Wie sich die Bauern in Ostwestfalen mit der Weltwirtschaft arrangieren

Über den Niedergang des Landes

In den Diskursen der Hauptstadt kommt das Land nur als Gegenstück zur Stadt vor. Das Land aber misst sich nicht an der Stadt, es funktioniert nach eigenen Gesetzen. Der Wandel findet hier leise und ohne viele Worte statt.

Innerhalb von drei Generationen hat sich die Landwirtschaft verändert wie vorher in tausend Jahren nicht. Die Weltwirtschaft ist auf dem Land angekommen und hat aus den Bauern im Dorf Agrarunternehmer in einem globalen Marktzusammenhang gemacht. Das Dorf hat dabei seine Rolle als Produktionsgemeinschaft verloren. Der Bauer, dem Selbstverständnis nach eigener Herr auf dem eigenen Hof, ist nicht länger Selbstversorger, sondern Rohstoffproduzent und damit abhängig von den Koordinaten eines schwierigen Marktes und einer unbeständigen Politik.

Die Generation der Großväter kennt noch Zeiten, in denen man sich mit Steckrüben und Wibbelbohnen über den Winter rettete. Sie versteht die Welt nicht mehr, seit die Europäische Union Geld zahlt, damit die Bauern ihre Felder nicht bewirtschaften. Für die Alten ist es eine Sünde, fruchtbare Felder brach liegen zu lassen, "solange es Hunger gibt in der Welt".
Dass Flächenstilllegungsprämien eine logische Folge des Marktzwanges sein sollen, will nicht in ihre Bauernschädel.

Die Generation der Väter ist die letzte, die als stolze Landbesitzer angetreten ist, zu einer Zeit, als man noch etwas galt als Bauer. Innerhalb ihres Berufsleben sind sie von Familienernährern zu Subventionsempfängern geworden. Sie waren stolz, dass sie mehr Doppelzentner Getreide vom Land holten als ihre Väter und mehr Milch aus der Kuh, und leiden nun an dem Gefühl, nicht für Leistung bezahlt zu werden, sondern für die Verhinderung der Leistung. Weil es so gefordert wird, klippen sie ihren Kälbern gelbschwarze Nummernschilder in beide Ohren, doch wenn sie Anträge aus Brüssel ausfüllen, empfinden sie das als Entmündigung. Sie leiden am Imageverlust der Landwirtschaft und kratzen ihr letztes Geld zusammen, um das Schimpfwort Bauer mit einem Benz zu kontern.

Die Generation der Söhne, die jetzt die Höfe übernehmen soll, hat nüchterne Marktkalkulation gelernt, rechnet und schließt den Hof. Die wenigen, die weiter machen, pachten Nachbarhöfe, tun sich mit anderen Landwirten zusammen und bauen Ställe, in denen früher zehn Bauern ihr Vieh hätten lassen können. Sie wissen, dass sie unter wirtschaftlicher Unsicherheit große Investitionen machen müssen. Sie reden nicht länger von Höfen mit Kühen, sondern von Betrieben mit Milchvieheinheiten. "Da sind wir mit der Nostalgie ganz schnell am Ende", sagen sie, wenn man sie nach dem gewandelten Berufsbild fragt. Wenn einer wie Lafontaine seinen Posten hinschmeißt und verkündet, er wolle einen Bauernhof pachten, haben sie dafür nur ein müdes Lächeln übrig.

Doch bei aller Anpassung an wirtschaftliche Veränderungen sind die Bauern Bauern geblieben. Auch wenn sie ihre ökonomische Lektion gelernt haben, ihr Lebensgefühl und ihre Identität holen sie sich nicht aus Brüssel, sondern vom Dorf.

Es gibt eine Eigengesetzlichkeit des Landes. Hier bestimmt das Klima, was angebaut wird, das Wetter, wann geerntet wird, und die Kuh, ob sie tragend wird. Hier gibt es Dinge, die sich keiner Mode unterwerfen lassen. Die Natur setzt Grenzen. Das Gefühl der ewigen Natur ist stärker als das einer sich wandelnden Gesellschaft. Die Bauern wirtschaften in Eigenverantwortung in einem überschaubaren Lebensraum, Fehler können sie nicht delegieren. Vielleicht nährt das Land deshalb die Bereitschaft, alles zu machen, wie es immer gemacht wurde. Das Land lehrt Grenzen und ein Gefühl für das rechte Maß.

Deshalb wird hier nicht allein ein Hof vererbt, sondern auch eine Religion, eine Partei und eine Identität. Der Jungbauer, der für den Stadtrat von Nieheim im Kreis Höxter als CDU-Bewerber kandidiert, vertritt kein Programm, sondern eine Weltanschauung. Daraus leitet er seine politischen Ziele ab. Viele alte Bauern wählen die CDU "wegen des Cs", eine andere Wahl ist für sie unmöglich. Die naive Frömmigkeit der Alten hat die nachfolgende Generation nicht übernommen, wohl aber viele ihrer Werte. Hier passiert, was in anderen Milieus undenkbar ist: Die Jungen folgen dem Lebens- und Werteentwurf der Alten mit unreflektierter Selbstverständlichkeit, sie verändern ihn vielleicht, aber nur in Details. Das Modell des Lebensästheten, mit dem die Berliner Trendforscher Johannes Goebel und Christoph Clermont die Jugendlichen der neunziger Jahre zu fassen versuchen, gilt hier gerade nicht. Der Lebensästhet ist ein Bewohner des großstädtischen Selbstverwirklichungsmilieus, er bastelt sich seine Biografie nach eigenen Wertmaßstäben zusammen und inszeniert sein Leben nach eigenen Geschmacksregeln. Dafür hat der Jungbauer keine Zeit: Es gibt Arbeit im Stall, und die muss getan werden.

Auf dem Land gibt es also eine andere Kultur, die sich mit den Sennettschen Begriffen der Flexibilisierung, der Kurzfristigkeit und der Drift gerade nicht fassen lässt. Oder eben doch, aber nur im wirtschaftlichen Bereich. Daneben hat sich eine alte Weltanschauung erhalten, die mit Beständigkeit und Maß zu tun hat.

Was erwartet nun jemand, der in der wirtschaftlichen Sphäre die Lektion der Flexibilisierung und Risikobereitschaft gelernt hat, aber weltanschaulich fest in einer anderen Welt verankert ist, von der Politik? Die jungen Bauern wollen Bedingungen, unter denen sie ihre Höfe erhalten und ihre Familien ernähren können. Sie verstehen das Dilemma der Landwirtschaftspolitik, und wissen, dass ihre Politik nicht aus Bonn oder Berlin, sondern aus Brüssel kommt, und dass die Entscheidungen dort unter dem Druck eines globalen Marktes getroffen werden. Trotzdem sind sie von der Agrarpolitik der alten Bundesregierung enttäuscht. Aber sie haben es geschluckt, dass ihre Partei sie nicht retten konnte. So zornig wie die französischen Bauern sind sie nie geworden. Eine andere Partei zu wählen, können sie sich nicht vorstellen.

Die jungen Landwirte, aber auch andere Dorfbewohner, die die klassische Lebensform und die Integration in die Strukturen des Dorfes mit ihnen teilen, sind keine Wechselwähler. Sie wählen kein Programm, sondern eine Weltanschauung. Der Existenzkampf in der Landwirtschaft hat ihnen einen nüchtern-abgeklärten Tatsachensinn beigebracht. Fragt man sie nach Visionen, wie die Landwirtschaft in Zukunft sein soll, antworten sie: "Das ist eine Frage des Geldes." Alternativen zu entwickeln, haben sie nicht gelernt. Der Weltmarkt wird kommen, dagegen hilft nur zu rationalisieren, was das Zeug hält. Die nationale Politik kann höchstens die Rahmenbedingungen an die anderer Länder anpassen. Strengere Umweltauflagen wollen sie gerne erfüllen, aber nur wenn die Landwirte in anderen EU-Ländern das auch tun müssen.

Von der rotgrünen Regierungskoalition hatten sie sich Hilfen für kleinere Betriebe versprochen und waren enttäuscht darüber, dass die Beschlüsse zum Sparpaket und die Ökosteuer ausgerechnet die Familienbetriebe besonders treffen. Die SPD als solche hat für sie kein Profil. Mit den Grünen können sie noch weniger anfangen. Ökologische Landwirtschaft ist für sie eine Nischenproduktion, die sie mit einem Argument aushebeln: Würden alle Bauern in Deutschland auf biologischen Anbau umstellen, würde sich die Produktion halbieren und der deutsche Markt könnte nicht mehr versorgt werden.

Ihre Welt kommt in den Diskursen der Großstadt nicht vor, ihr wirtschaftlicher Niedergang findet im Stillen statt und wird höchstens auf der Wirtschaftsseite diskutiert. Es gibt keine Partei, die ein Programm für sie hätte.

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