und bessere) Regeln für die Finanzmärkte erlässt, ... .“

Vor dem Hintergrund dieser Grundsatzfrage nach der richtigen Balance zwischen Staat und Markt rückt mit dem Abklingen der akuten Krise die Aufgabe ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Agenda, eine geeignete Basis für eine möglichst umfassende und nachhaltige Wirtschaftserholung zu schaffen. Von besonderer Bedeutung ist dabei auf mittlere Frist die Ausrichtung der künftigen Industriepolitik. Die bei der Stabilisierung von Bankensystem und Konjunktur erreichten Erfolge als Krisenmanager dürfen nicht dazu führen, dass die Politik jetzt den Fehler der Selbstüberschätzung begeht. Trotz des Debakels bei der gegen alle marktwirtschaftlichen Prinzipien versuchten Opel-Rettung steht die Frage im Raum: Braucht Deutschland eine strategische Industriepolitik, die „Leitmärkte“ identifiziert, zu ihrer Erschließung notwendige Technologien fördert, gar einzelne Unternehmen gezielt unterstützt? Die Antwort ist ein klares Nein.

Der Staat tut dann am meisten für Wachstum und Wohlstand, wenn er sich auf eine flankierende, „horizontale“ Industriepolitik beschränkt. Sie besteht im Kern aus zwei Elementen: Innovations- und Wettbewerbspolitik. Durch Investitionen in Bildung, Forschung und Wissenstransfer kann der Staat entscheidend dazu beitragen, dass mehr Innovationen entstehen. Und wenn er für funktionierenden Wettbewerb sorgt, dann selektiert der Markt anschließend die wirklich zukunftsfähigen Produkte und Unternehmen. Demgegenüber sollte die Industriepolitik weitgehend darauf verzichten, einzelne Unternehmen oder spezifische technologische Lösungsansätze als strategisch bedeutsam zu identifizieren und direkt zu unterstützen. Angesichts der damit verbundenen Kosten für den Rest der Volkswirtschaft wären erhebliche Zweifel an einer solchen „vertikalen“ Industriepolitik selbst dann angebracht, wenn der Staat in der Tat überlegene Einsichten zur Identifizierung künftiger Entwicklungen hätte. Doch staatliche Akteure sind beim Erkennen von Marktchancen gegenüber den Privaten nicht im Vorteil.

Abschied von den Illusionen

Im Koalitionsvertrag hat die neue Bundesregierung sich zu diesen Prinzipien bekannt. Dass sie es ernst meint, sollte sie mittels Korrektur der negativen Konsequenzen unter Beweis stellen, die vergangene Regierungen durch Abweichungen vom Prinzip einer rein flankierenden Industriepolitik verursacht haben. Exemplarisch zu nennen sind hier die strukturkonservierende Dauersubventionierung des deutschen Steinkohlebergbaus und die Förderung erneuerbarer Energien durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Es wäre industriepolitisch vernünftig, einem dauerhaften Sockelbergbau bei der bald anstehenden Überprüfung des Steinkohle-Ausstiegsbeschlusses eine ebenso klare Absage zu erteilen wie der erzwungenen Diffusion erneuerbarer Energien durch überhöhte Einspeisevergütungen im Rahmen des EEG. Aufgrund der für 20 Jahre garantierten Vergütungen werden die Verbraucher allein für die zwischen 2000 und 2008 installierten Solar-Module rund 35 Milliarden Euro an über den Strompreis kassierten Subventionen zahlen. Das Ergebnis dieser massiven Förderung ist jedoch bisher ein Anteil von Solarstrom an der Stromerzeugung von nur 0,6 Prozent und – aufgrund der im europäischen Emissionshandel ohnehin begrenzten Mengen – keine einzige Tonne an zusätzlicher Einsparung von Kohlenstoffdioxid. Zu einer klugen Industriepolitik gehört auch, Irrtümer zu erkennen und sich von den teuren Illusionen der Vergangenheit zu verabschieden.

Dies ist aber kein Plädoyer gegen staatlich gesetzte Innovationsimpulse! So ist es wahrscheinlich, dass die Leistungen des deutschen Innovationssystems ohne direkte staatliche Impulse für einzelne Technologien, etwa die Bio- oder die Nanotechnologie, geringer ausfallen würden. Aber aufgrund der erheblichen volkswirtschaftlichen Nachteile durch die Konservierung vorhandener Strukturen muss bereits beim Setzen des Innovationsimpulses an eine geeignete Ausstiegsstrategie gedacht werden. Nur so ist gewährleistet, dass sich die neu entstehenden privatwirtschaftlichen Interessen nicht, wie es im Bereich der erneuerbaren Energien inzwischen leider geschehen ist, so verfestigen, dass eine innovationspolitische Maßnahme zu einem Instrument der vertikalen Industriepolitik mutiert und damit das Wachstum nachhaltig hemmt.

Ein geeignetes Instrument, um das Spannungsverhältnis zwischen einer flankierenden Innovationspolitik und der Rolle des Staates als Impulsgeber bei der Technologiepolitik aufzulösen, sind zeitlich befristete und unabhängig evaluierte Förderwettbewerbe. Der im Sommer 2007 im Rahmen der so genannten Hightech-Initiative gestartete Spitzencluster-Wettbewerb ist ein gutes Beispiel. Hier hat die Politik der Einsicht Rechnung getragen, dass die Unterstützung privater Wirtschaftsakteure bei der Erarbeitung innovativer Lösungen ebenso einen Entdeckungsprozess darstellt wie die Suche nach marktwirtschaftlichem Erfolg selbst. Denn Innovationspolitik ist ein risikoreiches Unterfangen, dessen Erfolg keineswegs durch gute Planung und Ausführung garantiert werden kann. «

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