Von den Deutschen lernen? Lieber nicht
Demokratie an der frischen Luft! Das Volkstreffen in Allinge auf der Insel Bornholm ist ein Festival der Politik. Der Folkemødet ist eine Art politischer Kirchentag, wo alle, die im politischen Dänemark etwas auf sich halten, teilnehmen, ausstellen und auf Podien vertreten sind. Für drei Tage verwandelt sich das ehemalige Fischerdorf in einen Jahrmarkt mit 80 000 Teilnehmern. Der Hafenkai ist mit weißen Zelten gesäumt, in denen heftig diskutiert, gestritten und Kaffee getrunken wird. Jedes Bett der Insel ist belegt und von der Ministerpräsidentin bis zur Selbsthilfegruppe der Autisten und ihren Angehörigen sind alle vertreten. Es treffen sich Bürgerinnen und Bürger mit Polit-profis und diskutieren die drängenden Themen der Zeit. Im Hintergrund das Meer, die Atmosphäre voller Spannung und Urlaubsstimmung. Eine erfrischende Abwechslung zur Glasglocke Berlin und gewiss ein Vorbild für neue Ansätze in der Politik. Ich kann mir gut vorstellen, wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel im Ostseebad Binz im legeren Sommeroutfit mit Bürgern über die Energiewende diskutieren. Das sollte man weiter verfolgen.
Ich war beim Folkemødet, um an einer Diskussion zum Thema „Der Wettlauf nach unten – der dänische Arbeitsmarkt wird deutsch“ teilzunehmen, gemeinsam organisiert vom dänischen Think Tank Cevea und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Im Garten eines Souvenirladens trotzten die Teilnehmer dem dänischen Regen. Der Ankündigungstext war eindeutig: „Der deutsche Arbeitsmarkt wird als Wunder gepriesen. Er hat die Krise unbeschadet überstanden und gilt dänischen Politikern als Vorbild, um deutsche Arbeitsmarktreformen mit niedrigeren Löhnen und subventionierten Mini-jobs zu propagieren. Aber die Last der Wettbewerbsfähigkeit liegt auf den Arbeitnehmern: Mehr und mehr Deutsche sind arm, teilzeitbeschäftigt und haben seit Jahrzehnten keine Gehaltserhöhung gesehen. Ist das die Richtung, die Dänemark einschlagen sollte?“
Mit dieser kritischen Meinung ist Kristian Weise, Direktor von Cevea, nicht allein. Wohin man im europäischen Ausland kommt – überall fallen die Reaktionen ähnlich aus. Eine Mischung aus Bewunderung und Skepsis schlägt dem deutschen Wirtschaftswunder entgegen. Man kann nur schwer ein Modell kritisieren, das Vollbeschäftigung mit (moderatem) Wirtschaftswachstum und Exportüberschüssen kombiniert. Aber will man ihm wirklich folgen? Immer wieder werde ich im Ausland gefragt, was die wahren Kosten des deutschen Modells sind. Sind Minijobs, stagnierende Löhne und eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich wirklich erstrebenswerte Ziele einer progressiven Politik?
Der dänische Arbeitsmarkt hat sich von der Finanzkrise noch nicht wieder erholt. Dänische Löhne sind die höchsten in der EU, und der Kostendruck steigt. Auf Bornholm wurde jetzt ganz aktuell das Beispiel des Fleischproduzenten Danish Crown diskutiert, der den Erhalt von Arbeitsplätzen auf der Insel mit der Forderung einer 15-prozentigen Lohnkürzung verknüpfte. Danish Crown verlagert schon seit Jahren Arbeitsplätze von Dänemark nach Deutschland und gehört in Deutschland mittlerweile zu den Großen der Branche.
Die Diskussion mit den Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern auf dem Folkemødet verlief dann aber klassisch dänisch. Selbst Henrik Bach Mortensen von der Dänischen Arbeitgebervereinigung, der den Deutschen Respekt für ihre Leistungen zollte, wollte nicht wirklich vom dänischen Modell abrücken. Anita Vium von der Gewerkschaft 3F pries die Stärke des dänischen Arbeitsmarktes, nämlich dessen ausgeprägte Flexibilität. Arbeitgeber und Gewerkschaften verhandeln lokal und flexibel über notwendige Anpassungen. Reformen seien schon erfolgt, und auf keinen Fall wolle man einen Niedriglohnsektor wie in Deutschland. Der deutschen Politik empfahlen die selbstbewussten Dänen, der Spaltung des Arbeitsmarktes entgegenzuwirken und die vielen Ausnahmen und Hürden auf dem Weg zu einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung abzubauen. Von den Deutschen lernen? Das dann doch lieber nicht. Stattdessen gab man mir einige gute Ratschläge mit auf den Heimweg. So stieg ich wieder in die Propellermaschine und schaute sehnsüchtig auf die Küste von Bornholm, wo ein politisches Volksfest die Seele Dänemarks pflegt.