Streichelpaten für ausgesetzte Politiker
Der Herbst naht mit Kraft. Die Steine rollen an den Gestaden der Spree. Der Bundestag kommt aus der Sommerpause. Gabriel kommt auch irgendwie voran. Alles wird gut.
Und damit in Zukunft alles noch besser wird, laufen in den 299 Wahlkreisen der Republik die Aufstellungen für das nächste Hohe Haus. Der kommende 18. Deutsche Bundestag wird im September 2013 zu wählen sein, sofern Mutti durchhält, Rösler mal die Klappe hält, sofern Driftmann und Henkel uns den Weltlolli rundlutschen und Joachim (Sauer, noch nicht Gauck) auf den Nobelpreis wartet. Und sofern die SPD sich entscheidet, ob und mit wem und mit was vielleicht sie beim nächsten Mal überhaupt dabei sein will.
Heute bevölkern 622 Abgeordnete das Plenum. Bei 299 Wahlkreisen ist diese Zahl erstaunlich – wie der Rest ins Parlament hineinkommt weiß noch nicht mal das Verfassungsgericht genau. Rechnerisch kommen 2,080267558528428 Volksvertreter aus jedem Wahlkreis von Flensburg (1) bis Homburg (299). Das muss als Erklärung reichen.
Wer von den Abgeordneten nun wieder einziehen will im kommenden Herbst, dem stellt sich in diesen Monaten eine gewichtige Frage: Wie gewöhne ich mich nach vier Jahren Berlin unter der Glaskuppel wieder an die Menschen im Wahlkreis und die Menschen im Wahlkreis sich an mich?
Ich spreche hier natürlich von solchen tapferen Frauen und Mannen, welche die Wahlkreise direkt gewinnen wollen und nicht von solchen, die über Saumwege und Trampelpfade einen Stuhl unter der Reichstagskuppel zu ergattern gedenken. Grünliberalelinkspiraten also bis auf Restmengen ausgeschlossen. Christsoziale auch – die werden da irgendwie reingeboren.
Christdemokraten haben es noch leicht in diesem Spiel: Mutti ist die mächtigste Frau der Welt, wohnt bescheiden auf Etage am Kupfergraben, parkt nicht falsch und fällt keinesfalls mit Überzeugungen auf, die man nicht am Infostand variieren oder anderweitig verschwiemeln könnte. Dass die CDU ein Fleischerladen ist, in dem nur noch Produkte für Vegetarier angeboten werden, irritiert den Schwarzen noch nicht über Gebühr. Wenn sich das aber rumspricht, dann könnte es doch die eine oder andere unbequeme Nachfrage auf dem Marktplatz geben.
Sozialdemokraten haben es schwer: Der Chef twittert aus der Kinderpause, der eine Stein will partout keine Urwahl, der andere wartet zwischen seinen Buchdeckeln ab, was sich da draußen so tut. Und wo es wichtig wird, da reden immer alle drei hübsch nacheinander und wollen gar nicht an die alte Troika mit dem Rudi an der einsamen Spitze erinnert werden. Erklär das den Leuten mal am Infostand!
Um die Kandidaten für die laufenden Aufstellungen nun in dieser prekären Lage wieder oder als neue Kandidaten an die „Menschen vor Ort“ zu gewöhnen, geht der Deutsche Bundestag ungewöhnliche Wege: Er bildet Kuschelpaten für Politiker aus.
Und das kam so: Der Bundestagspräsident Dr. Lammert ist ein lesender, nachdenklicher, weltverbessernder Mann an der Spitze der Volksvertreter. Er macht sich Sorgen um seine Schäfchen, denen er an langen Sitzungstagen vom erhöhten Stuhle aus in die mal klaren, mal leeren Augen blickt.
Und während er so einsam und nachdenklich in der Berliner Zeitung blättert, fällt sein väterlicher Blick auf diesen wunderbaren Beitrag:
Im Tierheim kümmern sich sogenannte Streichelpaten um scheue Miezen. Die Streicheleinheiten sind für die Tiere sehr wichtig. Außerdem gewöhnen sie sich dadurch stärker an Menschen. Das erhöht ihre Vermittlungschancen.
Was erzählt wird, ist den Tieren egal, sie können es ja nicht verstehen. Es kommt ihnen nur auf die Stimme an: unaufgeregt, angenehm weich klingend. Etwa zehn Männer und Frauen kümmern sich regelmäßig darum, dass ausgesetzte Katzen wieder Vertrauen zu Menschen gewinnen. Sie sprechen zu den Tieren, spielen mit ihnen oder sitzen einfach nur da, gemeinsam mit ihnen in den Gehegen des Katzenhauses.
„Dadurch, dass die Katzen wieder an Menschen gewöhnt werden, steigt ihre Vermittlungschance“, sagt Renate Wesselhöfft (74). Die frühere Diplomchemikerin, schon zu DDR-Zeiten im Katzenschutz aktiv, hat die ehrenamtliche Streichelpaten-Bewegung ins Leben gerufen.
Streichelpaten sind Rentner oder Freiberufler. Alle wurden zum Verhalten von Katzen, ihrer Körpersprache und ihrer Macken geschult, alle haben „ihre“ Tiere, um die sie sich speziell kümmern.
Paten-Chefin Wesselhöft sagt: „Mindestens ein halbes oder ein Jahr sollten die Paten einplanen, mehrmals in der Woche etwa zwei Stunden.“ Denn die häufig traumatisierten Katzen, die ja ihrer ursprünglichen Umgebung entrissen worden seien, brauchten Menschen mit Geduld und Ausdauer.
Der Deutsche Bundestag sucht nun auf seiner Homepage Kuschelpaten für ausgesetzte Politikerinnen und Politiker. Bewerben können sich streichel- und kuschelwillige Personen aller Altersklassen und beruflichen Positionen. In Sitzungswochen muss zwei- bis dreimal gekuschelt und gegebenenfalls im beiderseitigen Einvernehmen gestreichelt werden. Kabinettsmitglieder und Abgeordnete aus dem Petitionsausschuss werden bevorzugt vermittelt. Die Gehege müssen nicht sauber gemacht werden, das übernimmt der Bundestag.