Plagiator ante portas
Nur 13 Tage dauerte der jähe Absturz des Verteidigungsministers. Eingeläutet hatten ihn die Recherchen des Rechtswissenschaftlers Andreas Fischer-Lescano, der bei seiner Besprechung von Guttenbergs Dissertation für die Fachzeitschrift Kritische Justiz auf erste Plagiate gestoßen war. Die vielleicht entscheidende Wende in diesen bemerkenswerten Tagen im Februar 2011 – der „Kairos“, wie Guttenberg selbst wohl sagen würde –, war die öffentliche Erklärung des Bayreuther Staatsrechtlers Oliver Lepsius. Der Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Peter Häberle, Guttenbergs Doktorvater, bezeichnete den Minister vor laufenden Kameras als Betrüger, der mit Vorsatz gehandelt habe.
Bis dahin schien noch offen, ob die Vorwürfe am „Teflon-Minister“ wieder abperlen würden wie zuvor in der Kunduz- und Gorch-Fock-Affäre. Aber schon am folgenden Tag warfen Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter Guttenberg in einem offenen Brief „massive, systematische Täuschung“ vor. Auch diese Aktion trug dazu bei, dass sich der bis dahin so populäre Minister trotz Rückendeckung von Kanzlerin und Bild-Zeitung schließlich zum „schmerzlichsten Schritt seines Leben“ gezwungen sah.
Die Überlegenheit des organisierten Schwarms
Zwei Monate nach Guttenbergs Rücktritt versammelte Oliver Lepsius gemeinsam mit dem Potsdamer Literaturwissenschaftler Reinhart Meyer-Kalkus im Berliner Wissenschaftskolleg Kollegen, um den Fall aufzuarbeiten. Aus diesem Workshop entstand der vorliegende Sammelband. „Die Wissenschaftler handelten als Citoyen. Sie verteidigten nicht nur ihre Institutionen, sondern nehmen auch staatsbürgerlich Pflichten war, klären auf und beziehen Stellung“, schreibt Lepsius im Vorwort. An anderer Stelle im Buch formuliert er weiter: „Selten konnte in der Öffentlichkeit eine solch konkrete und anschauliche Wertedebatte geführt werden.“ Publizisten, Literaturwissenschaftler, Philosophen, Medienwissenschaftler, Soziologen und sogar ein Archäologe spannen in dem Buch ein vielfältiges Analysespektrum auf.
Im ersten Teil des Sammelbandes diskutieren die Autoren den öffentlichen Diskurs in der Affäre – von der Mediencondoterie über das missglückte Krisenmanagement des Verteidigungsministers bis zur Logik der Skandalisierung im digitalen Zeitalter. Die Medienwissenschaftler Henne Detel und Bernhard Pörksen heben die Rolle der Internetgemeinde gegenüber den klassischen Medien hervor: „Die Mitarbeiter der Spiegel-Dokumentation (die gehören zu den besten Rechercheuren der Republik) finden in den einzelnen Phasen nur einen Bruchteil der Belege und können, da durch Redaktionsschluss und Drucktermine blockiert, natürlich keine unmittelbare Aktualisierung des Skandalgeschehens liefern. Demgegenüber erzeugt der organisierte Schwarm eine enorme Enthüllungsgeschwindigkeit, die auch das Ad-hoc-Dementi des Ministers unmittelbar wieder zu Staub zerfallen lässt.“
Publizistischer Selbsthass ausgerechnet im Hause „Zeit“
Im zweiten Teil des Buches setzt sich der FAZ-Journalist Nils Minkmar kritisch mit der Rolle der Medien auseinander. Am eindeutigsten bezog das „Fanzine“ Guttenbergs Stellung, die Bild-Zeitung. Nachdem Franz Josef Wagner („Scheiß auf den Doktortitel“) und der „Volksentscheid“ erfolglos ins Feld geführt waren, forderte die Zeitung nach seinem Rücktritt allen Ernstes eine Rehabilitierung ihres Idols. Begründung: Auch Ostdeutsche, die über Marxismus promoviert hätten, würden den Doktortitel führen. Minkmar bescheinigt der Bild denn auch ein Guttenberg-Syndrom: „Da wurde kurzerhand die moralische Benchmark für den einstigen Erneuerer der Wahrhaftigkeit bürgerlicher Politik auf den Level von Stasi-Unis gesenkt, als würde ein Missstand den anderen aufheben.“
Minkmar macht aber auch Journalisten aus seriöseren Medien aus, die in der Causa Guttenberg versagten. Zum Beispiel habe Frank Plasberg in der ARD über die Impotenz des investigativen Journalismus jubiliert, der gegen Guttenbergs Popularität (zumindest zeitweise) nichts auszurichten vermochte. Dabei ging es ja, so Minkmar, um die Bewertung einer objektiven Verfehlung, über die nicht mit einem Mehrheitsvotum von repräsentativ ausgewählten Bundesbürgern abgestimmt werden könne.
Schwer nachvollziehen kann Nils Minkmar auch die Haltung der Zeit, die den Promotionsbetrug unter der Willy-Millowitsch-Kategorie „Wir sind alle kleine Sünderlein“ verbuchen wollte, vergleichbar mit dem im Leitz-Ordner versteckten Eierlikör. Minkmar erkennt in dem Fall gar „publizistischen Selbsthass“ und „eine Art Depression, die eigene Haltung zähle nichts angesichts der guten Umfragewerte eines Ministers“. Die große Popularität des smarten Franken habe Journalisten eingeschüchtert.
Diese Einschätzung mag etwas einseitig sein, schließlich haben viele Journalisten, etwa auch von der Frankfurter Allgemeinen, klar gegen Guttenbergs Verfehlung Stellung bezogen. Für die Berichterstattung zum Plagiatsfall erhielten die Redaktionen der FAZ vom „Netzwerk Recherche“ gerade den Journalistenpreis „Leuchtturm“.
Was einer ist, was einer war, das wird beim Scheiden offenbar
Im dritten und ausführlichsten Teil des Buches untersuchen die Autoren Guttenbergs Stil und Rhetorik. Dort wird etwa das Phänomen Guttenberg im Spiegel des römischen Heerwesens analysiert oder seine Pressefotos werden mit Renaissance-Porträts verglichen. Der Historiker und Autor der Süddeutschen Zeitung Gustav Seibt erörtert die Rolle der adligen Herkunft des Lügenbarons Guttenberg.
Seibt zieht eine Parallele zum hessischen Adligen und CDU-Politiker Casimir Prinz Wittgenstein, der sich einst in die abstruse Behauptung verstieg, das Schwarzgeld der hessischen CDU stamme aus jüdischen Vermächtnissen. Bei Guttenberg habe man „schon wieder ein virtuoses Stück dieser gummiartig beweglichen und zugleich wetterfest tannenhaften aristokratischen Prinzipienstärke anstaunen dürfen“.
Mit besonderer Akribie widmet sich der Autor Sebastian Diziol Guttenbergs Rücktrittsrede. Denn wie schon der große Lyriker Hans Carossa wusste: „Was einer ist, was einer war, das wird beim Scheiden offenbar.“ Diziol seziert den überbordenden Pathos („mit viel Herzblut“) der Rede und analysiert Guttenbergs gekonnte Inszenierung als Märtyrer.
Der Minister stellt sich vermeintlich einsam und letztlich wehrlos vor seine Schutzbefohlenen ins Kreuzfeuer seiner Gegner. Schließlich gebe er nicht allein wegen seiner „so fehlerhaften Doktorarbeit“ auf. Sondern auch, so Guttenberg in der dritten Person über sich, weil „die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt. So findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten statt.“
Der Konflikt werde, so der Minister, auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen, die ihm doch so sehr ans Herz gewachsen seien. Damit deutet Guttenberg die Geschehnisse geschickt um: Er handelt stets verantwortungsbewusst, während seine Kritiker moralisch fragwürdig agieren.
Was gegen den schlechten Zustand der deutschen Politik getan werden müsste
Das Buch enthält 13 überaus lesenswerte Aufsätze. In einem Jahr, in dem „Plagiat“ das Wort des Jahres werden könnte, und in dem sich die Frage stellt, ob zur Causa Guttenberg überhaupt noch etwas Neues zu sagen ist, fügt das Buch einer bereits ausführlich und leidenschaftlich geführten Debatte eine Reihe neuer und gut reflektierter Aspekte hinzu. Der Sammelband leistet einen wichtigen Beitrag, um Beharrlichkeit und Augenmaß in der Politik von leerer Inszenierung trennen zu können.
Diese Fähigkeit dürfte schon bald wieder gebraucht werden. Der katholische Herder-Verlag hat soeben einen Interview-Band herausgebracht, in dem Guttenberg laut Verlagsankündigung unter anderem über „den schlechten Zustand der deutschen Politik und Parteien und was dagegen getan werden müsste“ spricht. Gesprächspartner ist Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, der noch wenige Tage vor Guttenbergs Rücktritt für dessen Verbleib im Amt plädiert hatte. Das Interviewbuch kündigt ein baldiges Wiedersehen an. Es heißt: „Vorerst gescheitert“. «
Oliver Lepsius und Reinhart Meyer-Kalkus (Hrsg.), Inszenierung als Beruf: Der Fall Guttenberg, Frankfurt: Suhrkamp Verlag 2011, 215 Seiten, 10 Euro