Geht alles gar nicht
Sie sagen, dass es in Deutschland vor „Vereinbarkeitslügnern“ wimmelt. In Wirklichkeit sei es schlicht unmöglich, Beruf, Familie und Liebe unter einen Hut zu bringen – auch wenn Personalvorstände, Politiker und Superfrauen uns das Gegenteil weismachen wollen. Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma?
Marc Brost: Nein, es gibt nicht den einen Ausweg. Was aber schon sehr helfen würde, wäre mehr Ehrlichkeit. Für unser Buch haben wir viele Interviews geführt, und fast alle Väter haben uns gesagt: „Geht mir genauso, aber ich habe bisher mit niemandem darüber gesprochen.“ Oder: „Ich habe niemanden, mit dem ich darüber reden kann.“ Diese Sprachlosigkeit wollen wir überwinden.
Heinrich Wefing: Wir reden hier nicht bloß über Befindlichkeiten. Es geht nicht nur um maximalen Ehrgeiz, um Perfektionismus von Männern, die alles zugleich sein wollen: fürsorgliche Väter, engagiert im Job und auch noch wunderbare Liebhaber. Unser Ehrgeiz spielt eine Rolle, klar, aber Ehrlichkeit heißt vor allem, zu sagen: Es gibt ganz bestimmte politische, ökonomische und soziale Faktoren, die uns das Leben schwer machen. Mit diesen Dingen sind wir konfrontiert. Und jetzt müssen wir anfangen darüber nachzudenken: Was davon kann ich selbst ändern? Was davon muss die Gesellschaft ändern? Und was kann die Politik tun?
Mal ehrlich: Handelt es sich dabei nicht um ein Luxusproblem, das vor allem karriereorientierte Mittelschichtspaare betrifft?
Wefing: Nein. Die Probleme, die wir beschreiben, betreffen uns alle – ob Facharbeiter, Busfahrer, Kellner oder Journalist.
Brost: Der Vorwurf wurde uns immer wieder gemacht: „Euch geht es doch gut! Ihr könnt euch doch Hilfe kaufen.“ Und es stimmt schon: Uns geht es besser als anderen, allein weil wir nicht zwei oder drei Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Wir haben keine existenziellen Sorgen. Trotzdem sind es echte Lebenssorgen.
Der Soziologe Hans Bertram spricht von der „überforderten Generation“. Woher kommt diese kollektive Überforderung?
Wefing: Die hat viele Gründe. Wir sind die erste Generation, die versucht, Gleichberechtigung wirklich zu leben. Wir sind zugleich die erste Generation, die mit Globalisierung und Digitalisierung klarkommen muss – Stichwort permanente Erreichbarkeit. Und gleichzeitig sind wir eine Generation, die enorme finanzielle Mittel für die Ausbildung unserer Kinder und die große Zahl an Rentnern aufbringen muss. Und dann sollen wir auch noch permanent konsumieren, damit die Wirtschaft wächst. Das alles zusammen schafft enorm viel Druck.
Viele Frauen müssen sich doch schon lange entscheiden: Kind oder Karriere. Andere Frauen verbinden beides, und sind dabei äußerst pragmatisch. Wie reagieren Sie auf den Vorwurf: Ihr seid doch Heulsusen!
Wefing: Die Kritik, „Warum habt ihr Männer das so lange nicht begriffen?“, nehme ich sofort an. Aber soll das jetzt heißen, wir müssen schweigen, weil Frauen mit dem Problem schon seit ewigen Zeiten zu kämpfen haben? Eigentlich ist es doch so: Jetzt endlich, wo alle dasselbe Problem erleben, Mütter und Väter, erreichen wir hoffentlich die kritische Masse, um etwas zu verändern.
Brost: Unser Buch ist kein Männerbuch, sondern ein Familienbuch, geschrieben aus der Perspektive von zwei Vätern. Wir glauben: Erst wenn auch die Väter sagen, was sie bedrückt, können wir über die Situation der Familie als Ganzes sprechen – und erst dann kann man politisch etwas für Familien tun. Bislang war Familienpolitik vor allem Frauenpolitik. Das muss sich ändern.
Was hat sich verändert, so dass immer mehr Väter vor dem gleichen Problem stehen wie die Frauen?
Wefing: Zunächst einmal gehen heute viel mehr Frauen als früher arbeiten und wollen beruflich vorankommen – vor allem gut ausgebildete Frauen. Und das stellt die Väter vor die Frage, welche Rolle sie in der Familie spielen wollen. Aber vor allem ist es so, dass wir erleben, wie großartig das ist, mit unseren Kindern zusammen zu sein, mit ihnen zu spielen, sie aufwachsen zu sehen. Wir sind einfach wahnsinnig gerne Väter, wir wollen Zeit mit unseren Kindern verbringen, mehr Zeit als unsere Väter, und es ärgert uns, dass das so schwer ist.
Brost: Außerdem gibt es mittlerweile – das begrüßen wir ja sehr – politische und gesellschaftliche Anreize für Väter, auch wirklich die Vaterrolle zu leben, Stichwort Elternzeit und Elterngeld. Gleichzeitig erleben wir, dass die Anforderungen in der Arbeitswelt zugenommen haben, und dass das Arbeitsleben immer mehr in das Private eindringt. Die Folge ist unweigerlich ein Rollenkonflikt: Wir wollen gute Väter und gleichzeitig gute Partner sein. Und wir wollen auch in unserem Job gut sein. Das stößt irgendwo immer an Grenzen.
Geteilter Druck bedeutet aber nicht geteiltes Leid: Nach wie vor sind es hauptsächlich Frauen, die den Konflikt zwischen Familie und Beruf austragen. Während immer mehr Frauen sich gegen Kinder entscheiden oder in Teilzeit arbeiten, sind viele Väter nicht bereit, beruflich kürzer zu treten: Der Großteil arbeitet nach wie vor Vollzeit, obwohl sich viele mehr Zeit für die Familie wünschen. Warum bleibt es bei diesem Lippenbekenntnis?
Brost: Es stimmt, dass Frauen nach wie vor die Hauptlast der Betreuung tragen. Fairerweise müssen wir aber auch darüber reden, welche Rollenmodelle gesellschaftlich oder von der Wirtschaft gefördert werden. Viele Väter fürchten, berufliche Nachteile zu erleiden, wenn sie länger als zwei oder vier Monate Elternzeit nehmen. Insofern glaube ich tatsächlich, dass in der Wirtschaft auch Vereinbarkeitslügner unterwegs sind, die uns suggerieren: alles kein Problem. Aber wenn es dann um die Frage geht, wer die Jobs bekommt und wer gefördert wird, läuft es immer auf das Gleiche hinaus.
Wefing: Das Problem hängt natürlich auch mit der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen zusammen – und damit, dass Frauen tendenziell Berufe wählen, die schlechter bezahlt werden. Wenn der Mann besser verdient als die Frau, ist es ökonomisch nur rational, dass die Frau sich um das Kind kümmert. Die immer gleiche Folge ist: Die Frau geht entweder gar nicht oder nur halbtags arbeiten.
Flexiblere Arbeitszeiten lösen Ihnen zufolge das Problem jedoch nicht. Was würde stattdessen helfen?
Wefing: Wir glauben, dass die Familienpolitik viel größer denken muss, mutiger. Ein Beispiel: Heute ist es so, dass man mit Anfang 20 eine Karriereentscheidung trifft, die man dann relativ konsequent weiterverfolgen muss, sonst ist man raus. Das ist einer der entscheidenden Gründe dafür, warum es zu dieser Zusammenballung von Anforderungen in der Mitte des Lebens kommt: Karriere machen, Kinder kriegen und womöglich noch Angehörige pflegen. Deswegen sind flexiblere Arbeitszeiten nicht die alleinige Lösung. Vielmehr müssen wir endlich die starren Karrieremuster aufbrechen: Warum kann man nicht beispielsweise bis Anfang 30 einen Beruf machen, dann Kinder bekommen – und danach vielleicht etwas ganz anderes studieren? Gerade im öffentlichen Dienst ist das unmöglich. Dabei hätte hier der Staat als Arbeitgeber die Möglichkeit, die Rahmenbedingungen zu ändern und wirklich etwas für berufstätige Eltern zu tun. Weil das alles bislang nicht geschieht, schieben viele Paare ihre Kinderwünsche auf oder verzichten ganz auf Kinder.
Studien zeigen, dass nur die wenigsten der 30- bis 50-Jährigen glauben, die Politik könne etwas an ihrer Situation verändern. Viele vertrauen eher darauf, dass sie ihre alltäglichen Probleme selbst in den Griff bekommen.
Wefing: Ich glaube nicht, dass man die Vereinbarkeitsprobleme individuell lösen kann – es sei denn, man zieht auf einen Hof in Brandenburg und züchtet Schafe. Das ist aber nicht das, was wir wollen. Wir wollen dieses Leben leben, aber wir wollen das nicht mehr in dieser wahnsinnigen Gehetztheit tun. Wir alle sind gefordert: der Einzelne, die Politik, die Unternehmen.
Die aktuelle Familienpolitik kritisieren Sie als ziellos und widersprüchlich. Was läuft da schief?
Brost: Wir ärgern uns über eine Politik, die hartnäckig behauptet, es gebe die eine Maßnahme, mit der man Deutschland von heute auf morgen zu einem familienfreundlicheren Land umbauen kann. Ein paar zusätzliche Kita-Plätze und ein bisschen mehr Elterngeld sind nicht die Lösung. Die Familienpolitik muss sich endlich an den Lebensrealitäten der Familien orientieren. Eine Familie, in der beide Elternteile im Schichtdienst arbeiten, braucht eine ganz andere Unterstützung als etwa eine Mittelschichtsfamilie, die sich ohne Probleme eine private Betreuung für die Kinder leisten kann. Und: Rollenmodelle verändern sich nicht, nur weil es jetzt Elternzeit und Vätermonate gibt. Die Elternschaft endet ja nicht nach 14 Monaten. Vater ist man ein Leben lang. Was ist mit denen, die 12- oder 15-jährige Kinder haben? Die kämpfen wiederum mit ganz anderen Problemen.
Wäre die Familienarbeitszeit eine Möglichkeit, um überkommene Rollenmodelle aufzubrechen? Wenn beide Elternteile nur 80 Prozent arbeiten, könnte auch die Fürsorgearbeit partnerschaftlicher aufgeteilt werden.
Brost: Wir sind da skeptisch, denn bislang läuft der Vorschlag darauf hinaus, dass beide Elternteile zusammengenommen noch mehr arbeiten als bisher. Eine gerechtere Verteilung der Arbeit ist schön, ändert aber nichts daran, dass insgesamt zu viel Zeit im Beruf verbracht werden muss. Wenn die Familienministerin also sagt, dass sie im Grunde – wie die Industrie auch – will, dass Frauen und Männer mehr arbeiten als bisher, dann kann ich nur sagen: Wo hilft das den Familien? Überhaupt nicht! Das hilft nur der Industrie. Eine solche Lösung findet auf dem Rücken der Kinder statt. Das heißt nicht, dass wir zurück zum männlichen Ernährermodell wollen. Kinder groß zu ziehen, sollte einfach eine größere Selbstverständlichkeit im Lebenslauf erhalten. Die Trennung von Arbeits- und Fürsorgezeiten ist immer noch viel zu schematisch.
Wefing: Eine Möglichkeit, Lebens- und Berufswege zu entzerren, bietet zum Beispiel das Modell des ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok. Er schlug vor, dass man sich einen Teil der Rente nicht erst am Ende des Berufslebens, sondern auch schon früher auszahlen lassen könnte – etwa um ein Studium zu finanzieren oder sich eben um die Familie zu kümmern.
Es gibt also durchaus Alternativen zur bisherigen Familienpolitik. Am Ende des Buches bleibt der Leser dennoch etwas ratlos zurück. Erwartet hätte man einen programmatischen Entwurf für eine neue Familienpolitik. Stattdessen lautet Ihr Resümee, wir sollten uns die eigene Machtlosigkeit zunächst einmal eingestehen. Denn egal wie sehr wir uns abstrampeln: Es hilft alles nichts.
Wefing: Uns geht es vor allem um eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen, an den vielen existierenden Widersprüchen. Wir maßen uns nicht an, die Lösung zu haben. Die Probleme sind viel größer, als dass man sie lösen könnte, indem man an drei Stellschrauben dreht.
Brost: Und wenn wir uns klarmachen, dass wir viele Dinge als Einzelne selbst nicht ändern können, dann können wir auch ein bisschen entspannen. Wenn wir uns diesen Stress nicht machen, wenn wir uns klarmachen: Hey, es liegt gar nicht an mir! – dann haben wir, glaube ich, schon ein besseres Leben.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Soeben ist "Geht alles gar nicht: Warum wir Kinder, Liebe und Karriere nicht vereinbaren können" im Rowohlt Verlag erschienen. Das Buch hat 240 Seiten und kostet 16,95 Euro.