Wie sieht die/der ideale Parteivorsitzende aus?
Ich persönlich habe keine Probleme damit, wenn sie beispielsweise aussieht wie die baden-württembergische Landesvorsitzende Ute Vogt, wie die niedersächsische Landesvorsitzende Edelgard Bulmahn oder die bayerische Landesvorsitzende Renate Schmidt. Es gibt aber auch keinen Grund, warum er nicht aussehen sollte wie Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine oder Gerhard Schröder. Für die SPD ist die Vorsitzenden-Frage anscheinend schwieriger zu beantworten als für andere Parteien.
In der CDU, die körperliche gern mit geistiger Größe verwechselt - wie Kampagnen verdeutlichen -, nimmt man an, dass lange Beine für Ehrlichkeit stehen, auch wenn man es besser wissen müsste. Der Vorsitzende muss dort ein konservativer Mann sein. In jedem Fall sollte sich seine Gesinnung auch in einem wohlgeordneten konservativen Privatleben ausdrücken.
Ähnlich sieht es in der CSU aus, nur muss ein Parteivorsitzender dort zusätzlich die Stammtischtauglichkeitsprüfung absolvieren. Das muss nicht das Schlechteste sein, wenn es gewährleistet, dass er sich dann wenigstens verständlich ausdrücken kann.
In der FDP darf ein Vorsitzender ruhig recht farblos sein. Die Frage ist, ob es sich überhaupt noch lohnt, darüber weiter nachzudenken.
Die Grünen haben ihr phänotypologisches Spektrum mittlerweile erweitert. Vom alternativen bis zum edlen Outfit ist grundsätzlich alles möglich. Echt ökoliberal eben. Mit der SPD ist ihnen gemeinsam, dass die menschliche Ausstrahlung für die Partei eine größere Rolle spielt als für die Konservativen.
Ob rot oder grün, die Partei will von ihrem/ ihrer Vorsitzenden nicht nur stramm geführt sein, sondern ihn oder sie auch lieben.
Die Probleme der Dialektik kommen dabei voll zum Tragen. Er/Sie soll modern sein und sozial, intelligent, kompetent und volksnah. Er oder sie soll das Herz am rechten Fleck haben, also links. Er oder sie muss sich durchsetzen können, doch nicht zu rücksichtslos. Sozialdemokraten lieben Intellektualität, aber auch die einfachen Menschen.
Ein Vorsitzender soll Jugendlichkeit repräsentieren und Erfahrung. Sozialdemokraten wollen, im Gegensatz zu konservativeren Menschen, dass ihr Parteivorsitzender unbedingt einer von ihnen ist. Dies muss kein unlösbares Problem sein. Die Dialektik strebt zur Synthese.
Für die SPD kommt es auf einen Vorsitzenden an, der bereit ist, angesichts der Regierungsverantwortung die anstehenden Probleme anzupacken, auch wenn er es zunächst vielleicht gar nicht wollte. Er muss bereit sein, aus den Einzelanforderungen seine eigene Linie zu definieren, und dazu in der Lage sein, sich Verbündete zu suchen, um sich allmählich die Gefolgschaft der Partei zu sichern.
Dass er dabei auch als Vordenker voranschreitet, ist geradezu zwingend. Die SPD muss sich den Veränderungen in der Welt und im Arbeitsleben stellen, um sie zu gestalten: von einer neuen Rolle Deutschlands in der Welt, der viel zitierten Globalisierung bis hin zur Standortbestimmung unserer Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Es ist also gewissermaßen eine gesellschaftliche Notwendigkeit, die SPD mit dieser für sie häufig neuen Wirklichkeit zu konfrontieren. Solche Umbrüche setzen, neben dem Willen zum Erfolg, vor allem Vertrauen voraus.
Deshalb entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der Mann, der sich stets gegen seine Partei profiliert hat, von heute auf morgen zu ihrem Anführer wurde. Doch Gerhard Schröder stellt sich der Herausforderung. Und er scheint zu bemerken, dass unser Grundwert Solidarität keine Einbahnstraße ist. Beide, Partei und Vorsitzender, müssen nun lernen - angesichts der harten Wirklichkeit - Solidarität zu leben.
Dies wird umso wichtiger, je bedeutender die Medien werden. Angesichts des aktuellen Formtiefs der SPD bei den Regionalwahlen analysiert der Leiter des Bielefelder Emnid-Instituts, Klaus-Peter Schöppner, dass die Misserfolge auf den Eindruck von Zerrissenheit und mangelnder Zuverlässigkeit zurückzuführen seien, da jeder Aussage sofort widersprochen werde. Allerdings liege auch in einem Machtwort des Parteichefs keine Lösung. Vielmehr müsse Gerhard Schröder in Sachfragen zunächst eine vielstimmige Debatte organisieren, die er dann in einen Konsens überführt, den er Kraft seines Amtes durchsetzt. Dann müsse die Partei mit einer Stimme sprechen.
Doch all dies setzt Grundvertrauen voraus. Gegenseitige Achtung. Erst daraus kann die Liebe erwachsen, nach der sich so viele Parteimitglieder sehnen.