Wo sind denn die janzen Milliarden jeblieben?

Wie die Krise die Berliner Verkehrszellen mit dem schlechtesten Sozialindikator heimsucht

Wie die Krise die Berliner Verkehrszellen mit dem schlechtesten Sozialindikator heimsuchtvon thorsten lüthke und jürgen neumeyerNun ist sie endlich da, die Wirtschaftskrise. Die Bundesagentur für Arbeit hat sie im Dezember auf dem Arbeitsmarkt entdeckt. Und die Politik handelt entschlossen und setzt 50 Milliarden Euro auf den Wunschzettel, auch wenn Guido Westerwelle für das Geld nur eine Currywurst mit Beilagen bekommt – aber sein Arbeitsplatz ist auch nicht wirklich bedroht.

Wo kann man hingehen, um in Berlin Stimmungen einzufangen zu Finanzmarktkrise und Konjunkturpaket? Glücklicherweise publiziert die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine kleinräumige Sozialstatistik. Genau 338 statistisch gebildete Verkehrszellen mit jeweils rund 10.000 Einwohnern werden ausgewertet. Gleich am Anfang der Liste stehen vier Verkehrszellen mit dem schlechtesten Statusindikator – auf geht’s nach Moabit.

Am Nachmittag machen wir eine Stippvisite im Bürgerverein für den Stephankiez. Hier engagieren sich Menschen für ihre Umgebung. Teamsitzung. Der Vorsitzende ist für jedes Konjunkturprogramm der Welt: „Wir sind dafür, dass Schulden gemacht werden, aber das muss in Bildung gehen.“

Moabit ist ein wirklich schöner Wohnbezirk, genauso alt wie der Prenzlauer Berg, aber leider wohnt hier keine wohlhabende Klientel. Daher sind die traditionsreichen Eckkneipen auch nicht den Sushi-Cocktailbars gewichen. Das Pils hat hier noch mehr Schaum als der Kaffee, den man übrigens auch im Kännchen bekommen kann.

Vier Stationen fährt der TXL-Bus vom Regierungsviertel, dann sind wir an der Turmstraße. Unser erster Anlaufpunkt ist der Tresen der Quelle – ein echtes Original, ebenso wie die freundliche und durchsetzungsfreudige Wirtin („Deine Hose ist auf. Nebenbei mal gesagt.“). In politischen Fragen hält sie sich zurück. Aber neben uns sitzen Peter und sein tätowierter Freund, der uns aufklärt: „Hier in der Quelle hamse sofort uff die Wirtschaftskriese reajiert: Dit Pils ist von 2,40 auf 2 Euro runter und der Schnaps von 1,60 uff 1,40. So halten se die Jäste.“

„Angela Merkel hat keine eigene Meinung“

Peter ist ehemaliger Stahlbauschlosser und bezeichnet sich als „christlich-demokratisch eingestellt“: „Ick bin ein alter Rentner, mir jeht’s jut. Ick kann mir hier mein Bier leisten und noch viel mehr.“ Vom Konjunkturprogramm ist er nur mäßig begeistert, findet es aber gut, dass Angela Merkel nicht sofort auf den europäischen Zug aufsprang. „Eijentlich bringt das Konjunkturprogramm nicht so viel, wenn se eine Standardfamilie nur um 198 Euro entlasten.“ Er guckt gerne Phoenix, daher hat er diese Information. „Dit hätte man besser machen können. Es jibt halt nur eine jewisse Konjunkturbelebung. Die Reichen müssten mehr belastet werden und die Armen entlastet.“ Und wer führt uns nun durch die Krise? „Angela Merkel ist eine gute Rhetorikerin. Aber sie hört auf ihre Minister und hat keine eigene Meinung.“ Und die Sozialdemokratie wäre zu gespalten, meint Peter. „Da jibt es zu viele Abtrünnige. Das regt mich auf.“ Kurze Pause. „Helmut Schmidt war der beste Kanzler“ – auch sein tätowierter Kumpel stimmt dem zu.

In der Bredowstraße kommen wir an den Stammtisch, hier trifft sich die örtliche SPD nach ihren Sitzungen. Hinter dem Tresen stehen Klaus und Regina, die den Stammtisch seit 1969 führen. Engelhardt und zwei leckere Bouletten stärken uns, während Wirt Klaus uns einen spanischen Sprachführer zeigt, in dem der Stammtisch erwähnt wird.

Mit der Wirtschaftskrise hat er aber nichts am Hut: „Die Leute trinken mal mehr und mal weniger.“ Und deshalb ist die Vertrauensbasis zu Geschäftspartnern und Gästen für ihn das Wichtigste. „Konjunkturprogramm bringt nichts. Ich fahr meine lange Linie. Man muss seine Sachen selbst machen und dabei bleiben. Besser nicht delegieren.“ Horst ist ehemaliger Baustadtrat. Er erklärt uns noch, wie das mit der Geldverteilung laufen könnte: „Na, viele kleine Projekte ausschreiben, damit es der örtlichen Wirtschaft hilft.“

Eigentlich wollen wir gerne bleiben, uns gefällt es im Stammtisch, doch wir müssen weiterziehen. Wir kehren in das Café Cox in der Waldenserstraße ein. Im Keller gibt es einen Billard-Tisch und eine kleine Bühne. Manchmal spielen sie hier Live-Musik. Martin hat 15 Jahre in Moabit gelebt, jetzt wohnt er seit 10 Jahren in Alt-Mitte, heute macht er einen Ausflug in seinen alten Kiez. Er ist Hartz-IV-Empfänger und findet das ganze Konjunkturprogramm bescheuert. „Lieber sollte man jedem Hartz-IV-Empfänger ein Fahrrad geben.“ Wirtin Gisela sieht in Moabit überhaupt keine Krise auf sich zukommen: „Ich fühl mich hier wohl und freu mich über die tollen Gäste“ – fast alles Stammpublikum. „Die meisten haben Arbeit, aber der Januar ist eh nicht so gut.“

Mit Landowsky fing die Bankenkrise an!

Rentner Bernd lebt seit seiner Geburt hier im Kiez: „Zum Konjunkturprogramm kann ick nischt sagen. Aber die, die verantwortlich sind – nicht die Politiker, die Banker. Da spricht keener davon. Da wird so jetan, also ob dit nen leichter Unfall wäre. Die janzen Milliarden. Da hat doch jemand dran verdient. Oder sind die alle so in den Boden versickert?“ Bernd war früher, „zu Landowskys Zeiten, vor der Wende“, in der CDU. Jetzt findet er sie „fürchterlich“. „Wat jetzt jetan werden müsste? Da frag ma den Oskar Lafontaine. Ick möchte, dass alles sozial gerecht zugeht.“

Martin kommt mit uns mit, er will uns ein bisschen Moabit zeigen. In der schönen, breiten Waldstraße finden wir das Limit. Laut Tafel gibt es hier irischen Whiskey. Am Tresen treffen wir Bernd. Er ist 55, Freiberufler und wohnt seit 20 Jahren im Haus gegenüber. „Die Wirtschaftskrise haben nicht die kleinen Leute gemacht.“ Für ihn ist fraglich, wem das Konjunkturprogramm nützen soll. Bernd schätzt sich selbst als „eher pessimistischen Menschen“ ein. „Es wird so getan, als ob es den kleinen Leuten nutzen soll, tut es aber nicht. Das geht in die falsche Richtung. Wenn wir schon Schulden machen, dann sollten sie langfristig was verändern. Das ist doch alles seit 20 Jahren bekannt.“ Und die Frage nach den Machern? „Keiner. Was uns hier fehlt ist ein Obama-Kabinett aus Spezialisten.“

Bessere Bildung, Unterstützung der Bedürftigen, Förderung der örtlichen Wirtschaft – so weit liegen die Meinungen in Moabit nicht auseinander. Bernd hat dazu sein eigenes Konzept: „Man müsste was für die kleinen Leute tun, die exorbitanten Steuern senken, zum Beispiel den Solidaritätszuschlag abschaffen. Die Leute müssen Geld in der Tasche haben.“

Im Limit finden wir auch unser Limit. Hier kommt kein gefühltes Konjunkturprogramm an, ob die Menschen nun Arbeit haben oder nicht. Von den Baumaßnahmen und Investitionen wird Moabit sicher profitieren, vielleicht bekommen die U-Bahnhöfe schneller Fahrstühle und es entstehen Jobs auf dem Bau. Aber das Lebensgefühl fehlt, an dem ein Konjunkturprogramm ansetzen kann. Im Gespräch mit Gast Stephan findet sich auch unsere Sicht auf Moabit bestätigt: Man habe „die Verluste hinter sich, die Deutschland noch vor sich hat“.

Bürger für den Stephankiez in Mitte –
www.stephankiez.de – Stephanstraße 26, 10559 Berlin
Cafe Cox – Kneipe & Kulturcafe – Waldenserstraße 29 – 10551 Berlin
Limit – Bar – Waldstraße 44 – 10551 Berlin
Stammtisch – Eckkneipe –Bredowstraße/ Winclefstraße – 10551 Berlin
Quelle – Eckkneipe – Stromstraße/Alt-Moabit – 10559 Berlin


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