Apologie der Freiheit
Die Publizistin Ulrike Ackermann ist besorgt darüber, dass die Freiheit in Deutschland keine sonderlich große Tradition hat. In dem von ihr herausgegebenen Band Welche Freiheit? macht sich die ehemalige Redakteurin der Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte gemeinsam mit weiteren Autoren aus dem In- und Ausland für die Freiheit stark: neben Ralf Dahrendorf auch Wolfgang Sofsky, Gerhard Schulze, Dunja Melcic, Ramin Jahanbegloo, Rainer Hank, Detmar Doering, Dirk Maxeiner und Michael Miersch, Péter Nádas, Péter Esterhazy, Oksana Sabuschko, Ian Buruma, Necla Kelek, Matthias Rüb und André Glucksmann.
In ihrer Einleitung („Freiheitsliebe“) verdeutlicht die Herausgeberin, dass die Freiheit mitunter auch in freiheitlichen Gesellschaften bedroht ist: „Sozialetatismus und Arbeitskorporatismus, Erbschaften aus beiden deutschen Diktaturen, sorgen bis heute dafür, dass Gleichheit und soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft immer noch höhere Güter sind als die Freiheit des Staatsbürgers. Derart in Misskredit geraten, ist die Freiheit jenseits ihrer ökonomischen Bedeutung buchstäblich auf der Straße liegengeblieben. Es ist also höchste Zeit, ihren Wert ins öffentliche Bewusstsein zurückzuholen, sich darauf zu besinnen, wie sie bis in die kleinsten Fugen des Alltagslebens hinein unsere demokratischen Gesellschaften prägt.“ Zu Recht erinnert Ackermann an die baltischen Länder und ihren mutigen Freiheitskampf, der die europäische Erinnerungskultur um ein neues Element erweitert, nämlich um eine antitotalitäre Freiheitstradition.
Islam und Islamismus sind nicht dasselbe
Mit Blick auf den Islamismus wehrt sich Ackermann gegen den verbreiteten Kulturrelativismus. Pointiert heißt es: „Die Verharmlosung des Islam erinnert an jene des Kommunismus vor 1989. Zeigte sich damals der westliche Selbsthass und die Entwertung der Errungenschaften der freiheitlichen Demokratie in der Weichzeichnung des Kommunismus, so können wir dies heute gegenüber dem Islam beobachten – nicht zuletzt aufgrund seines Antikapitalismus und Antiamerikanismus. Bis in den Sprachgebrauch hinein liegt die Analogie nahe: Die Stalinismuskritik war hoffähig, aber der Kommunismus als solcher wurde mit Samthandschuhen angefasst; heute ist die Islamismuskritik fast zum Common Sense geworden, aber der Islam darf nur maßvoll kritisiert werden. Der Hinweis auf seine totalitären Elemente ist immer noch verpönt.“ In ihrem Essay über den „Karikaturenstreit“ rechnet sie dann doppelt ab: mit islamistischen Strömungen einerseits und den Reaktionen des Westens andererseits, die sie als leisetreterisch empfindet. Auch in anderen Beiträgen wird der Islam(ismus) kräftig kritisiert. Dabei hätten die Autoren zwischen Islam und Islamismus möglicherweise besser differenzieren können.
Der Band beeindruckt vor allem mit einer Reihe von Fallstudien. So verteidigt etwa Rainer Hank den „deutschen Schotten“ Wilhelm von Humboldt; Dietmar Doering analysiert die wirtschaftspolitischen Vorstellungen Ludwig von Mises’; Ian Buruma zeichnet ein differenziertes Porträt von Mohammed Bouyeri, dem Mörder Theo van Goghs, und beschreibt zugleich die gravierenden Folgen der Tat für die niederländische Gesellschaft.
Wieviel Freiheit den Freiheitsfeinden?
Stets schlagen die Autoren den Bogen zur Gegenwart. Neda Kelek etwa schildert das Leben einer studierten Fabrikleiterin in Westanatolien, die unverheiratet ist und daher gesellschaftlich nicht anerkannt wird – die soziale Kontrolle macht sie unfrei. Geradezu provokant ist die bärbeißige Kritik Dirk Maxeiners und Michael Mierschs am „Totalitären im Ökologismus“ und an der Nachhaltigkeitsideologie.
Ralf Dahrendorf wiederum idealisiert Freiheit keineswegs, sondern arbeitet das Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit sowie von Freiheit und Verantwortung heraus. Hier liegt das Paradox der Freiheit, das im Buch insgesamt zu kurz wegkommt. Gewiss, Freiheit ist unteilbar. Aber wie sollen sich Freiheitsfreunde gegenüber Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlichen Ordnung verhalten? Dieser Aspekt ist deshalb wichtig, weil es unterschiedliche totalitäre Gefährdungen gibt, die die Herausgeberin auch benennt – die Versuchungen der Volks-, der Klassen- und der Religionsgemeinschaft. Wie soll man nicht-freiheitlichen Kräften begegnen? Freiheitlich? Anti-Freiheitlich? Gleiche Freiheit den Feinden der Freiheit? Keine Freiheit den Feinden der Freiheit? Keine Freiheit zur Abschaffung der Freiheit? Das Beispiel der Terrorismusabwehr zumindest zeigt: Wer die Freiheit zu sichern sucht, kann sie einschränken, zum Teil über Gebühr. Der französische Philosoph und Schriftsteller André Glucksmann schildert in seinem Essay den Tyrannenmord an Jean Paul Marat durch Charlotte Corday. Sie habe für die Freiheit getötet.
Die Essays in „Welche Freiheit?“ begünstigen keine Lagermentalität. Vielen Thesen werden nicht nur in der Wolle gefärbte Liberale zustimmen können, sondern auch freiheitlich ausgerichtete Anhänger von SPD oder Union. Freiheit ist nun einmal das Lebenselixier einer offenen Gesellschaft. Eine „Partei der Freiheit“ orientiert sich nicht kleinkariert an parteipolitischen Fronten. Unfreiheit, die mit Versuchungen lockt, übt eine große Verführungskraft aus. Was die Autoren eigentlich tunlichst vermeiden wollen, geschieht dann aber doch: In manchen Beiträgen gibt es einen merkwürdig pessimistischen Grundton, etwa bei den beiden ungarischen Autoren Péter Nádas und Péter Esterhazy. Aber sind die freiheitlichen Kräfte nicht doch stärker?