Extremist der Mitte
E s hat lange gedauert, bis die deutsche Öffentlichkeit sich mit dem Phänomen Donald Trump und den Erfolgen seines Populismus im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf beschäftigt hat. Und immer noch ist die Unsicherheit groß, wie ernst man das alles nehmen soll. Vielleicht ist Trumps Kampagne ja wirklich nur eine Show: Irgendwann wachen wir aus dem schlechten Traum auf, Donald hat keine Lust mehr auf Politik und enthüllt sich als ein amerikanischer Martin Sonneborn. Aber das Problem ist ja, dass diese Grenze in der Politik des 21. Jahrhunderts gar nicht mehr existiert. Sonneborn vertritt seine parodistisch geborene „Partei“ tatsächlich – beinahe hat man es schon vergessen – seit zwei Jahren im Europäischen Parlament. Es steht allerdings zu vermuten, dass eine Präsidentschaft Donald Trumps nicht so unauffällig bleiben würde. Am 9. April kam der Boston Globe mit einer fiktiven Titelseite desselben Tages im Jahr 2017 heraus, die satirisch einen Eindruck von den ersten Monaten der Amtsführung des 45. Präsidenten der USA geben wollte. „Deportations to begin“, lautete die Schlagzeile: Das Weiße Haus unter Trump beginnt die Ausweisung von mehr als elf Millionen illegaler Einwanderer, vor allem aus Mexiko. Zugleich weigern sich amerikanische Soldaten, die Familienangehörigen von IS-Terroristen gezielt zu töten, wie es ihr oberster Befehlshaber wünscht. Die Aktienkurse stürzen ab, während auf den Straßen Washingtons Proteste von Trump-Gegnern gewaltsam niedergeschlagen werden.
Ist Amerika einfach ein bisschen verrückt?
In Deutschland weiß man nicht recht, ob man sich über Trump wundern soll: Zeigt er nicht bloß, was das intellektuelle, linke Milieu immer schon zu wissen glaubte, nämlich dass Amerika ein bisschen verrückt ist, und dieser Donald Trump einfach nur anders verrückt als ein Ronald Reagan oder George Bush junior? Oder zuckt man eher deshalb mit den Achseln, weil Trump der eigenen Erfahrung mit dem europäischen Populismus perfekt entspricht? Der Milliardär und New Yorker Immobilientycoon mag einigermaßen weit von Frauke Petry oder Viktor Orbán entfernt sein, doch kann er gewiss als Wiedergänger Silvio Berlusconis gelten. Aber war Amerika nicht eben noch in seiner politischen Kultur, seiner konservativen Ideologie, seiner evangelikalen Religiosität und überhaupt in seinen Lebenshaltungen ganz anders als das „aufgeklärte“ Europa? So fordert das Phänomen Trump auch dazu heraus, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede westlicher Demokratien diesseits und jenseits des Atlantiks neu nachzudenken.
Den Amerikanern geht es nicht grundsätzlich anders. Die Unsicherheit betrifft die Ursachen für den kaum gebremsten Siegeszug Trumps im Vorwahlkampf ebenso wie die Einschätzung möglicher Folgen seiner Nominierung auf dem Parteitag in Cleveland Mitte Juli: Würde das die Partei auseinanderreißen, deren Führungsleute, von Mitt Romney, dem Wahlverlierer von 2012 bis zu Paul Ryan, dem rasch aufsteigenden Sprecher des Repräsentantenhauses, sich in ungewöhnlicher Klarheit gegen Trump gewandt haben? Oder hat der schillernde Kandidat Recht mit seinem Anspruch, die seit langem in Flügel und Bewegungen gespaltene Partei zu einen und am 8. November auch als unifier des amerikanischen Volkes zu triumphieren? Würde er gegen Hillary Clinton untergehen – oder könnte gerade er, wie die Vorwahlen zum Beispiel in Florida oder Michigan gezeigt haben, Löcher in die vermeintliche Blue Wall der Demokraten schlagen, also Swing-Staaten, die zuletzt Barack Obama geholt hatte, zurückerobern und obendrein blaue Hochburgen im Nordosten und Mittelwesten gewinnen? Denn Donald Trump mobilisiert, ganz ähnlich wie es die AfD in den vergangenen Landtagswahlen getan hat, bisherige Nichtwähler und Frustrierte und zieht eine klassische Wählergruppe der Demokraten auf seine Seite: Männer der weißen Arbeiterklasse in den alten Industrieregionen, die zu den Verlierern von Wirtschaftswandel und Globalisierung gehören. Würde ein Präsident Trump sich bald pragmatisch zügeln oder tatsächlich, wie der Boston Globe befürchtet, eine Katastrophe nicht nur für das eigene Land sein?
Trump hält Amerika einen Zerrspiegel vor
Was die Ursachen betrifft, ist soviel klar: „Es gibt keine umfassende Theorie des Trumpismus“, wie die Journalistin Clare Malone auf der Website FiveThirtyEight schrieb. Leichter als das Spekulieren über die Zukunft der Kandidatur Donald Trumps ist es, einige Fäden zu entwirren, die seinen Aufstieg und seine politische Existenz erklären. Denn so ungewöhnlich Trump auch in der politischen Landschaft der USA erscheint, so wenig ist er als Außerirdischer dort gelandet. Vielmehr repräsentiert er Traditionsstränge der amerikanischen Politik und Gesellschaft, die teils nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte zurückreichen. Seine Politik und sein Auftreten sind ein Problem – aber sie halten zugleich den problematischen Entwicklungen Amerikas in den vergangenen Jahrzehnten einen Spiegel, einen Zerrspiegel, vor.
Da ist zunächst die tiefsitzende Skepsis der Amerikaner gegenüber dem Establishment, den Eliten, und in politischer Hinsicht gegenüber dem nationalen Zentralismus Washingtons. Diese Einstellung lässt sich bis auf die Gründungszeit der Vereinigten Staaten zurückführen, auf den Mythos des Lokalen und der Selbstbehauptung gegen die institutionelle Regulierung von oben und von außen, wie ihn Thomas Jefferson personifiziert. Die Skepsis reicht sogar bis in den antikolonialen Widerstand zurück, in die Angst vor der Überwältigung durch die monarchische Macht in London, die den nordamerikanischen Siedlern keine Repräsentation zugestand. Insofern kannten die Amerikaner schon länger, womit die Europäer erst neu konfrontiert sind: die Verachtung gegenüber der Machtzentrale, und sei sie auch, nach herkömmlichem Verständnis liberaler Verfassung, demokratisch legitimiert.
Der Siegeszug des Vulgären
Selbst Trumps ungeheuerliche Vulgarität, seine Ignoranz gegenüber den guten Umgangsformen sowie seine permanente Grenzüberschreitung knüpfen an Vorbilder und an einen wichtigen Strang der amerikanischen Politik an. In dieser Hinsicht ist Donald Trump eine Art Reinkarnation von Andrew Jackson, dem siebten Präsidenten (1829–1837) der USA. Jackson war ein Held des Krieges von 1812, des zweiten Unabhängigkeitskriegs gegen die Briten, und vor allem ein rauer Bursche aus einfachen Verhältnissen des Hinterlands. Er appellierte an das einfache Volk und mokierte sich über die quasi-aristokratischen Eliten aus Neuengland und Virginia, die die junge Republik bis dahin regiert hatten. Die Feier seiner Amtsübernahme am 4. März 1829 wurde zur legendären Party, bei der das Volk das vornehme Buffet im Weißen Haus stürmte. Jackson war es recht so: Die Politik des Vulgären war ihm Vehikel der weiteren Demokratisierung des Landes, aber seine Rücksichtslosigkeit prägte auch andere Bereiche seiner Politik, vor allem die gewaltsame Vertreibung der Indianer des Südostens in die Reservate weit im Westen. Nicht dass die Europäer, geschweige denn die Deutschen, in dieser Hinsicht Heilige wären. Aber in besonderer Weise bringen Donald Trumps Stil und Rhetorik des Vulgären, des Widerstands gegen die guten Sitten, Saiten der amerikanischen Geschichte zum Schwingen.
Dazu gehört auch der Anti-Intellektualismus, den der Historiker Richard Hofstadter vor mehr als einem halben Jahrhundert als einen Wesenszug von Kultur und Politik der USA analysiert hat. Mit intellektuellen Mitteln ist Trump nicht beizukommen – und nicht zufällig hat er keine Professoren und keine konservativen Intellektuellen in seinem Gefolge, keinen Bernd Lucke und keinen Alexander Gauland. Das aber ist die Folge einer dramatischen Ent-Intellektualisierung der Republikanischen Partei und ihres Milieus, die einem bei jedem Besuch an einer amerikanischen Universität klar vor Augen tritt. Selbstverständlich gehen die Akademiker dort davon aus, dass sich auch der deutsche Gast nicht nur mit der Demokratischen Partei, sondern mit deren linkestem Flügel identifiziert. „Liberal“ übersetzt sich in den Vereinigten Staaten bekanntlich, und immer schärfer, als links, während moderat-liberale oder auch liberal-konservative intellektuelle Haltungen, wie sie in Europa selbstverständlich sind, so gut wie nicht mehr existieren. Einem der letzten profilierten Journalisten dieser Richtung, David Brooks von der New York Times, mag man deshalb in seiner Verachtung für Trump, den er einen kindischen, narzisstischen, lügnerischen Demagogen nennt, gerne zustimmen. Aber er ist ein Rufer in einer intellektuellen Wüste, die nicht erst Trump zum Austrocknen gebracht hat.
Man mag schon Andrew Jackson einen Populisten nennen – der Populismus als moderne Bewegung, in deren Folge auch Trump noch steht, begann erst etwa ein halbes Jahrhundert später. Aber, das sollte man gerade in Europa nicht vergessen: Er ist eine amerikanische Erfindung. Während die große Transformation von Kapitalismus, Marktgesellschaft und Industrialisierung in vielen europäischen Ländern die Bauern konservativ machte und die Arbeiter sozialistisch, entstand in den USA seit den 1870er Jahren eine Protestbewegung ganz eigener Art. Sie ging von Farmern im Mittelwesten und Süden aus, die unter dem Druck von kapitalistischen Händlern, Märkten und Krediten ächzten und sich, gewissermaßen als Verlierer einer ersten Welle der Finanzialisierung und Globalisierung, zuerst in Genossenschaften und schließlich auch parteipolitisch organisierten. Städtische Industriearbeiter traten in die Koalition der People’s Party ein, die in den Präsidentschaftswahlen von 1892 fünf Staaten im Westen gewann und sich danach überwiegend der Demokratischen Partei anschloss. Deren populistischer Flügelmann William Jennings Bryan war ein weiterer Vorläufer von Donald Trump: voller Hass auf das Establishment, die Ängste breiter Bevölkerungsschichten ausnutzend, ein flammender Redner, rücksichtslos in seiner Rhetorik. Gewiss war der klassische amerikanische Populismus des späten 19. Jahrhunderts eher auf der Linken als auf der Rechten angesiedelt – aber eben nicht sozialistisch, häufig changierte und flimmerte er, appellierte an Nationalismus und schoss sich auf Sündenböcke aller gesellschaftlichen Übel ein. Das bildet auch eine Brücke des alten Populismus zum neuen Linkspopulismus von Bernie Sanders.
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts fingen große Reformanstrengungen die Unzufriedenheit mit der Moderne und die Folgen der kapitalistischen Transformation auf. Hier war Amerika, von der Progressive Era vor dem Ersten Weltkrieg bis zum New Deal Franklin D. Roosevelts als sozialstaatliche Antwort auf die Weltwirtschaftskrise, besser und erfolgreicher als viele europäische Länder. Aber die kulturellen Ängste, die stets einen Nährboden des Populismus bilden, artikulierten sich auch hier, und manche sozialen Frontstellungen und ideologischen Versatzstücke, die der „Trumpismus“ wieder aufnimmt, kristallisierten sich heraus. Wie noch nie zuvor in der amerikanischen Geschichte steigerte sich die Abwehr gegen Immigranten, die als sozial oder rassisch minderwertig gesehen wurden, zu einer regelrechten Bewegung, dem Nativismus der frühen zwanziger Jahre, und neue Gesetze machten die Einwanderung erheblich restriktiver. Der Ku Klux Klan erlebte eine zweite Blüte, diesmal nicht nur im Süden wie nach dem Bürgerkrieg, sondern auch in Staaten des Mittelwestens wie Indiana. Abwehr gegen Migranten, weißer Rassismus, Männlichkeitsideale: Das waren schon in der Zwischenkriegszeit Leitmotive von Protest und Populismus.
Antikapitalismus, Rassismus und Antisemitismus
In den dreißiger Jahren bündelten zwei charismatische Männer ganz unterschiedlicher Art und doch mit ähnlichem Appeal die kulturelle Unzufriedenheit und den Widerstand gegen den New Deal. Beide hatten Roosevelt zunächst unterstützt, entwickelten aber bald einen populistischen Gegenentwurf zu seinem sozialdemokratischen Interventionismus. Der eine war Huey Long, Gouverneur von Louisiana und seit 1932 Senator für seinen Heimatstaat: ein Mann von brachialer Rhetorik und Politik, der im September 1935 einem Attentat zum Opfer fiel, als er gerade verkündet hatte, für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen. Der andere war Charles Coughlin, ein katholischer Priester aus der Nähe von Detroit: ein auf den ersten Blick unwahrscheinlicher Populist, der mit seinen Radiosendungen zum Pionier der medial inszenierten Religiosität wurde, vor allem aber mit seinem Gebräu aus Antikapitalismus, Rassismus und Antisemitismus ein Millionenpublikum vor den Rundfunkgeräten fand. Solche Beispiele zeigen zugleich: Der Populismus ist etwas anderes als populistische oder charismatische Politiker. Aber ohne die populistischen Führer, ohne ihren medialen Aufmerksamkeitsraum, den zumal Donald Trump seit dem Beginn seiner Kandidatur auf brillante Weise für sich genutzt hat, können populistische Haltungen kaum Form und Dauerhaftigkeit gewinnen. Gerade das unterscheidet sie von der klassischen demokratischen Politik und ihren Parteien, selbst wenn auch diese, mit Max Weber gesprochen, ihre Führungspersönlichkeiten brauchen.
In den Boomjahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg trat der Populismus in Westeuropa ganz in den Hintergrund. Es war die Hochphase der repräsentativen Demokratie, mit einer festen Bindung von sozialen Klassen, Konfessionen, Milieus oder „Säulen“ der Gesellschaft an politische Parteien und ihre Eliten. In der Tendenz galt das auch für die Vereinigten Staaten, doch blieben der populistische Protest und sein Politikstil hier durchaus lebendig. Solange die Demokraten im Süden, als Spätfolge der Konstellation von Bürgerkrieg und verhasster Rekonstruktionszeit danach, noch die sozial konservative Partei waren, blieb der Populismus, wie seit den 1880er Jahren, ja im Grunde seit der Zeit Andrew Jacksons, eher in einer losen Verbindung mit diesen. Die Affinität der Republikaner zum Populismus blieb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein geringer. Denn sie waren die Partei des Kapitalismus und der Anti-Sklaverei, von „Free Labor“ und „Free Soil“, die Partei Abraham Lincolns und noch hundert Jahre später eines zwar elitären, aber ideologisch moderat-liberalen Ostküstenestablishments, wie es Nelson Rockefeller repräsentierte, der langjährige Gouverneur des Staates New York (1959–1973) und Vizepräsident unter Gerald Ford.
»Foreman says these jobs are going, boys …«
Als ein Vorläufer Donald Trumps kann in dieser Zeit am ehesten George Wallace gelten, der umstrittene Gouverneur von Alabama, der sich in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung gegen die Aufhebung der Rassentrennung stemmte und 1968, im Jahr der Ermordung Martin Luther Kings und Robert Kennedys, als Kandidat der American Independent Party für die Präsidentschaft antrat. Hier bestätigte sich, was bis heute als Faustregel gelten kann: Der amerikanische Populismus war immer dort am stärksten, sozial und regional gesehen, wo sich die Weißen (und zumal weißen Männer) am schwächsten fühlten, wo sie sich von Modernisierung und Liberalisierung bedroht fühlten – Farmer im Westen; die Weißen im Süden, der seine Rassenherrschaftsordnung zu verlieren drohte; und heute, als Kern der Anhängerschaft Donald Trumps, die kleinen Leute, die working classes und lower middle classes vor allem in den postindustriellen Gebieten des rust belt und in der ländlichen oder suburbanen Peripherie außerhalb der neuen metropolitanen Prosperitätszonen, in denen die gut gebildeten College-Absolventen als liberal-progressive Avantgarde dominieren.
Wenn Donald Trump im Jahr 2016 mit der Forderung Resonanz findet, nach China verlorene industrielle Arbeitsplätze ins eigene Land zurückzuholen; wenn seine Anhänger das Ende der fordistischen Industriearbeitsgesellschaft beklagen, das sie aus ökonomischer und emotionaler Sicherheit freigesetzt hat – dann fragt man sich, warum dieses Unbehagen nicht schon zwei oder drei Jahrzehnte früher artikuliert wurde. Denn oft haben schon die Väter ihren Platz am Fließband in der Fabrik verloren, als die Autos und Fotoapparate, längst vor der Ära von Apple und Foxconn, aus Japan zu kommen begannen. Eine Erklärung dafür mag sein, dass die kulturelle Verarbeitung dieses Traumas und seine politischen Resonanzen erst mit Verzögerung durchschlagen – ein klassischer cultural lag, wie ihn der Soziologe William F. Ogburn beschrieben hat. Die „Abwicklung“ Amerikas, die George Packer vor einigen Jahren geschildert hat, zog sich über einen längeren Zeitraum hin und ließ ihre sozialen Folgen oft erst beim Übergang der Generationen mit voller Wucht spüren.
Trump ist mehr Narziss als Nazi
Eine andere Erklärung führt auf die Umwälzung von politischer Kultur und Parteiensystem seit den sechziger Jahren. Noch während George Wallace die konföderierte Fahne der alten Südstaaten-Demokraten hochhielt, formierte sich vor allem im Westen Amerikas eine Bewegung des konservativen Graswurzelprotests, die sich an die Republikaner heftete und die Grand Old Party seitdem fundamental verwandelte. Barry Goldwater, Senator von Arizona, ritt diese Welle als erster, wurde im Jahr 1964 Präsidentschaftskandidat und ging gegen Lyndon B. Johnson unter. Das Zwei-Parteien-System sortierte sich neu und „entmischte“ sich: Die charakteristischen Überlappungen im politisch-ideologischen Spektrum zwischen Demokraten, die auch konservativ sein konnten, und Republikanern, die oft moderat oder liberal waren, verschwanden schon bis zur Jahrtausendwende fast vollständig. In enger Verbindung mit dem Aufstieg des christlichen Fundamentalismus und der evangelikalen Kirchen rückte die Basis der Republikaner nach rechts und kultivierte zunehmend eine tiefe Abneigung gegen Eliten und Establishment, sogar im Blick auf die eigene Partei. Ronald Reagan als Ikone des neuen Konservatismus und auch der jüngere George Bush konnten den Protest der Basis noch in den klassischen Verfassungsinstitutionen auffangen. In den vergangenen acht Jahren genügte dies der revoltierenden Basis nicht mehr. Den Ansprüchen der Tea Party entsprach nur noch, wer auch innerhalb der Institutionen, mit dem Mandat des antielitären Volkswillens versehen, gegen diese arbeitete. Damit sind wir bei Trumps schärfstem verbliebenen Rivalen um die Kandidatur bei den Republikanern, dem texanischen Senator Ted Cruz, von dem jetzt häufig gesagt wird, er wäre bei einer Nominierung der konservativste, am weitesten rechts stehende Kandidat seiner Partei seit Barry Goldwater 1964.
Und Trump? Das ist das derzeitige Paradox der Republikaner – man könnte auch sagen: die Falle, in die sie sich über viele Jahrzehnte hinweg manövriert haben. Die Radikalisierung der Basis, die konservative Revolution hat einen Populismus erzeugt, der sich nun gegen die Partei selber richtet. Trump ist ein Produkt des grassroots conservatism und des sorgsam kultivierten populistischen Affekts gegen Eliten und Establishment. Er ist aber auch zum Gegenspieler der konservativen Hardliner wie Cruz geworden, die nun ihr Heil darin suchen, sich als moderate Kräfte der Vernunft und der alten Parteieliten zu profilieren.
Trump hat den Populismus aus der ideologischen Ecke emanzipiert, weil er gespürt hat, dass die Frustierten und Verängstigten programmatisch viel diffuser sind, als es der Tea Party und Ted Cruz lieb ist. Mit religiösem Fundamentalismus, mit evangelikalen Attitüden, überhaupt mit Gott hat Trump nichts am Hut, und vielen seiner Anhänger geht das genauso. Auch in den gesellschaftspolitischen Fragen, die Amerika seit den siebziger Jahren viel mehr als Europa zerreißen, gibt sich Trump unideologisch. Auf eine harte Linie in Sachen Abtreibungsverbot oder Gleichstellung von Homosexuellen kommt es weder ihm noch dem Gros seiner Wähler an. Trumps Extremismus ist, mit dem alten Ausdruck des Politologen Seymour M. Lipset, ein „Extremismus der Mitte“, man könnte auch sagen: ein Radikalismus der Haltung, nicht der Ideologie. Trump ist mehr Narziss als Nazi.
Das macht ihn noch lange nicht harmlos. Bei allem Desinteresse an herkömmlicher Programmatik lässt sich ein Kern seines Weltbildes identifizieren. Dazu gehört ein unbedingter Primat der eigenen Nation nach außen wie nach innen, wobei dem inneren Nationsverständnis das Ideal eines weißen Patriarchalismus zugrundeliegt. Die Abwehr des vermeintlich Fremden, die xenophobe und misogyne Einstellung sind deshalb nicht weniger gefährlich, weil sie ideologisch ungefestigt sein mögen. Sie verbinden sich mit einer klassischen Haltung des Populismus, einer Haltung der Grenzüberschreitung im Namen der Wahrheit, der endlich Genüge getan werden müsse, weil die Medien, die Eliten und alle anderen Feinde sie angeblich unterdrücken. Die Politik des Vulgären ist die Politik des kalkulierten Tabubruchs.
Derzeit ist das noch Rhetorik und Kampagne. Viel spricht dafür, dass Trump nicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird. Aber wenn es doch so käme, wäre das weder ein Betriebsunfall noch ein Normalzustand, sondern eine tiefe Zäsur nicht nur für die USA – vielleicht sogar eine Katastrophe.