Globale Wissenswelten



Wissen gilt als das öffentliche Gemeingut schlechthin. Nicht nur das Ethos der Wissenschaft verlangt, dass Wissen grundsätzlich allen zugänglich ist. Der Weltbank-Bericht Knowledge for Development (1999) bezeichnet die Verbreitung von Wissen als weltweite Aufklärungsmaßnahme, die wünschenswert sei. Zwar verweisen die Autoren des Berichts auf die bestehenden Einschränkungen im globalen Wissenstransfer, gelangen jedoch zu der optimistischen Auffassung, die Hürden seien überwindbar.

Stimmt das? Diese Frage lässt sich präzisieren: Resultiert die Grenzen überschreitende Verbreitung von Wissen nicht eher aus den zunehmenden Bemühungen von Staaten, Organisationen, Firmen und der scientific community um weltweite Standards, als dass es sich um gleiches Wissen für alle handelte? Warum gestaltet sich die Verbreitung von Wissen bisweilen höchst komplex und auch schwierig? Ein geschärfter Blick auf die Eigenarten des globalen Wissenstransfers vermag die optimistische Sicht der Weltbank zu relativieren und aufzuzeigen, warum die These von einer sich weltweit angleichenden Wissensgesellschaft problematisch ist.

Zunächst muss geklärt werden, was Wissen ist und was unter einer globalen Wissensgesellschaft verstanden wird: Wissen definieren wir als Handlungsvermögen, das sich von reiner Information unterscheidet und in die Aktivitäten individueller Akteure und somit auch in soziale Umwelten eingebettet ist. Sprechen wir von der globalen Wissensgesellschaft, so postulieren wir nicht, dass alle Individuen alle Erkenntnisse beherrschen. Die globale Wissensgesellschaft als Wissenswelt bezeichnet weder die weltweite Verbreitung der Institution der Wissenschaft, ihrer Methoden und disziplinären Standards, noch bezieht sie sich auf die Tatsache, dass jede Gesellschaft heute wissensbasierte Ausbildungssysteme vorweisen kann. Die Wissenswelt zeichnet sich hingegen durch Teilung und Transfer von Wissen aus: Wissensproduzenten unterscheiden sich von Wissenskonsumenten, und dies erfordert, dass Wissen transferiert wird. Soll es eine globale Wissensgesellschaft geben, so muss Wissen reisen.

Einen frühen Hinweis auf die mit dem globalen Wissenstransfer einhergehenden Hoffnungen und Schwierigkeiten bietet das Werk des Sozialphilosophen Otto Neurath. Neurath war einer der ersten modernen Theoretiker und glühenden Befürworter globaler Wissenswelten. In der englischen Emigration arbeitete er 1941 als Consulting sociologist of human happiness und setzte sich in dieser Funktion für die Sanierung von Slums und gerade auch für eine Demokratisierung des Wissens ein. Die in der Neurathschen Philosophie mitschwingende Hoffnung, dass die Freiheit eine Tochter des Wissens sei, insistiert darauf, die „Humanisierung des Wissens“ – eine offene Zugriffsmöglichkeit auf Wissen – durch innovative Medien zu ermöglichen. In seinem Gedankenexperiment dachte Neurath an „sprechende Zeichen“ einer zu entwickelnden Bildersprache, um „reisendem Wissen“ die Bahn zu ebnen.

Moderne Kommunikationstechniken ermöglichen zwar einen leichteren Zugang zum Wissen, allerdings besteht die Gefahr, dass es trotz technischer Erleichterung der Kommunikation nicht zu ungehinderter Wissensverbreitung, sondern zu Wissenskonzentration kommt. Das Internet zum Beispiel bietet globale Möglichkeiten der Verbreitung von Information seitens der Wissensproduzenten und des Zugriffs auf Information seitens der Wissenskonsumenten. In den technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften wird jedoch häufig missachtet, dass für den weitaus größten Teil der Weltbevölkerung nicht Web 2.0, sondern Web 0.0 der Standard ist. So haben zwar in den Vereinigten Staaten rund drei Viertel und in Europa etwa die Hälfte der Bevölkerung Zugang zum Internet, in den am stärksten besiedelten Kontinenten Asien und Afrika ist dieser Wert jedoch rapide auf rund 15 Prozent respektive 5 Prozent gesunken. Dort besteht zudem eine gravierende Diskrepanz zwischen urbanen und ländlichen Regionen bei der Anbindung an den weltweiten Informations- und Wissensaustausch.

Die Knotenpunkte der globalen Glasfaserverkabelung und ihre Metastasen können somit auch als Auswüchse der Wissensverbreitung gedeutet werden. Allerdings bleibt zu beachten (und darauf werden wir später noch detaillierter eingehen), dass die alleinige Bereitstellung von mehr Information keineswegs automatisch einem gesteigerten Handlungsvermögen der Rezipienten entspricht. Wissen als Handlungsvermögen ist immer in einen lokalen Kontext eingebettet, und oftmals wird die ursprüngliche Intention eines Wissenstransfers durch lokale kulturelle Umstände modifiziert oder gar eingeschränkt.

Zweifellos lassen sich gewisse Bedingungen für die Globalisierung von Wissen erkennen. Doch ebenso lässt sich feststellen, dass der Weg zu einer globalen Wissenswelt nicht nur wünschenswert, sondern auch steinig ist. Zu den Bedingungen, innerhalb derer Wissen geschaffen und transferiert wird, gehören in ganz besonderem Maße die Besitzverhältnisse. Das zuvor genannte Neurathsche Hoffnungsversprechen der globalen Wissenswelt beruht auf einer normativen Forderung: Wissen sollte ein weltweit öffentliches Gut sein. Aus ökonomischer Sicht würde das bedeuten, dass Wissen die sonst für Wirtschaftsgüter typischen Eigenschaften der Konkurrenzhaftigkeit und der Zugangsrestriktion fehlen.

Was Wissen von allen anderen Ressourcen unterscheidet

In den vergangenen Jahrzehnten haben wir jedoch beobachten können, wie die Möglichkeiten zur Privatisierung von Wissen dessen Produktion beschleunigt haben. In den Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit (und in der Folge auch in anderen Nationen) haben sich die wissenschaftlichen Bedingungen zunächst durch die Abkoppelung der Erkenntnisproduktion von militärisch-politischen Zielen radikal verändert, denn daraus ging der Aufstieg der großen Forschungsuniversitäten hervor. Mit der Verabschiedung des Bayh-Dole-Act im Jahr 1980 trat eine entscheidende Veränderung ein, zumal es Forschern und Universitäten fortan erlaubt war, ihre Entdeckungen patentieren zu lassen, selbst wenn sie mit Hilfe von öffentlichen Fördergeldern realisiert wurden. Die Daten belegen, dass durch diese Privatisierung von Wissen (und durch die Privatisierung der durch den Wissensverkauf generierten Profite) nicht zuletzt in der Biotech-Industrie die Wissensproduktion stark anstieg.

Damit Wissen globalen Charakter annehmen kann, muss es sprichwörtlich auf der Allmende belassen oder zunächst dorthin verbracht werden. Aber wird es dadurch nicht zugleich der „Tragik der Allmende“ (Garrett Hardin) ausgesetzt? Wenn wir Wissen als eine Ressource verstehen, so gibt es kulturübergreifend schwerwiegende Vorurteile gegen den unbeschränkten Zugang zu Ressourcen auf dieser Allmende, da er zur Überkonsumption dieser Ressourcen führen kann. Dies ist wiederum im Fall von Wissen nur schwer vorstellbar. Im Gegensatz zur Endlichkeit aller bisherigen natürlichen Ressourcen hat sich gerade die Teilhabe an Erkenntnissen und am Wissen im Verlauf der Menschheitsgeschichte als Bedingung für deren Vermehrung erwiesen.

So hat der französische Historiker Marc Bloch bereits vor einigen Jahrzehnten die Frage gestellt, warum kaum eine der unter der Regierung von Ludwig XIV. zum Patent angemeldeten Erfindungen je in die Praxis umgesetzt wurde. Er kam zu dem Ergebnis, dass in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts das einfache Volk mit seinen aus dem Alltag resultierenden, für das Funktionieren einer Volkswirtschaft so grundlegenden Problemen, kein Gehöhr mehr fand bei einer sich professionalisierenden Gruppe von Forschern und Ingenieuren. Diese entwickelten im Zuge der In-Besitznahme von Wissen auch eine eigene Forschungssprache, wodurch die für die Wissensmehrung so wichtige Kommunikation zwischen Problemstellern und Problemlösern weiterhin erschwert wurde. Um Wissen zu mehren, bedarf es auch eines Bewusstseins für konkrete Problemstellungen, das nur aus einem Prozess gesamtgesellschaftlichen Austauschs erwachsen kann.

Die vorrangige Aufgabe wäre demnach die Förderung des Zugangs und nicht der Schutz vor einem angeblich nicht nachhaltigen Verbrauch der Ressource. Damit aber Wissen auf die Allmende gelangt, ist ein erster Schritt im Wissenstransfer notwendig: Implizites Wissen, das von spezialisierten Wissensträgern gehortet und angewandt wird – man denke an Expertenwissen ebenso wie an lokalspezifisches Alltagswissen –, muss kodifiziert werden. Das heißt, es muss im Sinne Neuraths in eine allgemeinverständliche und übertragbare Form gebracht werden.

Ein wichtiges Vehikel zur Verbreitung von Erkenntnissen und zur Entwicklung sich globalisierenden Wissens ist der Handel mit Dienstleistungen und Waren. Eine Ausweitung des weltweiten Handels, besonders der Abbau der Handelsschranken für sich entwickelnde Wirtschaften, könnte so zu einer nicht-intendierten weltweiten Diffusion von Ideen und Wissen führen sowie zu einem Abbau der Informations- und Wissensdefizite in der Welt.

Hier könnte also mit Hinweis auf die Katalysatorfunktion der Wissensverbreitung die These von der homogenisierenden Globalisierung formuliert werden: In gewissem Maße, so wird es weithin postuliert, habe im Zuge der ökonomischen und kulturellen Globalisierung eine weltweite Angleichung von Lebensverhältnissen stattgefunden. Es wäre demnach naheliegend zu vermuten, dass dieser Effekt auch die weltweite Wissensverbreitung betreffe. Bei genauerer Betrachtung jedoch ist die Angleichungsthese – bezieht sie sich nun auf die Wirtschafts-, die Kultur- oder die Wissensglobalisierung – auf schwankendem Boden errichtet. Entgegen der allzu leicht ausgesprochenen These einer immer weiter fortschreitenden Globalisierung ist vielmehr und zugleich auch nach den globalen Schranken in einer grenzenlosen Welt zu fragen.

Was heute „Globalisierung“ heißt, war früher die „Massengesellschaft“

Die Hoffnung oder Befürchtung, dass wir das Entstehen einer homogenisierten Weltgesellschaft beobachten, hat in der Nachkriegszeit unter verschiedenen Überschriften zu komparativen Untersuchungen moderner Gesellschaften angeregt. Der jüngst dominierende Begriff der „Globalisierung“ nimmt in diesen komparativen Untersuchungen den Stellenwert ein, den gesellschaftstheoretische Bemühungen der Vergangenheit den Begriffen der „Massengesellschaft“, der ubiquitären „Rationalisierung“ oder der weltweiten „Modernisierung“ zuschrieben. Fast alle diese Untersuchungen der letzten 50 Jahre stellen fest oder warnen davor, dass es zu einer Angleichung oder gar zu einer Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse komme. Die umfassende These von der unaufhaltsamen Angleichung der Lebensverhältnisse beziehungsweise einer grenzenlosen Welt sollte auch, so kann man wohl mit Recht unterstellen, die Entstehung globaler Wissenswelten einschließen oder zumindest befördern. Wir wollen versuchen zu zeigen, dass diese These fragwürdig ist, da Globalisierungsprozesse beispielsweise eine Affirmation von Unterschieden befördern können. Dazu zuerst einige generelle Bemerkungen zum Thema Globalisierung; anschließend gehen wir auf einige spezifische Grenzen der Möglichkeit globalisierender Wissenswelten ein.

Untersuchungen der kulturellen Globalisierung haben eine besonders enge Affinität zu den Diskussionen der modernen Gesellschaft als Massengesellschaft. In vielen Ländern der Welt existiert zumindest unter Intellektuellen eine ausgeprägte Sensibilität gegenüber Formen des kulturellen Imperialismus. Der kulturelle Imperialismus berge die Gefahr, dass jede lokale, regionale oder nationale kulturelle Ausprägung angesichts des massiven Drucks primär der trivialen amerikanischen Kultur verdrängt wird. Die Tatsache einer wachsenden ökonomischen und ökologischen Interdependenz, aber auch eine Internationalisierung des Wissens und der Informationen wird in der rapide wachsenden Literatur zur Globalisierung kaum noch angezweifelt.

Wir können dies zwar nur sehr verkürzt darstellen, aber die Argumentationslinien der Gegner und Befürworter der Globalisierung widersprechen sich nur auf den ersten Blick. Dazu gehört auf beiden Seiten, wie schon in der Analyse des Phänomens der Massengesellschaft oder der Modernisierung, eine systematische Überschätzung der Effizienz und der Geschwindigkeit, mit der es in der Welt zu einer Rationalisierung des Irrationalen beziehungsweise zu einer Globalisierung und Standardisierung des Lokalen kommt.

Gerade die Sozialanthropologie als vergleichende Kulturwissenschaft beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit den kulturellen Auswirkungen intensivierten globalen Austauschs. Immer wieder wird in diesem Wissenschaftsbereich jedoch die Bedeutung des lokalen Kontextes hervorgehoben. Der Konsum einer Dose Coca Cola nimmt in Brazzaville, wo sie unter anderem als Statussymbol unter die Windschutzscheibe der Autos geklemmt wird, eine kulturell vollkommen andere Bedeutung ein, als in New York, wo sie nach dem Verzehr in die nächste Mülltonne wandert. McDonalds hat auch im Nahen Osten Einzug gehalten, dennoch kann man nicht von einer McDonaldisierung von Kultur sprechen, wenn in Beirut ein Besuch bei McDonalds mit einem valet-parking service verbunden ist und eine Fastfood-Mahlzeit das Vielfache eines lokalen Gerichtes kostet. Ähnlich wie Information mögen Objekte zwar global transferiert werden – ihre kulturelle Bedeutung unterscheidet sich aber von den übertragbaren primären Eigenschaften wie etwa dem Gewicht. Sie verändert sich im Prozess des Transfers und der lokalen Akkulturation ebenso, wie Wissen im Zuge der Verbreitung und lokalen Adaption Veränderung erfährt.

Gegenbewegungen und Heterogenisierung

Gleichzeitig ist es wichtig festzustellen, dass die unbestrittene globale Verbreitung von meist westlichen Kulturgütern trotz ihrer lokal modifizierten Anwendung auch Gegenbewegungen hervorruft. Bereits in frühen Zentren der Globalisierung wie der Welthandelsstadt Amsterdam im 17. Jahrhundert lassen sich Widerstände gegen die asiatischen Importgüter feststellen, weil diese traditionelle Konsum- und Kulturmuster veränderten oder schlicht und einfach in Konkurrenz zu Produkten lokaler Herkunft und Machart standen. Wenn um das Jahr 1620 ein niederländischer Dichter klagt, viele Waren seien allein deshalb hochgeachtet, weil sie von weit her importiert würden, und wenn er stattdessen die traditionelle Qualität von Produkten lokaler Provenienz bewirbt, so mag dies auf einen allgemeinen, zivilisations- und epochenübergreifenden Trend hinweisen: Das soziale Differenzierungsbedürfnis innerhalb von Gesellschaften sowie ihr Distinktionsbemühen nach Außen wird gerade im Angesicht homogenisierender Bewegungen auch neue heterogenisierende Kräfte entstehen lassen.

Selbst in der Ökonomie geht man nur selten davon aus, dass sich alle relevanten wirtschaftlichen Veränderungen ausschließlich in eine Richtung bewegen und sich somit angleichen. Es trifft sicher zu, dass einige der klassischen Ursachen der wirtschaftlichen Zurückgebliebenheit, besonders die zögernde Verbreitung moderner Techniken und wissenschaftlicher Erkenntnisse, die noch in den fünfziger und sechziger Jahren betont wurden, heute nicht mehr gelten. Multinationale Konzerne sind fast überall präsent. Dennoch haben diese Veränderungen nicht zu einer Angleichung wirtschaftlicher Bedingungen oder einer Gleichverteilung in der Produktion von wissensintensiven Gütern und Dienstleistungen geführt.

„Globales Wissen“ versus „lokales Wissen“

Hochtechnische und wissenschaftsbasierte Produktionsstätten sind weiter in Regionen und Ländern konzentriert, die eine herausragende Infrastruktur des Wissens und der Technik besitzen. Obwohl die verstärkte Internationalisierung der Produktion technologischen Wissens sich aus politischer Sicht mehr und mehr anbieten mag, konzentrieren sich die Erfindungsprozesse hauptsächlich auf die Heimatländer großer Firmen. Die Erklärung für dieses Phänomen findet sich in den Grundeigenschaften technischer Entwicklung: Diese erfordern die räumliche Nähe von Experten, um den Austausch von personengebundenem Wissen als Handlungsmöglichkeit (im Gegensatz zur reinen Informationsweitergabe) zu erleichtern und die Risiken der Vermarktung auf zunächst bekanntem Terrain möglichst gering zu halten.

Was als Globalisierung beschrieben wird, vermindert also keineswegs jene Notwendigkeit zur Spezialisierung, die bereits Adam Smith als Grundlage für das wirtschaftliche Wachstum bezeichnete. Globale Prozesse werden aufgrund ihres raschen Auftretens, ihrer unerbittlichen Direktheit und ihrer offensichtlichen Stärken mit besonderer Faszination und erhöhter Aufmerksamkeit beobachtet. Im Vergleich zu den noch vorhandenen „nationalen“ und lokalen Realitäten (deren aktive Widerstandsmöglichkeiten ihrerseits wiederum unterschätzt werden) sind sie überbewertet.

Besonders deutlich ist dieser Widerstreit zwischen „globalem Wissen“ und „lokalem Wissen“ während der vergangenen Jahre in der Entwicklungspolitik geworden. So erwiesen sich das innerhalb von zentralisierten Organisationen konzipierte Wissen und die dort entwickelten Lösungsvorschläge häufig als inkompatibel mit den Problemstellungen vor Ort. Als Konsequenz haben sich Entwicklungshelfer von dem Selbstbild eines mit global anwendbarem Wissen beladenen Heilsbringers verabschiedet. Stattdessen wird heute mehr Wert auf einen dialogischen Prozess der Wissensbildung gesetzt, um lokale Probleme zu lösen und dabei den oftmals als implizites oder „stilles“ Wissen bezeichneten Erfahrungsschatz lokaler Akteure mit einzubeziehen.

Inwiefern kann globales Wissen dann den Armen der Welt helfen, wenn das globale Wissen auf dem Weg seiner Distribution und Transmission selber einem Prozess der Verarmung unterliegt? Mit anderen Worten: So wie wir eine signifikante makro-ökonomische Spezialisierung auf globalem Niveau feststellen konnten, die einer weltweiten Angleichung der Lebensverhältnisse widerspricht, so können wir ebenso eine vergleichbare Arbeitsteilung im gesamtgesellschaftlichen Lernen erkennen, das die Entstehung globaler Wissenswelten erschweren dürfte.

Schon Max Weber hat sich mit den Hindernissen beschäftigt, die der Anwendung moderner Technik und modernen wissenschaftlichen Denkens außerhalb der westlichen Welt entgegenstehen. Er sah diese Hindernisse vor allem aus den spezifischen kulturellen Praktiken erwachsen. Auch wenn seine Feststellung inzwischen schon lange zurückliegt, macht er uns auf die spezifischen Eigentümlichkeiten vor Ort aufmerksam, in die Wissen hineintransferiert wird, innerhalb derer Wissen rezipiert wird und innerhalb derer Wissen andere soziale und kulturelle Bedeutungen annehmen kann. Es wird also niemals zu einer einfachen Übertragung von Erkenntnissen kommen. Stattdessen wird sich im globalen Wissenstransfer eine Entwicklung von hybriden, das heißt gegenseitig sich beeinflussenden Wissensformen vollziehen.

Marktwert durch Nicht-Verbreitung

In den westlichen Gesellschaften haben die Träger technisch-wissenschaftlichen Wissens eine entscheidende Rolle bei der gesellschaftlichen Durchsetzung moderner Technik und Wissenschaft gespielt. In diesem Prozess hat es sich als hilfreich erwiesen, dass die Träger wissenschaftlich-technischen Wissens eine gewisse Autonomie gegenüber den herrschenden Schichten der Gesellschaft haben sollten, um mit traditionellen Wissensformen brechen zu können. Sie brauchen darüber hinaus Zugang zu einer organisatorischen Infrastruktur, um ihr Wissen verbreiten zu können. Der Technikhistoriker Ian Inkster spricht in Bezug auf die Ergebnisse dieser Prozesse vom Transfer „intellektuellen Kapitals“.

Die Entstehung der westlichen Wissenswelt ging mit spezifischen historischen Bedingungen einher. Jedem muss klar sein, dass diese nicht weltweit übertragbar sind. So ist fraglich, inwieweit die in Europa im Prozess der Aufklärung weitgehend vollzogene Trennung von wissenschaftlichem und spirituellem Weltbild globalisierungsfähig ist. In Indien zum Beispiel haben die Bauern ihre traditionelle Landwirtschaft vormals innerhalb eines kosmologischen Referenzrahmens betrieben, der von der zyklischen Verbundenheit von Natur und Mensch ausging. Mit der Einführung moderner, genmodifizierter und nicht keimfähiger Saatgüter wurde hier weit mehr getan, als allein das vorhandene agrikulturelle Wissen ausgetauscht. Vielmehr zerrüttete die neue Dependenzkette, die nur in eine Richtung verlief, nämlich von der Saatgutfirma zu den Bauern, das vormalige spirituell-zyklische Weltbild der lokalen Bevölkerung.

Globale Wissenswelten basieren auf dem freien Transfer von Wissen. Ihr Anliegen könnte daher als diametraler Gegensatz zu bisherigen Formen des Wissensschutzes betrachtet werden. Dieser Auffassung kann wiederum die These vom sich selbst schützenden Wissen entgegengehalten werden: Wird Wissensdiebstahl als der abrupte Transfer von Wissen definiert, so kann der Anbieter einer solchen Übertragung natürlich nur schwer von ihr profitieren. Denn Wissen ist in einer bestimmten Wissensinfrastruktur verankert wie etwa der Fähigkeit, das Lernen zu lernen. Es ist damit weder frei zirkulierbar noch einfach rekonstituierbar oder übertragbar.

Aber auch aus der Perspektive der Rezipienten von gestohlenem Wissen bestätigt sich die These vom Wissen, dass sich selbst schützt. Denn Wissen erhält seinen Marktwert gerade durch seine Nicht-Verbreitung. Ist vormals geheimes oder Insider-Wissen erst gestohlen und verbreitet, wird sich sein geldäquivalenter Wert schnell abnutzen. Wird es aber durch den Diebstahl wertlos, gibt es keinen Grund, es zu stehlen.

In Bezug auf die freie globale Verbreitung von Wissen treten auch moralische Schwierigkeiten auf. Auf der einen Seite betreffen sie problematisches oder sogar gefahrvolles Wissen. Einmal vorhandenes Wissen, das haben unter anderem die Entwicklungen in der Atom- und der Genforschung gezeigt, lässt sich in seiner Anwendung nur schwer begrenzen. Ihm wohnt ein inhärentes Verbreitungsmomentum inne – ohne äußere Schranken realisiert es sich von selbst.

Problematisiert wird der „natürliche“ Schutz von Wissen jedoch unter anderem dann, wenn Wissenstransfer zwischen unterschiedlichen Kultur- und Rechtsräumen stattfindet. So kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Fällen, in denen sich global operierende Firmen traditionelles medizinisches Wissen indigener Bevölkerungsgruppen angeeignet haben. Das internationale Recht des Intellektuellen Eigentums versetzt die indigenen Bevölkerungsgruppen an dieser Stelle in eine defensive Position: Es erkennt das traditionelle, nicht staatlich fixierte Eigentumsrecht nicht an. Darüber hinaus ist es weit komplizierter, althergebrachtes Wissen zu patentieren als neues Wissen. Ohnehin liegt eine Patentierung oftmals nicht im Interesse der indigenen Bevölkerung, da die uralten Geheimnisse in dem bürokratischen Prozess offenbart werden müssten. Internationale Korporationen können sich indigenes Wissen aneignen und dieses dann in einem anderen Land als „neues Wissen“ zum Patentamt tragen und wirtschaftlich ausbeuten. Die Monopolisierung von Wissen durch global wirksame Patente unterbindet die natürliche Verbreitungstendenz einmal entwendeten Wissens.

Welche Intentionen? Welche Strategien?

Auf der anderen Seite ist die gezielte Verbreitung ideologisierten Wissens problematisch. In gewissen Kreisen wird die Forderung nach global mind sets laut, als Antwort auf unterschiedliche weltpolitische Herausforderungen wie Terrorismus, atomare Kriege oder aktuelle Umweltprobleme. Demnach können diese Probleme nur durch weltweite, kollektive Anstrengungen auf dem Gebiet des Erziehungswesens gelöst werden, die zu einer gemeinschaftlichen global intelligence führen. Gerade solche Konzeptionen als Beispiel für globale Wissenswelten zu bezeichnen, wird jedoch nicht selten als Vorurteil entlarvt, nach dem nicht-westlichen Akteuren europäische Denkmuster, Weltansprüche, Politik-, Sozial- und Kulturvorstellungen oktroyiert werden sollen. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass es eine globale, uniforme Gleichverteilung des Wissens nicht geben kann – trotz der gesellschaftlichen Prozesse, die in eine solche Richtung zeigen beziehungsweise als homogenisierende im Sinne von globalisierenden Faktoren gedeutet werden. Eine horizontale und vertikale globale Gleichverteilung des Wissens ist in hochgradig arbeitsteiligen Gesellschaften nicht möglich, unter anderem auch aufgrund der demografischen Entwicklung, nämlich dem ständigen Zu- und Abgang von Gesellschaftsmitgliedern.

Vielmehr ist zu fragen, welche Intentionen und Strategien dahinter stehen, wenn globale Wissenswelten als Ziel proklamiert werden. Deshalb kann eine abschließende Antwort auf die Fragen, die hier zur gegenwärtigen Existenz und zur Perspektive des globalisierenden Wissens gestellt wurden, nur lauten, dass bestimmte Wissensformen – besonders jene in Projekte oder in Gegenstände eingebetteten – zwar globale Charakteristika annehmen können, aber die meisten Wissensformen Schwierigkeiten haben, ein universelles Niveau zu erreichen.

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