Der Klartexter hat noch nicht fertig
Heinz Buschkowsky tritt ab. Zum 1. April geht der Bezirksbürgermeister von Neukölln aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. Grund genug für ein Mittagessen mit dem wohl bekanntesten Kommunalpolitiker Deutschlands, um Bilanz zu ziehen: Wie hat sich der „Problembezirk“ Neukölln seit seinem Amtsantritt 2001 entwickelt? Welche politischen Maßnahmen verbessern das Zusammenleben, welche eher nicht?
Wir treffen Buschkowsky im Schlossrestaurant auf einem ehemaligen Gutshof im beschaulichen Neukölln-Britz. Von den Menschenmassen und dem Straßenlärm Nord-Neuköllns ist hier nichts zu spüren. Stattdessen: Gepflegte Vorgärten. Vogelgezwitscher. Erste Krokusse am Wegesrand. Es ist ein wunderschöner Tag, aber Heinz Buschkowsky ist trotzdem mürrisch. Auf ein „Bilanzgespräch“ hat er keine Lust, sagt er. Schließlich werde er sich auch künftig politisch einmischen. Und überhaupt: „Verbessert hat sich in den vergangenen 15 Jahren leider nicht viel.“
Moment mal! Der Bezirk mit seinen rund 325 000 Einwohnern hat sich in den vergangenen Jahren doch stark gewandelt: Der Zuzug von Künstlern, Studenten und Bürgerlichen verändert die Bevölkerungsstruktur und lässt die Mietpreise steigen. Mittlerweile gilt Neukölln als hipper Szenebezirk wie kaum ein anderer. Sogar die einst verrufene Rütli-Schule wurde zu einem Vorzeigecampus entwickelt, und die gefühlte Bedrohung durch Jugendbanden, etwa am Herrmannplatz, hat im vergangenen Jahrzehnt rapide abgenommen.
Für Buschkowsky lenken diese Einzelaspekte nur vom Kernproblem ab: „Wichtig ist doch gar nicht mehr, ob wir eine Umgehungsstraße oder ein neues Schützenhaus bekommen, sondern ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht.“ Nur wenn diese Frage beantwortet ist, könne es auch integrationspolitische Fortschritte geben. Aus Buschkowskys Sicht stehen sich in Deutschland noch immer zwei Lager gegenüber: die Leugner, die die 16 Millionen Menschen mit Einwandererbiografie nicht wahrhaben wollen, und auf der anderen Seite die „Multikulti-Fraktion“, die Migranten mit Samthandschuhen anfasst und angeblich jegliche Integrationsanforderungen ablehnt. „Beim Thema Einwanderung ist Deutschland strategisch noch immer schlecht aufgestellt – es fehlt ein Gesamtkonzept. Wollen wir gezielte Einwanderung oder Zufall wie bisher?“
Erst als er auf das Schloss Britz und den Gutshof zu sprechen kommt, taut Buschkowsky allmählich auf. Das kleine, gemütliche Restaurant liegt im Gewölbe des Schlosses und bietet laut Buschkowsky „die mit Abstand beste Küche im Süden Berlins und das zu einem sauberen Preis-Leistungs-Verhältnis“. Der Bürgermeister bestellt Fischsuppe und als Hauptgericht Stremel-Lachs, während wir uns für Waldpilzsuppe und Wildschweinrücken entscheiden. Das Restaurant und das Schlosshotel werden von Auszubildenden des Estrel Hotels geführt; das Bezirksamt unterstützt sie bei ihrer dualen Ausbildung. Der angeschlossene Gutshof beherbergt das Neuköllner Museum und einige Tiere, zum Beispiel Kühe, Schafe und Ziegen. „Hier kommen Schulklassen mit Kindern her, die dann mit staunenden Augen sehen, dass die Milch nicht aus dem Tetra-Pack kommt“, sagt Buschkowsky. Pro Jahr besuchen mehr als 100 000 Menschen das Schlossareal.
Als das Essen kommt, landen wir schnell wieder bei Buschkowskys Lebensthema: Einwanderung und Integration. „Unser Land ist ohne Einwanderung gar nicht mehr denkbar!“ Aber Einwanderung solle die Gesellschaft stärken und dürfe sie nicht auf den Kopf stellen. Für Buschkowsky beginnt Integration mit der Integrationsbereitschaft der Einwanderer. „Wer in ein fremdes Land kommt, muss sich an die Regeln des neuen Kulturkreises anpassen.“ Wir wollen wissen, wie man denn diese Bereitschaft zur Integration erhöhen könnte – vielleicht durch Sprachförderung oder eine neue Willkommenskultur in den Bezirksämtern? Doch auch hierauf bleibt uns Buschkowsky eine Antwort schuldig.
Viel lieber redet er über Religionsfreiheit. Eine zentrale Errungenschaft des Westens sei das Recht auf Freiheit von Religion. „Aber durch die völlig unangemessene mediale Dauerthematisierung entwickeln wir uns alle plötzlich zu Islamverstehern. Hier drängt eine Minderheit von vier Prozent der Bevölkerung dem Rest des Landes seine Befindlichkeiten auf.“ Die Haltung zu den eigenen Werten werde immer beliebiger, sagt Buschkowsky. Das beste Beispiel sei das verbreitete Achselzucken, wenn es um die Stellung der Frau im Islam geht. Gerade auch Sozialdemokraten sollten sich stärker zum eigenen Land und seinen Werten bekennen.
Bodenständige Sprache, Polarisierung und Überspitzung – das sind Buschkowskys Markenzeichen. Ohne zu Zucken sagt er Sätze wie: „Das aktuelle Kopftuch-Urteil ist eine Katastrophe.“ Oder: „Ich finde es abstoßend, dass auf der Neuköllner Karl-Marx-Straße Frauen in der Burka rumrennen. Aber wir sind ein freies Land.“ Freimütig räumt er ein, dass er oft ganz bewusst rhetorisch übertreibt, damit seine Botschaft die Leute überhaupt erreicht. Nur über Grenzverletzungen bekomme man Aufmerksamkeit für die Probleme der deutschen Integrationspolitik. Dieses Auftreten hat ihm viel Kritik eingetragen, nicht zuletzt von den Funktionären in der eigenen Partei. „Ich überstehe bei den normalen Mitgliedern in der SPD für gewöhnlich jede Abstimmung. Bei der Funktionärskaste gibt’s auf die Nuss.“ Kein Zweifel: Buschkowsky hat ein ambivalentes Verhältnis zu seiner eigenen Partei. Besonders gestört hat ihn die mangelnde Solidarität nach den Anschlägen auf sein Haus. Während sich Sozialdemokraten aus anderen Bundesländern nach seinem Befinden erkundigt hätten, fühlte er sich von seinen Berliner Genossen größtenteils im Stich gelassen. Umso mehr freute es Buschkowsky später, als SPD-Chef Sigmar Gabriel ihm 2010 den Gustav-Heinemann-Preis verlieh. Er gibt aber auch eigene Fehler zu: Der rechtskonservativen Jungen Freiheit zum Beispiel würde er heute kein Interview mehr geben.
Buschkowskys Begabung zur polemischen Zuspitzung beruht auch auf der Fähigkeit, die Sprache des normalen Bürgers zu sprechen. Hingegen seien viele jüngere Parteifunktionäre nicht mehr volksnah genug, bemängelt der 66-Jährige. Er selbst biete den Leuten eine Chance, sich mit ihm zu identifizieren, über seine Sprache und seinen Habitus. Hinzu kommt, dass der aus dem Amt scheidende Bürgermeister tief in Neukölln verwurzelt ist: Er wurde im Stadtteil Rudow geboren und ist dort als Sohn eines Schlossers und einer Sekretärin „mit proletarischer Prägung“ aufgewachsen. „Hier bin ich zu Hause, das ist meine Heimat.“ Buschkowsky ist ein Westberliner Original – und kennt natürlich im Britzer Schlossrestaurant auch die Gäste am Nachbartisch.
Nach dem sehr leckeren Essen verabschiedet sich Heinz Buschkowsky erst von der Bedienung und wünscht dann der Berliner Republik alles Gute. Er fahre nun wieder selbst Auto, erzählt er noch, und versuche auch sonst, langsam im Alltag als Privatmann anzukommen. Mit der aktiven Politik ist zwar Schluss, doch über seine Kolumnen in der Bild-Zeitung will er sich weiterhin zu Wort melden. Man wird also noch von Buschkowsky hören – dem provokanten Mahner und Sprachrohr von Neukölln. Wir von der Berliner Republik freuen uns darauf!