Die guten Deutschen
Nach zwei Weltkriegen und der Nazi-Diktatur, nach Teilung, Eisernem Vorhang, Stasi-Staatlichkeit und Kaltem Krieg, nach so viel Konfliktgeschichte im 20. Jahrhundert ist dieses Ansehen des neuen Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts fast ein Wunder. Auch wenn wir aus gut eingeübtem understatement Mühe haben, das zu glauben: Deutschland muss viel richtig machen. Das understatement, die Strategie der Zurückhaltung, des Nicht-Auftrumpfens, der Selbstkritik ist wohl schon ein Faktor des Erfolgs. Wo Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit elegantem Pathos von der französischen "Großmacht" schwadroniert, verdreht Angela Merkel gequält die Augen. Wenn sie selbst über Deutschlands Rolle in der Welt spricht, klingt es betont nüchtern. Wie bei Schröder. Wie bei Steinmeier.
Deutschland ist, unabhängig von Konjunkturkrisen, die stärkste Volkswirtschaft Europas, mit 82 Millionen Einwohnern das größte Land der EU, seit mehreren Jahren Exportweltmeister und hinter den Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren 300 Millionen Einwohnern, Japan (127 Millionen) und China (1,3 Milliarden) die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Da wäre alles andere als Selbstbewusstsein seltsam. Die Mitverantwortung für globale Fragen, von der Ökonomie über den Klimaschutz bis zur Friedenssicherung, muss nicht gesucht werden, sie kommt auf einen zu.
Beim Einsatz von Militär in der internationalen Krisenbewältigung ist das Auftreten deutscher Regierungen zurückhaltend, aus guten historischen Gründen, aber nicht dogmatisch (wie im Falle Japans). Der Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr mag paradigmatisch dafür stehen. Schon die Mütter und Väter des Grundgesetzes formulierten in dessen Präambel im Jahr 1949, vier Jahre nach Ende des "Dritten Reiches", das Ziel der zweiten Republik: "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Das ist gelungen.
Nachkriegsdeutschland ist außenpolitisch geprägt durch eine Politik der Versöhnung, des Ausgleichs, der Entspannung und der Diplomatie. Dafür stehen in besonderer Weise Sozialdemokraten wie Willy Brandt als Außenminister und Bundeskanzler, Helmut Schmidt, aber auch Gerhard Schröder, dessen Ja zur uneingeschränkten Solidarität mit Amerika, als es angegriffen wurde, so verantwortungsbewusst war wie sein Nein zum Irak-Krieg.
Um eine besonders positive Rolle in der Welt zu spielen, bedarf es " aller Standortnörgelei und Abstiegsangst der vergangenen Jahre zum Trotz " besonders positiver Standortfaktoren.
Stabiler geht es nicht
Da ist vielleicht zunächst die Technik Made in Germany, die weltweit einen guten Ruf genießt; auch die Zuverlässigkeit deutscher Firmen. Was uns nach Bürokratie zu klingen scheint, Begriffe wie DIN, TÜV, Patentamt oder Germanischer Lloyd, gilt anderswo als Muster deutscher Gründlichkeit, Genauigkeit und Zuverlässigkeit.
Da ist das deutsche Wissenschaftssystem, das nach dem angelsächsischen die zweitgrößte Verbreitung hat: von Zitationen deutschsprachiger Forscher in internationalen Publikationen bis zur Aufbauberatung in China oder im arabischen Raum. Das zweitgrößte Wikipedia-Lexikon nach dem englischen ist natürlich das deutschsprachige.
Gewiss sind auch Sprache und Kultur aus dem Land der Dichter und Denker, von Goethe und Einstein, ein positiver Faktor in der Außenwahrnehmung. Hier stand die Wiege von Reformation und Marxismus und auch die Wiege des gegenwärtigen Papstes.
Dass Hollywood deutsche Geschichte jetzt im Sinne von Gustav Heinemanns "schwierigem Vaterland" inszeniert und auszeichnet, so mit einem Oscar für "Das Leben der Anderen" und mit dem sehr erfolgreichen Stauffenberg-Film über den militärischen Widerstand gegen Hitler, zeigt eine Akzentverschiebung. Der "hässliche Deutsche" scheint tot zu sein.
Die Bundesrepublik Deutschland hat in 60 Jahren nur acht Kanzler gehabt (die USA währenddessen 12 Präsidenten). Stabiler geht es nicht.
Auf dem Feld der Außenpolitik halten wir uns gern für unterbemittelt. Wir klotzen nicht mit extragroßen Botschaften in jeder Hauptstadt. Und wenn die Vereinten Nationen nicht in der Lage sind, sich zu reformieren, muss es auch ohne ständigen Sitz im Sicherheitsrat gehen. Aber Deutschland bringt außenpolitisch zwei Eigentümlichkeiten auf die Waage, die kein anderes Land so zu bieten hat: den Föderalismus auf Reisen und die politischen Stiftungen vor Ort.
Der Föderalismus-Vorteil: Nicht nur die Bundesregierung, sondern 16 Landesregierungen mit ihren Ministerpräsidenten und Wirtschaftsministern pflegen weltweit Kontakte. Schleswig-Holstein musste sich wegen seiner Ostseeraum-Initiativen schon den Vorwurf der Nebenaußenpolitik gefallen lassen. Aber das ist kein Systemfehler, sondern ein enormes Plus!
Das System der politischen Stiftungen von SPD, CDU, CSU, FDP, Grünen und Linkspartei schließlich gilt weltweit als einmalig. Mit ihren Auslandsbüros in allen wichtigen Regionen der Erde repräsentieren sie Deutschland, indem sie Anknüpfungspunkte für die unterschiedlichen politischen Strömungen im demokratischen Spektrum bieten. Friedrich Ebert, Konrad Adenauer, Hanns Seidel, Friedrich Naumann, Heinrich Böll und Rosa Luxemburg sei Dank!
Wenn man die Westdeutschen selbst fragt, ob sie mit ihrem Land nach 60 Jahren Frieden und Demokratie, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, im Reinen sind, fallen die Antworten skeptischer aus. Außenpolitik spielt dabei kaum eine Rolle, obwohl die globale Wirtschaftskrise gerade demonstriert, wie eng die Schicksale der Nationen miteinander verbunden sind.
Als glücklichste Nation gilt ironischerweise immer noch Bangladesch. Und am selbstzufriedensten sind traditionell die Dänen. Da aber müssen wir nicht aufholen. Man kann ja hinfahren, nicht ins Exil, sondern in die Ferien.