Gysi oder Überleben
Ist das nicht häufig der Fall in unserem Leben? Da konzentrieren wir uns in den Metropolen der Macht – von Berlin bis Bebra, von Busenwurth (Dithmarschen) bis Backnang (keine Ahnung) – auf den Diskurs der systemischen Fragen, auf die Auflösung der Grundwidersprüche in den kommunalen Haushalten, auf mögliche Koalitionsfähigkeit zwischen der SPD und der „Liste mündiger BacknangerInnen“ – derweil die Weltfragen an uns ungerührt vorüberziehen.
Mit den Modellen der Erkenntnistheorie sprechen wir von so genannten opaken Kontexten. Also dem verborgen Durchscheinenden. Dem nebulös Schimmernden. Dem ahnenlassenden Andeuten. Dem bestrumpften Damenbein. Man sieht und kann doch manches nur vermuten, man vermutet und kann nur spekulieren, man spürt das Müssen und kann nur verzweifelt Wollen. Also eine prekäre Lage, in der es selbst den edelsten Geistern und Charakteren nicht möglich ist, Ausdrücke durch andere mit gleichem Bedeutungsumfang zu ersetzen, ohne dadurch den Wahrheitsgehalt der Aussage zu verändern.
Gottlob Frege verwendet für opake Kontexte den Begriff „ungerade Rede“. Es soll in der Wilhelmstraße in Berlin eine ganze Abteilung dafür geben.
Für die Gebildeten unter unseren Verächtern sei ein vertiefender Exkurs gestattet: Opake Kontexte sind laut Wikipedia spezielle sprachliche Konstruktionen, in denen die gewöhnlich geltende Ersetzbarkeit ko-extensionaler Ausdrücke salve veritate (hessisch für „wo die Wahrheit erhalten bleibt“) außer Kraft gesetzt ist. Man betrachte hierzu die folgenden Sätze:
– Peter glaubt, dass Frank (Walter?) den Mount Everest bestiegen hat.
– Peter glaubt, dass Frank den höchsten Berg der Erde bestiegen hat.
Hier könnte es tatsächlich sein, dass der erste Satz wahr und der zweite falsch ist. (Voraussetzung hierfür wäre, dass Peter nicht weiß, dass der Mount Everest der höchste Berg der Erde ist.) Ganz ähnlich ist es mit den Sätzen:
– Peter glaubt, dass alle Tiere mit Herz Säugetiere sind.
– Peter glaubt, dass alle Tiere mit Nieren Säugetiere sind.
Man sagt daher, dass der Ausdruck „glauben“ für den opaken Kontext verantwortlich ist, beziehungsweise dass „glauben“ einen opaken Kontext „eröffnet“. Ähnlich ist es mit anderen Konstruktionen, die innere Einstellungen zum Ausdruck bringen wie „fürchten, dass“, „sich freuen, dass“, „wissen, dass“ und so weiter.
Denn Opak gibt es in allen Farben. Somit auch in rot. Opak aber bleibt opak. Gestandene Frauen und einige Männer der politischen Kaste mögen noch so weitsichtig, noch so vorausschauend, noch so münte sein: Seltsam, im Nebel zu wandern, einsam ist jeder Busch und Stein, kein Baum sieht den ander´n, jeder ist allein.
Wer auf Opakes stößt – und wer tut das nicht? – der ist sich selbst auf der Spur. Der muss sich den ewiggleichen Fragen nach dem Woher und Wohin seines Lebens stellen: Stammtisch oder Damenbein. Gysi oder Überleben. Gesine oder Horst.
Wer soll sich da noch auskennen? Der Struck, na klar. Der kennt sich aus. Den kenn ich aber nicht. Pech. Der Kurt, der kennt sich auch aus. Jedenfalls mit opaken Kontexten. Den kenne ich aber auch nicht. Wieder Pech. Bleibt das Damenbein. Damit kenne ich mich aus. Jedenfalls mit meinen eigenen. Die aber kennen Kurt und Peter nicht. Das Wesen der Aporie liegt in ihrer Unverfügbarkeit. Luhmann spricht von Inkontingenz. Und Peter und Kurt hocken in ihren Oikoi und löcken wider den eigenen Stachel. Zu den nicht im Verborgenen liegenden Wahrheiten gehört es auch, dass man nicht lachen muss, wenn man sich selbst kitzelt. Was logisch zur Folge hat, dass man sich selbst gar nicht kitzeln kann. Wann wird man sich in Uelzen und Mainz dieser Wahrheit stellen?
Kommen wir also zur Situation der Schwimmausbildung in Deutschland. Hier paddelt der Hase im Pfeffer. Mal unter uns: Wann haben Sie zuletzt ein Wasserbecken von innen gesehen, das Meer rundum gespürt, sich den Unbilden des kalten Nasses ausgesetzt? Und wie steht es mit Ihrer Technik? Modell kleiner Hund? Fünf Züge à la Mark Spitz und dann atemlos an den Rand und Tangas gucken? Oder eher die italienische Methode des hüftbedeckenden Wasserstehens, die anderen Zwecken als denen der Ertüchtigung dienen soll?
Ich darf aus der Antwort der Bundesregierung vom 13. Juli 2007 zitieren: „Schwimmen ist wegen der Wirkung des Wassers auf den menschlichen Organismus eine der gesündesten Sportarten.“ Da komme ich doch noch mal auf den Dr. Peter Struck aus Uelzen zurück: Mit der klaren Stellungnahme der Bundesregierung gegen das Trockenschwimmen wird sich alsbalde der Koalitionsausschuss zu befassen haben. Wo bliebe sonst die Autorität des Vorsitzenden in der Bundestagsfraktion, die er ja dienstäglich einzig und allein mit solchen Übungen unterhält?
Ebenso mit der lapidaren Aussage, dass „statistische Kenntnisse über die Zahl der Nichtschwimmer der Bundesregierung“ nicht vorlägen. Ja, womit befassen die sich denn sonst so? Dass der Hinze nicht jeden Betrieb besuchen kann, der 10.000 Arbeitsplätze abbauen will, das haben wir mittlerweile ja begriffen – aber die Sache mit den Nichtschwimmern, die wollen wir ganz und gar nicht auf sich beruhen lassen.