Zu jung, zu unerfahren und überhaupt ein falscher Fuffziger: Die endgültige Wahrheit über Barack Obama
Millionen von Amerikanern, High-School-Absolventen wie Hollywood-Stars, haben den Sohn eines Kenianers und einer weißen Amerikanerin seit dem Beginn der Kampagne unterstützt, und die halbe Welt hat ihm ihr Herz geschenkt. Es gibt wohl kein Land der Erde, in dem heute nicht gejammert wird: „Ach, wären unsere Politiker doch ein bisschen mehr so wie Barack Obama ... .“ Auch die deutschen Medien haben mit Überschriften wie „Der Messias-Faktor“ (Spiegel), „Verkünder der Versöhnung“ (Frankfurter Allgemeine) oder „Der Schwarze Kennedy“ (Buchtitel des Tagesspiegel-Korrespondenten Christoph von Marschall) in den Chor eingestimmt.
Während Wähler wie Gegner über seine Konkurrentin Hillary Clinton längst schon mehr wussten, als ihnen lieb war, bleiben die Konturen des Anwaltes und Sozialarbeiters bisher unklar. Sein Image als Gegner des Irak-Kriegs von Anfang an beispielsweise verdankt er nicht unerheblich der Gnade einer späten Karriere: Als State Senator in Illinois konnte er gefahr- und folgenlos dagegen sein, seit seinem Einzug in den Senat im Jahr 2005 ist sein Abstimmungsverhalten in dieser Frage eher unspektakulär.
Umso mehr braucht er die Unzufriedenheit der Amerikaner mit dem Fiasko im Irak, wie eine der Szenen des vergangenen Vorwahlkampfes zeigte. Die Clinton-Kampagne fragte suggestiv in einem Fernsehspot: „Es ist drei Uhr nachts, im Weißen Haus klingelt ein Telefon. Etwas passiert in der Welt. Wer soll abnehmen?“ Doch wohl derjenige, der die Staatsoberhäupter dieser Welt und das Militär kennt! Obama konterte sofort mit denselben Bildern und einer anderen Antwort: Lieber der, der von Anfang an gegen den Irak-Krieg war – also der mit dem besseren Urteilsvermögen!
Mach’s lieber wie die SPD, Barack!
Unter der starken Medienaufmerksamkeit, die einem Spitzenkandidaten nicht nur in den Vereinigten Staaten zuteil wird, sind aber auch an dieser „Judgement“-Kampagne mehr als nur ein paar Risse entstanden: Welche Urteilsfähigkeit war es denn, die Barack Obama so lange zu seinem Pastor Jeremiah Wright halten ließ, der seit Jahren mit mehr als nur politisch unkorrekten Predigten auf sich aufmerksam machte? Wie weit ist er mit seinen undurchsichtigen Verbindungen zu dem nun angeklagten Immobilienhai Antoin Rezko wirklich von den Skandalen der Hauptstadt entfernt? Die Republikaner jedenfalls planen offenbar bereits eine Kampagne unter dem Titel „Barack Obama: He’s Not Who You Think He Is“.
Seinen Anspruch auf die Präsidentschaft leitet Obama daraus ab, dass sich die heutigen USA von den Grundsätzen der Verfassung und den Absichten ihrer Väter weit entfernt hätten. Fix, also „reparieren“ oder „in Ordnung bringen“ ist eine der häufigsten und die auffälligste, weil unkonventionelle und unspezifische Vokabel in seinen politischen Programmen. Folgerichtig lehnt Obama alles ab, was mit „Washington“ zu tun hat und beschreibt beispielsweise in seinem Buch The Audacity of Hope aus dem Jahr 2006 (das sich schon wesentlich mehr als Bewerbung für das Weiße Haus liest als die Jugenderinnerungen Dreams from my Father aus dem Jahr 1995) in gebührender Länge den quälenden Alltag des amerikanischen Politikerlebens und beklagt den Realitätsverlust der Hauptstädter.
Sein jugendliches Alter von 47 Jahren und seine geringe politische Erfahrung ermöglichen Obama dabei den Traum aller amerikanischen Wahlkampfstrategen: eine Kampagne gegen Washington, getragen von großen Stars und kleinen Leuten überall im Land. Seine Wahlkampfmaschinerie, wie Maik Bohne sie in der Berliner Republik 3/2008 treffend beschreibt, ist eine mächtige Organisation aus Mitgliedern aller Schichten, die sich einzig und allein zu einem Zweck zusammengefunden haben: „Barack Obama for president!“ Nach dem großen Erfolg oder der tragischen Niederlage werden hinterher alle – das ist beim nüchternen Erwachen nach so viel Begeisterung unvermeidlich – wieder ihrer Wege gehen.
Diesem Phänomen des politischen flash mobs, im politischen System der Vereinigten Staaten sowieso die Regel, mag in Zeiten immer wechselhafterer Wählerschaft auch in Deutschland die Zukunft gehören. Die SPD aber hat ihre Rolle einmal ganz anders verstanden – verwurzelt in der Gesellschaft und im täglichen Leben ihrer Mitglieder, als politische Organisation und Institution, die in der Summe größer ist als ihre Köpfe. Auch wenn wir von Barack Obama lernen können: Diese Flüchtigkeit sollten wir uns nicht abschauen, sie ist gerade kein Vorbild für eine Volkspartei wie die SPD.
Was hat der Mann denn schon geleistet?
Ganz abgesehen davon, dass ein Präsident Obama genauso die amerikanischen Interessen verträte wie seine 43 Vorgänger und damit seinen Bewunderern hierzulande sicherlich einige unangenehme Überraschungen bereiten würde, unterscheiden sich die europäische und die amerikanische Perspektive auf die Jahre der gescheiterten Regierung Bush in einem wichtigen Punkt: In den Vereinigten Staaten herrscht das Gefühl vor, entscheidend sei die stark polarisierende Innen- wie Außenpolitik gewesen, die das Land gespalten habe. Europäer hingegen sind eher der Ansicht, das größte Defizit des Texaners sei seine Inkompetenz, besonders bei komplexen politischen Themen. Für das gespaltene Land bietet Obama mit seiner Mitmach-Rhetorik die Patentlösung – aber seine Fähigkeiten muss er erst noch beweisen.
Barack Obama ist nicht mehr nur der Underdog-Kandidat, für dessen erfrischende nouveauté wir uns begeistern können und dessen Aura intellektueller Weltverbesserung uns beeindruckt – der Jurist, dessen größte administrative Herausforderung bisher das Ablehnen von Artikeln für die Harvard Law Review war, ist nun einer von zwei Anwärtern für das wohl wichtigste politische Amt unserer Zeit. Je näher also der Wahltag rückt, desto mehr müssen sich alle Beobachter, Fans wie Kritiker, darüber klar werden, was die Welt von einem Präsidenten Obama zu erwarten hat und was nicht.
Die Irak-Strategie des Präsidentschaftskandidaten jedenfalls ist einfach und eindeutig: Abzug, so schnell und umfangreich wie möglich, zugleich diplomatische Bemühungen um Stabilität in der Region. Was klingt wie Außenpolitik, ist in Wahrheit eine innen- und haushaltspolitische Agenda, die das Leben tausender Amerikaner retten und den Bundeshaushalt um Milliarden entlasten soll.
Auch ist ein budgetfreundlicher Abzug für das Erreichen der übrigen Wahlkampfziele dringend notwendig, darunter die komplette Abschaffung der Einkommenssteuer für 10 Millionen Amerikaner, Investitionen in Industrie und ländliche Gebiete gleichermaßen sowie Mittel in Höhe von 150 Milliarden Dollar in zehn Jahren für regenerative Energie. Jedem Amerikaner soll in Zukunft ein College-Studium möglich sein, Bildung ohnehin auf jeder Ebene gestärkt, der Kohlendioxid-Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent verringert, der Mindestlohn drastisch angehoben und an die Inflation gekoppelt werden. Familien, bedrohte Eigenheimbesitzer, Grund-, weiterführende und Hochschulen, Niedriglohnverdiener, kleine und mittelständische Unternehmen, arbeitsplatzintensive Industrie, Landwirte, Krankenversicherungsprogramme aller Couleur, Veteranen, Behinderte und Rentner, um nur ein paar wenige zu nennen, sie alle sollen direkt oder indirekt mehr Geld bekommen.
Obama praktiziert also nicht nur eine „neue Form des Populismus“, wie Maik Bohne schreibt, sondern greift auch auf allzu bekannte Konzepte zurück. Ein Wahlkampf, der auf einer Welle aus diffuser Wechselstimmung und Unzufriedenheit reitet, ein charismatischer Kandidat als Projektionsfläche für jedermann und ziemlich viele Versprechungen an ziemlich viele Wähler – das ist auch in Zeiten von online campaigning und viral marketing ein riskanter Mix.