Vom ehrlichen Makler zur Partei Israels

In ihrer Nahostpolitik haben die Vereinigten Staaten einen Kurs der doppelten Standards eingeschlagen. Weder mit der demokratischen Tradition amerikanischer Außenpolitik noch mit den nationalen Interessen der USA ist diese Strategie vereinbar

Die Nahostpolitik der Vereinigten Staaten steht seit der Präsidentschaft von George W. Bush politisch wie rechtlich auf fragwürdiger Grundlage. Eine Melange aus neokonservativen Machtpolitikern und skrupellosen Geschäftsleuten hat, unterstützt von einer einflussreichen Koalition protestantischer Fundamentalisten und diversen Interessengruppen, in Washington die Führung übernommen.

Diese Gruppe setzt sich aus alten Freunden zusammen, die sich seit Jahrzehnten kennen. Das Weltbild dieser Seilschaft ist manichäisch. In den Worten George W. Bushs: "Wer nicht für uns ist, ist für die Terroristen." Stigmatisiert wird, wer nicht in dieses Weltbild passt. Diese erzkonservative Elite verfolgt eine Politik des doppelten Standards besonders gegenüber dem Nahen Osten. Aus dieser ambivalenten Haltung resultiert ein großes Glaubwürdigkeitsproblem nicht nur gegenüber den arabischen Ländern, sondern seit dem Irakkrieg auch gegenüber einem Teil der Verbündeten in Europa sowie der eigenen Bevölkerung.

Einerseits werden politisch- moralische Kriterien gegenüber den arabischen Ländern rigoros eingefordert und unter Androhung von Gewalt durchgesetzt. Andererseits drückt man bei gravierenden Menschenrechtsverstößen "befreundeter Staaten" wie zum Beispiel jener Israels gegenüber den Palästinensern oder der israelischen Missachtung des Völkerrechts beide Augen zu. Diese Doppelmoral ist ein wichtiger Grund dafür, dass nicht nur die Kritik, sondern auch der Hass gegenüber Amerika weltweit zunimmt.

Die Vereinigten Staaten und Israel unterhalten seit der Anerkennung Israels durch Präsident Truman 1948 enge bilaterale Beziehungen. Der Nationale Sicherheitsrat der USA wies Israel bereits 1958 die Rolle eines Alliierten gegen den arabischen Nationalismus zu. Zuvor hatte sich das Land 1956 zusammen mit den Kolonialmächten Großbritan-nien und Frankreich an einem Angriffskrieg beteiligt, um Gamal Abdel Nasser in Ägypten zu stürzen. Dieser hatte den Suezkanal verstaatlicht und eine eigenständige Politik betrieben. Damals gelang es Präsident Dwight D. Eisenhower, Israel zum Rückzug aus dem eroberten Sinai zu bewegen. Ein fundamentaler Wandel des Israelbildes in den USA trat mit Israels grandiosem Sieg im Sechstagekrieg vom Juni 1967 ein, in dem das Land den arabischen Staaten eine vernichtende Niederlage beibrachte.

Seit diesem Ereignis spielte das Land als strategischer Partner im amerikanischen Denken eine Sonderrolle; die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Israel haben sich auf allen Gebieten stetig vertieft. Besonders der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger richtete die Politik der Vereinigten Staaten auf Israel hin aus und betonte in den siebziger Jahren, dass der Nahe Osten (wie Lateinamerika seit der Monroe-Doktrin von 1823) eine Domäne der USA sei; Europa und Japan sollten sich diplomatisch "fernhalten".

Diese Politik fand ihren formellen Niederschlag in der so genannten Carter-Doktrin von 1977, welche die Region des Nahen und Mittleren Ostens zur alleinigen Interessensphäre der USA erklärte. Als Sicherheitsberater unter US-Präsident Richard Nixon brachte Kissinger 1971 den Plan von US-Außenminister William Rogers zu Fall, der auf der UN-Resolution 242 basierte. Israel wurde darin aufgefordert, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen; seine Sicherheit war garantiert. Seither haben die USA alle israelkritischen Sicherheitsratsresolutionen der Vereinten Nationen - weit über 30 an der Zahl - mit ihrem Veto blockiert. Auch das amerikanische Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung der UNO ist eindeutig: Zusammen mit Israel stimmen die USA gegen jede Resolution, welche die Politik Israels auch nur ansatzweise kritisiert.

Carter war seiner Zeit weit voraus

Eine Ausnahme in der amerikanischen Außenpolitik gegenüber dem Nahen Osten bildete die Präsidentschaft Jimmy Carters. Dessen Politik der Achtung der Menschenrechte wurde seinerzeit belächelt und als Schwäche missdeutet; in Wahrheit war sie ihrer Zeit weit voraus. Mit dem Abkommen von Camp David zwischen Israel und Ägypten gelang es 1979 der US-Diplomatie unter Carters Führung erstmalig, die Rolle eines ehrlichen Maklers überzeugend zu spielen.

Die damals für die Palästinenser vorgesehene Autonomieregelung war, verglichen mit der heutigen Lage der Palästinenser geradezu optimal. Damals gab es nur vereinzelte Siedlungen, das besetzte Gebiet glich noch keinem "Inselreich" wie heute. Die Palästinenser unter Yassir Arafats Führung lehnten die damalige Lösung jedoch kategorisch ab. Dass Jimmy Carter letztlich scheiterte, hing mit dem Sturz des Schah-Regimes und der Machtergreifung der iranischen Mullahs zusammen. Sie ließen es zu, dass die amerikanische Botschaft besetzt werden konnte und die Mitarbeiter als Geiseln genommen wurden.

444 Tage lang musste Amerika die iranische Demütigung ertragen. Ein Befreiungsversuch der Geiseln durch das amerikanische Militär scheiterte in der iranischen Wüste kläglich. Carter verlor die Präsidentschaftswahl gegen Ronald Reagan auch deshalb, weil Reagan massiv von der christlichen Rechten unterstützt wurde. Die Geiseln wurden daraufhin umgehend freigelassen. Seither gilt Carter als schwacher und gescheiterter Präsident. Jedoch erhielt er 2002 der Friedensnobelpreis, was gemeinhin als Manifestation gegen den angriffslustigen George W. Bush interpretiert wurde.

Die achtziger Jahre waren durch zwei Ereignisse gekennzeichnet: 1982 marschierte Israel unter dem Slogan "Frieden für Galiläa" in den Libanon ein, um Arafats PLO zu zerschlagen und eine Marionettenregierung zu installieren. Arafat musste ins Exil nach Tunis gehen. Und unter der politischen Verantwortung des heutigen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon begingen christliche Milizen ein Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila. Tausende wurden dort getötet. Eine israelische Untersuchungskommission wies Scharon die politische Verantwortung für die Massaker zu. Daraufhin musste er vom Amt des Verteidigungsministers zurücktreten, blieb aber Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett von Ministerpräsident Menachem Begin. Der Untersuchungsbericht schrieb fest, er dürfe nie wieder das Amt des Verteidigungsministers bekleiden. Es sollte aber schlimmer kommen: Im Februar 2001 wählte das israelische Volk Scharon zum Premierminister.

Wie Rumsfeld einmal Saddam besuchte

In den achtziger Jahren betrieb Israel mit Unterstützung der USA eine intensive Kolonisierung der besetzten Gebiete. Ohne die Billigung der amerikanischen Regierungen wäre diese expansive Siedlungspolitik nicht möglich gewesen. Erst durch den Ausbruch der Intifada von 1987 und die Anerkennung Israels durch den palästinensischen Nationalrat auf seiner Sitzung vom 15. November 1988 in Algier kam es zur ersten Annäherung zwischen USA und PLO. Der Aufstand der Palästinenser im Dezember 1987 bewirkte ein langsames Umdenken in Israel und den Vereinigten Staaten, weil er zeigte, dass die Palästinenser nicht mehr bereit waren, die Demütigungen der Besetzung zu ertragen. Immer wieder versuchten die amerikanischen Regierungen unter Reagan und dem älteren Bush, die Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bekommen, was am Starrsinn des konservativen israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Shamir scheiterte.

Erst mit der Besetzung Kuwaits 1990 durch Saddam Husseins Truppen kam wieder Bewegung in den Nahen Osten. Nun wurde der ehemalige Partner und Freund Amerikas zum neuen "Hitler" stilisiert. Im ersten Golfkrieg zwischen Iran und Irak hatten die USA, Frankreich und andere Mächte den Irak massiv aufgerüstet. Auch zum Giftgasangriff auf die kurdische Bevölkerung sowie gegen die Soldaten des Iran schwiegen die Vereinigten Staaten. Sie lieferten ihm sogar das Know-how zur Produktion von Giftgas.

Kein geringer als Donald Rumsfeld besuchte 1983 Saddam und fädelte diesen Deal ein. Erst als sich der Diktator gegen Israel wandte, zogen die Amerikaner ihre schützende Hand über ihm fort. Bis heute ist unklar, ob die amerikanische Botschafterin im Irak damals Saddam die stillschweigende Zustimmung der USA für eine Kuwait-Invasion signalisiert hatte.

Nicht nur die irakische Aggression gegen die Ölquellen Kuwaits, sondern auch die Verknüpfung der Invasion mit der Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel tangierte fundamentale Interessen der Vereinigten Staaten. Von Anfang an ließen sie keinen Zweifel daran, dass sie die irakischen Truppen mit Gewalt aus Kuwait vertreiben würden. Zusammen mit dem kuwaitischen Öl hätte der Irak ebenso große Ölressourcen besessen wie Saudi-Arabien; darüber hinaus bedrohte Saddam auch die Saudis. In einer einzigartigen diplomatischen Leistung gelang es der Bush-Administration, eine Koalition aus westeuropäischen und arabischen Staaten gegen den Irak zu bilden.

Die Vereinigten Staaten sahen aber in der Verknüpfung des irakischen Überfalls auf Kuwait mit dem Palästinaproblem eine Gefahr für die Sicherheit Israels. 1990 hatte Saddam Amerika den Vorschlag unterbreitet, seine chemischen und biologischen Waffen zu vernichten, falls Israel bereit wäre, seine nicht-konventionellen Waffen ebenfalls zu zerstören. Das US-Außenministerium lehnte diese Verbindung zu fremden Waffensystemen ab. Das Eingeständnis der Existenz israelischer Nuklearwaffen hätte die Frage nach der Rechtmäßigkeit der finanziellen Unterstützung seitens der USA für Israel aufgeworfen, da die amerikanische Gesetzgebung aus den siebziger Jahre finanzielle Unterstützung an Länder mit Atomwaffen verbietet.

Die Doppelmoral der Amerikaner zeigt sich hier besonders in der Frage der Nuklearwaffen: Der internationalen Staatengemeinschaft ist bekannt, dass Israel zwischen 300 und 500 Atomraketen und ein stattliches Arsenal von chemischen und biologischen Waffen besitzt. Sie ignoriert diese Tatsache jedoch beharrlich. Israel hat bis heute jede Inspektion seiner Atomfabriken und biochemischen Anlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde in Wien strikt abgelehnt. Den Atomwaffensperrvertrag hat das Land nicht unterzeichnet.

Der Friedensprozess endete im Desaster

Nach dem Ende des zweiten Golfkrieges und der Proklamation der "Neuen Weltordnung" durch den älteren Bush setzten die Vereinigten Staaten alles daran, den israelisch-palästinensischen Konflikt beizulegen. Zum ersten Mal bestand eine Lage, die nicht von widerstreitenden Großmachtinteressen gekennzeichnet war. Die USA strebten eine Balance zwischen ihrer Pro-Israel-Haltung und ihren guten Beziehungen zu den moderaten arabischen Regimen an. Der im September 1993 begonnene Friedensprozess endete aber in einem Desaster, für das die USA erhebliche Mitverantwortung trugen, da sie nicht genug Druck auf Israel ausgeübt hatten.

Der Osloer Friedensprozess wurde anfänglich ohne amerikanische Hilfe angestoßen, die USA übernahmen aber nach dessen Bekanntwerden umgehend die Initiative. Bill Clinton zelebrierte die Unterzeichnung des Osloer Vertrages im September 1993 im Stile eines römischen Imperators. Fortan bestimmten die Vereinigten Staaten zu einem maßgeblichen Teil den Fortgang der Verhandlungen. Doch trotz intensiver Bemühungen von Seiten Clintons gab es zahlreiche Rückschläge.

Einen letzten Versuch, den Friedensprozess vor einem endgültigen Zusammenbruch zu retten, unternahm Clinton mit seiner Einladung an Ehud Barak und Yassir Arafat nach Camp David im Juli 2000. Ihm gelang aber nicht, was Jimmy Carter an gleicher Stelle erreicht hatte. Clinton und Barak wiesen öffentlich Arafat die Schuld am Scheitern des Gipfels zu. Das war politisch falsch und diplomatisch katastrophal. Der so genannte ehrliche Makler ergriff wieder einmal Partei für Israel. Doch Camp David war nicht an Arafat gescheitert, sondern an der Intransigenz der Israelis und der Unwilligkeit Clintons, ausreichenden Druck auf Israel auszuüben.

Die Road Map führte ins Niemandsland

War die Clinton-Administration schon extrem einseitig auf Israel fixiert gewesen, so tendiert George W. Bush noch stärker in Richtung Likud-Politik. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der israelische Ministerpräsident freie Hand in seiner persönlichen Variante des "Kampfes gegen den Terror" hat. Auch nach der Road Map, die Bush im Juni 2003 lancierte, braucht sich Israel nicht zu richten. Dieser Plan ist auch aufgrund der chaotischen innerpalästinensischen Verhältnisse schon heute tot. Darüber hinaus bekämpft Yassir Arafat jeden Ministerpräsidenten, der nicht seinen Befehlen folgt. Letztlich aber tragen an der verfahrenen Situation in Israel und Palästina die USA einen großen Teil der Verantwortung, weil sie nicht bereits sind, Israel in seine Schranken zu weisen. Hätten die Vereinigten Staaten nicht seit 1967 Israel so uneingeschränkt unterstützt, wäre es im Nahen Osten längst zu einem friedlichen Ausgleich gekommen.

Ähnlich zwiespältig wie gegenüber dem Irak ist das Verhalten der Amerikaner gegenüber dem Iran. Die CIA beteiligte sich am Umsturz des durch demokratische Wahlen an die Macht gekommenen Nationalisten Mohammad Mossagdeh und installierte den Autokraten und Antidemokraten Schah Reza Pahlewi. Bis zu dessen Sturz 1979 galt das Land als Freund der USA. Mit der Machtübernahme von Ayatollah Khomeini mutierte der Iran vom "Freund" zum "Satan", obwohl es in Bezug auf die Verletzung von Menschenrechten oder der Missachtung demokratischer Prinzipien kaum Unterschiede gab.

Im Gegenteil: Im Iran der Mullahs gibt es immerhin demokratische Wahlen. Die USA verfolgten gegenüber dem Iran eine Politik der Eindämmung, die nach der Vertreibung Saddams aus Kuwait zum dual containment erweitert wurde. Die Amerikaner zählen den Iran zur "Achse des Bösen", obgleich das Land im Vergleich zu Saudi-Arabien und Kuwait demokratisch und weit weniger fundamentalistisch ist. Auch gestattet der Iran im Gegensatz zu Israel der Internationalen Atomenergiebehörde Zugang zu allen Nuklearanlagen, die keinerlei Verstöße festgestellt hat.

Wer gegen den Irak dabei war, wird profitieren

Erneut gilt hier die Politik des doppelten Standards: Die USA fördern weiterhin das fundamentalistische und antidemokratische Regime in Saudi-Arabien, obgleich die Regierung des Landes fast alle islamistisch-fundamentalistischen Gruppen weltweit unterstützt. Hatte die amerikanische Administration nicht auch gute Kontakte zum Taliban-Regime und war sich mit ihm über den Bau eine Öl-Pipline prinzipiell einig, bevor das Regime in Afghanistan seine Loyalität zum Terroristen Osama Bin Laden höher bewertete als seine Beziehungen zu den USA?

Es geht den Vereinigten Staaten also primär nicht um den Kampf gegen den Terror, die Demokratisierung der autokratischen Regime im Nahen Osten oder die Begrenzung von Massenvernichtungswaffen, es geht ihnen um den freien Zugang zu den zentralasiatischen und nahöstlichen Ölquellen sowie die geopolitische Neuordnung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens. Im Irak lagern die zweitgrößten Ölvorräte der Welt. Der Krieg gegen den Irak war Amerikas letzter Krieg ums nahöstliche Öl, weil sich durch die Niederschlagung des Saddam-Regimes die geostrategische Lage auf lange Sicht zu Gunsten der USA verschoben hat. Alle Länder, die sich am Waffengang gegen den Irak beteiligen, werden langfristig davon profitieren. Getrieben vom Durst nach Öl, will Bush die Region im amerikanischen Sinne neu ordnen. Sofort nach dem Sieg gegen das Saddam-Regime nahmen Wolfowitz, Rumsfeld, Rice und Powell den Iran und Syrien ins Visier. Das Drehbuch glich dem für den Umgang mit Saddam. Sollte der Iran oder Syrien sich den amerikanischen Vorstellungen widersetzten, drohe auch ihnen der Umsturz, so die Botschaft.

Ehemalige Trotzkisten und alte Reaktionäre

Der völkerrechtlich umstrittene Angriff der USA zusammen mit einer "Koalition der Willigen" gegen den Irak ist bis heute noch nicht aufgearbeitet. Von einer Befriedung des Landes, gar einer Lösung des Konfliktes scheinen die Koalitionstruppen weiter entfernt denn je, obwohl sie Saddam endlich gefasst haben. Wie konnte sich die amerikanische Nahostpolitik in dieses Abenteuer begeben? Warum hat unter Präsident George W. Bush solch eine Radikalisierung stattgefunden?

Mit der Präsidentschaft des jüngeren Bush gelangte in den USA eine politische Elite an die Macht, die als neokonservativ bezeichnet wird. Diese Gruppe setzt sich aus Intellektuellen der verschiedensten politischen Lager zusammen, die sich aus unterschiedlichsten Motiven zu den "Neocons" zählen. Das Spektrum reicht von ehemaligen Trotzkisten über enttäuschte Liberale bis zu Vertretern reaktionärer Vorstellungen wie Justizminister John Ashcroft. Allen gemeinsam ist die Vorstellung, dass die hegemoniale Stellung der Vereinigten Staaten in Zukunft von keiner anderen Macht mehr in Frage gestellt werden dürfe. Diese Gruppe verachtet den ehemaligen US-Präsident Bill Clinton zutiefst - nicht wegen seiner privaten Eskapaden, sondern weil er es versäumt habe, die volle amerikanische Militärmacht gegen "Schurkenstaaten" einzu- setzen.

Die Macht von Neocons und Theocons

In ihrem Kampf gegen "das Böse" haben die "Neocons" einen mächtigen Verbündeten: die "Theocons". Diese Gruppe vertritt religiös fundamentalistische Wertvorstellungen, will Abtreibung und Homosexualität verbieten, befürwortet das Schulgebet und die amerikanische Familienideologie. Außenpolitisch unterstützen sie vorbehaltlos die konservativen Regierungen in Israel. Die Idee eines Regimewechsels im Irak entstand vor diesem Hintergrund. Sie wurde sorgfältig vorbereitet, wäre aber ohne die Ereignisse des 11. September 2001 nicht so widerstandslos durchsetzbar gewesen. Einige Vertreter neokonservativer Interessengruppen wie Richard Perle, Douglas Faith, James Colbert, Robert Loewenberg sowie Meyrav und David Wurmser ventilierten durch das Institute for Advanced Strategic and Political Studies Jerusalem in Washington erstmals geostrategische Ideen, die diesen Regimewechsel im Irak forderten.

Ihre Überlegungen waren aber nicht für die amerikanische Regierung bestimmt, sondern für den im Mai 1996 gewählten israelischen Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu. Der Clean Break betitelte Bericht (http://www.israeleconomy.org/strat1.htm) wurde Netanyahu nach seiner Wahl übergeben. Die Verfasser schlugen dem israelischen Ministerpräsidenten zwei Optionen vor: Erstens die Zerstückelung des Irak, zweitens die Neutralisierung Syriens: "Da die Zukunft des Irak erhebliche Auswirkungen auf das strategische Gleichgewicht im Mittleren Osten haben wird, wäre es nachvollziehbar, dass Israel die Wiederherstellung des haschemitischen Throns im Irak unterstützt. ... Mit Blick auf das Regime in Damaskus ist es natürlich und zugleich moralisch begründet, dass Israel sein Entgegenkommen aufgibt und dazu übergeht, dieses Land in seine Schranken zu weisen ...".

Für die Falken um Perle und seine Gesinnungsgenossen, die heute hohe Regierungspositionen innehaben, war die Idee eines Krieges gegen den Irak also nicht Neues. Die Frage stellt sich zwangsläufig, welches Ziel mit einem solchen Angriffskrieg tatsächlich verfolgt wurde? Ging es ihnen um die Realisierung amerikanischer Interessen oder eher um die Stärkung der geostrategischen Position Israels in der Region, die auch Scharon zum Ziel hat? Welche Ziele auch immer verfolgt werden sollten, so zeigt diese Denkweise doch, wie halsbrecherisch oder politisch blauäugig die Idee einer Zerstückelung eines so komplexen Landes wie des Irak ist.

Die Vorgeschichte eines Regimewechsels

Die Idee der Zerstückelung des Irak ging den Geostrategen in den konservativen Denkfabriken aber noch nicht weit genug. Ein Regimewechsel musste erst gedanklich vorbereitet und dann militärisch bewerkstelligt werden. Diesem Ziel hat sich ganz und gar das Project for the New American Century (PNAC) (http://www.newamericancentury.org/) verschrieben. Mit welcher Chuzpe schon zu Zeiten Präsident Clintons gearbeitet wurde, ist viel zu wenig bekannt. Das PNAC wurde im Juni 1997 als gemeinnützige Bildungseinrichtung mit dem Ziel gegründet, den weltweiten amerikanische Führungsanspruch zu fördern. Seit seiner Gründung beschäftigt sich das PNAC mit dem Rückgang der amerikanischen Verteidigungsaufwendungen und den Problemen, die dieser für die Ausübung der amerikanischen Führungsrolle in der Welt nach sich ziehen werde.

Bereits im Januar 1998 forderten führende Neokonservative, unter ihnen zahlreiche Personen, die jetzt in der Bush-Administration an den Schalthebeln der Macht sitzen, Präsident Bill Clinton brieflich auf, Saddam Hussein zu stürzen. Die amerikanische Strategie sollte vor allem auf die "Beseitigung des Saddam-Hussein-Regimes von der Macht abzielen", schrieben sie: "Wir stehen bereit, unsere volle Unterstützung für dieses schwierige aber notwendige Unternehmen zu gewähren. ... Dies muss nun das Ziel der amerikanischen Außenpolitik werden."(http://www.newamericancentury.org/iraqclintonletter.htm).

Das PNAC beurteilte die Fähigkeiten der USA unter Bill Clinton als unzureichend. Für die Unterzeichner ging die Clinton Administration mit den zukünftigen Herausforderungen sowie den äußeren Bedrohungen verantwortungslos um. Die Ursache dafür sahen sie in der unzureichenden Würdigung der militärischen Leistungen der Reagan-Administration. Das Militär müsse gegen die aktuellen und zukünftigen Gefahren eingesetzt werden, die Außenpolitik entschlossen die amerikanischen Prinzipien in der Welt fördern und verbreiten. Militärische Macht und moralische Standfestigkeit seien nicht unbedingt en vogue, aber notwendig, um die Sicherheit und Größe der USA auch im 21. Jahrhundert zu sichern.

Zu den Unterzeichnern gehörten Elliot Abrams, Richard L. Armitage, John Bolton, Robert Kagan, Zalmay Khalizad, Willian Kristol, Richard Perle, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, R. James Woolsey und Robert B. Zoellick. Alle zählen heute zu den Kriegsbefürwortern in der Bush-Administration.

Gegen alles Muslimische und Arabische

In der Zwischenzeit ereigneten sich die Terroranschläge des 11. September 2001, was zu einer Antipathie gegen alles Muslimische und Arabische führte. Schon einen Tag nach dem Angriff forderte Paul Wolfowitz, nicht nur Afghanistan anzugreifen, sondern auch Saddam Hussein. Intellektuellen Flankenschutz erhielt das Pentagon vom Project for the New American Century. Am 20. September 2001 schrieben führende Intellektuelle einen Brief an Präsident George W. Bush, in dem sie "die Beseitigung Saddam Husseins von der Macht" forderten. "Ein Versagen in diesem Bemühen würde eine frühe und vielleicht entscheidende Kapitulation im Krieg gegen den internationalen Terrorismus bedeuten." Weiterhin müsse dieser Krieg gegen den Terrorismus auch die Hisbollah im Libanon einbeziehen. "Wir glauben, dass die Administration von Iran und Syrien die unverzügliche Einstellung aller militärischen, finanziellen und politischen Unterstützung für Hisbollah und seiner Aktionen verlangen muss. Sollten Iran und Syrien dieser Forderung nicht nachkommen, sollte die Administration passende Vergeltungsmaßnahmen gegen diese bekannten Unterstützer des Terrorismus einleiten." Kurz nach der Niederschlagung des Saddam-Regimes griffen Rumsfeld und Wolfowitz beide Länder mit genau diesen Vorwürfen an.

Des weiteren wurde der "palästinensische Terror" aufs Korn genommen. Sollte die palästinensische Behörde den Terror aus den besetzten Gebieten gegen Israel nicht unterbinden, sollten die USA jede Unterstützung einstellen (www.newamericancentury.org/Bushletter.htm).

Die "Schicksalsgemeinschaft" mit Israel

Im April 2002 ging dieselbe Organisation noch einen Schritt weiter. Die Unterzeichner konstruierten eine Schicksalsgemeinschaft zwischen den Vereinigten Staaten und Israel: Beide hätten einen gemeinsamen Feind, beide kämpften denselben Krieg. Israel werde angegriffen, weil es ein Freund Amerikas und eine Insel liberaler Demokratie sei. Die Unterzeichner bezogen sich auf eine Aussage von US-Verteidigungsminister Rumsfeld, in der er Iran, Irak und Syrien vorwarf, "eine Kultur des politischen Mordes und der Selbstmordattentäter" gegen Israel zu fördern. Hauptziel war aber Yassir Arafat. Er und seine Autonomiebehörde wurden als Drahtzieher des Terrors gegen Israel bezichtigt. Er könne somit nicht Teil einer friedlichen Lösung sein. Die Schreiber forderten Präsident Bush auf, nicht länger mit Arafat zu verhandeln. Alle diese Forderungen waren von der Scharon-Regierung bereits erhoben worden. Das Schreiben endete pathetisch: "Israels Kampf gegen der Terror ist unser Kampf. Israels Sieg ist ein wichtiger Teil unseres Sieges. Aus moralischen und strategischen Gründen müssen wir an der Seite Israels in seinem Kampf gegen Terrorismus stehen." (http://www. newamericancentury.org/Bushletter-040302.htm).

Präventivkrieg auf Verdacht

Die Verbindungen zu den "Ideen" der Bush-Regierung sind frappierend. So flossen einige dieser Vorschläge direkt in Präsident Bushs "Vision" für den Nahen Osten ein, die er im Juni 2002 der Öffentlichkeit präsentierte. Darin fanden sich diejenigen Passagen des Schreibens, die Arafat als Drahtzieher des Terrors und folglich nicht mehr als satisfaktionsfähig beschrieben. Bush forderte das palästinensische Volk auf, sich von Arafat zu trennen und sich eine neue Führung zu wählen. Auch Syrien wurde als Hort des Terrorismus identifiziert und gewarnt.

Die amerikanische Rhetorik gegen den Terror setzte sich monatelang fort. Im September 2002 verkündete Bush eine neue strategische Verteidigungsinitiative, die so genannte Bush-Doktrin, in der die USA sich das Recht zum Kriegführen selbst mandatierten. Diese Strategie wurde erstmals im Irak getestet. Die Vereinigten Staaten dürften nicht warten, bis der Feind zu ihnen komme, sondern müssten selbst zum Feind gehen, so Bush. Diese Meinung vertrat Mitte September 2003 auch der amerikanische NATO-Botschafter Nicolas Burns: Es gehe nicht mehr um kontinentale Landkriege, sondern darum, den Krieg dahin zu tragen, wo er notwendig sei.

Wer Feind der USA ist, wird nicht anhand realpolitischer, sondern ideologischer Kriterien festgelegt. Paul Wolfowitz, strategischer Kopf hinter dem völkerrechtlich umstrittenen Krieg gegen den Irak, hat die Bush-Doktrin im Juli 2003, "weiterentwickelt". Er plädiert sogar für einen "Krieg auf Verdacht". Der Krieg gegen den Irak sei ein Beispiel dafür, wie Amerika auch bei "zweifelhaften nachrichtendienstlichen Erkenntnissen" im Krieg gegen den Terror zu handeln habe. Damit hat Wolfowitz die Strategie des Präventivkrieges bei Feststellung einer Bedrohung zum Präventivkrieg auf Verdacht einer Bedrohung fortentwickelt.

Diese Denkweise zeigt, wie unberechenbar die Außenpolitik der derzeitigen amerikanischen Regierung geworden ist. Solange keine Aufarbeitung des umstrittenen Angriffskrieges gegen den Irak stattfindet, sollten sich weder die Vereinten Nationen noch die NATO zur Hilfstruppe der neokonservativen Ideologie machen lassen. Eine Entlastung der amerikanischen Truppen im Irak würde den Neokonservativen wieder Spielraum verschaffen, ihre aggressiven Strategien gegenüber Syrien und Iran durchzusetzen. Beide Länder werden bereits verbal bedroht. So feuern Außenminister Powell, Sicherheitsberaterin Rice und Unterstaatssekretär Bolton rhetorische Breitseiten auf Syrien ab. Bolton reiht das Land in die Reihe der "Schurkenstaaten" ein.

Ein Richtungswechsel steht nicht bevor

Dass sich die amerikanische Nahostpolitik unter der Regierung Bush ändern wird, ist angesichts der komenden Präsidentschaftswahl unwahrscheinlich. Um im Weißen Haus zu bleiben, braucht George W. Bush die Unterstützung der fundamentalistischen Christen und der jüdischen Lobbygruppen. Unter Bush und der Herrschaft der Neocons werden die USA nicht zu ihren traditionellen demokratischen Gepflogenheiten in der Außenpolitik zurückkehren: zum Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit, für die Achtung des Völkerrechts und die Rechte von Unterprivilegierten.

Diese demokratischen Traditionen dürften weiter einer Politik des doppelten Standards geopfert werden, die den nationalen Interessen der USA langfristig schadet. In seinen Reden wundert sich Präsident Bush immer wieder, warum so viele Muslime die USA hassen. Die Antwort ist nicht so schwer zu finden.

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