Netzwerk Berlin: Gute Ideen für gutes Regieren

Gemeinsam mit Experten, Interessierten und Betroffenen haben sich die 34 Abgeordneten des "Netzwerk Berlin" in den vergangenen Monaten auf die Suche nach wirklichkeitstauglichen Vorschlägen und Konzepten für die rot-grüne Regierungspraxis ab 2013 gemacht. Die Ergebnisse dieser Ideenwerkstatt erscheinen demnächst als Broschüre. Die "Berliner Republik" gibt vorab einen knappen Überblick

Als sich nach der Bundestagwahl 1998 junge SPD-Bundestagsabgeordnete im „Netzwerk Berlin“ zusammentaten, hatten sie neben dem Sinn für politische Kultur auch immer Ideen für politische Programmatik im Blick. Ein roter Faden der Arbeit des Netzwerk Berlin, in dem inzwischen 34 Abgeordnete zusammengeschlossen sind, war und ist die Generationengerechtigkeit, ein bis dato vernachlässigtes Thema. Während der rot-grünen Jahre ebenso wie in der Großen Koalition ging es den überwiegend jüngeren Parlamentarierinnen und Parlamentariern um nachhaltige Ideen jenseits des Flügelschemas von Rechten und Linken; auch um offene Fragen, bei denen der Prozess der Suche nach Antworten schon ein Teil der politischen Kultur von Neugier und Offenheit ist. Pragmatismus mit langfristigen Zielen kann man das vielleicht auch nennen. Progressiv nennt sich das gerne seit Neuestem. Dennoch muss konkretisiert werden, worum es geht, wenn wir 2013 mit einer rot-grünen Mehrheit, für die sich das Netzwerk einsetzt, gut regieren wollen.

Politik und Lebenswirklichkeit

Für die Erarbeitung von Perspektiven für die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 haben die Mitglieder des Netzwerks einen neuen Weg eingeschlagen: Die Abgeordneten wollten nicht unter sich bleiben, Fachleute und Betroffene sollten sich an der Debatte über ein Regierungsprogramm aktiv beteiligen können. So wollten wir gemeinsam Denkanstöße für 2013 und darüber hinaus entwickeln. Deshalb haben wir eine Ideenschmiede ins Leben gerufen, vier Schwerpunktthemen und viele Fragen formuliert und zu abendlichen Diskussionen eingeladen.

Dabei sollte Politik immer von der Lebenswirklichkeit der Menschen ausgehen und der wichtigen Frage folgen: Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Politische Entscheidungen brauchen gesellschaftliche Beteiligung und Akzeptanz, auch deshalb ist für das Netzwerk die politische Teilhabe, das Erlernen und Praktizieren von Demokratie ein wichtiger erster Schwerpunkt unserer politischen Forderungen unter dem Titel „Demokratie leben“. Denn Demokratie muss immer wieder neu gelernt und gelebt werden, in jeder Generation. Konkret heißt das, politische Bildung in der Schule und außerhalb zu stärken, kritisches Denken zu fördern, mehr Transparenz und Beteiligung in politischen Prozessen durchzusetzen, angefangen im Bundestag. Ausdrücklich setzt das Netzwerk einen Schwerpunkt bei der digitalen Gesellschaft. Die digitale und soziale Spaltung soll verhindert werden, der Zugang zu einem leistungsfähigen Internet ist so wichtig geworden wie einst die Versorgung mit Strom und Wasser.

No child left behind – jetzt auch in Deutschland

Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind groß, und das Papier des Netzwerks hat sich bewusst auf bestimmte Schwerpunkte konzentriert. Die üblichen Verdächtigen werden kritisieren, was alles fehlt. In der Tat ist keine fleißige Sammlung aller in allen SPD-Gremien aufgestellten Forderungen entstanden.

Eines unserer wichtigsten Projekte ist der „Vorsorgende Sozialstaat 2.0“. Im Zuge der Grundsatzprogrammdebatte der SPD hatte das Netzwerk Berlin immer die Idee des vorsorgenden Sozialstaates unterstützt und genauer zu definieren versucht. Zwar wurde der Begriff nie „sexy“, aber die Idee bleibt aktuell. Jetzt muss geklärt werden, was eigentlich gemeint ist. Im Netzwerk-Papier wird die Idee der Vorsorge etwa mit dem Slogan „Kein Kind zurücklassen“ auf den Punkt gebracht. Zugleich wird hervorgehoben, dass die angelsächsische Parole, allein Bildung sei der Schlüssel für den sozialen Aufstieg, zu kurz greift. Strukturen, Netzwerke (auch informelle), freiwilliges Engagement, das staatliches Handeln qualitativ ergänzt, sind wichtige Bausteine einer nachhaltigen Armutsprävention. Dass dabei die Pflege nicht nur in ihrer sozialpolitischen Dimension, sondern auch als Wirtschaftsfaktor mit Zukunft einen wichtigen Platz einnimmt, zeigt den Ansatz des Netzwerks, Politikfelder zu vernetzen sowie soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Kompetenz zusammenzudenken.

Eben deshalb betrifft ein dritter Schwerpunkt das Thema „Arbeit und Leben 2020“. Hier werden – ausgehend von der Wirklichkeit einer immer unsicherer werdenden Arbeitswelt – Forderungen nach Abschaffung prekärer Arbeit, nach guten Arbeitsbedingungen und sicherer Fachkräfteentwicklung formuliert. „Arbeit in Würde“ soll keine hohle Phrase mehr sein, sondern für alle ermöglicht werden. Daher fordert auch das Netzwerk einen gesetzlichen Mindestlohn, gute Löhne und einen echten sozialen Arbeitsmarkt, der Inklusion ermöglicht. Staatliche Anreize zur Einschränkung der Erwerbsarbeit wie das Ehegattensplitting sollen abgeschafft werden. Angesprochen wird auch ein Thema, das viele Menschen zunehmend bewegt: das richtige Verhältnis von Arbeitszeit, Bereitschaftszeit und Freizeit. Denn permanente Erreichbarkeit im Job führt zu Stress, der krank macht. Hier fordert das Netzwerk eine neue Debatte.

Der vierte Schwerpunkt fragt nach „Deutschlands Rolle in der Welt“. Denn die Unsicherheit, wie es nach der Schuldenkrise in einigen Ländern der EU weitergehen wird, ist groß. Das Netzwerk bekennt sich ausdrücklich zu Europa. Die Zukunftschancen der jungen Generation hängen davon ab, dass Menschen gestärkt werden und Bildung und Soziales zur europäischen Zukunftspolitik gehören. Die EU darf nicht allein auf ihre wirtschaftliche Stärke setzen, sondern muss zugleich ihre Institutionen politisieren und mehr Demokratie ermöglichen. Dazu gehören gemeinsame soziale und ökologische Standards. Eine besondere Bedeutung misst das Netzwerk der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu. Das Erlernen der deutschen Sprache in deutschen Schulen im Ausland stärker zu fördern und gleichzeitig mehr über andere Kulturen zu lernen, sind dabei zwei Seiten einer Politik.

Von der SPD erwarten viele Menschen vieles

Die aktuelle Wahlforschung zeigt, dass die Menschen von der SPD soziale Gerechtigkeit und Kompetenz in Sachen Arbeit und Wirtschaft zugleich erwarten. Deshalb müssen diese Politikfelder stärker zusammenwirken. Das Netzwerk Berlin will mit seinen Vorschlägen für gutes Regieren Ideen dafür aufzeigen, damit nach 2013 eine starke SPD und ein sozialdemokratischer Kanzler in einer rot-grünen Regierung Politik gestalten können. Unser Ansatz, nah bei den Menschen pragmatische und zukunftsfähige Politik für alle Generationen zu machen, muss dabei seine Wirklichkeitstauglichkeit beweisen. Denn die empirische Wahlforschung belegt, dass es für die SPD nicht bloß eine oder zwei Zielgruppen gibt. An die SPD richten sich nicht nur Erwartungen der „bedrohten Arbeitnehmermitte“ und des „abgehängten Prekariats“, sondern auch Wünsche der „kritischen Bildungselite“ und des „engagierten Bürgertums“. Das ist Aufgabe und Ansporn zugleich. Das Netzwerk-Papier soll dazu beitragen, gemeinsam mit den betroffenen Gruppen gute Ideen zu entwickeln, die den Praxistest des Regierens bestehen können.

Das Programmpapier wird in Kürze als Broschüre veröffentlicht und ist über die Geschäftsstelle des Netzwerk Berlin oder unter www.netzwerkberlin.de erhältlich.

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