Wo das Kreative herkommt

EDITORIAL

Das Zeitalter der rauchenden Schlote ist in den Gesellschaften des Westens Geschichte, die Zukunft gehört den Kreativen – den kreativen Gesellschaften, den kreativen Regionen und den kreativen Städten. Das sind diejenigen, in denen möglichst viele Menschen zeitgemäßes Wissen und relevante Fertigkeiten besitzen, die ihnen dabei helfen, hochwertige Ideen, Produkte und Dienstleistungen hervorzubringen. Kreative Gesellschaften in diesem Sinne sind allerdings ziemlich voraussetzungsvolle Angelegenheiten. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida benennt drei zentrale Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit eine kreative Wirtschaft florieren kann. Dies werde nur in Gesellschaften und an Orten geschehen, in denen die „drei T’s“ der Technologie, der Talente und der Toleranz in gleichem Maße zur Entfaltung kämen.

 

Nur wo diese drei T’s zusammenkommen, sind heute positive Entwicklung und wachsender Wohlstand möglich: Technologie mit hoher Wertschöpfung ist undenkbar ohne qualifizierte Fachkräfte. Talente in möglichst hoher Zahl auszubilden, zu halten und von außen anzuziehen liegt heute im intensiven Interesse jedes einzelnen Landes, jeder einzelnen Region, jeder einzelnen Stadt. Gelingen kann das aber wiederum allein dort, wo ein gesellschaftliches Klima der kulturellen Toleranz herrscht. Wo sich auch „andere“ Menschen – Einwanderer, Minderheiten, Künstler, schräge Vögel – willkommen fühlen können, werden sich andere hinzugesellen. Wo es hingegen an Toleranz, also an Offenheit für Neues, Fremdes, Anderes mangelt, da leidet die Lebensqualität, und es siedeln sich dort auch keine Talente an, die moderne Technologien entwickeln und Wohlstand schaffen könnten. Die drei T’s bedingen und befruchten sich gegenseitig, aber unter den Bedingungen des modernen wissensintensiven Wirtschaftens ist die Toleranz in gewisser Weise die wichtigste unter ihnen.Wo es intolerant zugeht, da ist die Zukunft schon verspielt.

 

Floridas TTT-Theorie handelt davon, wie sich im 21. Jahrhundert Zukunft gewinnen lässt. Sie lenkt den Fokus fort von den üblichen Bestandskriterien wie Bruttosozialprodukt oder Pro-Kopf-Einkommen und verweist stattdessen auf Zukunftspotenziale, die realisiert werden können, wo man systematisch und gezielt darauf setzt, die Bedingungen für Technologie, Talente und Toleranz zu verbessern. So ergibt eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, dass unter TTT-Gesichtspunkten von allen Bundesländern ausgerechnet das verarmte Berlin die größten Potenziale besitzt – vor Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern. Doch Potenziale bleiben ungenutzt, wo nicht alles dafür getan wird, dass sich die drei T’s tatsächlich materialisieren. Dass dies zugleich ein schlagendes Argument für das Konzept des vorsorgenden, in die Menschen und ihre Fähigkeiten investierenden Sozialstaats ist, sei hier nur nebenbei vermerkt. Und apropos: Wo man diesen Weg entschlossen einschlägt, da wachsen auch Mut und Zuversicht: Heute empfinden die Deutschen die Globalisierung zu 59 Prozent als Bedrohung, die Dänen gleich hinter unserer Grenze dagegen nur zu 16 Prozent. Ob wir den Blick tatsächlich nach vorn richten oder doch lieber zurück – davon hängt also nicht wenig ab.

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