Die neueste Unübersichtlichkeit
Die goldenen siebziger Jahre: Der Sozialstaat funktionierte noch reibungslos, die Arbeitslosenzahlen lagen unter einer Million, die Frauen blieben zu Hause, ihre Männer hatten überwiegend unbefristete Arbeitsverträge, immer bei ein und derselben Firma, und im Parlament konnte man bei drei Parteien gut den Überblick behalten. Es war die Blütezeit der Volksparteien.
In den Jahren 1972 und 1976 beteiligten sich jeweils über 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger an den Bundestagswahlen. Zusammen kamen SPD und Union auf über 90 Prozent der Stimmen. Doch von da an ging es bergab. In den achtziger Jahren erhielten beide Volksparteien zusammen etwa 87, in den neunziger Jahren rund 77 Prozent der Stimmen. Bei der Bundestagswahl 2005 erreichten SPD und Union zusammen nur noch 69 Prozent der Wähler. Schon diese Zahlen machen deutlich, wie sehr die Konzentration des Parteiensystems nachgelassen hat.
Noch in der Weimarer Republik war das deutsche Parteiensystem von einer starken religiösen Konfliktlinie zwischen Protestanten und Katholiken geprägt, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem durch die Bildung der überkonfessionellen CDU an Bedeutung verlor. Bis tief in die siebziger Jahre strukturierte zu einem großen Teil die Konfliktlinie zwischen „Arbeit“ und „Kapital“ das Parteiensystem. Im Mittelpunkt standen die beiden Volksparteien SPD und CDU/CSU. Die FDP besaß eine Scharnierfunktion und verhalf bald der einen, bald der anderen großen Partei zur Regierungsmehrheit.
Als Folge von Bildungsexplosion, Emanzipation, gesellschaftlicher Liberalisierung und dem Schrumpfen der klassischen Industriearbeit entstand in den siebziger Jahren eine „postmaterialistische“ Konfliktlinie – und mit ihr ein neuer Wertekonflikt, der zunächst vor allem die SPD immer stärker spaltete. Er führte zur Gründung der Grünen und zu deren Einzug in die westdeutschen Landesparlamente. 1983 gelang den Grünen erstmals der Sprung in den Bundestag; die Bonner Republik wurde endgültig zum Vier-Parteien-System. So bildeten sich zwei Lager: Union und FDP auf der einen, SPD und Grüne auf der anderen Seite. Eine Konstellation, die nur in wenigen Fällen (Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz) durch sozial-liberale Allianzen aufgebrochen wurde.
Das Ende von Stabilität und Konzentration
Dieses System blieb in den alten Ländern über einen Zeitraum von fast 25 Jahren sehr stabil. Dort wurde weitgehend ausgeblendet, dass das politische System der „neuen“ Bundesrepublik im Jahr 1990 eine neue Konfliktlinie erhielt – jene zwischen „Zentrum“ (dem alten Westen) und „Peripherie“ (den neuen Bundesländern). Aufgrund dieses cleavage zog die PDS in den Bundestag ein, zunächst nur als parlamentarische „Gruppe“, 1998 dann sogar als Fraktion. Doch in der (westdeutschen) Öffentlichkeit wollte niemand so richtig wahr haben, dass das Parteiensystem der Bundesrepublik damit nachhaltig erweitert wurde – auch deshalb nicht, weil die zwei großen Lager noch immer regierungsfähige Koalitionen bilden konnten.
Stabilität und Konzentration des Parteiensystems, wie sie in den alten Ländern vorherrschten, waren in den neuen jedoch nicht anzutreffen. Der höchste Stimmenanteil für Union und SPD zusammen betrug bei der Bundestagswahl 1994 rund 70 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2005 vereinten die beiden großen „Bonner Verfassungsparteien“ nur noch 56 Prozent der Wählerstimmen auf sich. Das spiegelt sich auch in den Ländern wider: Die beiden „großen“ Koalitionen in Brandenburg und Sachsen stützen sich jeweils gerade einmal auf 52 Prozent der Wähler. Noch wenige Wochen vor der Landtagswahl 2004 sah es in Brandenburg so aus, als würden SPD und CDU zusammen nicht einmal die Fünfzig-Prozent-Hürde schaffen.
Parallel zum Sinkflug der beiden alten Volksparteien sind in Ostdeutschland die anderen Parteien gewachsen. Am nachhaltigsten war und ist der Aufstieg der PDS, die man bei den Gründungswahlen 1990 noch für ein Übergangsphänomen gehalten hatte. Doch bald wurde klar, dass die PDS auf lange Sicht beträchtliche Wählergruppen – hauptsächlich die alte Dienstleistungsklasse und Elite der DDR – repräsentieren würde. Mittlerweile existieren in Ostdeutschland drei stabile und zunehmend gleich starke „Groß“-Parteien: SPD, CDU und PDS. Alle drei Parteien sind grundsätzlich in der Lage, zur stärksten Kraft zu werden.
Nachdem bei den Landtagswahlen 1994 die Fraktionen von Bündnis 90 und FDP aus den ostdeutschen Landtagen verschwunden waren, sah es so aus, als bildete sich in Ostdeutschland ein stabiles Drei-Parteiensystem aus CDU, SPD und PDS. Die Konzentration des Parteiensystems war in den neuen Ländern mithin sogar stärker als in den alten, wo seit den achtziger Jahren zwei Volksparteien und zwei Klientelparteien die Szenerie bestimmen.
Im Osten wird es bunter
CDU und PDS konnten dabei auf ein relativ großes Mitgliederreservoir aus DDR-Zeiten zurückgreifen, allein die SPD war eine reine Wendegründung. PDS und CDU verloren nach der Wiedervereinigung in den fünf neuen Ländern schnell viele Mitglieder – 1991 hatte die PDS 140.000, die CDU 110.000 Mitglieder; 2005 waren es bei der PDS noch 46.000 (minus 67 Prozent) und bei der Union 50.000 (minus 55 Prozent). Die SPD hingegen konnte ihren – sehr geringen – Mitgliederbestand nahezu halten: 1991 verzeichnete sie 27.000 Mitglieder, diese Zahl nahm bis 2005 um elf Prozent auf 24.000 ab. Somit liegt die Rekrutierungsfähigkeit – also das Verhältnis zwischen Mitgliedern und Wahlberechtigten – bei den drei großen Parteien im Osten deutlich unterhalb der Werte in den alten Ländern. Die höchste Rekrutierungsfähigkeit im Osten (bei der CDU in Thüringen sowie der PDS in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) liegt immer noch niedriger als der schwächste Wert im Westen (bei der SPD in Bayern und in Baden-Württemberg).
Doch auch das Drei-Parteien-System in Ostdeutschland wandelt sich. Derzeit fächert sich das Parteienspektrum erneut auf – und wird sogar bunter als in den alten Bundesländern. In den vergangenen zehn Jahren bestanden in den nord-, west- und süddeutschen Landtagen durchschnittlich 3,7 Fraktionen. In den ostdeutschen Landtagen waren es in den neunziger Jahren noch 3,3 Fraktionen – heute sind es 4,5. Man kann dies wohl als neue Form des „Überholens ohne Einzuholen“ bezeichnen.
Die meisten Parteien aller deutschen Landesparlamente verzeichnet derzeit der Sächsische Landtag. Dort sitzen Fraktionen von CDU, PDS, SPD, NPD, FDP und den Grünen. Der einzig verbliebene ostdeutsche Landtag mit drei Parteien ist der von Thüringen. Dort allerdings haben mehr als 16 Prozent aller Wähler „sonstige“ Parteien gewählt, sind also überhaupt nicht im Parlament repräsentiert; in Brandenburg beträgt diese Zahl bei vier Fraktionen knapp 15 Prozent, in Berlin bei fünf Fraktionen 14 Prozent.
Wie ist es dazu gekommen? Zum einen waren die klassischen Konfliktlinien in Ostdeutschland nie besonders stark ausgeprägt. So hat es die SPD dort immer sehr schwer gehabt, Arbeiter und Arbeitslose an sich zu binden. Angesichts der anhaltenden ökonomischen Krise standen aber auch libertäre und post-materialistische Werte weit hinten auf der Agenda. Das hat es besonders Bündnis 90/Grünen sehr schwer gemacht, sich zu etablieren. Zum Einzug in die Landtage im Jahr 1990 verhalf ihnen einzig der Wendebonus der Bürgerbewegungen. Abgesehen vom Sonderfall Berlin sind die Grünen nur in Sachsen im Landtag vertreten. Auch die FDP ist erst seit kurzem erfolgreich. Nachdem sie zwischen 1994 und 2002 in keinen einzigen ostdeutschen Landtag gewählt worden war, gehört sie derzeit vier Landesparlamenten an.
Das neue 3+3-Parteien-System
Dann sind da noch die Rechtsextremen. In Gestalt der DVU gelangten sie in Sachsen-Anhalt erstmals 1998 in einen ostdeutschen Landtag, 1999 folgte Brandenburg. Zwar verschwand die DVU in Sachsen-Anhalt 2002 wieder von der Bildfläche, in Brandenburg jedoch konnte sie sich bei den Landtagswahlen 2004 halten. Darüber hinaus bearbeitet die NPD seit einigen Jahren sehr strategisch verschiedene ostdeutsche Landesteile. Mit Erfolg: Im Jahr 2004 konnte die NPD in Sachsen, 2006 dann auch in Mecklenburg-Vorpommern ins Landesparlament einziehen.
Mittlerweile hat sich also um die drei verhältnismäßig großen Parteien CDU, SPD und PDS eine Gruppe von drei kleineren Parteien gebildet, die zwar nicht flächendeckend vertreten sind, jedoch in allen neuen Ländern durchaus Chancen auf Wahlerfolge haben.
Im Osten wird die Mitte breiter
Das Marktforschungsinstitut Infratest hat im März eine sehr umfangreiche Studie zu gesellschaftlichen Veränderungen in Brandenburg vorgelegt, deren Ergebnisse sich auf ganz Ostdeutschland übertragen lassen.* Bereits zum dritten Mal hatte das Institut die Befragten gebeten, sich hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Ortes selbst einzuschätzen. Es zeigt sich: Während in der ostdeutschen Gesellschaft im Laufe der neunziger Jahre kaum Veränderungen zu beobachten waren, ist sie nunmehr merklich in Bewegung geraten. Mittlerweile sehen sich 23 Prozent der Brandenburger im oberen Segment der Gesellschaft angekommen – zehn Prozent mehr als in den Jahren 1993 und 2000. Der Anteil der unteren Mittelschicht sowie der Unterschicht liegt 2007 bei 18 Prozent; in den Jahren 1993 und 2000 hatten sich noch 23 beziehungsweise 24 Prozent der Befragten so eingeordnet. Die Zahlen belegen: Die ostdeutsche Gesellschaft hat sich gehörig ausdifferenziert.
Bemerkenswert ist zweifellos der gesunkene Anteil an Menschen, die sich den unteren Schichten zuordnen – während sich zugleich die gesellschaftliche und politische Diskussion beständig um die vermutete Ausweitung der Unterschicht dreht. Gleichwohl deutet die Untersuchung darauf hin, dass die Verortung im unteren Segment der Gesellschaft zwar quantitativ zurückgegangen ist, sich jedoch eine qualitative Verfestigung abzeichnet. Anders gesagt: Die unteren Schichten schrumpfen, aber hier versammeln sich mehr und mehr die Chancenlosen und Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung, die zweifellos die potenzielle Basis für die Wahlerfolge der Rechtsextremen darstellen.
Die Erfolge von NPD und DVU zeigen allerdings auch, dass die PDS immer weniger in der Lage ist, das gesellschaftliche Unten zu integrieren. Bisher profitierte die Partei in erster Linie von ihrer mentalen Verankerung in der DDR beziehungsweise davon, dass viele ihrer Wähler im Zuge des Umbaus der DDR-Gesellschaft zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft einen Statusverlust erlebten. Dieser Zusammenhang wird sich in den kommenden Jahren immer weniger herstellen lassen. Mit anderen Worten: Auf der Suche nach Regierungsbeteiligung werden der PDS die „Entrechteten“ der Nachwendezeit zunehmend zum Ballast, so dass sie sich im Osten – ähnlich wie SPD und CDU – immer mehr in Richtung der gesellschaftlichen Mitte orientieren muss, um erfolgreich zu sein. Und das zu einer Zeit, in der die PDS als „Linkspartei“ in Westdeutschland gerade diejenigen Modernisierungsverlierer einsammeln will, die sie im Osten nicht mehr binden kann. Vermutlich stehen der „neuen“ Linkspartei angesichts dieser inneren Spannungen noch heftige Auseinandersetzungen bevor.
Die Chancen für FDP und Grüne wachsen
Das Anwachsen des oberen Endes der ostdeutschen Gesellschaft zeigt jedoch auch, dass eine soziale Trägerschicht für FDP und Grüne entsteht. Hier versammeln sich die uneingeschränkten Gewinner der Umbrüche der vergangenen Jahre, und mit ihnen verbreiten sich sowohl wirtschaftsliberale als auch postmaterielle Werte. Nicht von ungefähr ist die FDP in die Landtage von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zurückgekehrt.
Ähnlich wie in den alten Ländern leben vor allem die ostdeutschen Grünen stark von einem sozialkulturellen Milieu, das sich in den neuen Ländern allerdings erst Schritt für Schritt um die (erfolgreichen) Universitätsstädte herausbildet. Deshalb konzentrieren sich die Wahlerfolge der Grünen auf Dresden, Leipzig, Chemnitz, Halle, das (westliche) Umland von Berlin, Magdeburg, Erfurt, Jena und Weimar. Gut möglich, dass sich die Basis für die Grünen in den kommenden Jahren so sehr verbreitert, dass die Partei nicht nur in Sachsen wieder in ostdeutsche Landtage gelangen kann.
Für eine neue „Politik der Ermutigung“
Dennoch: Zwangsläufigkeiten gibt es nicht. Das sich andeutende Sechs-Parteiensystem in Ostdeutschland ist eine mögliche Entwicklung, mehr nicht. Offen bleibt, ob sich die „Abgehängten“ am unteren Ende der sozialen Skala überhaupt dauerhaft politisieren lassen und ob die PDS oder die Rechtsextremisten dies ausnutzen können. Das muss nicht so sein, wie das schlechte Wahlergebnis der NPD von drei Prozent bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt im Jahr 2006 gezeigt hat. Entscheidend wird deshalb sein, ob es den jeweiligen Regierungsparteien gelingt, sozialen Aufstieg für diejenigen zu organisieren, die sich von der Entwicklungsdynamik abgehängt fühlen, aber noch nicht aufgegeben haben.
Die derzeitige Entwicklung in Ostdeutschland lässt Rückschlüsse in beide Richtungen zu. Einerseits führen das wirtschaftliche Wachstum und die deutlich sinkende Arbeitslosigkeit zu einer Stabilisierung des politischen Systems in der Mitte. Andererseits deutet der sich ausweitende Fachkräftemangel bei gleichzeitig immer noch hoher Arbeitslosigkeit darauf hin, dass es sehr schwer sein wird, besonders Langzeitarbeitslose wieder voll in die Gesellschaft zu integrieren. Es wird in dieser Lage sehr darauf ankommen, ob sich die gesellschaftliche Diskussion im Land um „Bewegung“ und „Perspektiven“ dreht – oder um „Stillstand“ und „Frust“. Nur eine systematische „Politik der Ermutigung“ wird auf Dauer das Trugbild vermeintlich unabänderlicher Chancenlosigkeit aufbrechen, das heute noch vielen Menschen vor Augen steht.
Ähnliche Entwicklungen lassen sich seit einiger Zeit auch in den alten Bundesländern beobachten. Auch dort vollzieht sich ein Strukturwandel, der die Gesellschaft verändert – was sich letztlich auch in Parteienkonstellationen widerspiegeln muss. Der schwierige und sehr langsame Wandel von den auf Kohle und Stahl fixierten Ökonomien in Nordrhein-Westfalen und im Saarland hin zu modernen Dienstleistungsgesellschaften vollzieht sich auch dort nicht ohne Brüche und Verlierer. Hohe Ergebnisse für die WASG (5,2 Prozent bei der Bundestagswahl 2005 in Nordrhein-Westfalen) und die NPD (4 Prozent bei der jüngsten Landtagswahl im Saarland) sind Ausdruck zunehmender Verunsicherung. Auch Hamburg und Bremen kämpfen seit Jahrzehnten mit dem Strukturwandel, der die Städte nicht nur wachsen, sondern auch Quartiere mit viel sozialem Brennstoff entstehen lässt. Seit 1993 hat Hamburg bei allen Bürgerschaftswahlen hohe Wähleranteile für (rechts-)populistische Parteien verzeichnet, die es entweder ins Parlament geschafft haben (STATT- und Schill-Partei) oder nur knapp gescheitert sind (DVU). Ähnlich geht es in Bremen zu, wo die DVU bereits seit 1987 nahezu ununterbrochen in der Bürgerschaft vertreten ist.
Null Prozent Schulabgänger ohne Abschluss
Mithin zeichnen sich auch im westdeutschen Vier-Parteien-System Auflösungstendenzen ab. Zwar konnte sich nach den Grünen keine fünfte Partei dauerhaft und flächendeckend in den Landtagen etablieren. Auch die mit viel Getöse angekündigte Formierung der so genannten Linkspartei ist (noch) kein Selbstläufer, wie die schlechten Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr gezeigt haben. Doch aufgrund der starken Verankerung der PDS in den ostdeutschen Ländern wird der Bundestag ein Fünf-Parteien-Parlament mit vielen Koalitionsmöglichkeiten bleiben.
Damit wird die dauerhafte Schwächung der großen Parteien einhergehen: Ergebnisse zwischen 30 und 40 Prozent werden wohl zur Normalität gehören. Schließlich ist es mittlerweile 27 Jahre her, dass SPD und Union zugleich bei einer Bundestagswahl über 40 Prozent der Stimmen erhielten. Seither hatte nur noch jeweils eine Partei eine „4“ vorn, zuletzt die SPD im Wahljahr 1998. Und auch das ist nun schon wieder fast zehn Jahre her. Wer heute als Wahlziel „35 plus x“ propagiert, mag nicht besonders ambitioniert klingen – realistisch aber allemal.
Bleibt die Frage, ob es tatsächlich zu einem weiteren Ausfransen des Parteiensystems kommen wird – in den neuen Ländern auf sechs, in den alten Ländern auf fünf Parteien. Verhindern kann dies allein eine Politik der gesellschaftlichen Integration, die im Zuge der wirtschaftlichen Erholung systematisch neue Leitern für den sozialen Aufstieg des „neuen Untens“ aufstellt. Es geht darum, für Familien eine begleitende und beratende Unterstützung bereitzustellen, die pädagogische Qualität der Kinderbetreuung und Schulen zu verbessern, die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss von zehn auf null Prozent zu senken, auskömmlichen Lohn für Geringverdiener zu organisieren, Stadtquartiere aus der Abwärtsspirale zu befreien. Wer den Menschen die Hoffnung auf sozialen Aufstieg zurückgibt, wird zugleich dafür sorgen, dass das Parteiensystem in Deutschland sich – wenigstens vorläufig – nicht weiter ausdifferenziert.
* Rita Müller-Hilmer, Brandenburg im Wandel: Politik und Gesellschaft sind in Bewegung geraten, in: Perspektive 21 Heft 34, Mai 2007, S. 49-64.