Die großen Aufgaben heißen Integration und Partizipation



1 Nach elf Jahren Regierungsbeteiligung landete die SPD nach der Bundestagswahl 2009 auf der harten Oppositionsbank. Es musste eine Zeit der Besinnung, Orientierung und Präzisierung folgen – die Chance der Opposition. Im Juni 2011 scheint die Sozialdemokratie noch immer in die Defensive gedrängt. Warum? Eine mögliche Erklärung: Weil sie an manchen Stellen nicht mehr mutig genug erscheint, wichtige Themen für die Zukunft unserer Gesellschaft zuzuspitzen und zu vertreten. Das gilt im Besonderen für unsere Integrationspolitik. Wir Sozialdemokraten müssen ein klares Bild davon entwickeln, wie wir für alle Bürgerinnen und Bürger gleiche Chancen auf Teilhabe und Partizipation an unserer Gesellschaft gewährleisten können – unabhängig von ihrer Herkunft. Nur so kann unsere Gesellschaft stark und solidarisch werden.

2 Um wieder auf die Beine zu kommen, müssen wir zunächst die neue Rolle in der Opposition noch besser annehmen. Das klingt einfacher, als es ist, denn viele auch für die Integration zentralen Gesetze – wie etwa das Zuwanderungsgesetz oder Änderungen des Aufenthaltsrechtes – wurden unter unserer Mitarbeit verabschiedet. Es wäre wenig glaubwürdig, wenn wir plötzlich frontal gegen diese Regelungen angingen. Und doch müssen wir stark genug sein, diejenigen Punkte, denen viele von uns immer skeptisch gegenüberstanden, nun nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen. In der medialen Berichterstattung gereicht es uns zum Nachteil, dass oftmals auf die Grünen und die Linkspartei als „die Opposition“ verwiesen wird. Gerade in der Integrationspolitik werden unsere sozialdemokratischen Inhalte nur sehr zögerlich in die Öffentlichkeit transportiert. Auf der anderen Seite wurden diese Themen in den vergangenen Monaten häufig den Emotionen geopfert – der andauernden Debatte über die kruden Thesen Thilo Sarrazins und seinem Parteiausschlussverfahren sei Dank.

Um den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes ein attraktives Angebot zu machen, müssen wir ein innovatives Gesamtpaket schnüren und unsere Vision für die Zukunft unserer Gesellschaft entwerfen. Dieser Prozess findet keineswegs im akademischen Elfenbeinturm statt, sondern ist politische Arbeit: Derzeit entwerfen wir sowohl in den Zukunftswerkstätten der SPD als auch im Rahmen des Projektes „Deutschland 2020“ der SPD-Bundestagsfraktion ganz konkrete Vorschläge. Dafür sprechen wir mit vielen, die sich tagtäglich mit Weiterbildungsangeboten, mit der Situation des Arbeitsmarktes, mit Sprachangeboten oder auch mit der Stadtentwicklung befassen.

Trotz vieler Debatten sind manche Fragen noch längst nicht befriedigend beantwortet: Wie kann das Aufenthaltsrecht bessere Perspektiven eröffnen? Wie können wir noch besser für die Einbürgerung werben? Wie können wir Bildungs- und Berufschancen für alle schaffen – unabhängig von der sozialen oder ethnischen Herkunft? Wie rüsten wir die Gesundheits- und Seniorenpolitik für die Bedürfnisse einer vielfältigen Gesellschaft? Und vor allem: Wie entwickeln wir uns zu einer solidarischen und starken Gesellschaft? Diese Fragen müssen und werden wir beantworten, und unsere Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger wird klar sein: Wir übernehmen Verantwortung und packen die Integrationspolitik als zentrale Herausforderung für die Zukunft dieses Landes an.

3 Die Sozialdemokratie bietet immer wieder eine wichtige Alternative in Deutschland. In Hamburg, Bremen oder auch in Rheinland-Pfalz sieht man deutlich, dass sozialdemokratische Angebote von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen werden, wenn sie klar und unterscheidbar sind. Soziale Gerechtigkeit im Einklang mit ökonomischem Fortschritt und ökologischer Vernunft – dafür steht die SPD. Angesichts der aktuellen Bundesregierung wünscht sich manch einer wieder mehr Stabilität und Vernunft zurück. In unserer Regierungszeit ist die Modernisierung unseres Landes gut vorangekommen: Der Atomausstieg war beschlossene Sache, die Reform des Arbeitsmarktes und die Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise sind Erfolge sozialdemokratischer Minister. Auch in der Integrationspolitik haben wir die Vorhaben, die heute von der Bundesregierung gefeiert werden, einst gegen größte Widerstände von CDU/CSU durchgesetzt, etwa die Integrationskurse oder den Nationalen Integrationsplan. Leider ist das vielen Sozialdemokraten selbst nicht mehr bewusst. Diese Wege müssen beharrlich weiter beschritten werden. Denn der demografische Wandel und die Zuwanderungsangebote auch unserer europäischen Nachbarländer dürfen uns nicht zurückwerfen.

Alle unsere Kinder brauchen eine gute Ausbildung, einen guten Abschluss und einen Arbeitsplatz. Das ist die größte Herausforderung, auch für die Integrationspolitik. Denn wer sich auf gleicher Augenhöhe begegnet, der wird es auch schaffen, unser Land voranzubringen. Und wenn wir alle Talente fördern – unabhängig von den Voraussetzungen des Elternhauses – dann haben wir einen Grundpfeiler der Sozialdemokratie auf beste Art und Weise aufrechterhalten. Es wäre zum Vorteil aller. Da haben wir noch einiges zu tun! «

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