Südtirol zeigt, was möglich ist

Das deutsche Handwerk steckt in einer schweren Krise. Doch von Reformen wollen seine Vertreter trotzdem nichts hören. Dabei ist der "Meisterzwang" ein Hindernis für Dynamik und neue Arbeitsplätze. Wie es besser geht, machen uns andere vor

Das Handwerk steckt in einer tiefen Strukturkrise: Seit 1996 ging die Beschäftigung um 18,8 Prozent zurück, die Selbstständigenquote liegt in Deutschland bei nur 9,3 Prozent, gegenüber einem EU-Durchschnitt von 12,3 Prozent. Die Gründungsquote, der Anteil der Neugründungen an bestehenden Unternehmen, liegt in der Gesamtwirtschaft bei 13,7 Prozent - im Handwerk nur bei 4 Prozent. Dies zeigt: Der Meisterbrief, also die Voraussetzung für den Marktzugang, hat sich in Deutschland zur Jobbremse entwickelt.


Untrügliches Indiz dafür ist auch der Rückgang der Ausbildungsverträge. Heute trägt das Handwerk nur noch 30 Prozent der "Ausbildungslast"; 1995 waren es noch 37 Prozent der Azubis, die im Handwerk lernten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber den Meisterzwang mit der Sicherung des Nachwuchses in der gesamten gewerblichen Wirtschaft gerechtfertigt. Diese Bedeutung nimmt - leider - immer mehr ab. Auch deshalb brauchen wir eine neue Dynamik, die wir nur mit einem Paradigmenwechsel schaffen: den Meisterzwang als Voraussetzung für die Niederlassung nur noch im Fall von "gefahrgeneigten" Handwerken, also nur noch für rund ein Drittel der gegenwärtig 94 Gewerke. Das Qualitätssiegel Meister bleibt aber. So schöpfen wir schneller und unbürokratischer das Beschäftigungs- und Existenzgründungspotential aus.


Die Befürchtungen, die Handwerks-Novelle könne negative Auswirkungen haben, sind unbegründet. Mehr Wettbewerb findet statt und "europafest" wird der Meister ganz nebenbei, denn außer Luxemburg hat kein EU-Staat mehr die deutsche Berufszugangsschranke. Warum auch? Haben wir etwa in der letzten Zeit erlebt, dass Holzfußböden nur vom Parkettleger verlegt oder Fenster nur vom Fensterbauer gemacht werden? Warum soll der Kunde nicht so souverän sein, das gewünschte Qualitätsniveau selbst zu bestimmen. Gesellen-Service und Do-it-your-self-Niveau gibt es heute häufig nur in Form von Schwarzarbeit - und die floriert seit vielen Jahren.

Nicht Zwang sondern Wettbewerb

Die Aussicht auf Reformen macht das Handwerk zunehmend unruhig. Zuerst versteckt, mittlerweile offen, drohen seine Vertreter, man werde sich aus der Aus- und Weiterbildung von jungen Nachwuchskräften zurückziehen, wenn mit dem Meisterbrief in Deutschland nicht alles beim Alten bleibe. Der Meisterbrief sei der alleinige Garant für hohe Produktqualität und hohes Ausbildungsniveau, letztlich für Wachstum und Wohlstand in Deutschland. In Wirklichkeit ist gerade in jenen Wirtschaftsbereichen eine hohe Dynamik zu verzeichnen, in denen es den Meisterbrief als Marktzugangsregelung nicht gibt.


Wie ist denn eigentlich Deutschland groß und stark geworden? "Made in Germany" wurde und wird mit hervorragender Qualität gleichgesetzt und gerne gekauft. "Made in Germany" ist der Garant für Erfolg und Wirtschaftswachstum. Aber es war kein Zwang zur Qualität, der Deutschland groß gemacht hat. Die Industrie zeigt, dass es auch anders geht. Nicht Zwang, sondern Wettbewerb sichert hier die hohe Produktqualität sowie die Ausbildungsqualität der Arbeitnehmer. Trotz Gewerbefreiheit bildet die Industrie aus eigenem Interesse an qualifizierten Fachkräften aus. Das ist im Handwerk letztlich ebenso. Angesichts der strukturellen Probleme des Handwerks - ausgelöst durch die Marktzugangbeschränkung Meisterbrief - und im Lichte des Rückgangs der Ausbildungsplätze um 13 Prozent seit einem Jahr, wäre das duale System der Berufsausbildung am Ende, wenn es allein dem Handwerk folgen würde. Gerade das duale Ausbildungssystem aber ist ein weiterer zentraler Bestandteil der Erfolgsstory "Made in Germany".


Zweifellos ist die Ausbildung im Handwerk von hoher Qualität und sicherlich hat das Handwerk viele Jahre lang über seinen Bedarf hinaus ausgebildet. Das ist ein lobenswerter Einsatz. Allerdings übernimmt das Handwerk nach der Ausbildung nur zwischen 30 und 50 Prozent der Fachkräfte. Abhilfe ist dringend nötig. Besonders bedauerlich ist, dass zwei Drittel der Betriebe der deutschen Wirtschaft nicht ausbilden, obwohl sie dies könnten. Mit der Aussetzung der Ausbildereignungsverordnung entfällt nun die Pflicht, eine Ausbildereignungsprüfung abzulegen. Ziel dieses Schritts ist es, die Bereitschaft der Betriebe zur Ausbildung durch den Abbau mutmaßlicher Hindernisse zu erhöhen. Durch die Befristung der Aussetzung auf fünf Jahre haben wir die Gelegenheit einer genauen Evaluierung ihrer Wirkung auf die Qualität der Ausbildung.

Meist bilden die Gesellen aus

Hinzu kommt, dass durch die Neustrukturierung der Anlage A (Meisterzwang) und der Anlage B (Gewerbefreiheit) der Handwerksordnung die Anzahl geregelter Ausbildungsberufe in Gewerben der Anlage B steigt. Dies lässt eine Aktivierung der Ausbildungsleistung in weiteren Gewerben der Anlage B erwarten. Nur etwa 30 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse betreffen derzeit die Ausbildung in einem Handwerk der Anlage A. Dadurch wird deutlich, dass es keiner "Meister-Qualifikation" bedarf, um erfolgreich Gesellen beziehungsweise Facharbeiter auszubilden, zumal die praktische Ausbildung sowieso meist durch die Gesellen erfolgt. Und überdies: 260 Ausbildungsordnungen bestehen schon heute im nicht-handwerklichen Bereich. Auch das ist "Made in Germany".

Zum Beispiel die Gerüstbauer

Die Attraktivität einer Ausbildung im Handwerk wird außerdem erhöht, weil der Gesellenabschluss künftig in den gefahrengeneigten Gewerken, die weiter unter Meisterzwang stehen, mehr Möglichkeiten bietet. Umgekehrt ist durch die erhebliche Ausweitung der Anlage B Selbstständigkeit ohne Erfordernis der Meister- oder Gesellenprüfung in sehr viel mehr handwerklichen Berufen möglich. Ferner wird Selbstständigkeit nach zehnjähriger Gesellentätigkeit auch in Anlage-A-Berufen ohne Erfordernis einer Meisterprüfung möglich. Damit wird engagierten Gesellen eine interessante berufliche Perspektive geboten, die wir angesichts der Vielzahl bevorstehender Betriebsübernahmen dringend brauchen. Das Beispiel der Gerüstbauer zeigt die negative Wirkung des Meisterzwangs besonders eindrücklich. 1998 wurden die Gerüstbauer von der Anlage B in die Anlage A heraufgestuft. Die Zahlen sprechen für sich. Von 1970 bis 1998 konnte die Zahl der Gerüstbauer in der Anlage B aufgrund des freien Marktzugangs eine ganz besondere Dynamik nehmen und expandieren. Nach der 1998 erfolgten Überführung in die Anlage A schrumpfte die Zahl der Betriebe aufgrund der nunmehr restriktiven Marktzugangsregelung innerhalb von vier Jahren von 7.138 auf 4.934. Das sind 35 Prozent.


Das Beispiel Südtirols zeigt, was möglich ist, wenn der Meisterzwang fällt: Fast über Nacht stieg dort die Zahl der Handwerksfirmen per saldo von 12.000 auf über 13.000. Sorgen über den Niedergang des Berufsausbildungssystems erwiesen sich als unbegründet.

 

 

Auch in Zukunft wird der Titel "Meister" für Qualität "Made in Germany" stehen. Aber es werden wieder mehr Auszubildende, mehr Gesellen, mehr Meister und mehr Betriebe sein, die in diesem guten Namen arbeiten - die Verbraucher werden es danken.

zurück zur Person