Befreit euch aus der Symbolpolitik-Falle!
Es war ein grausames Jahr: Die Wirtschaftsleistung in Deutschland brach um mehr als fünf Prozent ein, die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen gingen um fast 40 Milliarden Euro zurück, das Defizit der öffentlichen Haushalte schnellte auf weit mehr als 70 Milliarden Euro empor. Als die SPD zusätzliches Geld für den Staat forderte, um die Neuverschuldung zu reduzieren und gleichzeitig überfällige Investitionen vor allem in Bildung zu finanzieren, gab es kaum Widerspruch. Zumal auch ein Nebeneffekt der geforderten Steuererhöhungen gesellschaftlich akzeptiert war: Besonders Gutverdiener und Vermögende sollten die zusätzlichen Lasten tragen.
Das war 2009. Inzwischen hat die SPD unter anderem einen höheren Spitzensteuersatz, eine üppigere Besteuerung von Kapitalerträgen und die Einführung einer Vermögenssteuer in ihr Wahlprogramm geschrieben. Die Grünen ziehen mit noch ambitionierteren Plänen in den Wahlkampf. Je nachdem, wie man rechnet, bringen die Konzepte Mehreinnahmen in beachtlicher zweistelliger Milliardenhöhe.
Das Problem ist nur: Was vor ein paar Jahren gut gemeint war, ist inzwischen aus der Zeit gefallen. Der Staat braucht nicht mehr Geld. Weder um zusätzliche Investitionen in Bildung, Infrastruktur und all die anderen wünschenswerten Dinge zu finanzieren. Noch um das Steuersystem gerechter zu machen.
Haushaltsüberschüsse schon ab 2016?
Wer ohne ideologische Scheuklappen auf die Staatsfinanzen blickt, kann nicht mehr wirklich zu dem Schluss kommen, dass sie zerrüttet sind. Die Neuverschuldung des Bundes ist deutlich zurückgegangen. Rechnet man Konjunktureffekte heraus, wird das Budget wohl schon im nächsten Jahr ausgeglichen sein. 2016 dürfte der Bundesfinanzminister einen Überschuss von fünf Milliarden Euro erzielen, 2017 bereits fast einen zweistelligen Milliardenbetrag. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung rechnet damit, dass alle öffentlichen Haushalte Ende der nächsten Legislaturperiode mit sagenhaften 28 Milliarden Euro im Plus sind.
Noch nie war die Chance so groß, dass diese Prognosen auch tatsächlich Wirklichkeit werden. Somit sind in der nächsten Legislaturperiode mehr als genug Mittel vorhanden, um die zusätzlichen Investitionen zu finanzieren. Dass der Haushaltsüberschuss wächst und somit jedes Jahr mehr Geld zur Verfügung stehen wird, ist für eine langfristig angelegte Bildungs- und Infrastrukturoffensive nicht von Nachteil. Im Gegenteil: Anfangs könnte das viele Geld gar nicht sinnvoll ausgegeben werden.
Selbst für eine bessere Finanzausstattung von Ländern und Kommunen ist noch genug da – sofern das Problem dann überhaupt noch eines ist. Schließlich schrieb im vergangenen Jahr bereits fast die Hälfte der Bundesländer schwarze Zahlen. Die Kommunen machten immerhin rechnerisch bereits einen Überschuss.
Zur politischen Wahrheit gehört allerdings auch, dass die positive Haushaltsentwicklung auf allen staatlichen Ebenen weniger dem harten Sparkurs von Finanzministern und Kämmerern zu verdanken ist. Vielmehr geht die Konsolidierung überwiegend auf die dank des kleinen deutschen Wirtschaftswunders rasch steigenden Steuereinnahmen zurück.
Nicht nur die CSU erfindet überflüssige Ausgaben
Im vergangenen Jahr nahmen Bund, Länder und Kommunen 600 Milliarden Euro ein, so viel wie nie und rund 160 Milliarden Euro mehr als noch 2002. Macht binnen zehn Jahren eine Steigerung von nahezu 40 Prozent. Natürlich ist das reale Plus angesichts der Inflation geringer. Doch auch ein Blick auf die Steuerquote zeigt, dass der Staat Einnahmen in rekordverdächtiger Höhe verbucht: Der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt lag 2012 bei 23,4 Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 21,5 Prozent. Auch wenn der Unterschied mickrig erscheint: Ein Prozentpunkt entspricht immerhin mehr als 25 Milliarden Euro.
Wenn der Staat aber so viel Geld einnimmt wie nie zuvor, trägt das Argument von der unzureichenden finanziellen Ausstattung nicht. Dass politische Rhetorik und finanzielle Realität auseinander klaffen, sollte für die zuständigen Politiker lieber ein Anlass zur Selbstreflexion sein. Es ist ja nicht allein die CSU, die regelmäßig überflüssige Ausgaben à la Betreuungsgeld erfindet.
Zwar betonen SPD und Grüne gern, sie wollten mit den nun angekündigten, zusätzlichen Einnahmen auch die Schulden abtragen. Doch das ist ein geradezu putziges Argument. Selbst wenn der Berliner Finanzminister jedes Jahr zehn Milliarden Euro der Schulden des Bundes tilgte, würden mehr als 100 Jahre vergehen, bis die letzte Anleihe zurückbezahlt wäre. Derjenige Politiker, der dieses Unterfangen ernsthaft startet, muss wohl erst noch im Reagenzglas gezeugt werden.
Zumal für eine realistische Lösung der horrenden Staatsverschuldung schon viel gewonnen wäre, wenn nach mehr als vier Jahrzehnten endlich keine neuen Miesen mehr dazukämen. So wie es die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse vorsieht. Bleibt die Kreditsumme konstant und wächst die Wirtschaft, geht die Schuldenquote automatisch jedes Jahr zurück.
Die Feststellung, dass der Staat über ausreichende Einnahmen verfügt, um auch die notwendigen zusätzlichen Ausgaben zu finanzieren, hat nichts mit der Frage zu tun, ob das Steuersystem gerecht ist. Eine Strukturreform auf der Einnahmeseite kann aufkommensneutral sein. Man muss dann eben auch einen Teil der Steuerzahler entlasten, wenn man einen anderen Teil belastet. Möglichkeiten für Entlastungen gibt es genug – ob über eine Senkung bei der Einkommenssteuer für Normalverdiener, eine niedrigere Mehrwertsteuer oder die Schaffung von Freibeträgen bei Sozialabgaben.
Damit das Steuersystem gerechter werden kann, ist allerdings ein Abschied von der derzeitigen Symbolpolitik überfällig. Nichts anderes ist die Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Von dem Schritt versprechen sich SPD und Grüne Mehreinnahmen in Höhe von rund fünf Milliarden Euro. Wahrscheinlich werden es am Ende deutlich weniger. Aber selbst wenn die erhoffte Summe zusammenkäme: Sie entspräche nicht einmal einem Prozent des gesamten Steueraufkommens.
Gleichzeitig besteht bei einer saftigen Erhöhung der Einkommenssteuer aber nicht nur die Gefahr, dass Gutverdiener ins Ausland abwandern. Auch der Großteil der Firmen wird dadurch mehr belastet. Darunter leiden zwangsläufig die Investitionen.
Zur Kategorie „Symbolpolitik im fortgeschrittenen Stadium“ gehört auch die Vermögenssteuer. So charmant es klingt, die Reichen stärker zur Finanzierung des Staates heranzuziehen. Regelmäßig eine Inventur des Volksvermögens zu machen, zieht einen unglaublichen Erhebungsaufwand nach sich. Zumal es unzählige Ausweichmöglichkeiten gibt, etwa bei der Abgrenzung von Betriebs- und Privatvermögen von Unternehmern.
Am gerechtesten wäre die Einführung einer Erbschaftssteuer, die diesen Namen auch verdient hat. Die Deutschen verfügen über ein Netto-Vermögen in Höhe von zehn Billionen Euro, das Vierfache der jährlichen Wirtschaftsleistung. Ein beträchtlicher Teil davon wird in den kommenden Jahren vererbt. Angesichts dieser gigantischen Summe kann die Politik bei noch so vielen anderen Steuern an unzähligen Rädchen drehen: Die Ungleichheit wird zementiert.
Derzeit gleicht die Erbschaftssteuer einer Bagatellsteuer. Schätzungen zufolge werden pro Jahr rund 250 Milliarden Euro vererbt. Doch der Staat nimmt nur vier Milliarden Euro ein. Das entspricht einem durchschnittlichen Steuersatz von grotesk anmutenden 1,5 Prozent.
Zehn Prozent Erbschaftssteuer – auf alles!
Warum werden bei der Erbschaftssteuer nicht alle Ausnahmen abgeschafft und das Prinzip „10 Prozent auf alles“ etabliert? Jeder, der ein Vermögen erbt, könnte dann beachtliche 90 Prozent davon behalten. Für die Tochter eines Milliardärs wäre das eh kein Problem. Aber auch nicht wirklich für den Enkel, der das in der Politik oft bemühte „Oma ihr klein Häuschen“ im Wert von 200.000 Euro erbt. Auch 180.000 Euro haben oder nicht haben macht einen gewaltigen Unterschied. Und eine solche Steuer würde auch kein Unternehmen beim Übergang von der einen an die nächste Generation in den Ruin treiben.
Bei einem jährlichen Erbe in Höhe der geschätzten rund 250 Milliarden Euro könnten durch eine 10-Prozent-Steuer rund 25 Milliarden Euro zusammenkommen. Das ist fünfmal so viel wie die geplante deutliche Erhöhung des Spitzensteuersatzes mit viel Glück bringen wird. Es ist bedauerlich, dass sich kein Politiker an die Erbschaftssteuer herantraut, die am besten zur Reduzierung der Ungerechtigkeit geeignet wäre. Stattdessen tappen fast alle in die Symbolpolitik-Falle.