Das Leben, ein Auswärtsspiel



Als kürzlich die 35-jährige Zeit-Redakteurin Anita Blasberg eine Polemik gegen die Generation der Babyboomer veröffentlichte, erhielt sie dafür unter ihren (und meinen) Altersgenossen großen Zuspruch. Allein auf Facebook wurde der Artikel mehr als 1 700 Mal geteilt. In ihrem Text prangert Blasberg an, dass überall an den Schaltstellen von Politik, Wirtschaft und Medien Vertreter der geburtenstärksten Jahrgänge von 1955 bis 1969 sitzen. Sie dominierten die öffentliche Debatte, die Jüngeren kämen kaum zum Zug. „Für die Menschen unter 40 kann sich das Leben anfühlen wie ein immerwährendes Auswärtsspiel“, schreibt Blasberg.

Zweifellos hat Anita Blasberg einen neuralgischen Punkt getroffen. Offenbar befürchten viele Thirtysomethings in Deutschland, ihre Karrierewege seien durch die übermächtigen Netzwerke der Babyboomer dauerhaft verbaut. Schließlich sind die Babyboomer die größte Bevölkerungsgruppe und werden in der Mehrzahl erst nach 2020 in Rente gehen. Aber es gibt einen weiteren Grund, weshalb der Text für Aufmerksamkeit sorgte: Die Autorin illustriert plastisch, dass die Art und Weise, wie die Babyboomer wirtschaften und konsumieren, die Umwelt und die nachfolgenden Generationen gefährden. Die Babyboomer hinterlassen uns einen Schuldenberg; unter den Folgen der Finanzkrise und des Klimawandels werden noch unsere Kinder leiden; und um für die üppigen Renten der Älteren aufzukommen, wird die jüngere Generation länger und härter arbeiten müssen.

So weit, so richtig. Doch Blasbergs Text bleibt an der eigentlich spannenden Frage stehen: Was genau wollen wir Jüngeren eigentlich? Nur endlich ebenfalls zum Zuge kommen? Oder die Dinge anders machen? Immer zu klagen wird uns jedenfalls nicht weiterbringen. Gegen die zahlenmäßig überlegenen Babyboomer können wir die Machtfrage nur dann aufwerfen, wenn wir sie mit einem inhaltlichen Anliegen begründen können.

Auf den ersten Blick sind wir für ein solches „Generationenprojekt“ vielleicht zu heterogen. Denn während die gemeinsame Identität der Babyboomer-Generation in der alten Bundesrepublik wurzelt, sind die nachfolgenden Alterskohorten wesentlich bunter: Neben den im Wohlstand aufgewachsenen Westdeutschen gehören die „Kinder des Mauerfalls“ ebenso dazu wie die Nachfahren der Gastarbeiter und diejenigen, die selbst nach Deutschland eingewandert sind. Eine wichtige Gemeinsamkeit sind jedoch unsere biografischen Brüche. Sie helfen uns dabei, der Welt in ihrem unübersichtlichen Wandel trotz allem optimistisch zu begegnen. Wir Jüngeren sehnen uns nicht nostalgisch in die Vergangenheit zurück, sondern fragen offen danach, wie wir in einer Einwanderungsgesellschaft in Zeiten der Globalisierung leben und arbeiten wollen. Wir diskutieren nicht mehr groß über Vielfalt und Gleichberechtigung, sondern wir leben vielfältig und gleichberechtigt. Wir wollen Kinder, Freizeit und Karriere – das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.

Aber können wir diese Vorstellungen verwirklichen? Eigentlich müssten wir in die Fußstapfen unserer Vorgängergeneration treten. Dabei gibt es nur ein Problem: Die Karrierepfade der Babyboomer sind uns tendenziell suspekt. Warum sollten wir Unternehmen leiten, die kein ausgewogenes Familienleben zulassen und in denen der „Burnout“ an der Tagesordnung ist? Wir sind Anhänger flacher Hierarchien und kreativer Lösungen.

Weil wir nicht um jeden Preis Karrieren anstreben, fragte die Frankfurter Allgemeine bereits besorgt, ob die Unternehmen ihren Nachwuchs nun aus einer „Generation Weichei“ rekrutieren müssten. Deutlicher lässt sich kaum zum Ausdruck bringen, was männlich dominierte Chefredaktionen von den Erwerbsbiografien und Lebenswünschen des 21. Jahrhunderts halten: gar nichts. Hier bahnt sich ein Kampf um die Deutungshoheit in der neuen Arbeitswelt an. Unsere Aufgabe wird es sein, diese in unserem Sinne umzugestalten und zu modernisieren: entschleunigter und flexibler, ausgewogener und offener.

Als ich mit Freunden über Anita Blasbergs Artikel sprach, hieß es: „Aber ich will doch gar nicht nach oben, das ist doch alles viel zu anstrengend.“ Doch so paradox es ist: Zum Besseren ändern können wir die Welt – und voran die Arbeitswelt – nur dann, wenn wir selbst an die Schaltstellen gelangen. Wie gesagt: Lamentieren reicht nicht.

Unsere Kolumnistin Anke Hassel veröffentlicht in diesem Heft einen längeren Beitrag und wird durch Katarina Niewiedzial vertreten.

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