Keine Demokratie ohne Streitkultur



Eine Demokratie ohne Streitkultur – das ist ein Widerspruch in sich. In der alten Bundesrepublik hat sich, orientiert am Ideal des herrschaftsfreien Diskurses und parallel zur „vorbehaltlosen Öffnung gegenüber der politischen Kultur des Westens“ (Jürgen Habermas), im Verlauf der Jahrzehnte eine pluralistische Streitkultur herausgebildet. Charakteristisch für die DDR war hingegen eine mehr oder minder diskursfreie Herrschaft. Wenn es heute ein Ost-West-Gefälle deutscher Vorbehalte gegenüber der politischen Streitkultur des Westens gibt, hängt das mit dieser bewusstseinsprägenden Erbschaft der SED-Diktatur zusammen.

Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb im wiedervereinigten Deutschland weniger öffentlich gestritten wird als in der „Bonner Republik“. Die europäische Einigung ist allzu lange als Elitenprojekt betrieben worden, als eine Politik der vollendeten Tatsachen, die hinter verschlossenen Türen geschaffen werden. Auf europäischer Ebene hat sich eine Verselbständigung der Exekutivgewalt vollzogen, die auf die Mitgliedsstaaten der EU zurückwirkt. Die nationalen Parlamente haben an Einfluss verloren, ohne dass das Europäische Parlament diesen Mangel ausgleichen konnte. Das trägt nicht nur zur Verbreitung von „Eurofrust“, sondern auch zur Politikverdrossenheit allgemein bei.

Die Berliner Republik wirkt, seit es sie gibt, der inzwischen gesamtdeutschen Unlust am öffentlichen Streitgespräch entgegen. Sie stößt Debatten über Grundsatzfragen an, über die im Bundestag (und in den Fraktionen) viel zu wenig diskutiert wird. Das gilt besonders für Zeiten, in denen in Berlin eine Große Koalition regiert. Ein Debattenorgan wie die Berliner Republik kann fehlende parlamentarische Kontroversen nicht kompensieren, aber der drohenden Aushöhlung der demokratischen politischen Kultur bis zu einem gewissen Grad entgegenwirken. Deutschlands langer Weg nach Westen ist noch längst nicht abgeschlossen. Als Debattenforum trägt auch die Berliner Republik dazu bei, das Land vor dem Abgleiten in den Zustand der „Postdemokratie“ zu bewahren. Grund genug, diesem Magazin ein langes Leben zu wünschen. Auf die nächsten 15 Jahre!

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