Mormon cricket
Geneigte Leserinnen und Leser! Thea warnt vor der Lektüre der folgenden Zeilen. Lesen Sie auf jeder anderen Seite dieses Heftes weiter. Überall haben sich begabte Autorinnen alle Mühe gegeben, sich irgendwie verständlich zu machen – hier jedoch nicht.
Sollten Sie wählen gehen, gar mit einem gewissen Bewusstsein einer Partei anhängen oder – horribile dictu – gar Mitglied einer solchen sein, dann gehen Sie zurück zum Anfang, arbeiten sich fast bis zum Ende der „Berliner Republik“ durch und lassen Sie auch im zweiten Anlauf diese Schwurbelkolumne aus. Niemand wird Sie danach fragen, Sie werden nichts verpassen: Tschüss!
Nun sind wir allein. Ich und Du. Selber schuld. Es geht um das Königreich der Tiere, das Phylum der Arthropda, Klasse Insekten, Familie Tettigoniidae, Genus Anabrus, Art simplex. Also Anabrus simplex. Vulgo: Mormon cricket. Oder Grashüpfer für diejenigen, denen die breitere Bildung sowieso wurscht ist.
Die Dinger sind circa acht Zentimeter lang, haben lange Antennen, sind genaugenommen weder Grashüpfer noch crickets, sondern braune bis schwarze Katydien, die ihren Namen daher bekamen, dass sie als Breitenplage zuerst in dem Gebiet der Salzseen Nordamerikas auftauchten und den frommen Mormonen dort das Leben schwer machten. Sie fraßen in hellen Scharen die Ernte, verdunkelten den Himmel und hinterließen den kommenden Generationen unfruchtbare Erde. Wir erkennen: Volksparteien vor der Schuldenbremse.
Unter günstigen Bedingungen wachsen diese Biester im Geheimen, aber in Scharen heran, dösen in Wipfeln und Ecken, bis sie zum Ausbruch bereit, sich in Kampfformationen organisieren – und zum Angriff auf unser Gemeinwesen und seine Grundlagen übergehen. Und wo treffen sie uns? Da, wo letzte Fetzen von Freiheit sich noch haben erhalten können, wo der Mann noch ein ganz klein wenig Mann sein und die Mutter fast ungestraft zur Raserin mutieren darf: auf der Straße.
Zu Millionen ergießen sie sich auf Teer und Asphalt unserer täglichen Wege, erschaffen so eine schlüpfrige, knackende Sperre aus ihren eigenen Körpern und treffen uns dergestalt im Kern des „homo transportandus“. (Ich hatte vor der Lektüre gewarnt. Blättere um. Jetzt.)
In Amerika haben diese Biester zu deren guten Zeiten 12 Millionen Acre Land überdeckt und bis auf den Grund vernichtet! Keine Ahnung, wie groß ein Acre im Vergleich zum guten alten Hektar ist, aber das ist doch ekelhaft!
Was treibt diese drängende Masse zu ihrem sperrenden Tun? Eine Idee, lockende charismatische Führung, politisch-abendländische Tradition? Was macht die einzelne Schrecke zum Massenschrecken? Eine Frage, die sich jedem denkenden Menschen stellt, wenn er auch nur ganz oberflächlich an Parteien denkt.
Und nun kommt die grundstürzende Antwort: (Noch hast Du die Gelegenheit zum Umblättern. Hau ab!) Die gemeinschaftlichen Massen, die uns als Parteimitglieder Maut und Mindestlohn, Mütterrente und den Ruhestand gleich nach dem Kindergarten bescheren – sie sind gar keine Gemeinschaft! Sie wollen gar nicht zusammen sein! Sie sind Einzelgänger! Sie meiden den anderen offensiv: SIE LAUFEN NUR IN PANIK VOREINANDER WEG!
Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wären rein zufällig und in keiner Weise beabsichtigt. Kratsch.